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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der Inhalt des Dreibundes

bis auf den heutigen Tag besondere Verträge beständen. Dagegen sagt Fried-
jung, seit 1887 bestehe nur ein einziger Dreibundvertrag. Indes scheinen
innere Gründe gegen diese Angabe zu sprechen. Zunächst haben wir eine Ver¬
schiedenheit der Befristung; denn der deutsch-österreichische Vertrag ist ohne Frist
und bedarf daher keiner Erneuerung, während die Verträge der beiden Kaiser¬
mächte mit Italien nur für bestimmte Zeiträume geschlossen und demgemäß
mehrfach erneuert wurden. Ferner haben wir eine Verschiedenheit der Bündnis¬
pflichten; denn das deutsch-italienische Bündnis enthält Verpflichtungen bei
einem Angriff Frankreichs, die in dem deutsch-österreichischen Vertrage fehlen.
Diese Tatsachen scheinen an sich für das Vorhandensein nicht eines, sondern
mehrerer Verträge zu sprechen. Außerdem haben wir das positive Zeugnis
Crispis, das Friedjung unberücksichtigt läßt. In seinen Memoiren wird aus¬
drücklich von mehreren Verträgen gesprochen: "Die neuen Verträge," heißt es
dort, "lagen fertig redigiert nach langen Austauschen von Vorschlägen und
Gegenvorschlägen am 19. Februar 1887 vor; am Tage darauf wurden sie
unterzeichnet" *).

Namentlich aus italienischen Veröffentlichungen ist bekannt, daß die Drei¬
bundvertrüge von 1887 sich mit denen von 1882 nicht völlig decken. Nach
Friedjung, der sich hier auf Mitteilungen Graf Aehrenthals und Kiderlen-
Waechters beruft, enthielt der Vertrag von 1887 zum erstenmal eine besondere
Bestimmung über die Zukunft des Balkans. Friedjung schreibt: "Das Wiener
Kabinett erklärte, daß es ebenso wie das von Rom die Entwicklung des
Ztatu8 (juo auf der Balkanhalbinsel wünsche; sollte Österreich-Ungarn jedoch
genötigt sein, seine Grenzen in jenen Gebieten zu erweitern, so dürfe sich
Italien gleichfalls auf den Balkan ausdehnen. Wenn Oesterreich," fährt Fried¬
jung fort, "die Hand auf Mazedonien oder auch nur auf den Sandschak legte,
so war Italien berechtigt, eine Kompensation zu verlangen, die in Albanien,
insbesondere im Hafen von Valona bestehen sollte." Aus dieser Klausel des
Vertrages erklärt Friedjung die österreichische Balkanpolitik des letzten Jahres:
Österreich verzichtete auf eine Expansionspolitik, damit Italien keine Kom¬
pensation fordern könnte.

Gegen diese Darstellung Friedjungs hat sich Hans F. Helmolt in zwei
interessanten Aufsätzen in der Weser-Zeitung (vom 11. und 12. Oktober) ge¬
wendet. Helmolt sucht auf Grund italienischer Ministerreden nachzuweisen, daß
die vorhandenen Abmachungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien beiden
Mächten eine Ausdehnung auf dem Balkan vermehrte. Diese Vereinbarungen
zwischen Italien und Österreich-Ungarn seien also nicht, wie Friedjung angibt,
positiver, sondern rein negativer Natur gewesen. Nun haben zwischen Italien



") Die Memoiren Francesco Crispis. Erinnerungen und Dokumente. Herausgegeben
von T. Palamenghi-Crispi. Deutsch von W. Wichmann. Berlin, F. Fontane u. Co., 1Se2.
S. 167.
Der Inhalt des Dreibundes

bis auf den heutigen Tag besondere Verträge beständen. Dagegen sagt Fried-
jung, seit 1887 bestehe nur ein einziger Dreibundvertrag. Indes scheinen
innere Gründe gegen diese Angabe zu sprechen. Zunächst haben wir eine Ver¬
schiedenheit der Befristung; denn der deutsch-österreichische Vertrag ist ohne Frist
und bedarf daher keiner Erneuerung, während die Verträge der beiden Kaiser¬
mächte mit Italien nur für bestimmte Zeiträume geschlossen und demgemäß
mehrfach erneuert wurden. Ferner haben wir eine Verschiedenheit der Bündnis¬
pflichten; denn das deutsch-italienische Bündnis enthält Verpflichtungen bei
einem Angriff Frankreichs, die in dem deutsch-österreichischen Vertrage fehlen.
Diese Tatsachen scheinen an sich für das Vorhandensein nicht eines, sondern
mehrerer Verträge zu sprechen. Außerdem haben wir das positive Zeugnis
Crispis, das Friedjung unberücksichtigt läßt. In seinen Memoiren wird aus¬
drücklich von mehreren Verträgen gesprochen: „Die neuen Verträge," heißt es
dort, „lagen fertig redigiert nach langen Austauschen von Vorschlägen und
Gegenvorschlägen am 19. Februar 1887 vor; am Tage darauf wurden sie
unterzeichnet" *).

