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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der Berliner Roman

Rudolf Lothars "Herr von Berlin" (Concordia, Deutsche Verlagsanstalt)
und Rudolf Presbers "Bunte Kuh" (Concordia. Deutsche Verlagsanstalt) setzen
sich, jeder in seiner Art, mit dem literarisch-künstlerischen Berlin von heutzutage
auseinander. Beide Bücher wiegen nicht sonderlich schwer. Beide Bücher sind
flüchtig gearbeitet und gehen uicht sehr in die Tiefe. Aber wer Augen zu sehen
und Ohren zu hören hat, wird in Lothars amüsanter Zukunftsphantasie so gut
wie in Presbers etwas absichtlich auf humoristische Akzente gestellter Geschichte
allerlei Dinge finden, die für das Wesen des neuberliner Zeitgeistes charakte¬
ristisch sind.

Die Aufzählung von Büchern, die das moderne Berlin aus irgendeinem
bestimmten Gesichtswinkel heraus betrachten, ließe sich, wie gesagt, mit Leichtigkeit
bis ins Unendliche verlängern. Daß das uicht der Zweck der vorliegenden
Arbeit sein kann, liegt auf der Hand. Wir haben lediglich an einer Reihe
markanter Beispiele zu zeigen versucht, wie sich die Erscheinung des Berliner
Riesenungeheuers im zeitgenössischen Schrifttum spiegelt. Und zum Schluß bleibt
uns nur noch die Aufgabe, eines literarischen Typus zu gedenken, der ebenfalls
gern unter der Flagge "Berliner Roman" segeln möchte, und den gerade die
letzten Jahre zum Verdruß aller ernsthaften Geister herangezüchtet haben. Wir
meinen jene Bücher von ausgesprochenem Parteicharakter, wie sie Robert
Sandel, Eugen Jlles und neuerdings Arthur Landsberger schreiben. Sie kommen,
da sie von keinem Talente getragen werden, künstlerisch überhaupt nicht in
Betracht. Aber sie wachsen sich trotzdem allmählich zu einer öffentlichen Gefahr
aus, gegen die gar nicht scharf genug Front gemacht werden kann. Sie suchen
sich ihre Stoffe mit Vorliebe in jenem übel berüchtigten Milieu des äußersten
Berliner Westens, das durch ein paar Sensationsprozesse in den Vordergrund
der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt worden ist. Sie sind von einem Geiste
der Unkultur, des Ungeschmacks und der ästhetischen Zuchtlostgkeit getragen, für
den die härtesten Worte gerade gut genug sind. Sie behaupten typisch zu sein
und handeln ausschließlich mit Klatsch und mit elenden Indiskretionen.

Eine deutliche Abwehr tut hier bitter not. Der ernsthafte Berliner Roman
hat mit diesen Ausgeburten einer spekulativen und sensationshungrigen Reporter¬
phantasie nichts zu schaffen. Und wem die unendlich verwickelte Erscheinung
des heutigen Drei-Millionen-Berlin künstlerisch überhaupt etwas zu sagen hat,
der wird einen dicken Strich zwischen der eigenen Weltanschauung und den gleich¬
gültigen Geschäften wurzelloser Literaten machen.




Der Berliner Roman

Rudolf Lothars „Herr von Berlin" (Concordia, Deutsche Verlagsanstalt)
und Rudolf Presbers „Bunte Kuh" (Concordia. Deutsche Verlagsanstalt) setzen
sich, jeder in seiner Art, mit dem literarisch-künstlerischen Berlin von heutzutage
auseinander. Beide Bücher wiegen nicht sonderlich schwer. Beide Bücher sind
flüchtig gearbeitet und gehen uicht sehr in die Tiefe. Aber wer Augen zu sehen
und Ohren zu hören hat, wird in Lothars amüsanter Zukunftsphantasie so gut
wie in Presbers etwas absichtlich auf humoristische Akzente gestellter Geschichte
allerlei Dinge finden, die für das Wesen des neuberliner Zeitgeistes charakte¬
ristisch sind.

