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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Rumpfe unserer Lehrerschaft

vielen Fällen, im Beruf wie im Leben überhaupt, schweigen lernen muß? Ja,
soll es denn überhaupt eine Scharide sein, einer anerkannt bedeutenden Frau
zu gehorchen, wo es sich doch hier wirklich nicht allein um die Person, sondern
zugleich um die Idee handelt, der man dient?

So erbittert der Kampf hin- und herwogt, er sollte doch wenigstens immer
mit ehrlichen Waffen ausgefochten werden. Äußerungen, wie die, daß es eines
Mannes nicht würdig sei, unter einer Direktorin zu arbeiten, "weil im gesamten
kulturellen Leben, soweit es die Geschichte kennt, der Mann als der animalisch
stärkere Mensch erscheint und ihm deshalb bei allen Völkern der größere Anteil
am schaffenden und organisierenden Leben zugefallen ist," verdienen die scharfe
Abfertigung, die ihnen vor kurzem ein verdienter Vorkämpfer der Schulreform,
M. Hartmann in Leipzig, in den Blättern für höheres Schulwesen zuteil werden
ließ. Temperamentvoll fuhrt Hartmann dabei aus, "ob man denn wirklich
ganz übersehen könne, daß z. B. ein Volk von so ausgeprägt männlichem
Charakter wie das englische einer seiner glänzendsten Geschichtsepochen unter der
Herrschaft einer Frau erlebt hat. Man hat aber noch nichts davon erfahren,
daß die hervorragenden Männer, die die Zierde des Elisabethschen Zeitalters
bildeten, sich durch das Regiment einer Frau in ihrer Manneswürde gedemütigt
gefühlt hätten. Und ein ganz anderes Volk, dem aber gewiß auch niemand
den männlich soldanschen Charakter absprechen wird, jubelte begeistert einer Frau
zu: Moriamur pro isZe nostro IViaria l'lisreslÄ!"'

Das Standesbewußtsein in Ehren, aber man sollte darüber nicht so oft
den Beruf vergessen. Und eins bleibt doch immer noch recht merkwürdig, daß
nämlich bisher Hunderte von männlichen Lehrkräften recht gern an Privatschulen
unter weiblicher Leitung gearbeitet haben, ohne daß ihre Mannesehre darunter
gelitten hat. Lösen wir doch das Problem los von all den kleinlichen
Interessen persönlicher und materieller Natur, das Geschlecht allein entscheidet
nicht darüber, ob jemand fähig oder unfähig ist, an der Spitze eines Schul¬
organismus zu stehen, sondern das ist einzig eine Frage der Persönlichkeit.
Seien wir nur einmal neidlos genug, im Leben wie im Beruf rückhaltlos die
besonderen Fähigkeiten und Kräfte eines Menschen anzuerkennen, ohne jeden
egoistischen Nebengedanken, dann werden wir von selbst dazu kommen, nicht
mehr zu fragen, ob einer Mann oder Frau ist, sondern einzig und allein, ob
er ein wahrer Mensch, eine Persönlichkeit im tiefsten und umfassendsten Sinne
Gymnasiallehrer Manfred Pollatz i d es Wortes ist.




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Rumpfe unserer Lehrerschaft

vielen Fällen, im Beruf wie im Leben überhaupt, schweigen lernen muß? Ja,
soll es denn überhaupt eine Scharide sein, einer anerkannt bedeutenden Frau
zu gehorchen, wo es sich doch hier wirklich nicht allein um die Person, sondern
zugleich um die Idee handelt, der man dient?

So erbittert der Kampf hin- und herwogt, er sollte doch wenigstens immer
mit ehrlichen Waffen ausgefochten werden. Äußerungen, wie die, daß es eines
Mannes nicht würdig sei, unter einer Direktorin zu arbeiten, „weil im gesamten
kulturellen Leben, soweit es die Geschichte kennt, der Mann als der animalisch
stärkere Mensch erscheint und ihm deshalb bei allen Völkern der größere Anteil
am schaffenden und organisierenden Leben zugefallen ist," verdienen die scharfe
Abfertigung, die ihnen vor kurzem ein verdienter Vorkämpfer der Schulreform,
M. Hartmann in Leipzig, in den Blättern für höheres Schulwesen zuteil werden
ließ. Temperamentvoll fuhrt Hartmann dabei aus, „ob man denn wirklich
ganz übersehen könne, daß z. B. ein Volk von so ausgeprägt männlichem
Charakter wie das englische einer seiner glänzendsten Geschichtsepochen unter der
Herrschaft einer Frau erlebt hat. Man hat aber noch nichts davon erfahren,
daß die hervorragenden Männer, die die Zierde des Elisabethschen Zeitalters
bildeten, sich durch das Regiment einer Frau in ihrer Manneswürde gedemütigt
gefühlt hätten. Und ein ganz anderes Volk, dem aber gewiß auch niemand
den männlich soldanschen Charakter absprechen wird, jubelte begeistert einer Frau
zu: Moriamur pro isZe nostro IViaria l'lisreslÄ!"'

