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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Hochfeldsche Buch lesbarer gemacht hat, wird
hoffentlich seiner Verbreitung in weitere Kreise
förderlich sein.

Rie von Larlowitz
Von Fritz Mmithucrs "Beiträgen zu
einer Kritik der Sprache" ist der 2. Band

"Zur Sprachwissenschaft" bei Cotta in zweiter
Auflage erschienen. Die lebhaft Polemisierende
Einleitung ist fortgefallen. Der Verfasser
begnügt sich, mit Freude zu beobachten, "wie
die eigenen Gedanken in fremden und wissen¬
schaftlich guten Köpfen weiterarbeiten". In¬
zwischen ist Mauthners "Wörterbuch der Philo¬
sophie" erschienen, und auch den letzten Zweif¬
lern an Mauthners Wissenschaftlichkeit werden
nun die Augen aufgegangen sein. Danach
ist es eine Undankbarkeit, Mcmthner noch
länger totschweigen oder verächtlich behandeln
zu wollen; vielleicht wird er allerdings im
Lager der Positivistischen Philosophen eher
Schule machen, als bei den Sprachforschern;
auf die Dauer wird ihm aber auch hier die
gebührende Anerkennung nicht versagt werden
können. Was tut es, daß vieles von Mauth¬
ners Anregungen schon anderswo zu finden
ist, daß er namentlich einen ketzerischen
Grundgedanken mit Kretschmer gemein hat:
"Die Spracheinheit liegt nicht am Anfang der
Sprachentwicklung, sondern an ihrem Endet"
Es ist doch Wohl etwas, anderes, ob man
hier und da seinen Zweifeln an den geläufigen
Hypothesen Raum gibt, oder ob man diese
Hypothesen überhaupt wegräumt und möglichst
voraussetzungslos von vorne anfängt. Immer
wieder wird kühnen neuerem entgegen ge¬
halten: Das war schon einmall Gerade von
diesem Satz ist Mauthner mit Goethe, Wil¬
helm Busch u. a. aufs tiefste überzeugt:

Ein Beispiel liegt in der Luft: Tausende von
Pädagogen behaupten, die "Arbeitsschule" se;
nichts Neues und glauben sie deshalb ab¬
lehnen zu dürfen. Und auch hier ist es gerade
einer der Hauptvertreter der neuen Richtung,
Kerschensteiner, der nicht müde wird, das Alter
des Prinzips der Arbeitsschule zu betonen.
Was ist denn das Neue? Festzustellen, daß
nnter einem Wust von Kleinkram der große
Gedanke verloren gegangen ist, und zu wirken,

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daß er als beherrschendes Prinzip zu seinem
Rechte kommt. Genau so Mauthner: er ist
z. B. nicht der erste Skeptiker der Indo-
germanen-Hypothese, betont vielmehr aus"
drücklich, daß ältere Gelehrte, wie Bopp und
Schleicher, indogermanisches Urbolk und indo¬
germanische Ursprache nur als Hilfskonstruktion
betrachteten, daß diese Borsicht aber verloren
gegangen ist und von der neueren Sprach¬
wissenschaft die wissenschaftliche Hypothese als
historische Realität genommen wird. Nun
kommt es ihm daraus an, den ganzen Hypo¬
thesenschwall einmal völlig beiseite zu lassen
und die Geschichte der jetzt übersehbaren
Sprachen und die Verkürzung der Sprach¬
geschichte in dem Sprechenlernen des Kindes
zu befragen.

Ins einzelne zu gehen, ist hier nicht der
Ort, zumal die zweite Auflage nicht stark
verändert ist. Jedenfalls glaube ich, Mauth¬
ners Kritik der Sprachwissenschaft und sein
Versuch, eine rein Positivistische Sprach¬
betrachtung zu schaffen, ist von der größten
Bedeutung für Sprachwissenschaft und Er¬
Fritz Tychow kenntnistheorie.

