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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Drient und seine Beziehungen zum Westen

in Ägypten selbst, wo er den Ägyptern als Osiris-Apis hingestellt und wohin
sein Kultbild aus Sinope verbracht wurde. Eine rein ägyptische Entwicklung
liegt hier mit Nichten vor.

Teil el Amarna, die Residenz Amenophis' des Vierten, des geistig hervor¬
ragenden und persönlich sympathischen "Ketzerkönigs", der zu Beginn des vier¬
zehnten Jahrhunderts eine monotheistische Revolution, den Alleindienst der
Sonne, durchzuführen suchte, wird jetzt systematisch ausgegraben, nachdem sie
vor einem Vierteljahrhundert den berühmten Tontafelfund, die Korrespondenz
ägyptischer mit asiatischen Königen und mit ägyptischen Statthaltern in Syrien
und Palästina geliefert hatte.

In der letzten Grabungsperiode 1912/13*) wurde ein Gehöft mit einem
Garten aufgedeckt. Diesem konnten nicht weniger als 76 Proben von Bäumen
und Sträuchern entnommen und die Plätze dieser Pflanzen im Garten bestimmt
werden. So wird die Rekonstruktion eines alten ägyptischen Gartens sich
ermöglichen lassen.

In einem Bildhauerquartier wurde einer der wichtigsten Funde gemacht,
den vielleicht bisher die ägyptische Kunstgeschichte zu verzeichnen hatte; eine große
Menge von Bildhauerwerken und von Modellen in jedem Stadium der Aus¬
führung, vom rohen Gips bis zur fast fertigen Statue. Da sind Abgüsse von
angefangenen Köpfen, auch Einzelstudien zu solchen, wie ein Ohr, eine Mund¬
partie. Einige dieser Köpfe und Masken könnten über Leichen angegossen sein.
Manche Gipse zeigen schwarz aufgezeichnete Korrekturen, die an andern Stücken
anscheinend bereits berücksichtigt worden sind. Unter den Gipser befinden sich
die Portals der ganzen Königsfamilie. Weiter sind unfertige Stücke aus hartem
Gestein in größerer Anzahl da, diese meist in den Arbeiterhütten oder im Hause
des zweiten Bildhauers gefunden: eine Statue der Königin, die eine Opfertafel
trägt, ein Gegenstück zu der im Vorjahre gefundenen Statue des Königs in der
gleichen Stellung, dann Statuen der Prinzessinnen aus braunem und rötlich-
violettem Sandstein, diese von ganz hervorragend feiner Durchbildung der Körper,
ferner eine kleine Statue der stehenden Königin, fast fertig bearbeitet, aber leider
zerbrochen, Köpfe des Königs und der Königin in drei Viertel Lebensgröße, die
Flächen vorläufig nur groß angelegt. Nahezu fertig ist eine kleine Gruppe:
der auf einem Thron sitzende König hat eine Prinzessin auf den Schoß genommen
und küßt sie. Andere Stücke sind noch weiter ausgeführt, einige haben sogar
schon Farben. Ein Gegenstück zu dem berühmten Pariser Kopf Amenophis'
des Vierten war darunter, leider in viele Stücke zerschlagen. Eine größere An¬
zahl von Stücken mit Zapfen zum Einsetzen ist wohl als bereits fertig anzu¬
sehen: fast lebensgroße Köpfe (darunter mehrere reizendeKöpfchen von Prinzessinnen)
und Arme, auch Füße aus braunem Sandstein.



*) L. Borchardt- "Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft", Ur. 52(1913). (1914)
Heft 1.
Der alte Drient und seine Beziehungen zum Westen

in Ägypten selbst, wo er den Ägyptern als Osiris-Apis hingestellt und wohin
sein Kultbild aus Sinope verbracht wurde. Eine rein ägyptische Entwicklung
liegt hier mit Nichten vor.

Teil el Amarna, die Residenz Amenophis' des Vierten, des geistig hervor¬
ragenden und persönlich sympathischen „Ketzerkönigs", der zu Beginn des vier¬
zehnten Jahrhunderts eine monotheistische Revolution, den Alleindienst der
Sonne, durchzuführen suchte, wird jetzt systematisch ausgegraben, nachdem sie
vor einem Vierteljahrhundert den berühmten Tontafelfund, die Korrespondenz
ägyptischer mit asiatischen Königen und mit ägyptischen Statthaltern in Syrien
und Palästina geliefert hatte.

In der letzten Grabungsperiode 1912/13*) wurde ein Gehöft mit einem
Garten aufgedeckt. Diesem konnten nicht weniger als 76 Proben von Bäumen
und Sträuchern entnommen und die Plätze dieser Pflanzen im Garten bestimmt
werden. So wird die Rekonstruktion eines alten ägyptischen Gartens sich
ermöglichen lassen.

