Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Radowitz

So war denn Deutschland gespalten in die Partei des österreichischen
Bundestags, der den Anspruch erhob, für ganz Deutschland bindende Beschlüsse
fassen zu dürfen, und in die Keine Partei der preußischen Union, an deren
Namen Radowitz wenigstens mit Zähigkeit festhielt. Auf der anderen Seite
dachte Schwarzenberg nicht im entferntesten an Nachgiebigkeit. So schien das
Schwert entscheiden zu müssen. Die Spannung war schon infolge weitgehender
Forderungen Schwarzenbergs recht hoch, als die kurhessische Frage zum Ende
führte. Der Kurfürst rief, obgleich noch Mitglied der Union, gegen sein un¬
gehorsames Ländchen die Hilfe des Bundestags an, und Österreich und Bayern
erklärten sich bereit, in diesen mitten zwischen den preußischen Gebieten gelegenen
Staat einzumarschieren. Preußen konnte dies schon als Unionsvorstand nicht
dulden. Indes sollte es einen Krieg wagen um der geschwächten Union willen,
die es nicht rechtlich, aber tatsächlich schon aufgegeben hatte? Bekanntlich trugen
die beiden deutschen Mächte ihren Streit vor das Forum des damaligen Schieds¬
richters von Europa, des Zaren Nikolaus des Ersten. Es entsprach nur der
Logik der Tatsachen, daß Preußen hier eine Niederlage erlitt, die in der Kon¬
vention von Olmütz dann aller Welt offenbar wurde, eine Niederlage, zu der
die Politik des kraftlosen Doktrinarismus hatte führen müssen.

Zu Beginn des hessischen Konflikts, am 26. September 1850, war Radowitz
Minister des Auswärtigen geworden; "mein Gefühl dabei ist kein gutes, es ist
nirgends Material zu wirklichem Aufbau." In solcher Märtyrerstimmung führte
er sein Amt ohne den frohen Tatenmut des wahren Politikers, nur davon
durchdrungen, "die Verpflichtung gegen die deutsche Nation wahren", nicht die
Rechte Preußens kräftig vertreten zu müssen. Am 2. November, als die Ent¬
scheidung Friedrich Wilhelms zugunsten unbedingter Nachgiebigkeit gegen Öster¬
reich fiel, erbat er seinen Abschied in dem Bewußtsein, nichts erreicht, aber auch
"nie mich selbst gesucht" zu haben. Seinem deutschen Ideal ist er treu geblieben,-
er hat später erkannt, daß es nur durch Machtpolitik, durch große Kämpfe zu
erreichen sei; sein früher Tod (1853) hat ihn freilich sein gelobtes Land nicht
mehr sehen lassen.

Wer den Wunsch hat, sich eingehender mit diesem merkwürdigen Manne
zu beschäftigen, greife zu dem kürzlich erschienenen wertvollen Werk von Friedrich
Meinecke "Radowitz und die deutsche Revolution" (Verlag von Ernst Siegried
Mittler und Sohn. Berlin 1913), das, obgleich es ein selbständiges und in sich
abgeschlossenes Ganzes ist. zugleich den Schlußband des Werkes "Joseph Maria
von Radowitz" von or. Paul Hassel bildet. Meineckes Buch ist epochemachend
für das Verständnis Friedrich Wilhelms des Vierten und seiner Zeit. Er wäre
der berufene Biograph dieses Königs. Radowitz' ausgewählte Schriften sind von
Wilhelm Corvinus in drei Bänden herausgegeben worden und bei I. Habbel
in Regensburg erschienen. Die anscheinend unter klerikalen Gesichtspunkt er-
folgte Auswahl ist nicht recht befriedigend.




Radowitz

So war denn Deutschland gespalten in die Partei des österreichischen
Bundestags, der den Anspruch erhob, für ganz Deutschland bindende Beschlüsse
fassen zu dürfen, und in die Keine Partei der preußischen Union, an deren
Namen Radowitz wenigstens mit Zähigkeit festhielt. Auf der anderen Seite
dachte Schwarzenberg nicht im entferntesten an Nachgiebigkeit. So schien das
Schwert entscheiden zu müssen. Die Spannung war schon infolge weitgehender
Forderungen Schwarzenbergs recht hoch, als die kurhessische Frage zum Ende
führte. Der Kurfürst rief, obgleich noch Mitglied der Union, gegen sein un¬
gehorsames Ländchen die Hilfe des Bundestags an, und Österreich und Bayern
erklärten sich bereit, in diesen mitten zwischen den preußischen Gebieten gelegenen
Staat einzumarschieren. Preußen konnte dies schon als Unionsvorstand nicht
dulden. Indes sollte es einen Krieg wagen um der geschwächten Union willen,
die es nicht rechtlich, aber tatsächlich schon aufgegeben hatte? Bekanntlich trugen
die beiden deutschen Mächte ihren Streit vor das Forum des damaligen Schieds¬
richters von Europa, des Zaren Nikolaus des Ersten. Es entsprach nur der
Logik der Tatsachen, daß Preußen hier eine Niederlage erlitt, die in der Kon¬
vention von Olmütz dann aller Welt offenbar wurde, eine Niederlage, zu der
die Politik des kraftlosen Doktrinarismus hatte führen müssen.