Zur Reform unserer Rechtschreibung.

Daß die Rechtschreibung eines Sprachgebietes
normalisiert wird, ist ein rein wirtschaftliches
Erfordernis, denn Ungleichmäßigkeiten erfor¬
dern vom Lesenden mehr Zeit und Aufmerk¬
samkeit und machen den Schreibenden in der
Fixierung seiner Laute unsicher. Daß ein
damit als notwendig erwiesener Normaltypus
stets, auch bei sogenannter phonetischer
Schreibung, auf Konvention beruhen wird,
liegt in der Natur der Sache und kann leicht
eingesehen werden. Aber müssen wir des
halb auch gleich zu einer vom Natürlichen
sehr stark abweichenden und daher sehr schwer
erlernbaren Konvention greifen beziehungs¬
weise an einer solchen festhalten? Wirt¬
schaftlicher, und das gibt wie gesagt den
Ausschlag, dürfte jedenfalls diejenige sein,
die dem Natürlichen am nächsten kommt und
deren Erlernbarkeit und Beherrschung den
geringsten Aufwand an geistiger Kraft ver¬
langt. Dieses Haupterfordernis nun erfüllt,
wie O- Kosog (Unsere Rechtschreibung und
die Notwendigkeit ihrer gründlichen Reform,
Säemann-Schristen für Erziehung und Unter-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Hochfeldsche Buch lesbarer gemacht hat, wird
hoffentlich seiner Verbreitung in weitere Kreise
förderlich sein.

Rie von Larlowitz
Von Fritz Mmithucrs „Beiträgen zu
einer Kritik der Sprache" ist der 2. Band

„Zur Sprachwissenschaft" bei Cotta in zweiter
Auflage erschienen. Die lebhaft Polemisierende
Einleitung ist fortgefallen. Der Verfasser
begnügt sich, mit Freude zu beobachten, „wie
die eigenen Gedanken in fremden und wissen¬
schaftlich guten Köpfen weiterarbeiten". In¬
zwischen ist Mauthners „Wörterbuch der Philo¬
sophie" erschienen, und auch den letzten Zweif¬
lern an Mauthners Wissenschaftlichkeit werden
nun die Augen aufgegangen sein. Danach
ist es eine Undankbarkeit, Mcmthner noch
länger totschweigen oder verächtlich behandeln
zu wollen; vielleicht wird er allerdings im
Lager der Positivistischen Philosophen eher
Schule machen, als bei den Sprachforschern;
auf die Dauer wird ihm aber auch hier die
gebührende Anerkennung nicht versagt werden
können. Was tut es, daß vieles von Mauth¬
ners Anregungen schon anderswo zu finden
ist, daß er namentlich einen ketzerischen
Grundgedanken mit Kretschmer gemein hat:
„Die Spracheinheit liegt nicht am Anfang der
Sprachentwicklung, sondern an ihrem Endet"
Es ist doch Wohl etwas, anderes, ob man
hier und da seinen Zweifeln an den geläufigen
Hypothesen Raum gibt, oder ob man diese
Hypothesen überhaupt wegräumt und möglichst
voraussetzungslos von vorne anfängt. Immer
wieder wird kühnen neuerem entgegen ge¬
halten: Das war schon einmall Gerade von
diesem Satz ist Mauthner mit Goethe, Wil¬
helm Busch u. a. aufs tiefste überzeugt:

Ein Beispiel liegt in der Luft: Tausende von
Pädagogen behaupten, die „Arbeitsschule" se;
nichts Neues und glauben sie deshalb ab¬
lehnen zu dürfen. Und auch hier ist es gerade
einer der Hauptvertreter der neuen Richtung,
Kerschensteiner, der nicht müde wird, das Alter
des Prinzips der Arbeitsschule zu betonen.
Was ist denn das Neue? Festzustellen, daß
nnter einem Wust von Kleinkram der große
Gedanke verloren gegangen ist, und zu wirken,

