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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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daß nur solche Vorgänge sich vor unseren Augen abspielen, die für die Dar¬
stellung des inneren Erlebnisses und des Charakters notwendig sind, diese dafür
aber auch vollständig.

Das technische Kunststück des Dramatikers, die Arbeit, die auf die Kon¬
zeption der Fabel und der Menschen folgt, besteht also in der Hauptsache darin,
es so einzurichten, daß er uns alles vorführen kann, was sich auf jenes Wesent¬
liche bezieht und uns nichts außerdem vorzuführen braucht, ohne daß das Ver¬
ständnis der Handlung darunter leidet. So entsteht Einheit, Architektonik,
Straffheit und was sonst zum Stil des Dramas gehört.

Soll das Filmdrama, das noch auf der Stufe erster Naivität verweilt,
sich zur Höhe eines Kunstwerkes entwickeln, so wird es auf dieselbe Weise ge¬
schehen müssen wie beim Wortdrama: durch Stilisierung, d. h. es muß von
der bloßen photographischen Wiedergabe der Wirklichkeit entfernt werden, indem
man die Ausdrucksmöglichkeiten steigert, die dem Filu, seiner technischen Eigen¬
art entsprechend, im Unterschiede von der Bühne angehören. Oder vielmehr:
wenn man wissen will, ob das Kino kunstfähig ist, so muß man sich fragen,
ob und bis zu welchem Grade es stilisiert werden kann.

Die technische Eigenart des Kinos ist bewegte Photographie. Also zunächst
doch Photographie: ein Mittel zur Wiedergabe der interessanten Wirklichkeit,
mit der besonderen, zauberhaften Fähigkeit, ganze Vorgänge festzuhalten. Das
Kino hat also vor allem die Aufgabe, Ereignisse, an denen nur eine beschränkte
Zahl Menschen teilnehmen konnte, einer beliebigen Menge vorzuführen; Natur¬
schönheiten, Städtebilder, Volksbräuche von irgendeinem Punkte der Erde überall
zu zeigen. Diese Dinge bereiten, bei geschickter Wahl der Objekte, ohne Zweifel
großen Genuß, sie können sogar ästhetisch reizvoll wirken; aber es ist der Reiz,
den die Wirklichkeit selbst ausüben würde: die Schönheit eines galoppierenden
Pferdes, des bewegten Meeres, wobei man für das Fehlen des natürlichen
Geräusches einigermaßen entschädigt wird durch das technische Wunder, einen
Vorgang zu erleben, der längst vergangen ist oder der sich weit entfernt abspielt.
Von einer Kunst des Films aber kann man hierbei nicht sprechen oder nur in
demselben Sinne, wie man von künstlerischer Photographie spricht.

Nun beruht ja aber das Kinoschauspiel garnicht auf dieser Wiedergabe
der Wirklichkeit, sondern darauf, daß ein Vorgang für die Aufnahme erfunden
und zurechtgemacht wird. Hier ist nun der charakteristische Unterschied gegen¬
über der Bühne das Fehlen des Wortes, und damit scheint das Filmdrama
ein Wiederaufleben der Pantomime zu bedeuten, wie es ja auch überall be¬
hauptet wird. Daraus folgen nun schon ein paar praktische Regeln für Kino-
regisseure.

Die Pantomime verlangt, daß der Vorgang das Auge, auf das allein
er wirken kann, auch durchaus befriedige. Es genügt also nicht, daß z. B.
tre Liebhaberin, wie beim Wortdrama, "schön" bedeute, sie muß wirklich schön
sein; denn nur an ihrer körperlichen Erscheinung hängt der Sinn des Vor-


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daß nur solche Vorgänge sich vor unseren Augen abspielen, die für die Dar¬
stellung des inneren Erlebnisses und des Charakters notwendig sind, diese dafür
aber auch vollständig.

Das technische Kunststück des Dramatikers, die Arbeit, die auf die Kon¬
zeption der Fabel und der Menschen folgt, besteht also in der Hauptsache darin,
es so einzurichten, daß er uns alles vorführen kann, was sich auf jenes Wesent¬
liche bezieht und uns nichts außerdem vorzuführen braucht, ohne daß das Ver¬
ständnis der Handlung darunter leidet. So entsteht Einheit, Architektonik,
Straffheit und was sonst zum Stil des Dramas gehört.

Soll das Filmdrama, das noch auf der Stufe erster Naivität verweilt,
sich zur Höhe eines Kunstwerkes entwickeln, so wird es auf dieselbe Weise ge¬
schehen müssen wie beim Wortdrama: durch Stilisierung, d. h. es muß von
der bloßen photographischen Wiedergabe der Wirklichkeit entfernt werden, indem
man die Ausdrucksmöglichkeiten steigert, die dem Filu, seiner technischen Eigen¬
art entsprechend, im Unterschiede von der Bühne angehören. Oder vielmehr:
wenn man wissen will, ob das Kino kunstfähig ist, so muß man sich fragen,
ob und bis zu welchem Grade es stilisiert werden kann.

