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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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lichen Beziehungen niemals den großgermanischen Gemeinsamkeitsgedanken
ertöten darf.

Dieser großgermanische Gedanke hat in den letzten Jahren tatsächlich an
Gehalt gewonnen. Nicht in dem Sinne einer nach außen gerichteten Politik,
die eine Vorherrschaft über andere Völker anstrebt, sondern mehr aus der
Empfindung heraus, daß bei ungehemmten Abfließen des Kulturbesitzes gerade
dieser, von den germanischen Völkern erworbene Besitz ernstlich bedroht ist.
Denn was den europäischen Völkern die größte Entwicklungsmöglichkeit gab
und was auch anderen Völkern ein Fortschritt war, wird für diese nicht nur
eine Stütze in ihrem notwendigen wirtschaftlichen und politischen Kampfe gegen
die europäische Kultur, sondern es muß sich zu einer Schwächung dieses Besitzes
entwickeln durch das Gefühl des Schwindens der Überlegenheit. Weite Kreise
der europäischen Bevölkerung, insbesondere aber in den Großstädten, stehen der
eigenen Volkskultur nicht nur gleichgültig gegenüber, sondern trachten auch in
blindem Eifer danach, sie zu zerstören, um eine unbestimmte, niemals mögliche
Allerweltskultur an ihre Stelle zu setzen. Je weniger Erfolge diese Bewegung
erzielt, um so eifriger wühlt sie gegen den Boden, der sie trägt; je weniger sie
aufbauen kann, um so stärker ist der Drang, alles hinwegzuräumen, was dein
erträumten Ideal im Wege steht. Freilich wird durch diesen einseitigen Eifer
nicht die Tatsache verhüllt, daß der asiatische oder selbst der romanische und
slawische Gesinnungsgenosse seinen Volksgenossen viel näher steht als dem art¬
fremden Theoretiker.

Heute sind viele schwach genug, fremden Einflüssen eine große Macht ein¬
zuräumen, wenn dabei auch mehr Worte als Werte gewonnen werden. Man
übersieht dabei, daß jede Kultur das Erzeugnis bestimmter Voraussetzungen ist,
die in dem Ursprungslande, der Bevölkerung und in vielen, aus der geschichtlichen
Entwicklung hervorgegangenen Imponderabilien liegen; man will es -- und oft
gegen die eigne bessere Überzeugung --nicht anerkennen, daß jede Kultur zwar
Einzelheiten abgeben, nie aber die Grundlage aufgeben kann, auf der sie gewachsen
ist, es sei denn, daß ihre schlechten Früchte in den Abfällen großstädtischer
Engräumigkeit treibhausartig emporwuchern. Auch die ostasiatische, die indische,
die maurische und andere Kulturen sind nicht weniger selbständig und ent¬
wicklungsfähig als die germanischen, im weiteren Sinne als die europäischen.
Dies vorurteilslos festgestellt und wissenschaftlich erschlossen zu haben, ist nicht
das geringste Verdienst germanischer Wissenschaft, aber es verpflichtet noch nicht,
jene ohne weiteres als gleichberechtigt für Europa anzuerkennen. Im Gegenteil!
Dieselbe Wissenschaft hat auch dargelegt, daß eine ungehemmte und wahllose
Kreuzung anders gearteter Kulturelemente nur schwächend wirkt, wie es über¬
zeugend der Zusammenbruch der antiken Kultur enthüllt hat.

Es fehlt keineswegs an Anzeichen, die auf das Erkennen einer so großen
Gefahr deuten. Trotz aller einander entgegenstehenden politischen Wünsche
situm sich die lateinischen, slawischen und germanischen Völker immer mehr in


lichen Beziehungen niemals den großgermanischen Gemeinsamkeitsgedanken
ertöten darf.

Dieser großgermanische Gedanke hat in den letzten Jahren tatsächlich an
Gehalt gewonnen. Nicht in dem Sinne einer nach außen gerichteten Politik,
die eine Vorherrschaft über andere Völker anstrebt, sondern mehr aus der
Empfindung heraus, daß bei ungehemmten Abfließen des Kulturbesitzes gerade
dieser, von den germanischen Völkern erworbene Besitz ernstlich bedroht ist.
Denn was den europäischen Völkern die größte Entwicklungsmöglichkeit gab
und was auch anderen Völkern ein Fortschritt war, wird für diese nicht nur
eine Stütze in ihrem notwendigen wirtschaftlichen und politischen Kampfe gegen
die europäische Kultur, sondern es muß sich zu einer Schwächung dieses Besitzes
entwickeln durch das Gefühl des Schwindens der Überlegenheit. Weite Kreise
der europäischen Bevölkerung, insbesondere aber in den Großstädten, stehen der
eigenen Volkskultur nicht nur gleichgültig gegenüber, sondern trachten auch in
blindem Eifer danach, sie zu zerstören, um eine unbestimmte, niemals mögliche
Allerweltskultur an ihre Stelle zu setzen. Je weniger Erfolge diese Bewegung
erzielt, um so eifriger wühlt sie gegen den Boden, der sie trägt; je weniger sie
aufbauen kann, um so stärker ist der Drang, alles hinwegzuräumen, was dein
erträumten Ideal im Wege steht. Freilich wird durch diesen einseitigen Eifer
nicht die Tatsache verhüllt, daß der asiatische oder selbst der romanische und
slawische Gesinnungsgenosse seinen Volksgenossen viel näher steht als dem art¬
fremden Theoretiker.