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daß er als beherrschendes Prinzip zu seinem
Rechte kommt. Genau so Mauthner: er ist
z. B. nicht der erste Skeptiker der Indo-
germanen-Hypothese, betont vielmehr aus»
drücklich, daß ältere Gelehrte, wie Bopp und
Schleicher, indogermanisches Urbolk und indo¬
germanische Ursprache nur als Hilfskonstruktion
betrachteten, daß diese Borsicht aber verloren
gegangen ist und von der neueren Sprach¬
wissenschaft die wissenschaftliche Hypothese als
historische Realität genommen wird. Nun
kommt es ihm daraus an, den ganzen Hypo¬
thesenschwall einmal völlig beiseite zu lassen
und die Geschichte der jetzt übersehbaren
Sprachen und die Verkürzung der Sprach¬
geschichte in dem Sprechenlernen des Kindes
zu befragen.

Ins einzelne zu gehen, ist hier nicht der
Ort, zumal die zweite Auflage nicht stark
verändert ist. Jedenfalls glaube ich, Mauth¬
ners Kritik der Sprachwissenschaft und sein
Versuch, eine rein Positivistische Sprach¬
betrachtung zu schaffen, ist von der größten
Bedeutung für Sprachwissenschaft und Er¬
Fritz Tychow kenntnistheorie.

Zur Reform unserer Rechtschreibung.

Daß die Rechtschreibung eines Sprachgebietes
normalisiert wird, ist ein rein wirtschaftliches
Erfordernis, denn Ungleichmäßigkeiten erfor¬
dern vom Lesenden mehr Zeit und Aufmerk¬
samkeit und machen den Schreibenden in der
Fixierung seiner Laute unsicher. Daß ein
damit als notwendig erwiesener Normaltypus
stets, auch bei sogenannter phonetischer
Schreibung, auf Konvention beruhen wird,
liegt in der Natur der Sache und kann leicht
eingesehen werden. Aber müssen wir des
halb auch gleich zu einer vom Natürlichen
sehr stark abweichenden und daher sehr schwer
erlernbaren Konvention greifen beziehungs¬
weise an einer solchen festhalten? Wirt¬
schaftlicher, und das gibt wie gesagt den
Ausschlag, dürfte jedenfalls diejenige sein,
die dem Natürlichen am nächsten kommt und
deren Erlernbarkeit und Beherrschung den
geringsten Aufwand an geistiger Kraft ver¬
langt. Dieses Haupterfordernis nun erfüllt,
wie O- Kosog (Unsere Rechtschreibung und
die Notwendigkeit ihrer gründlichen Reform,
Säemann-Schristen für Erziehung und Unter-

