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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der Inhalt des Dreibundes

Biographie Andrassys von Wertheimer*) bringt neue Belege dafür bei --, daß
der Zweck des Bündnisses mit Österreich-Ungarn ein absolut defensiver ist und
sein muß. Nach Bismarcks Auffassung bedeutet das Bündnis nichts als eine
"Assekuranz" gegen einen russischen Angriff; es sollte nur das äamnum emerZsns,
aber nicht das tuarum es88an8 decken. Mit besonderer Präzision hat Bismarck
sich wiederholt dagegen ausgesprochen, daß das Bündnis der österreichischen
Balkanpolitik dienstbar gemacht würde. Zu diesem Punkt liegen viele Äußerungen
Bismarcks vor. Aber es wird genügen, eine einzige Beweisstelle anzuführen, nämlich
einen Artikel der Hamburger Nachrichten vom 29. September 1890, dessen In¬
spiration aus Friedrichsruh nicht bestritten werden kann. Dort heißt es:

"Seit Jahren ist es uns bei Erörterung von Fragen, die auf das Ver^
hältnis Deutschlands zu Österreich und zu Rußland Bezug hatten, einzig und
allein darauf angekommen, so viel an uns lag, zweierlei verhüten zu helfen:
erstens, daß die deutsche Politik oder gar die deutsche Heeresmacht in den Dienst
spezifisch österreichischer Balkaninteressen gegen Rußland gestellt, zweitens, daß
unser Verhältnis zu Rußland durch zwecklose Preßhetzerei einem Bruch zugetrieben
werde. Wir sind dabei stets von der Ansicht geleitet gewesen, dem Weltfrieden,
wie dem eigenen Vaterland einen Dienst zu erweisen. Nie ist es uns in den
Sinn gekommen, der deutschen Politik eine Verletzung der Österreich schuldigen
Vertragstreue zuzumuten; das zwischen beiden Ländern bestehende Bündnis
verlangt nicht, daß Deutschland österreichische Balkaninteressen gegen Rußland
vertrete, sondern nur daß Deutschland Österreich beistehe, wenn es in seinem
Gebiete von Rußland angegriffen wird.....Und wenn wir auf die Erhaltung
eines guten Einvernehmens Deutschlands mit Rußland den größten Wert legen,
so geschieht es einmal, weil Deutschland seiner wichtigen Aufgabe, zwischen
Österreich und Rußland zu vermitteln, um so erfolgreicher entsprechen kann, je
weniger es selbst in Petersburg auf Mißtrauen und Vorurteil stößt, und als¬
dann, weil ein Bruch mit Rußland nach unserer innersten Überzeugung uns
in eine jetzt nicht vorhandene Abhängigkeit von Österreich bringen würde, die
wir gerade im Interesse des guten Einvernehmens beider Staaten gern ver¬
mieden sehen. Wer diese Ansicht als arti-österreichisch bezeichnen will, mag
es tun und sehen, wie er das aus den bestehenden Verträgen zu rechtfertigen
vermag; wir unsererseits sind uns bewußt, weder von austrophober noch von
russophiler Gesinnung geleitet zu werden, sondern lediglich von dem ehrlichen
Streben, die wichtigsten Interessen des eigenen Vaterlandes zu wahren""*).

Diese von Bismarck inspirierten Ausführungen behalten auch für die deutsche
Politik während der jüngsten Balkankrisis und für die Zukunft volle Geltung.
Wenn Friedjung meint, Zentraleuropa habe sowohl jetzt als in der Marokko-




Graf Julius Andrassy. Sein Leben und seine Zeit. Nach ungedruckten Quellen
bon Eduard von Wertheimer. 3 Bände. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1910 bis 13.
*
") Penzler, Bismarck nach seiner Entlassung, I. 2S5 f.
Der Inhalt des Dreibundes

Biographie Andrassys von Wertheimer*) bringt neue Belege dafür bei —, daß
der Zweck des Bündnisses mit Österreich-Ungarn ein absolut defensiver ist und
sein muß. Nach Bismarcks Auffassung bedeutet das Bündnis nichts als eine
„Assekuranz" gegen einen russischen Angriff; es sollte nur das äamnum emerZsns,
aber nicht das tuarum es88an8 decken. Mit besonderer Präzision hat Bismarck
sich wiederholt dagegen ausgesprochen, daß das Bündnis der österreichischen
Balkanpolitik dienstbar gemacht würde. Zu diesem Punkt liegen viele Äußerungen
Bismarcks vor. Aber es wird genügen, eine einzige Beweisstelle anzuführen, nämlich
einen Artikel der Hamburger Nachrichten vom 29. September 1890, dessen In¬
spiration aus Friedrichsruh nicht bestritten werden kann. Dort heißt es:

