Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Ungedrucktes von Adalbert Stifter
Dr. Wolfgang Stammler i Mitgeteilt vonn

er Buchdruckereibesitzer und Senator Friedrich Culemann in Han¬
nover entfaltete eine rege Sammlertätigkeit nicht nur auf dem
Gebiete der Kunst, sondern auch der Autographen und suchte sich
von den berühmtesten Geistern seiner Zeit Handschriften zu ver¬
schaffen. Er brachte so eine stattliche Sammlung zusammen, die
vor allem bekannt wurde durch die wertvollen Goethe- und Schillerstücke, die er
größtenteils von seinem Freunde Abeken in Osnabrück zum Geschenk erhalten hatte.

Auch von dem Verfasser der "Studien" wünschte er ein Autogramm zu be¬
kommen und wandte sich an ihn durch Vermittlung von Stifters Verleger
Gustav Heckenast in Budapest. Stifters Antwort, die jetzt mit der übrigen Samm¬
lung im Kestner-Museum aufbewahrt wird, zeigt uns die ganze liebenswürdige
Persönlichkeit des Dichters, der sich in den Fesseln seines Amtes als Schulrat von
Oberösterreich nicht sonderlich Wohl fühlte, zeigt uns aber auch die Bescheidenheit,
mit der er von seiner Schriftstellern dachte.

Er schreibt:


"Euer Wohlgeboren!

Mein Verleger Gustav Hekenast in Pesth sandte mir einmal ein Schreiben
von Ihnen, worin Sie ihn um Verwendung bei mir angingen, ein Blat mit
meiner Handschrift in Ihren Besiz zu bekommen. Ich schrieb Hekenast zurück, daß
ich Ihnen ein Blat übersendet habe. Dieser Brief von Hekenast enthielt in so
ferne eine Unwahrheit, als das Blat in dem Augenblike, als ich den Brief an
Hekenast siegelte, ebenfalls zum Einsiegeln und Absender bereit lag. Allein ich
wurde abgerufen, es drängten sich an jenem Tage Geschäfte, der Brief nach Pesth
wurde von meinem Amtsdiener auf die Post getragen, auf das Blat mit der
Handschrift legte er mehrere Bücher Schreibpapier, mir kam die Sache nach einigen
Tagen als abgemacht vor, da mir meine Einbildungskraft das Gewollte als voll¬
führt darstellte. Heute fand ich das Blat, und die bessere Erinnerung stellte mir
sogleich die Wahrheit vor, und rief mir jenen Tag klar ins Bewußtsein zurük --
aber auch meine Schuld. Wenn viele und mitunter sehr mannigfaltige Geschäfte,
die leider meiner Lieblingsneigung der holden Dichtkunst Abbruch thun, und sohin
mein Glük bedeutend mindern und vielleicht auch den Gewinn der Welt, da, wenn
ich meinen Schriften auch keinen hohen Werth in der Kunst -- wenigstens wie ich
Kunst ansehe -- einräume; doch so viel Sitte und Menschlichkeit in denselben liegt,




Ungedrucktes von Adalbert Stifter
Dr. Wolfgang Stammler i Mitgeteilt vonn

er Buchdruckereibesitzer und Senator Friedrich Culemann in Han¬
nover entfaltete eine rege Sammlertätigkeit nicht nur auf dem
Gebiete der Kunst, sondern auch der Autographen und suchte sich
von den berühmtesten Geistern seiner Zeit Handschriften zu ver¬
schaffen. Er brachte so eine stattliche Sammlung zusammen, die
vor allem bekannt wurde durch die wertvollen Goethe- und Schillerstücke, die er
größtenteils von seinem Freunde Abeken in Osnabrück zum Geschenk erhalten hatte.

Auch von dem Verfasser der „Studien" wünschte er ein Autogramm zu be¬
kommen und wandte sich an ihn durch Vermittlung von Stifters Verleger
Gustav Heckenast in Budapest. Stifters Antwort, die jetzt mit der übrigen Samm¬
lung im Kestner-Museum aufbewahrt wird, zeigt uns die ganze liebenswürdige
Persönlichkeit des Dichters, der sich in den Fesseln seines Amtes als Schulrat von
Oberösterreich nicht sonderlich Wohl fühlte, zeigt uns aber auch die Bescheidenheit,
mit der er von seiner Schriftstellern dachte.

