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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Radowitz

anstellte. Im September 1849 einigten sich die beiden Großmächte zur Ein¬
setzung einer gemeinschaftlichen Jnterimskommisston in Frankfurt als vorläufiger
Zentralinstanz für den alten Bund, dessen rechtliches Weiterbestehen Radowitz
offen anerkannt hatte. Denn wie hätte dieser ohne Zustimmung aller seiner
Glieder ohne Rechtsbruch beseitigt sein können! Der rücksichtslose Realpolitiker
Schwarzenberg, der damals Österreichs Geschicke lenkte, sollte dieses Zugeständnis
bald empfindlich ausnutzen.

Im Oktober sollte der Reichstag des preußischen Bundes zusammentreten.
Aber Sachsen und Hannover lehnten nun eine weitere Beteiligung ab, da weder
Bayern beigetreten, noch eine völlige Verständigung mit Österreich erzielt sei.
So blieb also nur ein Bund Preußens mit Baden und den Kleinstaaten übrig.
Es hätte für einen Realpolitiker jetzt nahe gelegen, die österreichischen Vorschläge
auf Erneuerung des alten Bundes unter Anerkennung der Parität der beiden
Großmächte und Erweiterung der preußischen Macht in Norddeutschland, anzu¬
nehmen. Anders Radowitz. Preußen stand im Dienste der deutschen Idee, es
hatte die Pflicht, in deren Sinne zu wirken, die Pflicht auch, bei den treuen
Staaten auszuharren. Anderseits aber hatte es kein Recht, die unter seinen
Verbündeten mit Zwang zurückzuhalten, die aus dem Bunde ausscheiden wollten.
Diese Politik beinahe gewollter Machtlosigkeit konnte selbst unter den günstigsten
Verhältnissen nicht zum Ziele führen; aber die Schwierigkeiten waren groß. Sie
lagen in der romantischen Befangenheit des Königs und seiner Unfähigkeit,
einen gewagten Entschluß zu fassen. Wäre das engere Reich Wirklichkeit ge¬
worden, so hätte er noch ein zweites Parlament, den Reichstag, auf dem Halse
gehabt; und schon das eine preußische war ihm ein Greuel. Die deutschen
Regierungen erkannten immer deutlicher die Schwäche des Königs; den Un¬
sicheren stärkte die Wiederherstellung der staatlichen Autorität inÖsterreich den Rücken-

Schwarzenberg nutzte das Zugeständnis Radowitz' von der Gültigkeit des
alten Bundesrechts meisterlich aus, sobald er die Kraft dazu hatte. Während
in Preußen nichts Entscheidendes für die Verwirklichung der Union geschah, berief
Schwarzenberg am 26. April 1850, wie wenn die beiden letzten Jahre nicht
gewesen wären, als Präfidialmacht des Deutschen Bundes das Plenum des
Bundestags nach Frankfurt, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß dessen Be¬
schlüsse auch für die nicht erschienenen Mitglieder bindend sein sollten. Bei
Wiederherstellung des Bundes war natürlich eine Fortsetzung der preußischen
Einheitspolitik unmöglich; Preußen mußte sich unterwerfen oder an die Ent¬
scheidung der Waffen appellieren. Zunächst geschah keins von beiden. Ein Teil
der preußischen Verbündeten erkannte den Bundestag an und schied damit tat¬
sächlich aus dem engeren Bunde aus; ein anderer hielt sich mit Preußen voM
Bundestag fern; aber diesen entzog sich nun der König. Nicht daß er das
Bündnis gekündigt hätte; das wäre Rechts- und Treubruch gewesen; er erklärte
auf Radowitz' Rat, die "Union" könne bei ihrem geminderten Umfang nicht
mehr ausgeführt werden, aufgegeben sei sie aber damit nicht.


Radowitz

anstellte. Im September 1849 einigten sich die beiden Großmächte zur Ein¬
setzung einer gemeinschaftlichen Jnterimskommisston in Frankfurt als vorläufiger
Zentralinstanz für den alten Bund, dessen rechtliches Weiterbestehen Radowitz
offen anerkannt hatte. Denn wie hätte dieser ohne Zustimmung aller seiner
Glieder ohne Rechtsbruch beseitigt sein können! Der rücksichtslose Realpolitiker
Schwarzenberg, der damals Österreichs Geschicke lenkte, sollte dieses Zugeständnis
bald empfindlich ausnutzen.

Im Oktober sollte der Reichstag des preußischen Bundes zusammentreten.
Aber Sachsen und Hannover lehnten nun eine weitere Beteiligung ab, da weder
Bayern beigetreten, noch eine völlige Verständigung mit Österreich erzielt sei.
So blieb also nur ein Bund Preußens mit Baden und den Kleinstaaten übrig.
Es hätte für einen Realpolitiker jetzt nahe gelegen, die österreichischen Vorschläge
auf Erneuerung des alten Bundes unter Anerkennung der Parität der beiden
Großmächte und Erweiterung der preußischen Macht in Norddeutschland, anzu¬
nehmen. Anders Radowitz. Preußen stand im Dienste der deutschen Idee, es
hatte die Pflicht, in deren Sinne zu wirken, die Pflicht auch, bei den treuen
Staaten auszuharren. Anderseits aber hatte es kein Recht, die unter seinen
Verbündeten mit Zwang zurückzuhalten, die aus dem Bunde ausscheiden wollten.
Diese Politik beinahe gewollter Machtlosigkeit konnte selbst unter den günstigsten
Verhältnissen nicht zum Ziele führen; aber die Schwierigkeiten waren groß. Sie
lagen in der romantischen Befangenheit des Königs und seiner Unfähigkeit,
einen gewagten Entschluß zu fassen. Wäre das engere Reich Wirklichkeit ge¬
worden, so hätte er noch ein zweites Parlament, den Reichstag, auf dem Halse
gehabt; und schon das eine preußische war ihm ein Greuel. Die deutschen
Regierungen erkannten immer deutlicher die Schwäche des Königs; den Un¬
sicheren stärkte die Wiederherstellung der staatlichen Autorität inÖsterreich den Rücken-

