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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der Inhalt des Dreibundes

und Österreich-Ungarn zweierlei Abmachungen über den Balkan bestanden.
Die eine, die Mazedonien betrifft, befindet sich in dem Bündnisvertrage selbst,
und die andere, die Albanien betrifft, bildete den Gegenstand späterer Sonder"
abkommen, die nach Friedjung in den Jahren 1897 und 1900 zustande kamen.
Über diese Vereinbarungen hat sich der italienische Minister Tittoni in der
Kammerdebatte vom 14. Mai 1904 folgendermaßen geäußert:

"Wenn durch irgendeine Eventualität, die wir uns ferne wünschen, die
Erhaltung des Status quo nicht länger möglich wäre, so wären wir doch jed¬
weder Okkupation oder Teilung zwischen den Mächten entgegen, und würden
statt dessen wollen, daß alle Mächte sich auf das Prinzip der Autonomie auf
der Grundlage der Nationalitäten einigten. Was Österreich betrifft, so hat es
wiederholt erklärt, daß es ganz und gar nicht an eine Okkupation denkt. Denn
was Mazedonien betrifft, so würde eine Okkupation dem Geist und dem Buch¬
staben unseres Bündnisvertrages widersprechen, wenn sie ohne uns geschähe;
und was Albanien betrifft, so würde sie dem Sonderabkommen gegenseitigen
Desinteressements widersprechen, das Österreich mit Italien geschlossen hat"*).

Helmolt führt diese Rede gegen Friedjung ins Feld. Aber wenn man
den Text sorgfältig liest, so scheint es, daß Friedjuug im Recht und Helmolt
im Unrecht ist. Tittoni sagt offenbar: über Albanien besteht ein Separat¬
abkommen gegenseitigen Desinteressements; über Mazedonien aber bestimmt der
Bündnisvertrag, daß eine Okkupation Österreichs nicht ohne Italien stattfinden
dürfe. Demnach werden die Informationen, die Friedjung von Kiderlen und
Aehrenthal erhalten hat, durch Tittonis Rede bestätigt; freilich verliert Fried-
jungs Enthüllung einen Teil des Reizes der Neuheit, da Tittoni jene Rede
schon im Jahre 1904 gehalten hat.

Zwei Jahre später, am 24. April 1906, hat der neue italienische Minister
des Auswärtigen, Graf Ginccardini, die Angaben Tittonis bestätigt. Er sagte:
"Was Italien betrifft, so ist der Dreibund eine Garantie für unsere Interessen
aus dem Balkan. In der Tat sichert uns, was Mazedonien betrifft, der Drei¬
bund, wie schon mein Vorgänger, Herr Tittoni, in der Kammer erklärt hat,
gegen jede ohne uns vorgenommene Änderung, und was Albanien angeht, so
bietet uns ein Sonderabkommen mit Österreich-Ungarn, das ein Zusatz zu den
Bündnisverträgen (man beachte den PluralI) ist, eine Sicherung gegen
Änderungen, die das Gleichgewicht an der Adria berühren würden."

Neu ist jedoch Friedjungs Mitteilung, daß jene Abmachungen über den
Balkan, oder genauer: über Mazedonien, zum erstenmal in den Bündnisvertrag
non 1887 aufgenommen worden sind. Verhandelt hat man über diese Dinge
allerdings schon vor dem Abschluß des ersten Bündnisvertrages von 1882.
Wir lesen in Crispis Memoiren, daß. als die italienische Regierung Anfang
1881 in Vorverhandlungen mit Wien eintrat, sie die österreichische Regierung



*) Sei srui al politics estors. viscoi-si ciel Senator l'. I'ittoni, 19 l 2. S. 79.
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Der Inhalt des Dreibundes

und Österreich-Ungarn zweierlei Abmachungen über den Balkan bestanden.
Die eine, die Mazedonien betrifft, befindet sich in dem Bündnisvertrage selbst,
und die andere, die Albanien betrifft, bildete den Gegenstand späterer Sonder»
abkommen, die nach Friedjung in den Jahren 1897 und 1900 zustande kamen.
Über diese Vereinbarungen hat sich der italienische Minister Tittoni in der
Kammerdebatte vom 14. Mai 1904 folgendermaßen geäußert:

„Wenn durch irgendeine Eventualität, die wir uns ferne wünschen, die
Erhaltung des Status quo nicht länger möglich wäre, so wären wir doch jed¬
weder Okkupation oder Teilung zwischen den Mächten entgegen, und würden
statt dessen wollen, daß alle Mächte sich auf das Prinzip der Autonomie auf
der Grundlage der Nationalitäten einigten. Was Österreich betrifft, so hat es
wiederholt erklärt, daß es ganz und gar nicht an eine Okkupation denkt. Denn
was Mazedonien betrifft, so würde eine Okkupation dem Geist und dem Buch¬
staben unseres Bündnisvertrages widersprechen, wenn sie ohne uns geschähe;
und was Albanien betrifft, so würde sie dem Sonderabkommen gegenseitigen
Desinteressements widersprechen, das Österreich mit Italien geschlossen hat"*).