Er schreibt:


„Euer Wohlgeboren!

Mein Verleger Gustav Hekenast in Pesth sandte mir einmal ein Schreiben
von Ihnen, worin Sie ihn um Verwendung bei mir angingen, ein Blat mit
meiner Handschrift in Ihren Besiz zu bekommen. Ich schrieb Hekenast zurück, daß
ich Ihnen ein Blat übersendet habe. Dieser Brief von Hekenast enthielt in so
ferne eine Unwahrheit, als das Blat in dem Augenblike, als ich den Brief an
Hekenast siegelte, ebenfalls zum Einsiegeln und Absender bereit lag. Allein ich
wurde abgerufen, es drängten sich an jenem Tage Geschäfte, der Brief nach Pesth
wurde von meinem Amtsdiener auf die Post getragen, auf das Blat mit der
Handschrift legte er mehrere Bücher Schreibpapier, mir kam die Sache nach einigen
Tagen als abgemacht vor, da mir meine Einbildungskraft das Gewollte als voll¬
führt darstellte. Heute fand ich das Blat, und die bessere Erinnerung stellte mir
sogleich die Wahrheit vor, und rief mir jenen Tag klar ins Bewußtsein zurük —
aber auch meine Schuld. Wenn viele und mitunter sehr mannigfaltige Geschäfte,
die leider meiner Lieblingsneigung der holden Dichtkunst Abbruch thun, und sohin
mein Glük bedeutend mindern und vielleicht auch den Gewinn der Welt, da, wenn
ich meinen Schriften auch keinen hohen Werth in der Kunst — wenigstens wie ich
Kunst ansehe — einräume; doch so viel Sitte und Menschlichkeit in denselben liegt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0635" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322382"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321746/figures/grenzboten_341895_321746_322382_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ungedrucktes von Adalbert Stifter<lb/><note type="byline"> Dr. Wolfgang Stammler i</note> Mitgeteilt vonn</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2901"> er Buchdruckereibesitzer und Senator Friedrich Culemann in Han¬<lb/>
nover entfaltete eine rege Sammlertätigkeit nicht nur auf dem<lb/>
Gebiete der Kunst, sondern auch der Autographen und suchte sich<lb/>
von den berühmtesten Geistern seiner Zeit Handschriften zu ver¬<lb/>
schaffen. Er brachte so eine stattliche Sammlung zusammen, die<lb/>
vor allem bekannt wurde durch die wertvollen Goethe- und Schillerstücke, die er<lb/>
größtenteils von seinem Freunde Abeken in Osnabrück zum Geschenk erhalten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2902"> Auch von dem Verfasser der &#x201E;Studien" wünschte er ein Autogramm zu be¬<lb/>
kommen und wandte sich an ihn durch Vermittlung von Stifters Verleger<lb/>
Gustav Heckenast in Budapest. Stifters Antwort, die jetzt mit der übrigen Samm¬<lb/>
lung im Kestner-Museum aufbewahrt wird, zeigt uns die ganze liebenswürdige<lb/>
Persönlichkeit des Dichters, der sich in den Fesseln seines Amtes als Schulrat von<lb/>
Oberösterreich nicht sonderlich Wohl fühlte, zeigt uns aber auch die Bescheidenheit,<lb/>
mit der er von seiner Schriftstellern dachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2903"> Er schreibt:</p><lb/>
          <note type="salute"> &#x201E;Euer Wohlgeboren!</note><lb/>
          <p xml:id="ID_2904" next="#ID_2905"> Mein Verleger Gustav Hekenast in Pesth sandte mir einmal ein Schreiben<lb/>
von Ihnen, worin Sie ihn um Verwendung bei mir angingen, ein Blat mit<lb/>
meiner Handschrift in Ihren Besiz zu bekommen. Ich schrieb Hekenast zurück, daß<lb/>
ich Ihnen ein Blat übersendet habe. Dieser Brief von Hekenast enthielt in so<lb/>
ferne eine Unwahrheit, als das Blat in dem Augenblike, als ich den Brief an<lb/>
Hekenast siegelte, ebenfalls zum Einsiegeln und Absender bereit lag. Allein ich<lb/>