Zu Beginn des hessischen Konflikts, am 26. September 1850, war Radowitz
Minister des Auswärtigen geworden; „mein Gefühl dabei ist kein gutes, es ist
nirgends Material zu wirklichem Aufbau." In solcher Märtyrerstimmung führte
er sein Amt ohne den frohen Tatenmut des wahren Politikers, nur davon
durchdrungen, „die Verpflichtung gegen die deutsche Nation wahren", nicht die
Rechte Preußens kräftig vertreten zu müssen. Am 2. November, als die Ent¬
scheidung Friedrich Wilhelms zugunsten unbedingter Nachgiebigkeit gegen Öster¬
reich fiel, erbat er seinen Abschied in dem Bewußtsein, nichts erreicht, aber auch
„nie mich selbst gesucht" zu haben. Seinem deutschen Ideal ist er treu geblieben,-
er hat später erkannt, daß es nur durch Machtpolitik, durch große Kämpfe zu
erreichen sei; sein früher Tod (1853) hat ihn freilich sein gelobtes Land nicht
mehr sehen lassen.

Wer den Wunsch hat, sich eingehender mit diesem merkwürdigen Manne
zu beschäftigen, greife zu dem kürzlich erschienenen wertvollen Werk von Friedrich
Meinecke „Radowitz und die deutsche Revolution" (Verlag von Ernst Siegried
Mittler und Sohn. Berlin 1913), das, obgleich es ein selbständiges und in sich
abgeschlossenes Ganzes ist. zugleich den Schlußband des Werkes „Joseph Maria
von Radowitz" von or. Paul Hassel bildet. Meineckes Buch ist epochemachend
für das Verständnis Friedrich Wilhelms des Vierten und seiner Zeit. Er wäre
der berufene Biograph dieses Königs. Radowitz' ausgewählte Schriften sind von
Wilhelm Corvinus in drei Bänden herausgegeben worden und bei I. Habbel
in Regensburg erschienen. Die anscheinend unter klerikalen Gesichtspunkt er-
folgte Auswahl ist nicht recht befriedigend.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327105"/>
          <fw type="header" place="top"> Radowitz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1113"> So war denn Deutschland gespalten in die Partei des österreichischen<lb/>
Bundestags, der den Anspruch erhob, für ganz Deutschland bindende Beschlüsse<lb/>
fassen zu dürfen, und in die Keine Partei der preußischen Union, an deren<lb/>
Namen Radowitz wenigstens mit Zähigkeit festhielt.  Auf der anderen Seite<lb/>
dachte Schwarzenberg nicht im entferntesten an Nachgiebigkeit.  So schien das<lb/>
Schwert entscheiden zu müssen. Die Spannung war schon infolge weitgehender<lb/>
Forderungen Schwarzenbergs recht hoch, als die kurhessische Frage zum Ende<lb/>
führte.  Der Kurfürst rief, obgleich noch Mitglied der Union, gegen sein un¬<lb/>
gehorsames Ländchen die Hilfe des Bundestags an, und Österreich und Bayern<lb/>
erklärten sich bereit, in diesen mitten zwischen den preußischen Gebieten gelegenen<lb/>
Staat einzumarschieren.  Preußen konnte dies schon als Unionsvorstand nicht<lb/>
dulden.  Indes sollte es einen Krieg wagen um der geschwächten Union willen,<lb/>
die es nicht rechtlich, aber tatsächlich schon aufgegeben hatte? Bekanntlich trugen<lb/>
die beiden deutschen Mächte ihren Streit vor das Forum des damaligen Schieds¬<lb/>
richters von Europa, des Zaren Nikolaus des Ersten.  Es entsprach nur der<lb/>
Logik der Tatsachen, daß Preußen hier eine Niederlage erlitt, die in der Kon¬<lb/>
vention von Olmütz dann aller Welt offenbar wurde, eine Niederlage, zu der<lb/>
die Politik des kraftlosen Doktrinarismus hatte führen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1114"> Zu Beginn des hessischen Konflikts, am 26. September 1850, war Radowitz<lb/>
Minister des Auswärtigen geworden; &#x201E;mein Gefühl dabei ist kein gutes, es ist<lb/>
nirgends Material zu wirklichem Aufbau." In solcher Märtyrerstimmung führte<lb/>
er sein Amt ohne den frohen Tatenmut des wahren Politikers, nur davon<lb/>
durchdrungen, &#x201E;die Verpflichtung gegen die deutsche Nation wahren", nicht die<lb/>
Rechte Preußens kräftig vertreten zu müssen. Am 2. November, als die Ent¬<lb/>
scheidung Friedrich Wilhelms zugunsten unbedingter Nachgiebigkeit gegen Öster¬<lb/>
reich fiel, erbat er seinen Abschied in dem Bewußtsein, nichts erreicht, aber auch<lb/>
&#x201E;nie mich selbst gesucht" zu haben. Seinem deutschen Ideal ist er treu geblieben,-<lb/>
er hat später erkannt, daß es nur durch Machtpolitik, durch große Kämpfe zu<lb/>