Helmolt führt diese Rede gegen Friedjung ins Feld. Aber wenn man
den Text sorgfältig liest, so scheint es, daß Friedjuug im Recht und Helmolt
im Unrecht ist. Tittoni sagt offenbar: über Albanien besteht ein Separat¬
abkommen gegenseitigen Desinteressements; über Mazedonien aber bestimmt der
Bündnisvertrag, daß eine Okkupation Österreichs nicht ohne Italien stattfinden
dürfe. Demnach werden die Informationen, die Friedjung von Kiderlen und
Aehrenthal erhalten hat, durch Tittonis Rede bestätigt; freilich verliert Fried-
jungs Enthüllung einen Teil des Reizes der Neuheit, da Tittoni jene Rede
schon im Jahre 1904 gehalten hat.

Zwei Jahre später, am 24. April 1906, hat der neue italienische Minister
des Auswärtigen, Graf Ginccardini, die Angaben Tittonis bestätigt. Er sagte:
„Was Italien betrifft, so ist der Dreibund eine Garantie für unsere Interessen
aus dem Balkan. In der Tat sichert uns, was Mazedonien betrifft, der Drei¬
bund, wie schon mein Vorgänger, Herr Tittoni, in der Kammer erklärt hat,
gegen jede ohne uns vorgenommene Änderung, und was Albanien angeht, so
bietet uns ein Sonderabkommen mit Österreich-Ungarn, das ein Zusatz zu den
Bündnisverträgen (man beachte den PluralI) ist, eine Sicherung gegen
Änderungen, die das Gleichgewicht an der Adria berühren würden."

Neu ist jedoch Friedjungs Mitteilung, daß jene Abmachungen über den
Balkan, oder genauer: über Mazedonien, zum erstenmal in den Bündnisvertrag
non 1887 aufgenommen worden sind. Verhandelt hat man über diese Dinge
allerdings schon vor dem Abschluß des ersten Bündnisvertrages von 1882.
Wir lesen in Crispis Memoiren, daß. als die italienische Regierung Anfang
1881 in Vorverhandlungen mit Wien eintrat, sie die österreichische Regierung



*) Sei srui al politics estors. viscoi-si ciel Senator l'. I'ittoni, 19 l 2. S. 79.
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[0303] Der Inhalt des Dreibundes und Österreich-Ungarn zweierlei Abmachungen über den Balkan bestanden. Die eine, die Mazedonien betrifft, befindet sich in dem Bündnisvertrage selbst, und die andere, die Albanien betrifft, bildete den Gegenstand späterer Sonder» abkommen, die nach Friedjung in den Jahren 1897 und 1900 zustande kamen. Über diese Vereinbarungen hat sich der italienische Minister Tittoni in der Kammerdebatte vom 14. Mai 1904 folgendermaßen geäußert: „Wenn durch irgendeine Eventualität, die wir uns ferne wünschen, die Erhaltung des Status quo nicht länger möglich wäre, so wären wir doch jed¬ weder Okkupation oder Teilung zwischen den Mächten entgegen, und würden statt dessen wollen, daß alle Mächte sich auf das Prinzip der Autonomie auf der Grundlage der Nationalitäten einigten. Was Österreich betrifft, so hat es wiederholt erklärt, daß es ganz und gar nicht an eine Okkupation denkt. Denn was Mazedonien betrifft, so würde eine Okkupation dem Geist und dem Buch¬ staben unseres Bündnisvertrages widersprechen, wenn sie ohne uns geschähe; und was Albanien betrifft, so würde sie dem Sonderabkommen gegenseitigen Desinteressements widersprechen, das Österreich mit Italien geschlossen hat"*). Helmolt führt diese Rede gegen Friedjung ins Feld. Aber wenn man den Text sorgfältig liest, so scheint es, daß Friedjuug im Recht und Helmolt im Unrecht ist. Tittoni sagt offenbar: über Albanien besteht ein Separat¬ abkommen gegenseitigen Desinteressements; über Mazedonien aber bestimmt der Bündnisvertrag, daß eine Okkupation Österreichs nicht ohne Italien stattfinden dürfe. Demnach werden die Informationen, die Friedjung von Kiderlen und Aehrenthal erhalten hat, durch Tittonis Rede bestätigt; freilich verliert Fried- jungs Enthüllung einen Teil des Reizes der Neuheit, da Tittoni jene Rede schon im Jahre 1904 gehalten hat. Zwei Jahre später, am 24. April 1906, hat der neue italienische Minister des Auswärtigen, Graf Ginccardini, die Angaben Tittonis bestätigt. Er sagte: „Was Italien betrifft, so ist der Dreibund eine Garantie für unsere Interessen aus dem Balkan. In der Tat sichert uns, was Mazedonien betrifft, der Drei¬ bund, wie schon mein Vorgänger, Herr Tittoni, in der Kammer erklärt hat, gegen jede ohne uns vorgenommene Änderung, und was Albanien angeht, so bietet uns ein Sonderabkommen mit Österreich-Ungarn, das ein Zusatz zu den Bündnisverträgen (man beachte den PluralI) ist, eine Sicherung gegen Änderungen, die das Gleichgewicht an der Adria berühren würden." Neu ist jedoch Friedjungs Mitteilung, daß jene Abmachungen über den Balkan, oder genauer: über Mazedonien, zum erstenmal in den Bündnisvertrag non 1887 aufgenommen worden sind. Verhandelt hat man über diese Dinge allerdings schon vor dem Abschluß des ersten Bündnisvertrages von 1882. Wir lesen in Crispis Memoiren, daß. als die italienische Regierung Anfang 1881 in Vorverhandlungen mit Wien eintrat, sie die österreichische Regierung *) Sei srui al politics estors. viscoi-si ciel Senator l'. I'ittoni, 19 l 2. S. 79. * 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/303>, abgerufen am 06.06.2024.