Namentlich aus italienischen Veröffentlichungen ist bekannt, daß die Drei¬
bundvertrüge von 1887 sich mit denen von 1882 nicht völlig decken. Nach
Friedjung, der sich hier auf Mitteilungen Graf Aehrenthals und Kiderlen-
Waechters beruft, enthielt der Vertrag von 1887 zum erstenmal eine besondere
Bestimmung über die Zukunft des Balkans. Friedjung schreibt: „Das Wiener
Kabinett erklärte, daß es ebenso wie das von Rom die Entwicklung des
Ztatu8 (juo auf der Balkanhalbinsel wünsche; sollte Österreich-Ungarn jedoch
genötigt sein, seine Grenzen in jenen Gebieten zu erweitern, so dürfe sich
Italien gleichfalls auf den Balkan ausdehnen. Wenn Oesterreich," fährt Fried¬
jung fort, „die Hand auf Mazedonien oder auch nur auf den Sandschak legte,
so war Italien berechtigt, eine Kompensation zu verlangen, die in Albanien,
insbesondere im Hafen von Valona bestehen sollte." Aus dieser Klausel des
Vertrages erklärt Friedjung die österreichische Balkanpolitik des letzten Jahres:
Österreich verzichtete auf eine Expansionspolitik, damit Italien keine Kom¬
pensation fordern könnte.

Gegen diese Darstellung Friedjungs hat sich Hans F. Helmolt in zwei
interessanten Aufsätzen in der Weser-Zeitung (vom 11. und 12. Oktober) ge¬
wendet. Helmolt sucht auf Grund italienischer Ministerreden nachzuweisen, daß
die vorhandenen Abmachungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien beiden
Mächten eine Ausdehnung auf dem Balkan vermehrte. Diese Vereinbarungen
zwischen Italien und Österreich-Ungarn seien also nicht, wie Friedjung angibt,
positiver, sondern rein negativer Natur gewesen. Nun haben zwischen Italien



") Die Memoiren Francesco Crispis. Erinnerungen und Dokumente. Herausgegeben
von T. Palamenghi-Crispi. Deutsch von W. Wichmann. Berlin, F. Fontane u. Co., 1Se2.
S. 167.
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[0302] Der Inhalt des Dreibundes bis auf den heutigen Tag besondere Verträge beständen. Dagegen sagt Fried- jung, seit 1887 bestehe nur ein einziger Dreibundvertrag. Indes scheinen innere Gründe gegen diese Angabe zu sprechen. Zunächst haben wir eine Ver¬ schiedenheit der Befristung; denn der deutsch-österreichische Vertrag ist ohne Frist und bedarf daher keiner Erneuerung, während die Verträge der beiden Kaiser¬ mächte mit Italien nur für bestimmte Zeiträume geschlossen und demgemäß mehrfach erneuert wurden. Ferner haben wir eine Verschiedenheit der Bündnis¬ pflichten; denn das deutsch-italienische Bündnis enthält Verpflichtungen bei einem Angriff Frankreichs, die in dem deutsch-österreichischen Vertrage fehlen. Diese Tatsachen scheinen an sich für das Vorhandensein nicht eines, sondern mehrerer Verträge zu sprechen. Außerdem haben wir das positive Zeugnis Crispis, das Friedjung unberücksichtigt läßt. In seinen Memoiren wird aus¬ drücklich von mehreren Verträgen gesprochen: „Die neuen Verträge," heißt es dort, „lagen fertig redigiert nach langen Austauschen von Vorschlägen und Gegenvorschlägen am 19. Februar 1887 vor; am Tage darauf wurden sie unterzeichnet" *). Namentlich aus italienischen Veröffentlichungen ist bekannt, daß die Drei¬ bundvertrüge von 1887 sich mit denen von 1882 nicht völlig decken. Nach Friedjung, der sich hier auf Mitteilungen Graf Aehrenthals und Kiderlen- Waechters beruft, enthielt der Vertrag von 1887 zum erstenmal eine besondere Bestimmung über die Zukunft des Balkans. Friedjung schreibt: „Das Wiener Kabinett erklärte, daß es ebenso wie das von Rom die Entwicklung des Ztatu8 (juo auf der Balkanhalbinsel wünsche; sollte Österreich-Ungarn jedoch genötigt sein, seine Grenzen in jenen Gebieten zu erweitern, so dürfe sich Italien gleichfalls auf den Balkan ausdehnen. Wenn Oesterreich," fährt Fried¬ jung fort, „die Hand auf Mazedonien oder auch nur auf den Sandschak legte, so war Italien berechtigt, eine Kompensation zu verlangen, die in Albanien, insbesondere im Hafen von Valona bestehen sollte." Aus dieser Klausel des Vertrages erklärt Friedjung die österreichische Balkanpolitik des letzten Jahres: Österreich verzichtete auf eine Expansionspolitik, damit Italien keine Kom¬ pensation fordern könnte. Gegen diese Darstellung Friedjungs hat sich Hans F. Helmolt in zwei interessanten Aufsätzen in der Weser-Zeitung (vom 11. und 12. Oktober) ge¬ wendet. Helmolt sucht auf Grund italienischer Ministerreden nachzuweisen, daß die vorhandenen Abmachungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien beiden Mächten eine Ausdehnung auf dem Balkan vermehrte. Diese Vereinbarungen zwischen Italien und Österreich-Ungarn seien also nicht, wie Friedjung angibt, positiver, sondern rein negativer Natur gewesen. Nun haben zwischen Italien ") Die Memoiren Francesco Crispis. Erinnerungen und Dokumente. Herausgegeben von T. Palamenghi-Crispi. Deutsch von W. Wichmann. Berlin, F. Fontane u. Co., 1Se2. S. 167.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/302>, abgerufen am 13.05.2024.