Heute sind viele schwach genug, fremden Einflüssen eine große Macht ein¬
zuräumen, wenn dabei auch mehr Worte als Werte gewonnen werden. Man
übersieht dabei, daß jede Kultur das Erzeugnis bestimmter Voraussetzungen ist,
die in dem Ursprungslande, der Bevölkerung und in vielen, aus der geschichtlichen
Entwicklung hervorgegangenen Imponderabilien liegen; man will es — und oft
gegen die eigne bessere Überzeugung —nicht anerkennen, daß jede Kultur zwar
Einzelheiten abgeben, nie aber die Grundlage aufgeben kann, auf der sie gewachsen
ist, es sei denn, daß ihre schlechten Früchte in den Abfällen großstädtischer
Engräumigkeit treibhausartig emporwuchern. Auch die ostasiatische, die indische,
die maurische und andere Kulturen sind nicht weniger selbständig und ent¬
wicklungsfähig als die germanischen, im weiteren Sinne als die europäischen.
Dies vorurteilslos festgestellt und wissenschaftlich erschlossen zu haben, ist nicht
das geringste Verdienst germanischer Wissenschaft, aber es verpflichtet noch nicht,
jene ohne weiteres als gleichberechtigt für Europa anzuerkennen. Im Gegenteil!
Dieselbe Wissenschaft hat auch dargelegt, daß eine ungehemmte und wahllose
Kreuzung anders gearteter Kulturelemente nur schwächend wirkt, wie es über¬
zeugend der Zusammenbruch der antiken Kultur enthüllt hat.

Es fehlt keineswegs an Anzeichen, die auf das Erkennen einer so großen
Gefahr deuten. Trotz aller einander entgegenstehenden politischen Wünsche
situm sich die lateinischen, slawischen und germanischen Völker immer mehr in


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[0207] lichen Beziehungen niemals den großgermanischen Gemeinsamkeitsgedanken ertöten darf. Dieser großgermanische Gedanke hat in den letzten Jahren tatsächlich an Gehalt gewonnen. Nicht in dem Sinne einer nach außen gerichteten Politik, die eine Vorherrschaft über andere Völker anstrebt, sondern mehr aus der Empfindung heraus, daß bei ungehemmten Abfließen des Kulturbesitzes gerade dieser, von den germanischen Völkern erworbene Besitz ernstlich bedroht ist. Denn was den europäischen Völkern die größte Entwicklungsmöglichkeit gab und was auch anderen Völkern ein Fortschritt war, wird für diese nicht nur eine Stütze in ihrem notwendigen wirtschaftlichen und politischen Kampfe gegen die europäische Kultur, sondern es muß sich zu einer Schwächung dieses Besitzes entwickeln durch das Gefühl des Schwindens der Überlegenheit. Weite Kreise der europäischen Bevölkerung, insbesondere aber in den Großstädten, stehen der eigenen Volkskultur nicht nur gleichgültig gegenüber, sondern trachten auch in blindem Eifer danach, sie zu zerstören, um eine unbestimmte, niemals mögliche Allerweltskultur an ihre Stelle zu setzen. Je weniger Erfolge diese Bewegung erzielt, um so eifriger wühlt sie gegen den Boden, der sie trägt; je weniger sie aufbauen kann, um so stärker ist der Drang, alles hinwegzuräumen, was dein erträumten Ideal im Wege steht. Freilich wird durch diesen einseitigen Eifer nicht die Tatsache verhüllt, daß der asiatische oder selbst der romanische und slawische Gesinnungsgenosse seinen Volksgenossen viel näher steht als dem art¬ fremden Theoretiker. Heute sind viele schwach genug, fremden Einflüssen eine große Macht ein¬ zuräumen, wenn dabei auch mehr Worte als Werte gewonnen werden. Man übersieht dabei, daß jede Kultur das Erzeugnis bestimmter Voraussetzungen ist, die in dem Ursprungslande, der Bevölkerung und in vielen, aus der geschichtlichen Entwicklung hervorgegangenen Imponderabilien liegen; man will es — und oft gegen die eigne bessere Überzeugung —nicht anerkennen, daß jede Kultur zwar Einzelheiten abgeben, nie aber die Grundlage aufgeben kann, auf der sie gewachsen ist, es sei denn, daß ihre schlechten Früchte in den Abfällen großstädtischer Engräumigkeit treibhausartig emporwuchern. Auch die ostasiatische, die indische, die maurische und andere Kulturen sind nicht weniger selbständig und ent¬ wicklungsfähig als die germanischen, im weiteren Sinne als die europäischen. Dies vorurteilslos festgestellt und wissenschaftlich erschlossen zu haben, ist nicht das geringste Verdienst germanischer Wissenschaft, aber es verpflichtet noch nicht, jene ohne weiteres als gleichberechtigt für Europa anzuerkennen. Im Gegenteil! Dieselbe Wissenschaft hat auch dargelegt, daß eine ungehemmte und wahllose Kreuzung anders gearteter Kulturelemente nur schwächend wirkt, wie es über¬ zeugend der Zusammenbruch der antiken Kultur enthüllt hat. Es fehlt keineswegs an Anzeichen, die auf das Erkennen einer so großen Gefahr deuten. Trotz aller einander entgegenstehenden politischen Wünsche situm sich die lateinischen, slawischen und germanischen Völker immer mehr in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/207>, abgerufen am 18.06.2024.