Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Für das Erbrecht des Reiches erbreche nie. Aber auch rein sachlich ist die Bezeichnung Reichserbrecht zu¬ Auch dafür fehlen innere Gründe, den Bundesstaaten 25 Prozent vom Für das Erbrecht des Reiches erbreche nie. Aber auch rein sachlich ist die Bezeichnung Reichserbrecht zu¬ Auch dafür fehlen innere Gründe, den Bundesstaaten 25 Prozent vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321255"/> <fw type="header" place="top"> Für das Erbrecht des Reiches</fw><lb/> <p xml:id="ID_680" prev="#ID_679"> erbreche nie. Aber auch rein sachlich ist die Bezeichnung Reichserbrecht zu¬<lb/> treffend, weil 73 Prozent von den Einkünften dem Reiche und 25 Prozent<lb/> den Bundesstaaten zufallen sollen. Wenn Dr. Sydow in der Sitzung des<lb/> Reichstages vom 19. November 1908 äußerte, der Landesfiskus sei deshalb<lb/> als Erbe vorgesehen, weil die Regelung der Nachlasse durch die Landesbehörden<lb/> erfolgen müsse, so ist der Grund nicht stichhaltig. Die staatliche Einkommen¬<lb/> steuer wird durch die Gemeinde eingezogen, ohne daß man sie deswegen als<lb/> Gemeindeeinkommensteuer bezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Auch dafür fehlen innere Gründe, den Bundesstaaten 25 Prozent vom<lb/> Ertrage zuzuweisen. Das Reich hat nichts zu verschenken, und im Jahre 1912<lb/> weniger denn je. Daß man ein solches Geschenk auch nicht mit den Kosten<lb/> der Verwaltung rechtfertigen kann, liegt auf der Hand. Ohnehin muß bei<lb/> der Ermittlung des Nachlasses der Schwerpunkt in die Gemeinde verlegt<lb/> werden, der dafür eine anteilige Vergütung gebührt. Der Reichskasse noch<lb/> mehr von ihren schmalen Einkünften zu entziehen, läßt sich angesichts der Schuld<lb/> der fünf Milliarden nach meinem Empfinden nicht verantworten. In erster<lb/> Linie ist der finanzielle Erfolg der Maßregel aber davon abhängig, an welcher<lb/> Stelle die Grenze für das Verwandtenerbrecht gezogen wird. Wiederholt möchte<lb/> ich empfehlen, die Grenze hinter den Geschwistern des Verstorbenen zu errichten,<lb/> so daß diese noch ohne Testament, die übrigen Seitenverwandten dagegen nur<lb/> auf Grund testamentarischer Einsetzung erben. Daß diesen damit kein Unrecht<lb/> geschieht, ist oft erörtert. Steht es doch in dem freien Willen des Erblassers,<lb/> seinen Verwandten zuzuwenden, was ihm gut scheint. Die Ausnahmefälle, in<lb/> denen wegen jugendlichen Alters oder Geistesschwache ein Testament nicht<lb/> errichtet werden kann, dürfen die Regel nicht bestimmen. Wird hingegen das<lb/> Reichserbrecht weiter eingeschränkt, so muß nicht allein das wirtschaftliche<lb/> Ergebnis der Reform hinter allen Erwartungen zurückbleiben, sondern das<lb/> Unrecht der lachenden Erben besteht im Wesentlichen unverändert fort und<lb/> die Reform verfehlt ihr eigentliches Ziel. Der Vorschlag geht auch keines¬<lb/> wegs zu weit. Das ergibt sich schon aus dem äußeren Umstände, daß<lb/> sich sonst hervorragende Staatsmänner und hervorragende Militärs von<lb/> entschieden konservativer Gesinnung nicht dafür erklären würden, wie<lb/> denn auch der maßvolle Gustav von Schmoller im Anschluß an John Stuart<lb/> Mill die Beseitigung des Erbrechts der Seitenverwandten schlechthin als einen<lb/> berechtigten Gedanken bezeichnet. — Im einzelnen gibt der Z 8 des Entwurfs<lb/> zu schweren Bedenken Anlaß. Behufs Milderung etwaiger Härten sollen die<lb/> Nachkommen der Großeltern des Verstorbenen Haushaltungsgegenstände und<lb/> Sachen des persönlichen Gebrauchs für die Hälfte ihres Wertes verlangen dürfen.<lb/> Dabei ist nach der Begründung an einzelne Stücke von geringer Bedeutung<lb/> gedacht, die für die Familie von Interesse sein könnten. In ihrer allgemeinen<lb/> Fassung erstreckt sich die Bestimmung aber auf die ganze Wirtschaft und auf<lb/> Kostbarkeiten von hohem Wert, in vielen Fällen also auf den gesamten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
Für das Erbrecht des Reiches
erbreche nie. Aber auch rein sachlich ist die Bezeichnung Reichserbrecht zu¬
treffend, weil 73 Prozent von den Einkünften dem Reiche und 25 Prozent
den Bundesstaaten zufallen sollen. Wenn Dr. Sydow in der Sitzung des
Reichstages vom 19. November 1908 äußerte, der Landesfiskus sei deshalb
als Erbe vorgesehen, weil die Regelung der Nachlasse durch die Landesbehörden
erfolgen müsse, so ist der Grund nicht stichhaltig. Die staatliche Einkommen¬
steuer wird durch die Gemeinde eingezogen, ohne daß man sie deswegen als
Gemeindeeinkommensteuer bezeichnet.