erreichen sei; sein früher Tod (1853) hat ihn freilich sein gelobtes Land nicht<lb/>
mehr sehen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1115"> Wer den Wunsch hat, sich eingehender mit diesem merkwürdigen Manne<lb/>
zu beschäftigen, greife zu dem kürzlich erschienenen wertvollen Werk von Friedrich<lb/>
Meinecke &#x201E;Radowitz und die deutsche Revolution" (Verlag von Ernst Siegried<lb/>
Mittler und Sohn. Berlin 1913), das, obgleich es ein selbständiges und in sich<lb/>
abgeschlossenes Ganzes ist. zugleich den Schlußband des Werkes &#x201E;Joseph Maria<lb/>
von Radowitz" von or. Paul Hassel bildet. Meineckes Buch ist epochemachend<lb/>
für das Verständnis Friedrich Wilhelms des Vierten und seiner Zeit. Er wäre<lb/>
der berufene Biograph dieses Königs. Radowitz' ausgewählte Schriften sind von<lb/>
Wilhelm Corvinus in drei Bänden herausgegeben worden und bei I. Habbel<lb/>
in Regensburg erschienen. Die anscheinend unter klerikalen Gesichtspunkt er-<lb/>
folgte Auswahl ist nicht recht befriedigend.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Radowitz So war denn Deutschland gespalten in die Partei des österreichischen Bundestags, der den Anspruch erhob, für ganz Deutschland bindende Beschlüsse fassen zu dürfen, und in die Keine Partei der preußischen Union, an deren Namen Radowitz wenigstens mit Zähigkeit festhielt. Auf der anderen Seite dachte Schwarzenberg nicht im entferntesten an Nachgiebigkeit. So schien das Schwert entscheiden zu müssen. Die Spannung war schon infolge weitgehender Forderungen Schwarzenbergs recht hoch, als die kurhessische Frage zum Ende führte. Der Kurfürst rief, obgleich noch Mitglied der Union, gegen sein un¬ gehorsames Ländchen die Hilfe des Bundestags an, und Österreich und Bayern erklärten sich bereit, in diesen mitten zwischen den preußischen Gebieten gelegenen Staat einzumarschieren. Preußen konnte dies schon als Unionsvorstand nicht dulden. Indes sollte es einen Krieg wagen um der geschwächten Union willen, die es nicht rechtlich, aber tatsächlich schon aufgegeben hatte? Bekanntlich trugen die beiden deutschen Mächte ihren Streit vor das Forum des damaligen Schieds¬ richters von Europa, des Zaren Nikolaus des Ersten. Es entsprach nur der Logik der Tatsachen, daß Preußen hier eine Niederlage erlitt, die in der Kon¬ vention von Olmütz dann aller Welt offenbar wurde, eine Niederlage, zu der die Politik des kraftlosen Doktrinarismus hatte führen müssen. Zu Beginn des hessischen Konflikts, am 26. September 1850, war Radowitz Minister des Auswärtigen geworden; „mein Gefühl dabei ist kein gutes, es ist nirgends Material zu wirklichem Aufbau." In solcher Märtyrerstimmung führte er sein Amt ohne den frohen Tatenmut des wahren Politikers, nur davon durchdrungen, „die Verpflichtung gegen die deutsche Nation wahren", nicht die Rechte Preußens kräftig vertreten zu müssen. Am 2. November, als die Ent¬ scheidung Friedrich Wilhelms zugunsten unbedingter Nachgiebigkeit gegen Öster¬ reich fiel, erbat er seinen Abschied in dem Bewußtsein, nichts erreicht, aber auch „nie mich selbst gesucht" zu haben. Seinem deutschen Ideal ist er treu geblieben,- er hat später erkannt, daß es nur durch Machtpolitik, durch große Kämpfe zu erreichen sei; sein früher Tod (1853) hat ihn freilich sein gelobtes Land nicht mehr sehen lassen. Wer den Wunsch hat, sich eingehender mit diesem merkwürdigen Manne zu beschäftigen, greife zu dem kürzlich erschienenen wertvollen Werk von Friedrich Meinecke „Radowitz und die deutsche Revolution" (Verlag von Ernst Siegried Mittler und Sohn. Berlin 1913), das, obgleich es ein selbständiges und in sich abgeschlossenes Ganzes ist. zugleich den Schlußband des Werkes „Joseph Maria von Radowitz" von or. Paul Hassel bildet. Meineckes Buch ist epochemachend für das Verständnis Friedrich Wilhelms des Vierten und seiner Zeit. Er wäre der berufene Biograph dieses Königs. Radowitz' ausgewählte Schriften sind von Wilhelm Corvinus in drei Bänden herausgegeben worden und bei I. Habbel in Regensburg erschienen. Die anscheinend unter klerikalen Gesichtspunkt er- folgte Auswahl ist nicht recht befriedigend.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/293>, abgerufen am 12.05.2024.