Schwarzenberg nutzte das Zugeständnis Radowitz' von der Gültigkeit des
alten Bundesrechts meisterlich aus, sobald er die Kraft dazu hatte. Während
in Preußen nichts Entscheidendes für die Verwirklichung der Union geschah, berief
Schwarzenberg am 26. April 1850, wie wenn die beiden letzten Jahre nicht
gewesen wären, als Präfidialmacht des Deutschen Bundes das Plenum des
Bundestags nach Frankfurt, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß dessen Be¬
schlüsse auch für die nicht erschienenen Mitglieder bindend sein sollten. Bei
Wiederherstellung des Bundes war natürlich eine Fortsetzung der preußischen
Einheitspolitik unmöglich; Preußen mußte sich unterwerfen oder an die Ent¬
scheidung der Waffen appellieren. Zunächst geschah keins von beiden. Ein Teil
der preußischen Verbündeten erkannte den Bundestag an und schied damit tat¬
sächlich aus dem engeren Bunde aus; ein anderer hielt sich mit Preußen voM
Bundestag fern; aber diesen entzog sich nun der König. Nicht daß er das
Bündnis gekündigt hätte; das wäre Rechts- und Treubruch gewesen; er erklärte
auf Radowitz' Rat, die „Union" könne bei ihrem geminderten Umfang nicht
mehr ausgeführt werden, aufgegeben sei sie aber damit nicht.


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[0292] Radowitz anstellte. Im September 1849 einigten sich die beiden Großmächte zur Ein¬ setzung einer gemeinschaftlichen Jnterimskommisston in Frankfurt als vorläufiger Zentralinstanz für den alten Bund, dessen rechtliches Weiterbestehen Radowitz offen anerkannt hatte. Denn wie hätte dieser ohne Zustimmung aller seiner Glieder ohne Rechtsbruch beseitigt sein können! Der rücksichtslose Realpolitiker Schwarzenberg, der damals Österreichs Geschicke lenkte, sollte dieses Zugeständnis bald empfindlich ausnutzen. Im Oktober sollte der Reichstag des preußischen Bundes zusammentreten. Aber Sachsen und Hannover lehnten nun eine weitere Beteiligung ab, da weder Bayern beigetreten, noch eine völlige Verständigung mit Österreich erzielt sei. So blieb also nur ein Bund Preußens mit Baden und den Kleinstaaten übrig. Es hätte für einen Realpolitiker jetzt nahe gelegen, die österreichischen Vorschläge auf Erneuerung des alten Bundes unter Anerkennung der Parität der beiden Großmächte und Erweiterung der preußischen Macht in Norddeutschland, anzu¬ nehmen. Anders Radowitz. Preußen stand im Dienste der deutschen Idee, es hatte die Pflicht, in deren Sinne zu wirken, die Pflicht auch, bei den treuen Staaten auszuharren. Anderseits aber hatte es kein Recht, die unter seinen Verbündeten mit Zwang zurückzuhalten, die aus dem Bunde ausscheiden wollten. Diese Politik beinahe gewollter Machtlosigkeit konnte selbst unter den günstigsten Verhältnissen nicht zum Ziele führen; aber die Schwierigkeiten waren groß. Sie lagen in der romantischen Befangenheit des Königs und seiner Unfähigkeit, einen gewagten Entschluß zu fassen. Wäre das engere Reich Wirklichkeit ge¬ worden, so hätte er noch ein zweites Parlament, den Reichstag, auf dem Halse gehabt; und schon das eine preußische war ihm ein Greuel. Die deutschen Regierungen erkannten immer deutlicher die Schwäche des Königs; den Un¬ sicheren stärkte die Wiederherstellung der staatlichen Autorität inÖsterreich den Rücken- Schwarzenberg nutzte das Zugeständnis Radowitz' von der Gültigkeit des alten Bundesrechts meisterlich aus, sobald er die Kraft dazu hatte. Während in Preußen nichts Entscheidendes für die Verwirklichung der Union geschah, berief Schwarzenberg am 26. April 1850, wie wenn die beiden letzten Jahre nicht gewesen wären, als Präfidialmacht des Deutschen Bundes das Plenum des Bundestags nach Frankfurt, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß dessen Be¬ schlüsse auch für die nicht erschienenen Mitglieder bindend sein sollten. Bei Wiederherstellung des Bundes war natürlich eine Fortsetzung der preußischen Einheitspolitik unmöglich; Preußen mußte sich unterwerfen oder an die Ent¬ scheidung der Waffen appellieren. Zunächst geschah keins von beiden. Ein Teil der preußischen Verbündeten erkannte den Bundestag an und schied damit tat¬ sächlich aus dem engeren Bunde aus; ein anderer hielt sich mit Preußen voM Bundestag fern; aber diesen entzog sich nun der König. Nicht daß er das Bündnis gekündigt hätte; das wäre Rechts- und Treubruch gewesen; er erklärte auf Radowitz' Rat, die „Union" könne bei ihrem geminderten Umfang nicht mehr ausgeführt werden, aufgegeben sei sie aber damit nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/292>, abgerufen am 06.06.2024.