Die technische Eigenart des Kinos ist bewegte Photographie. Also zunächst
doch Photographie: ein Mittel zur Wiedergabe der interessanten Wirklichkeit,
mit der besonderen, zauberhaften Fähigkeit, ganze Vorgänge festzuhalten. Das
Kino hat also vor allem die Aufgabe, Ereignisse, an denen nur eine beschränkte
Zahl Menschen teilnehmen konnte, einer beliebigen Menge vorzuführen; Natur¬
schönheiten, Städtebilder, Volksbräuche von irgendeinem Punkte der Erde überall
zu zeigen. Diese Dinge bereiten, bei geschickter Wahl der Objekte, ohne Zweifel
großen Genuß, sie können sogar ästhetisch reizvoll wirken; aber es ist der Reiz,
den die Wirklichkeit selbst ausüben würde: die Schönheit eines galoppierenden
Pferdes, des bewegten Meeres, wobei man für das Fehlen des natürlichen
Geräusches einigermaßen entschädigt wird durch das technische Wunder, einen
Vorgang zu erleben, der längst vergangen ist oder der sich weit entfernt abspielt.
Von einer Kunst des Films aber kann man hierbei nicht sprechen oder nur in
demselben Sinne, wie man von künstlerischer Photographie spricht.

Nun beruht ja aber das Kinoschauspiel garnicht auf dieser Wiedergabe
der Wirklichkeit, sondern darauf, daß ein Vorgang für die Aufnahme erfunden
und zurechtgemacht wird. Hier ist nun der charakteristische Unterschied gegen¬
über der Bühne das Fehlen des Wortes, und damit scheint das Filmdrama
ein Wiederaufleben der Pantomime zu bedeuten, wie es ja auch überall be¬
hauptet wird. Daraus folgen nun schon ein paar praktische Regeln für Kino-
regisseure.

Die Pantomime verlangt, daß der Vorgang das Auge, auf das allein
er wirken kann, auch durchaus befriedige. Es genügt also nicht, daß z. B.
tre Liebhaberin, wie beim Wortdrama, „schön" bedeute, sie muß wirklich schön
sein; denn nur an ihrer körperlichen Erscheinung hängt der Sinn des Vor-


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[0140] Amo-Drnmaturgw daß nur solche Vorgänge sich vor unseren Augen abspielen, die für die Dar¬ stellung des inneren Erlebnisses und des Charakters notwendig sind, diese dafür aber auch vollständig. Das technische Kunststück des Dramatikers, die Arbeit, die auf die Kon¬ zeption der Fabel und der Menschen folgt, besteht also in der Hauptsache darin, es so einzurichten, daß er uns alles vorführen kann, was sich auf jenes Wesent¬ liche bezieht und uns nichts außerdem vorzuführen braucht, ohne daß das Ver¬ ständnis der Handlung darunter leidet. So entsteht Einheit, Architektonik, Straffheit und was sonst zum Stil des Dramas gehört. Soll das Filmdrama, das noch auf der Stufe erster Naivität verweilt, sich zur Höhe eines Kunstwerkes entwickeln, so wird es auf dieselbe Weise ge¬ schehen müssen wie beim Wortdrama: durch Stilisierung, d. h. es muß von der bloßen photographischen Wiedergabe der Wirklichkeit entfernt werden, indem man die Ausdrucksmöglichkeiten steigert, die dem Filu, seiner technischen Eigen¬ art entsprechend, im Unterschiede von der Bühne angehören. Oder vielmehr: wenn man wissen will, ob das Kino kunstfähig ist, so muß man sich fragen, ob und bis zu welchem Grade es stilisiert werden kann. Die technische Eigenart des Kinos ist bewegte Photographie. Also zunächst doch Photographie: ein Mittel zur Wiedergabe der interessanten Wirklichkeit, mit der besonderen, zauberhaften Fähigkeit, ganze Vorgänge festzuhalten. Das Kino hat also vor allem die Aufgabe, Ereignisse, an denen nur eine beschränkte Zahl Menschen teilnehmen konnte, einer beliebigen Menge vorzuführen; Natur¬ schönheiten, Städtebilder, Volksbräuche von irgendeinem Punkte der Erde überall zu zeigen. Diese Dinge bereiten, bei geschickter Wahl der Objekte, ohne Zweifel großen Genuß, sie können sogar ästhetisch reizvoll wirken; aber es ist der Reiz, den die Wirklichkeit selbst ausüben würde: die Schönheit eines galoppierenden Pferdes, des bewegten Meeres, wobei man für das Fehlen des natürlichen Geräusches einigermaßen entschädigt wird durch das technische Wunder, einen Vorgang zu erleben, der längst vergangen ist oder der sich weit entfernt abspielt. Von einer Kunst des Films aber kann man hierbei nicht sprechen oder nur in demselben Sinne, wie man von künstlerischer Photographie spricht. Nun beruht ja aber das Kinoschauspiel garnicht auf dieser Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern darauf, daß ein Vorgang für die Aufnahme erfunden und zurechtgemacht wird. Hier ist nun der charakteristische Unterschied gegen¬ über der Bühne das Fehlen des Wortes, und damit scheint das Filmdrama ein Wiederaufleben der Pantomime zu bedeuten, wie es ja auch überall be¬ hauptet wird. Daraus folgen nun schon ein paar praktische Regeln für Kino- regisseure. Die Pantomime verlangt, daß der Vorgang das Auge, auf das allein er wirken kann, auch durchaus befriedige. Es genügt also nicht, daß z. B. tre Liebhaberin, wie beim Wortdrama, „schön" bedeute, sie muß wirklich schön sein; denn nur an ihrer körperlichen Erscheinung hängt der Sinn des Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/140>, abgerufen am 12.06.2024.