In einem Bildhauerquartier wurde einer der wichtigsten Funde gemacht,
den vielleicht bisher die ägyptische Kunstgeschichte zu verzeichnen hatte; eine große
Menge von Bildhauerwerken und von Modellen in jedem Stadium der Aus¬
führung, vom rohen Gips bis zur fast fertigen Statue. Da sind Abgüsse von
angefangenen Köpfen, auch Einzelstudien zu solchen, wie ein Ohr, eine Mund¬
partie. Einige dieser Köpfe und Masken könnten über Leichen angegossen sein.
Manche Gipse zeigen schwarz aufgezeichnete Korrekturen, die an andern Stücken
anscheinend bereits berücksichtigt worden sind. Unter den Gipser befinden sich
die Portals der ganzen Königsfamilie. Weiter sind unfertige Stücke aus hartem
Gestein in größerer Anzahl da, diese meist in den Arbeiterhütten oder im Hause
des zweiten Bildhauers gefunden: eine Statue der Königin, die eine Opfertafel
trägt, ein Gegenstück zu der im Vorjahre gefundenen Statue des Königs in der
gleichen Stellung, dann Statuen der Prinzessinnen aus braunem und rötlich-
violettem Sandstein, diese von ganz hervorragend feiner Durchbildung der Körper,
ferner eine kleine Statue der stehenden Königin, fast fertig bearbeitet, aber leider
zerbrochen, Köpfe des Königs und der Königin in drei Viertel Lebensgröße, die
Flächen vorläufig nur groß angelegt. Nahezu fertig ist eine kleine Gruppe:
der auf einem Thron sitzende König hat eine Prinzessin auf den Schoß genommen
und küßt sie. Andere Stücke sind noch weiter ausgeführt, einige haben sogar
schon Farben. Ein Gegenstück zu dem berühmten Pariser Kopf Amenophis'
des Vierten war darunter, leider in viele Stücke zerschlagen. Eine größere An¬
zahl von Stücken mit Zapfen zum Einsetzen ist wohl als bereits fertig anzu¬
sehen: fast lebensgroße Köpfe (darunter mehrere reizendeKöpfchen von Prinzessinnen)
und Arme, auch Füße aus braunem Sandstein.



*) L. Borchardt- „Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft", Ur. 52(1913). (1914)
Heft 1.
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[0314] Der alte Drient und seine Beziehungen zum Westen in Ägypten selbst, wo er den Ägyptern als Osiris-Apis hingestellt und wohin sein Kultbild aus Sinope verbracht wurde. Eine rein ägyptische Entwicklung liegt hier mit Nichten vor. Teil el Amarna, die Residenz Amenophis' des Vierten, des geistig hervor¬ ragenden und persönlich sympathischen „Ketzerkönigs", der zu Beginn des vier¬ zehnten Jahrhunderts eine monotheistische Revolution, den Alleindienst der Sonne, durchzuführen suchte, wird jetzt systematisch ausgegraben, nachdem sie vor einem Vierteljahrhundert den berühmten Tontafelfund, die Korrespondenz ägyptischer mit asiatischen Königen und mit ägyptischen Statthaltern in Syrien und Palästina geliefert hatte. In der letzten Grabungsperiode 1912/13*) wurde ein Gehöft mit einem Garten aufgedeckt. Diesem konnten nicht weniger als 76 Proben von Bäumen und Sträuchern entnommen und die Plätze dieser Pflanzen im Garten bestimmt werden. So wird die Rekonstruktion eines alten ägyptischen Gartens sich ermöglichen lassen. In einem Bildhauerquartier wurde einer der wichtigsten Funde gemacht, den vielleicht bisher die ägyptische Kunstgeschichte zu verzeichnen hatte; eine große Menge von Bildhauerwerken und von Modellen in jedem Stadium der Aus¬ führung, vom rohen Gips bis zur fast fertigen Statue. Da sind Abgüsse von angefangenen Köpfen, auch Einzelstudien zu solchen, wie ein Ohr, eine Mund¬ partie. Einige dieser Köpfe und Masken könnten über Leichen angegossen sein. Manche Gipse zeigen schwarz aufgezeichnete Korrekturen, die an andern Stücken anscheinend bereits berücksichtigt worden sind. Unter den Gipser befinden sich die Portals der ganzen Königsfamilie. Weiter sind unfertige Stücke aus hartem Gestein in größerer Anzahl da, diese meist in den Arbeiterhütten oder im Hause des zweiten Bildhauers gefunden: eine Statue der Königin, die eine Opfertafel trägt, ein Gegenstück zu der im Vorjahre gefundenen Statue des Königs in der gleichen Stellung, dann Statuen der Prinzessinnen aus braunem und rötlich- violettem Sandstein, diese von ganz hervorragend feiner Durchbildung der Körper, ferner eine kleine Statue der stehenden Königin, fast fertig bearbeitet, aber leider zerbrochen, Köpfe des Königs und der Königin in drei Viertel Lebensgröße, die Flächen vorläufig nur groß angelegt. Nahezu fertig ist eine kleine Gruppe: der auf einem Thron sitzende König hat eine Prinzessin auf den Schoß genommen und küßt sie. Andere Stücke sind noch weiter ausgeführt, einige haben sogar schon Farben. Ein Gegenstück zu dem berühmten Pariser Kopf Amenophis' des Vierten war darunter, leider in viele Stücke zerschlagen. Eine größere An¬ zahl von Stücken mit Zapfen zum Einsetzen ist wohl als bereits fertig anzu¬ sehen: fast lebensgroße Köpfe (darunter mehrere reizendeKöpfchen von Prinzessinnen) und Arme, auch Füße aus braunem Sandstein. *) L. Borchardt- „Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft", Ur. 52(1913). (1914) Heft 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/314>, abgerufen am 17.06.2024.