Das Standesbewußtsein in Ehren, aber man sollte darüber nicht so oft
den Beruf vergessen. Und eins bleibt doch immer noch recht merkwürdig, daß
nämlich bisher Hunderte von männlichen Lehrkräften recht gern an Privatschulen
unter weiblicher Leitung gearbeitet haben, ohne daß ihre Mannesehre darunter
gelitten hat. Lösen wir doch das Problem los von all den kleinlichen
Interessen persönlicher und materieller Natur, das Geschlecht allein entscheidet
nicht darüber, ob jemand fähig oder unfähig ist, an der Spitze eines Schul¬
organismus zu stehen, sondern das ist einzig eine Frage der Persönlichkeit.
Seien wir nur einmal neidlos genug, im Leben wie im Beruf rückhaltlos die
besonderen Fähigkeiten und Kräfte eines Menschen anzuerkennen, ohne jeden
egoistischen Nebengedanken, dann werden wir von selbst dazu kommen, nicht
mehr zu fragen, ob einer Mann oder Frau ist, sondern einzig und allein, ob
er ein wahrer Mensch, eine Persönlichkeit im tiefsten und umfassendsten Sinne
Gymnasiallehrer Manfred Pollatz i d es Wortes ist.




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[0631] Rumpfe unserer Lehrerschaft vielen Fällen, im Beruf wie im Leben überhaupt, schweigen lernen muß? Ja, soll es denn überhaupt eine Scharide sein, einer anerkannt bedeutenden Frau zu gehorchen, wo es sich doch hier wirklich nicht allein um die Person, sondern zugleich um die Idee handelt, der man dient? So erbittert der Kampf hin- und herwogt, er sollte doch wenigstens immer mit ehrlichen Waffen ausgefochten werden. Äußerungen, wie die, daß es eines Mannes nicht würdig sei, unter einer Direktorin zu arbeiten, „weil im gesamten kulturellen Leben, soweit es die Geschichte kennt, der Mann als der animalisch stärkere Mensch erscheint und ihm deshalb bei allen Völkern der größere Anteil am schaffenden und organisierenden Leben zugefallen ist," verdienen die scharfe Abfertigung, die ihnen vor kurzem ein verdienter Vorkämpfer der Schulreform, M. Hartmann in Leipzig, in den Blättern für höheres Schulwesen zuteil werden ließ. Temperamentvoll fuhrt Hartmann dabei aus, „ob man denn wirklich ganz übersehen könne, daß z. B. ein Volk von so ausgeprägt männlichem Charakter wie das englische einer seiner glänzendsten Geschichtsepochen unter der Herrschaft einer Frau erlebt hat. Man hat aber noch nichts davon erfahren, daß die hervorragenden Männer, die die Zierde des Elisabethschen Zeitalters bildeten, sich durch das Regiment einer Frau in ihrer Manneswürde gedemütigt gefühlt hätten. Und ein ganz anderes Volk, dem aber gewiß auch niemand den männlich soldanschen Charakter absprechen wird, jubelte begeistert einer Frau zu: Moriamur pro isZe nostro IViaria l'lisreslÄ!"' Das Standesbewußtsein in Ehren, aber man sollte darüber nicht so oft den Beruf vergessen. Und eins bleibt doch immer noch recht merkwürdig, daß nämlich bisher Hunderte von männlichen Lehrkräften recht gern an Privatschulen unter weiblicher Leitung gearbeitet haben, ohne daß ihre Mannesehre darunter gelitten hat. Lösen wir doch das Problem los von all den kleinlichen Interessen persönlicher und materieller Natur, das Geschlecht allein entscheidet nicht darüber, ob jemand fähig oder unfähig ist, an der Spitze eines Schul¬ organismus zu stehen, sondern das ist einzig eine Frage der Persönlichkeit. Seien wir nur einmal neidlos genug, im Leben wie im Beruf rückhaltlos die besonderen Fähigkeiten und Kräfte eines Menschen anzuerkennen, ohne jeden egoistischen Nebengedanken, dann werden wir von selbst dazu kommen, nicht mehr zu fragen, ob einer Mann oder Frau ist, sondern einzig und allein, ob er ein wahrer Mensch, eine Persönlichkeit im tiefsten und umfassendsten Sinne Gymnasiallehrer Manfred Pollatz i d es Wortes ist. 40«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/631>, abgerufen am 23.05.2024.