Die Aufzählung von Büchern, die das moderne Berlin aus irgendeinem
bestimmten Gesichtswinkel heraus betrachten, ließe sich, wie gesagt, mit Leichtigkeit
bis ins Unendliche verlängern. Daß das uicht der Zweck der vorliegenden
Arbeit sein kann, liegt auf der Hand. Wir haben lediglich an einer Reihe
markanter Beispiele zu zeigen versucht, wie sich die Erscheinung des Berliner
Riesenungeheuers im zeitgenössischen Schrifttum spiegelt. Und zum Schluß bleibt
uns nur noch die Aufgabe, eines literarischen Typus zu gedenken, der ebenfalls
gern unter der Flagge „Berliner Roman" segeln möchte, und den gerade die
letzten Jahre zum Verdruß aller ernsthaften Geister herangezüchtet haben. Wir
meinen jene Bücher von ausgesprochenem Parteicharakter, wie sie Robert
Sandel, Eugen Jlles und neuerdings Arthur Landsberger schreiben. Sie kommen,
da sie von keinem Talente getragen werden, künstlerisch überhaupt nicht in
Betracht. Aber sie wachsen sich trotzdem allmählich zu einer öffentlichen Gefahr
aus, gegen die gar nicht scharf genug Front gemacht werden kann. Sie suchen
sich ihre Stoffe mit Vorliebe in jenem übel berüchtigten Milieu des äußersten
Berliner Westens, das durch ein paar Sensationsprozesse in den Vordergrund
der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt worden ist. Sie sind von einem Geiste
der Unkultur, des Ungeschmacks und der ästhetischen Zuchtlostgkeit getragen, für
den die härtesten Worte gerade gut genug sind. Sie behaupten typisch zu sein
und handeln ausschließlich mit Klatsch und mit elenden Indiskretionen.

Eine deutliche Abwehr tut hier bitter not. Der ernsthafte Berliner Roman
hat mit diesen Ausgeburten einer spekulativen und sensationshungrigen Reporter¬
phantasie nichts zu schaffen. Und wem die unendlich verwickelte Erscheinung
des heutigen Drei-Millionen-Berlin künstlerisch überhaupt etwas zu sagen hat,
der wird einen dicken Strich zwischen der eigenen Weltanschauung und den gleich¬
gültigen Geschäften wurzelloser Literaten machen.




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[0535] Der Berliner Roman Rudolf Lothars „Herr von Berlin" (Concordia, Deutsche Verlagsanstalt) und Rudolf Presbers „Bunte Kuh" (Concordia. Deutsche Verlagsanstalt) setzen sich, jeder in seiner Art, mit dem literarisch-künstlerischen Berlin von heutzutage auseinander. Beide Bücher wiegen nicht sonderlich schwer. Beide Bücher sind flüchtig gearbeitet und gehen uicht sehr in die Tiefe. Aber wer Augen zu sehen und Ohren zu hören hat, wird in Lothars amüsanter Zukunftsphantasie so gut wie in Presbers etwas absichtlich auf humoristische Akzente gestellter Geschichte allerlei Dinge finden, die für das Wesen des neuberliner Zeitgeistes charakte¬ ristisch sind. Die Aufzählung von Büchern, die das moderne Berlin aus irgendeinem bestimmten Gesichtswinkel heraus betrachten, ließe sich, wie gesagt, mit Leichtigkeit bis ins Unendliche verlängern. Daß das uicht der Zweck der vorliegenden Arbeit sein kann, liegt auf der Hand. Wir haben lediglich an einer Reihe markanter Beispiele zu zeigen versucht, wie sich die Erscheinung des Berliner Riesenungeheuers im zeitgenössischen Schrifttum spiegelt. Und zum Schluß bleibt uns nur noch die Aufgabe, eines literarischen Typus zu gedenken, der ebenfalls gern unter der Flagge „Berliner Roman" segeln möchte, und den gerade die letzten Jahre zum Verdruß aller ernsthaften Geister herangezüchtet haben. Wir meinen jene Bücher von ausgesprochenem Parteicharakter, wie sie Robert Sandel, Eugen Jlles und neuerdings Arthur Landsberger schreiben. Sie kommen, da sie von keinem Talente getragen werden, künstlerisch überhaupt nicht in Betracht. Aber sie wachsen sich trotzdem allmählich zu einer öffentlichen Gefahr aus, gegen die gar nicht scharf genug Front gemacht werden kann. Sie suchen sich ihre Stoffe mit Vorliebe in jenem übel berüchtigten Milieu des äußersten Berliner Westens, das durch ein paar Sensationsprozesse in den Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt worden ist. Sie sind von einem Geiste der Unkultur, des Ungeschmacks und der ästhetischen Zuchtlostgkeit getragen, für den die härtesten Worte gerade gut genug sind. Sie behaupten typisch zu sein und handeln ausschließlich mit Klatsch und mit elenden Indiskretionen. Eine deutliche Abwehr tut hier bitter not. Der ernsthafte Berliner Roman hat mit diesen Ausgeburten einer spekulativen und sensationshungrigen Reporter¬ phantasie nichts zu schaffen. Und wem die unendlich verwickelte Erscheinung des heutigen Drei-Millionen-Berlin künstlerisch überhaupt etwas zu sagen hat, der wird einen dicken Strich zwischen der eigenen Weltanschauung und den gleich¬ gültigen Geschäften wurzelloser Literaten machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/535>, abgerufen am 25.05.2024.