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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der Inhalt des Dreibundes

sie sich mit Italien verständigen, dem sie vorher versichert hatte, daß sie keine
solche Politik verfolgte; und das Ergebnis wäre die neue Vereinbarung in dem
Bündnisvertrag von 1887 gewesen, der Italien für den Fall, daß Österreich
sich wider Willen zu einer Expansionspolitik in Mazedonien entschließen müßte,
einen Kompenfationsanspruch in Albanien gewährte.

Aber wenn das der Fall ist, so fällt damit notwendig die erste These
Friedjungs, daß bei der Erneuerung des Dreibundes im Jahre 1887 nur ein
einziger Vertrag unterzeichnet worden sei. Denn es muß als ganz ausgeschlossen
gelten, daß Bismarck einen Bündnisvertrag unterschrieben hätte, in dem eine
Gebietserweiterung der Verbündeten in Aussicht genommen war. Bismarck
hätte niemals mit Österreich-Ungarn ein Bündnis geschlossen, dessen absolut
defensiver Charakter nicht über allen Zweifel erhaben gewesen wäre. Er hätte
Österreich-Ungarn niemals die vertragsmäßige Unterstützung des Deutschen Reiches
zur Erlangung eines Gebietszuwachses zugesichert; vollends nicht, wenn ein
solcher Gebietszuwachs nur im Gegensatz zu der russischen Politik gewonnen
werden konnte. Eins der obersten politischen Prinzipien Bismarcks war, daß
Deutschland ebenso mit Nußland wie mit Österreich-Ungarn möglichst enge und
freundschaftliche Beziehungen pflegen sollte. Sein politisches Ideal war der
Dreikaiserbund; und als dieser im Jahre 1887 zum zweiten Male unerneuert
zu Ende ging, schloß er, zur Ergänzung des Dreibundes, den berühmten Rück-
versicherungsvertrag.

Wenn also in einem der Dreibundverträge eine Bestimmung über einen
eventuellen Gebietszuwachs für Österreich-Ungarn und Italien existiert oder
existiert hat, so könnte sie nur in einem italienisch-österreichischen Vertrage vor¬
kommen, aber sicher nicht in einem Vertrage, den Bismarck geschlossen hat.
Man muß daher annehmen, daß auch bei der Erneuerung des Bündnisses im
Jahre 1887 nicht ein einziger Vertrag, sondern zwei Verträge verschiedenen
Inhalts unterzeichnet worden sind, nämlich der deutsch-italienische und der
österreichisch-italienische, während das deutsch-österreichische Bündnis keiner
Erneuerung und somit keines neuen Vertrages bedürfte.

Wir wenden uns hiermit den politischen Thesen Friedjungs zu. In den
Abmachungen über den Orient, meint Friedjung, läge die Schwäche des Drei¬
bundes. Er habe in den letzten Ereignissen eine geringere Schlag- und Sto߬
kraft als die russisch-französische Allianz gezeigt. Hätte Österreich-Ungarn
Bismarcks ursprünglichen Plan eines generellen Bündnisses angenommen, so
wäre damit auch eine Bürgschaft für die Unterstützung österreichischer Balkan-
Pläne gegeben gewesen. Und Friedjung sagt geradezu: "Es wird vielleicht ein
Tag kommen, da gerade Österreich. Ungarn auf den Entwurf Bismarcks zurück¬
kommen mag."

Diese These muß um so entschiedener abgelehnt werden, als sie von einer
so allgemein anerkannten publizistischen und wissenschaftlichen Autorität aus¬
gesprochen wird. Bismarck hat stets auf das ausdrücklichste betont -- und die


Der Inhalt des Dreibundes

sie sich mit Italien verständigen, dem sie vorher versichert hatte, daß sie keine
solche Politik verfolgte; und das Ergebnis wäre die neue Vereinbarung in dem
Bündnisvertrag von 1887 gewesen, der Italien für den Fall, daß Österreich
sich wider Willen zu einer Expansionspolitik in Mazedonien entschließen müßte,
einen Kompenfationsanspruch in Albanien gewährte.

Aber wenn das der Fall ist, so fällt damit notwendig die erste These
Friedjungs, daß bei der Erneuerung des Dreibundes im Jahre 1887 nur ein
einziger Vertrag unterzeichnet worden sei. Denn es muß als ganz ausgeschlossen
gelten, daß Bismarck einen Bündnisvertrag unterschrieben hätte, in dem eine
Gebietserweiterung der Verbündeten in Aussicht genommen war. Bismarck
hätte niemals mit Österreich-Ungarn ein Bündnis geschlossen, dessen absolut
defensiver Charakter nicht über allen Zweifel erhaben gewesen wäre. Er hätte
Österreich-Ungarn niemals die vertragsmäßige Unterstützung des Deutschen Reiches
zur Erlangung eines Gebietszuwachses zugesichert; vollends nicht, wenn ein
solcher Gebietszuwachs nur im Gegensatz zu der russischen Politik gewonnen
werden konnte. Eins der obersten politischen Prinzipien Bismarcks war, daß
Deutschland ebenso mit Nußland wie mit Österreich-Ungarn möglichst enge und
freundschaftliche Beziehungen pflegen sollte. Sein politisches Ideal war der
Dreikaiserbund; und als dieser im Jahre 1887 zum zweiten Male unerneuert
zu Ende ging, schloß er, zur Ergänzung des Dreibundes, den berühmten Rück-
versicherungsvertrag.

