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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Llorentin Kiep

fragte, warum sie den Verlobungsring gleich an die rechte Hand gesteckt habe
und nicht nach Sitte bis zum Hochzeitstag an die linke, da zwinkerte sie wieder
und meinte heimlich: "Es hat's der Kiep gewollt, und es hält auch besser so,
das Verlöbnis."

Wieschen war einsam und fremd im Heimatdorf. Die Berge und Bäume
verloren das Laub, und es war, als solle keine Freude mehr bleiben, mit der
sie sich hätte zusammenfinden und zu zweien hätte sein können. "Brach' ein
Unwetter aus, und ich ginge unversehens draußen," dachte sie, "ich wußt' nicht,
welch' einem ich mich unter den Schirm stellen könnte. Nicht ein Baum gibt
bald mehr Schutz."

Sie war aber aufgewachsen als ein Waisenarmes und hatte gelernt, andern
Strohdocken in die Holzschuhe zu flechten, während sie selber barfuß ging. So,
wie sie nach außen einsam war, war sie innen mit sich selbst zusammen, inniger
und reicher als je.

So aufgerichtet ging sie an einem Tage zum Arzt in die Kreisstadt, nahm
den mehrstündigen Weg östlich über den Hügelkamm der Berge und kam mit
roten frischen Backen in die Stadt. "Warum kommst du," erzählte sie sich
unterwegs, würde der Arzt fragen. "Bloß wegen der Verkühlung?" Sie trug
sich leicht mit dem, was als schlimmer Keim in ihr lag. So schüttelte sie
ungläubig und immer wieder wie töricht den Kopf, als sie ein in ein knisterndes
rotes Papier gehülltes Fläschchen in der Hand die Stadt wieder verließ. Ihre
Backenrosen waren verblaßt, sie hatte staubige Schuhe und müde Schritte, so
ging sie die Landstraße entlang, die unter den Bergen her leichter und schneller
heim führte als der Weg, den sie in mutigen Ansteigen vorher genommen hatte.

Sie kam heim um die Mittagszeit, als eben der Tisch aufgetragen war
und der Kien mit den Kampf zum Essen niedersaß. Sie nahm ihren Platz,
stand wieder auf und holte das Fläschchen aus dem Papier, schüttelte die
Medizin und trank davon. Sie sah feierlich dabei aus, und die anderen blickten
zu ihr auf mit furchtsamen Gesichtern und schweigend, auch der Kiep. Die
Mutter Johanne band ihr Häubchen los, um gleich zu hören und verstehen zu
können, wenn Wieschen sprach. Jelde schlug verlegen die Augen nieder, als
habe ihr das Mädchen gesagt: "Die Stiche in meiner Brust sind von deinen
feinen und heimlichen Nadelstichen, Jelde." Dem Florentin stieg das Blut
zu Kopf, wie ihm wohl geschah, wenn um sein Versehen eine Blume Schaden
genommen hatte.

"Ja," sagte Wieschen und nickte. "Ich habe es für leichter gehalten als
es ist, aber es ist so schwer noch nicht, daß es mich unterkriegt. Ich muß weg
von hier, wohl so weit als man in einem Tage kommen kann, oder weiter,
wenn es angeht. Alles, was gewesen ist, muß hinter mir bleiben. Es ist rauh
bei uns in den Bergen um Winterzeit, und ich muß die Luft haben, die anders
und besser für meine Brust ist. Auch in der Sommerzeit ist die Luft nicht recht.
Das stille Sitzen beim Nähen hätte es getan."


Die Blumen des Llorentin Kiep

fragte, warum sie den Verlobungsring gleich an die rechte Hand gesteckt habe
und nicht nach Sitte bis zum Hochzeitstag an die linke, da zwinkerte sie wieder
und meinte heimlich: „Es hat's der Kiep gewollt, und es hält auch besser so,
das Verlöbnis."

Wieschen war einsam und fremd im Heimatdorf. Die Berge und Bäume
verloren das Laub, und es war, als solle keine Freude mehr bleiben, mit der
sie sich hätte zusammenfinden und zu zweien hätte sein können. „Brach' ein
Unwetter aus, und ich ginge unversehens draußen," dachte sie, „ich wußt' nicht,
welch' einem ich mich unter den Schirm stellen könnte. Nicht ein Baum gibt
bald mehr Schutz."

Sie war aber aufgewachsen als ein Waisenarmes und hatte gelernt, andern
Strohdocken in die Holzschuhe zu flechten, während sie selber barfuß ging. So,
wie sie nach außen einsam war, war sie innen mit sich selbst zusammen, inniger
und reicher als je.

So aufgerichtet ging sie an einem Tage zum Arzt in die Kreisstadt, nahm
den mehrstündigen Weg östlich über den Hügelkamm der Berge und kam mit
roten frischen Backen in die Stadt. „Warum kommst du," erzählte sie sich
unterwegs, würde der Arzt fragen. „Bloß wegen der Verkühlung?" Sie trug
sich leicht mit dem, was als schlimmer Keim in ihr lag. So schüttelte sie
ungläubig und immer wieder wie töricht den Kopf, als sie ein in ein knisterndes
rotes Papier gehülltes Fläschchen in der Hand die Stadt wieder verließ. Ihre
Backenrosen waren verblaßt, sie hatte staubige Schuhe und müde Schritte, so
ging sie die Landstraße entlang, die unter den Bergen her leichter und schneller
heim führte als der Weg, den sie in mutigen Ansteigen vorher genommen hatte.