wurde abgerufen, es drängten sich an jenem Tage Geschäfte, der Brief nach Pesth<lb/>
wurde von meinem Amtsdiener auf die Post getragen, auf das Blat mit der<lb/>
Handschrift legte er mehrere Bücher Schreibpapier, mir kam die Sache nach einigen<lb/>
Tagen als abgemacht vor, da mir meine Einbildungskraft das Gewollte als voll¬<lb/>
führt darstellte. Heute fand ich das Blat, und die bessere Erinnerung stellte mir<lb/>
sogleich die Wahrheit vor, und rief mir jenen Tag klar ins Bewußtsein zurük &#x2014;<lb/>
aber auch meine Schuld. Wenn viele und mitunter sehr mannigfaltige Geschäfte,<lb/>
die leider meiner Lieblingsneigung der holden Dichtkunst Abbruch thun, und sohin<lb/>
mein Glük bedeutend mindern und vielleicht auch den Gewinn der Welt, da, wenn<lb/>
ich meinen Schriften auch keinen hohen Werth in der Kunst &#x2014; wenigstens wie ich<lb/>
Kunst ansehe &#x2014; einräume; doch so viel Sitte und Menschlichkeit in denselben liegt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0635] [Abbildung] Ungedrucktes von Adalbert Stifter Dr. Wolfgang Stammler i Mitgeteilt vonn er Buchdruckereibesitzer und Senator Friedrich Culemann in Han¬ nover entfaltete eine rege Sammlertätigkeit nicht nur auf dem Gebiete der Kunst, sondern auch der Autographen und suchte sich von den berühmtesten Geistern seiner Zeit Handschriften zu ver¬ schaffen. Er brachte so eine stattliche Sammlung zusammen, die vor allem bekannt wurde durch die wertvollen Goethe- und Schillerstücke, die er größtenteils von seinem Freunde Abeken in Osnabrück zum Geschenk erhalten hatte. Auch von dem Verfasser der „Studien" wünschte er ein Autogramm zu be¬ kommen und wandte sich an ihn durch Vermittlung von Stifters Verleger Gustav Heckenast in Budapest. Stifters Antwort, die jetzt mit der übrigen Samm¬ lung im Kestner-Museum aufbewahrt wird, zeigt uns die ganze liebenswürdige Persönlichkeit des Dichters, der sich in den Fesseln seines Amtes als Schulrat von Oberösterreich nicht sonderlich Wohl fühlte, zeigt uns aber auch die Bescheidenheit, mit der er von seiner Schriftstellern dachte. Er schreibt: „Euer Wohlgeboren! Mein Verleger Gustav Hekenast in Pesth sandte mir einmal ein Schreiben von Ihnen, worin Sie ihn um Verwendung bei mir angingen, ein Blat mit meiner Handschrift in Ihren Besiz zu bekommen. Ich schrieb Hekenast zurück, daß ich Ihnen ein Blat übersendet habe. Dieser Brief von Hekenast enthielt in so ferne eine Unwahrheit, als das Blat in dem Augenblike, als ich den Brief an Hekenast siegelte, ebenfalls zum Einsiegeln und Absender bereit lag. Allein ich wurde abgerufen, es drängten sich an jenem Tage Geschäfte, der Brief nach Pesth wurde von meinem Amtsdiener auf die Post getragen, auf das Blat mit der Handschrift legte er mehrere Bücher Schreibpapier, mir kam die Sache nach einigen Tagen als abgemacht vor, da mir meine Einbildungskraft das Gewollte als voll¬ führt darstellte. Heute fand ich das Blat, und die bessere Erinnerung stellte mir sogleich die Wahrheit vor, und rief mir jenen Tag klar ins Bewußtsein zurük — aber auch meine Schuld. Wenn viele und mitunter sehr mannigfaltige Geschäfte, die leider meiner Lieblingsneigung der holden Dichtkunst Abbruch thun, und sohin mein Glük bedeutend mindern und vielleicht auch den Gewinn der Welt, da, wenn ich meinen Schriften auch keinen hohen Werth in der Kunst — wenigstens wie ich Kunst ansehe — einräume; doch so viel Sitte und Menschlichkeit in denselben liegt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/635
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/635>, abgerufen am 09.06.2024.