Wenn also in einem der Dreibundverträge eine Bestimmung über einen
eventuellen Gebietszuwachs für Österreich-Ungarn und Italien existiert oder
existiert hat, so könnte sie nur in einem italienisch-österreichischen Vertrage vor¬
kommen, aber sicher nicht in einem Vertrage, den Bismarck geschlossen hat.
Man muß daher annehmen, daß auch bei der Erneuerung des Bündnisses im
Jahre 1887 nicht ein einziger Vertrag, sondern zwei Verträge verschiedenen
Inhalts unterzeichnet worden sind, nämlich der deutsch-italienische und der
österreichisch-italienische, während das deutsch-österreichische Bündnis keiner
Erneuerung und somit keines neuen Vertrages bedürfte.

Wir wenden uns hiermit den politischen Thesen Friedjungs zu. In den
Abmachungen über den Orient, meint Friedjung, läge die Schwäche des Drei¬
bundes. Er habe in den letzten Ereignissen eine geringere Schlag- und Sto߬
kraft als die russisch-französische Allianz gezeigt. Hätte Österreich-Ungarn
Bismarcks ursprünglichen Plan eines generellen Bündnisses angenommen, so
wäre damit auch eine Bürgschaft für die Unterstützung österreichischer Balkan-
Pläne gegeben gewesen. Und Friedjung sagt geradezu: „Es wird vielleicht ein
Tag kommen, da gerade Österreich. Ungarn auf den Entwurf Bismarcks zurück¬
kommen mag."

Diese These muß um so entschiedener abgelehnt werden, als sie von einer
so allgemein anerkannten publizistischen und wissenschaftlichen Autorität aus¬
gesprochen wird. Bismarck hat stets auf das ausdrücklichste betont — und die


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[0305] Der Inhalt des Dreibundes sie sich mit Italien verständigen, dem sie vorher versichert hatte, daß sie keine solche Politik verfolgte; und das Ergebnis wäre die neue Vereinbarung in dem Bündnisvertrag von 1887 gewesen, der Italien für den Fall, daß Österreich sich wider Willen zu einer Expansionspolitik in Mazedonien entschließen müßte, einen Kompenfationsanspruch in Albanien gewährte. Aber wenn das der Fall ist, so fällt damit notwendig die erste These Friedjungs, daß bei der Erneuerung des Dreibundes im Jahre 1887 nur ein einziger Vertrag unterzeichnet worden sei. Denn es muß als ganz ausgeschlossen gelten, daß Bismarck einen Bündnisvertrag unterschrieben hätte, in dem eine Gebietserweiterung der Verbündeten in Aussicht genommen war. Bismarck hätte niemals mit Österreich-Ungarn ein Bündnis geschlossen, dessen absolut defensiver Charakter nicht über allen Zweifel erhaben gewesen wäre. Er hätte Österreich-Ungarn niemals die vertragsmäßige Unterstützung des Deutschen Reiches zur Erlangung eines Gebietszuwachses zugesichert; vollends nicht, wenn ein solcher Gebietszuwachs nur im Gegensatz zu der russischen Politik gewonnen werden konnte. Eins der obersten politischen Prinzipien Bismarcks war, daß Deutschland ebenso mit Nußland wie mit Österreich-Ungarn möglichst enge und freundschaftliche Beziehungen pflegen sollte. Sein politisches Ideal war der Dreikaiserbund; und als dieser im Jahre 1887 zum zweiten Male unerneuert zu Ende ging, schloß er, zur Ergänzung des Dreibundes, den berühmten Rück- versicherungsvertrag. Wenn also in einem der Dreibundverträge eine Bestimmung über einen eventuellen Gebietszuwachs für Österreich-Ungarn und Italien existiert oder existiert hat, so könnte sie nur in einem italienisch-österreichischen Vertrage vor¬ kommen, aber sicher nicht in einem Vertrage, den Bismarck geschlossen hat. Man muß daher annehmen, daß auch bei der Erneuerung des Bündnisses im Jahre 1887 nicht ein einziger Vertrag, sondern zwei Verträge verschiedenen Inhalts unterzeichnet worden sind, nämlich der deutsch-italienische und der österreichisch-italienische, während das deutsch-österreichische Bündnis keiner Erneuerung und somit keines neuen Vertrages bedürfte. Wir wenden uns hiermit den politischen Thesen Friedjungs zu. In den Abmachungen über den Orient, meint Friedjung, läge die Schwäche des Drei¬ bundes. Er habe in den letzten Ereignissen eine geringere Schlag- und Sto߬ kraft als die russisch-französische Allianz gezeigt. Hätte Österreich-Ungarn Bismarcks ursprünglichen Plan eines generellen Bündnisses angenommen, so wäre damit auch eine Bürgschaft für die Unterstützung österreichischer Balkan- Pläne gegeben gewesen. Und Friedjung sagt geradezu: „Es wird vielleicht ein Tag kommen, da gerade Österreich. Ungarn auf den Entwurf Bismarcks zurück¬ kommen mag." Diese These muß um so entschiedener abgelehnt werden, als sie von einer so allgemein anerkannten publizistischen und wissenschaftlichen Autorität aus¬ gesprochen wird. Bismarck hat stets auf das ausdrücklichste betont — und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/305>, abgerufen am 17.06.2024.