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[0401] Maßgebliches und Unmaßgebliches Hochfeldsche Buch lesbarer gemacht hat, wird hoffentlich seiner Verbreitung in weitere Kreise förderlich sein. Rie von Larlowitz Von Fritz Mmithucrs „Beiträgen zu einer Kritik der Sprache" ist der 2. Band „Zur Sprachwissenschaft" bei Cotta in zweiter Auflage erschienen. Die lebhaft Polemisierende Einleitung ist fortgefallen. Der Verfasser begnügt sich, mit Freude zu beobachten, „wie die eigenen Gedanken in fremden und wissen¬ schaftlich guten Köpfen weiterarbeiten". In¬ zwischen ist Mauthners „Wörterbuch der Philo¬ sophie" erschienen, und auch den letzten Zweif¬ lern an Mauthners Wissenschaftlichkeit werden nun die Augen aufgegangen sein. Danach ist es eine Undankbarkeit, Mcmthner noch länger totschweigen oder verächtlich behandeln zu wollen; vielleicht wird er allerdings im Lager der Positivistischen Philosophen eher Schule machen, als bei den Sprachforschern; auf die Dauer wird ihm aber auch hier die gebührende Anerkennung nicht versagt werden können. Was tut es, daß vieles von Mauth¬ ners Anregungen schon anderswo zu finden ist, daß er namentlich einen ketzerischen Grundgedanken mit Kretschmer gemein hat: „Die Spracheinheit liegt nicht am Anfang der Sprachentwicklung, sondern an ihrem Endet" Es ist doch Wohl etwas, anderes, ob man hier und da seinen Zweifeln an den geläufigen Hypothesen Raum gibt, oder ob man diese Hypothesen überhaupt wegräumt und möglichst voraussetzungslos von vorne anfängt. Immer wieder wird kühnen neuerem entgegen ge¬ halten: Das war schon einmall Gerade von diesem Satz ist Mauthner mit Goethe, Wil¬ helm Busch u. a. aufs tiefste überzeugt: Ein Beispiel liegt in der Luft: Tausende von Pädagogen behaupten, die „Arbeitsschule" se; nichts Neues und glauben sie deshalb ab¬ lehnen zu dürfen. Und auch hier ist es gerade einer der Hauptvertreter der neuen Richtung, Kerschensteiner, der nicht müde wird, das Alter des Prinzips der Arbeitsschule zu betonen. Was ist denn das Neue? Festzustellen, daß nnter einem Wust von Kleinkram der große Gedanke verloren gegangen ist, und zu wirken, daß er als beherrschendes Prinzip zu seinem Rechte kommt. Genau so Mauthner: er ist z. B. nicht der erste Skeptiker der Indo- germanen-Hypothese, betont vielmehr aus» drücklich, daß ältere Gelehrte, wie Bopp und Schleicher, indogermanisches Urbolk und indo¬ germanische Ursprache nur als Hilfskonstruktion betrachteten, daß diese Borsicht aber verloren gegangen ist und von der neueren Sprach¬ wissenschaft die wissenschaftliche Hypothese als historische Realität genommen wird. Nun kommt es ihm daraus an, den ganzen Hypo¬ thesenschwall einmal völlig beiseite zu lassen und die Geschichte der jetzt übersehbaren Sprachen und die Verkürzung der Sprach¬ geschichte in dem Sprechenlernen des Kindes zu befragen. Ins einzelne zu gehen, ist hier nicht der Ort, zumal die zweite Auflage nicht stark verändert ist. Jedenfalls glaube ich, Mauth¬ ners Kritik der Sprachwissenschaft und sein Versuch, eine rein Positivistische Sprach¬ betrachtung zu schaffen, ist von der größten Bedeutung für Sprachwissenschaft und Er¬ Fritz Tychow kenntnistheorie. Zur Reform unserer Rechtschreibung. Daß die Rechtschreibung eines Sprachgebietes normalisiert wird, ist ein rein wirtschaftliches Erfordernis, denn Ungleichmäßigkeiten erfor¬ dern vom Lesenden mehr Zeit und Aufmerk¬ samkeit und machen den Schreibenden in der Fixierung seiner Laute unsicher. Daß ein damit als notwendig erwiesener Normaltypus stets, auch bei sogenannter phonetischer Schreibung, auf Konvention beruhen wird, liegt in der Natur der Sache und kann leicht eingesehen werden. Aber müssen wir des halb auch gleich zu einer vom Natürlichen sehr stark abweichenden und daher sehr schwer erlernbaren Konvention greifen beziehungs¬ weise an einer solchen festhalten? Wirt¬ schaftlicher, und das gibt wie gesagt den Ausschlag, dürfte jedenfalls diejenige sein, die dem Natürlichen am nächsten kommt und deren Erlernbarkeit und Beherrschung den geringsten Aufwand an geistiger Kraft ver¬ langt. Dieses Haupterfordernis nun erfüllt, wie O- Kosog (Unsere Rechtschreibung und die Notwendigkeit ihrer gründlichen Reform, Säemann-Schristen für Erziehung und Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/401>, abgerufen am 16.06.2024.