Sie kam heim um die Mittagszeit, als eben der Tisch aufgetragen war
und der Kien mit den Kampf zum Essen niedersaß. Sie nahm ihren Platz,
stand wieder auf und holte das Fläschchen aus dem Papier, schüttelte die
Medizin und trank davon. Sie sah feierlich dabei aus, und die anderen blickten
zu ihr auf mit furchtsamen Gesichtern und schweigend, auch der Kiep. Die
Mutter Johanne band ihr Häubchen los, um gleich zu hören und verstehen zu
können, wenn Wieschen sprach. Jelde schlug verlegen die Augen nieder, als
habe ihr das Mädchen gesagt: „Die Stiche in meiner Brust sind von deinen
feinen und heimlichen Nadelstichen, Jelde." Dem Florentin stieg das Blut
zu Kopf, wie ihm wohl geschah, wenn um sein Versehen eine Blume Schaden
genommen hatte.

„Ja," sagte Wieschen und nickte. „Ich habe es für leichter gehalten als
es ist, aber es ist so schwer noch nicht, daß es mich unterkriegt. Ich muß weg
von hier, wohl so weit als man in einem Tage kommen kann, oder weiter,
wenn es angeht. Alles, was gewesen ist, muß hinter mir bleiben. Es ist rauh
bei uns in den Bergen um Winterzeit, und ich muß die Luft haben, die anders
und besser für meine Brust ist. Auch in der Sommerzeit ist die Luft nicht recht.
Das stille Sitzen beim Nähen hätte es getan."


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[0332] Die Blumen des Llorentin Kiep fragte, warum sie den Verlobungsring gleich an die rechte Hand gesteckt habe und nicht nach Sitte bis zum Hochzeitstag an die linke, da zwinkerte sie wieder und meinte heimlich: „Es hat's der Kiep gewollt, und es hält auch besser so, das Verlöbnis." Wieschen war einsam und fremd im Heimatdorf. Die Berge und Bäume verloren das Laub, und es war, als solle keine Freude mehr bleiben, mit der sie sich hätte zusammenfinden und zu zweien hätte sein können. „Brach' ein Unwetter aus, und ich ginge unversehens draußen," dachte sie, „ich wußt' nicht, welch' einem ich mich unter den Schirm stellen könnte. Nicht ein Baum gibt bald mehr Schutz." Sie war aber aufgewachsen als ein Waisenarmes und hatte gelernt, andern Strohdocken in die Holzschuhe zu flechten, während sie selber barfuß ging. So, wie sie nach außen einsam war, war sie innen mit sich selbst zusammen, inniger und reicher als je. So aufgerichtet ging sie an einem Tage zum Arzt in die Kreisstadt, nahm den mehrstündigen Weg östlich über den Hügelkamm der Berge und kam mit roten frischen Backen in die Stadt. „Warum kommst du," erzählte sie sich unterwegs, würde der Arzt fragen. „Bloß wegen der Verkühlung?" Sie trug sich leicht mit dem, was als schlimmer Keim in ihr lag. So schüttelte sie ungläubig und immer wieder wie töricht den Kopf, als sie ein in ein knisterndes rotes Papier gehülltes Fläschchen in der Hand die Stadt wieder verließ. Ihre Backenrosen waren verblaßt, sie hatte staubige Schuhe und müde Schritte, so ging sie die Landstraße entlang, die unter den Bergen her leichter und schneller heim führte als der Weg, den sie in mutigen Ansteigen vorher genommen hatte. Sie kam heim um die Mittagszeit, als eben der Tisch aufgetragen war und der Kien mit den Kampf zum Essen niedersaß. Sie nahm ihren Platz, stand wieder auf und holte das Fläschchen aus dem Papier, schüttelte die Medizin und trank davon. Sie sah feierlich dabei aus, und die anderen blickten zu ihr auf mit furchtsamen Gesichtern und schweigend, auch der Kiep. Die Mutter Johanne band ihr Häubchen los, um gleich zu hören und verstehen zu können, wenn Wieschen sprach. Jelde schlug verlegen die Augen nieder, als habe ihr das Mädchen gesagt: „Die Stiche in meiner Brust sind von deinen feinen und heimlichen Nadelstichen, Jelde." Dem Florentin stieg das Blut zu Kopf, wie ihm wohl geschah, wenn um sein Versehen eine Blume Schaden genommen hatte. „Ja," sagte Wieschen und nickte. „Ich habe es für leichter gehalten als es ist, aber es ist so schwer noch nicht, daß es mich unterkriegt. Ich muß weg von hier, wohl so weit als man in einem Tage kommen kann, oder weiter, wenn es angeht. Alles, was gewesen ist, muß hinter mir bleiben. Es ist rauh bei uns in den Bergen um Winterzeit, und ich muß die Luft haben, die anders und besser für meine Brust ist. Auch in der Sommerzeit ist die Luft nicht recht. Das stille Sitzen beim Nähen hätte es getan."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/332>, abgerufen am 10.06.2024.