Auch dafür fehlen innere Gründe, den Bundesstaaten 25 Prozent vom
Ertrage zuzuweisen. Das Reich hat nichts zu verschenken, und im Jahre 1912
weniger denn je. Daß man ein solches Geschenk auch nicht mit den Kosten
der Verwaltung rechtfertigen kann, liegt auf der Hand. Ohnehin muß bei
der Ermittlung des Nachlasses der Schwerpunkt in die Gemeinde verlegt
werden, der dafür eine anteilige Vergütung gebührt. Der Reichskasse noch
mehr von ihren schmalen Einkünften zu entziehen, läßt sich angesichts der Schuld
der fünf Milliarden nach meinem Empfinden nicht verantworten. In erster
Linie ist der finanzielle Erfolg der Maßregel aber davon abhängig, an welcher
Stelle die Grenze für das Verwandtenerbrecht gezogen wird. Wiederholt möchte
ich empfehlen, die Grenze hinter den Geschwistern des Verstorbenen zu errichten,
so daß diese noch ohne Testament, die übrigen Seitenverwandten dagegen nur
auf Grund testamentarischer Einsetzung erben. Daß diesen damit kein Unrecht
geschieht, ist oft erörtert. Steht es doch in dem freien Willen des Erblassers,
seinen Verwandten zuzuwenden, was ihm gut scheint. Die Ausnahmefälle, in
denen wegen jugendlichen Alters oder Geistesschwache ein Testament nicht
errichtet werden kann, dürfen die Regel nicht bestimmen. Wird hingegen das
Reichserbrecht weiter eingeschränkt, so muß nicht allein das wirtschaftliche
Ergebnis der Reform hinter allen Erwartungen zurückbleiben, sondern das
Unrecht der lachenden Erben besteht im Wesentlichen unverändert fort und
die Reform verfehlt ihr eigentliches Ziel. Der Vorschlag geht auch keines¬
wegs zu weit. Das ergibt sich schon aus dem äußeren Umstände, daß
sich sonst hervorragende Staatsmänner und hervorragende Militärs von
entschieden konservativer Gesinnung nicht dafür erklären würden, wie
denn auch der maßvolle Gustav von Schmoller im Anschluß an John Stuart
Mill die Beseitigung des Erbrechts der Seitenverwandten schlechthin als einen
berechtigten Gedanken bezeichnet. — Im einzelnen gibt der Z 8 des Entwurfs
zu schweren Bedenken Anlaß. Behufs Milderung etwaiger Härten sollen die
Nachkommen der Großeltern des Verstorbenen Haushaltungsgegenstände und
Sachen des persönlichen Gebrauchs für die Hälfte ihres Wertes verlangen dürfen.
Dabei ist nach der Begründung an einzelne Stücke von geringer Bedeutung
gedacht, die für die Familie von Interesse sein könnten. In ihrer allgemeinen
Fassung erstreckt sich die Bestimmung aber auf die ganze Wirtschaft und auf
Kostbarkeiten von hohem Wert, in vielen Fällen also auf den gesamten
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