„Seit Jahren ist es uns bei Erörterung von Fragen, die auf das Ver^
hältnis Deutschlands zu Österreich und zu Rußland Bezug hatten, einzig und
allein darauf angekommen, so viel an uns lag, zweierlei verhüten zu helfen:
erstens, daß die deutsche Politik oder gar die deutsche Heeresmacht in den Dienst
spezifisch österreichischer Balkaninteressen gegen Rußland gestellt, zweitens, daß
unser Verhältnis zu Rußland durch zwecklose Preßhetzerei einem Bruch zugetrieben
werde. Wir sind dabei stets von der Ansicht geleitet gewesen, dem Weltfrieden,
wie dem eigenen Vaterland einen Dienst zu erweisen. Nie ist es uns in den
Sinn gekommen, der deutschen Politik eine Verletzung der Österreich schuldigen
Vertragstreue zuzumuten; das zwischen beiden Ländern bestehende Bündnis
verlangt nicht, daß Deutschland österreichische Balkaninteressen gegen Rußland
vertrete, sondern nur daß Deutschland Österreich beistehe, wenn es in seinem
Gebiete von Rußland angegriffen wird.....Und wenn wir auf die Erhaltung
eines guten Einvernehmens Deutschlands mit Rußland den größten Wert legen,
so geschieht es einmal, weil Deutschland seiner wichtigen Aufgabe, zwischen
Österreich und Rußland zu vermitteln, um so erfolgreicher entsprechen kann, je
weniger es selbst in Petersburg auf Mißtrauen und Vorurteil stößt, und als¬
dann, weil ein Bruch mit Rußland nach unserer innersten Überzeugung uns
in eine jetzt nicht vorhandene Abhängigkeit von Österreich bringen würde, die
wir gerade im Interesse des guten Einvernehmens beider Staaten gern ver¬
mieden sehen. Wer diese Ansicht als arti-österreichisch bezeichnen will, mag
es tun und sehen, wie er das aus den bestehenden Verträgen zu rechtfertigen
vermag; wir unsererseits sind uns bewußt, weder von austrophober noch von
russophiler Gesinnung geleitet zu werden, sondern lediglich von dem ehrlichen
Streben, die wichtigsten Interessen des eigenen Vaterlandes zu wahren""*).

Diese von Bismarck inspirierten Ausführungen behalten auch für die deutsche
Politik während der jüngsten Balkankrisis und für die Zukunft volle Geltung.
Wenn Friedjung meint, Zentraleuropa habe sowohl jetzt als in der Marokko-




Graf Julius Andrassy. Sein Leben und seine Zeit. Nach ungedruckten Quellen
bon Eduard von Wertheimer. 3 Bände. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1910 bis 13.
*
«) Penzler, Bismarck nach seiner Entlassung, I. 2S5 f.
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[0306] Der Inhalt des Dreibundes Biographie Andrassys von Wertheimer*) bringt neue Belege dafür bei —, daß der Zweck des Bündnisses mit Österreich-Ungarn ein absolut defensiver ist und sein muß. Nach Bismarcks Auffassung bedeutet das Bündnis nichts als eine „Assekuranz" gegen einen russischen Angriff; es sollte nur das äamnum emerZsns, aber nicht das tuarum es88an8 decken. Mit besonderer Präzision hat Bismarck sich wiederholt dagegen ausgesprochen, daß das Bündnis der österreichischen Balkanpolitik dienstbar gemacht würde. Zu diesem Punkt liegen viele Äußerungen Bismarcks vor. Aber es wird genügen, eine einzige Beweisstelle anzuführen, nämlich einen Artikel der Hamburger Nachrichten vom 29. September 1890, dessen In¬ spiration aus Friedrichsruh nicht bestritten werden kann. Dort heißt es: „Seit Jahren ist es uns bei Erörterung von Fragen, die auf das Ver^ hältnis Deutschlands zu Österreich und zu Rußland Bezug hatten, einzig und allein darauf angekommen, so viel an uns lag, zweierlei verhüten zu helfen: erstens, daß die deutsche Politik oder gar die deutsche Heeresmacht in den Dienst spezifisch österreichischer Balkaninteressen gegen Rußland gestellt, zweitens, daß unser Verhältnis zu Rußland durch zwecklose Preßhetzerei einem Bruch zugetrieben werde. Wir sind dabei stets von der Ansicht geleitet gewesen, dem Weltfrieden, wie dem eigenen Vaterland einen Dienst zu erweisen. Nie ist es uns in den Sinn gekommen, der deutschen Politik eine Verletzung der Österreich schuldigen Vertragstreue zuzumuten; das zwischen beiden Ländern bestehende Bündnis verlangt nicht, daß Deutschland österreichische Balkaninteressen gegen Rußland vertrete, sondern nur daß Deutschland Österreich beistehe, wenn es in seinem Gebiete von Rußland angegriffen wird.....Und wenn wir auf die Erhaltung eines guten Einvernehmens Deutschlands mit Rußland den größten Wert legen, so geschieht es einmal, weil Deutschland seiner wichtigen Aufgabe, zwischen Österreich und Rußland zu vermitteln, um so erfolgreicher entsprechen kann, je weniger es selbst in Petersburg auf Mißtrauen und Vorurteil stößt, und als¬ dann, weil ein Bruch mit Rußland nach unserer innersten Überzeugung uns in eine jetzt nicht vorhandene Abhängigkeit von Österreich bringen würde, die wir gerade im Interesse des guten Einvernehmens beider Staaten gern ver¬ mieden sehen. Wer diese Ansicht als arti-österreichisch bezeichnen will, mag es tun und sehen, wie er das aus den bestehenden Verträgen zu rechtfertigen vermag; wir unsererseits sind uns bewußt, weder von austrophober noch von russophiler Gesinnung geleitet zu werden, sondern lediglich von dem ehrlichen Streben, die wichtigsten Interessen des eigenen Vaterlandes zu wahren""*). Diese von Bismarck inspirierten Ausführungen behalten auch für die deutsche Politik während der jüngsten Balkankrisis und für die Zukunft volle Geltung. Wenn Friedjung meint, Zentraleuropa habe sowohl jetzt als in der Marokko- Graf Julius Andrassy. Sein Leben und seine Zeit. Nach ungedruckten Quellen bon Eduard von Wertheimer. 3 Bände. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1910 bis 13. * «) Penzler, Bismarck nach seiner Entlassung, I. 2S5 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/306>, abgerufen am 26.05.2024.