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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Für die Handels- und Kulturbeziehungen zwischen Ägypten und Kreta, als
dem Sitz der ältesten vorgriechischen Kultur um 2000 v. Chr., ist die Auffindung
eines als Ganzes und in seiner charakteristischen Bemalung wohlerhaltenen Ge¬
fäßes*) der "mittelminoischen Periode" in einem fraglos der zwölften ägyptischen
Dynastie ungehörigen Grabe bedeutungsvoll.

Keftiu (biblisch Kaphtor, die Heimat der Philister) und das kupferreiche
Land Utahs(i)a hat man nach den ägyptischen Inschriften bisher als Kreta
und Cypern angesprochen. Anscheinend mit Unrecht; Zilizien und das nördlichste
Phönizien, wo Kupfer nachweisbar ist, haben berechtigtere Ansprüche**).

Die Scheidung der kanaanäischen und der hebräisch-israelitischen Siedlungs¬
und Kulturschichten einerseits, der Verkehrs- und Kulturaustausch mit der Welt
des Ägäischen Meeres anderseits, bilden das wichtigste Gesamtergebnis der an
verschiedenen Stätten Palästinas vorgenommenen Ausgrabungen***). In
letzterem Sinne bilden die Philister ein wichtiges Bindeglied.

Speziell in Jericho bestätigt der archäologische Befund die Angaben des
Alten Testaments durchweg.

Ob der Fluch Josuas wirklich ausgesprochen worden ist, wie es das Wahr¬
scheinlichste, ob man ihn sich nachträglich als Erklärung erdacht hat, sicher ist,
daß die kanaanäische befestigte Stadt von den eindringenden Hebräern zerstört
worden ist und wenigstens als Feste jahrhundertelang in Trümmern gelegen
hat, wenn auch anderseits außerhalb der Mauern, wiederum im Einklang mit
den Angaben des Alten Testaments, eine kanaanäische Siedlung erkennbar bleibt.
Ebenso ist tatsächlich zu AHabs Zeiten die Feste neu gegründet worden, um den
Angriffen der Moabiter zu trotzen. Als Bauopfer brachte Chiel, der als Ver¬
walter der Provinz oder als Stadthauptmann von Bethel den Neubau leitete,
seinen Erstgeborenen und seinen Jüngsten dar. Das Bauopfer, freilich nur von
Tieren, ist noch heute im Orient weit verbreitet.

Überraschend ist, daß Jericho bereits um 1500 gefallen ist, d. h. nicht von
den im dreizehnten Jahrhundert einwandernden Jsraeliten, sondern von den
Hebräern im weiteren Sinne, die in der Tell Amarna-Zeit Palästina bedrängten,
erobert wurde. Die betreffende Schicht der Eroberungserzählungen des Josua-
Buches ist aus einer von Haus aus spezifisch hebräischen Tradition von dem
die Hebräer aufsaugenden Israel übernommen worden.





*) I. Garstang: "k<öde on a osse of Mnoan lahme from ^b^clos (t^Zypt)", illverpool
^nnals ok ärcKaeoIoZ7 anni /mtliropolo^ V (I9l3> Seite W7 bis I I I.
*') G. A. Wainwright: "Liverpool /mnals" Vl (1913). S. 24 bis 33 und "Klio" XlV
(1914), S. 1 ff.
R. A. Stewart Macalister: "l'Ke excavation ok Leser 1902 bis 1905 und 1907
bis 1909", zwei reich illustrierte Textbände und ein Tafelband. London 1912. E. Selim und C. Watzinger: "Jericho, Die Ergebnisse oder Ausgrabungen" (zwei-
undzwanzigste wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft), Leipzig 1913.
Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Für die Handels- und Kulturbeziehungen zwischen Ägypten und Kreta, als
dem Sitz der ältesten vorgriechischen Kultur um 2000 v. Chr., ist die Auffindung
eines als Ganzes und in seiner charakteristischen Bemalung wohlerhaltenen Ge¬
fäßes*) der „mittelminoischen Periode" in einem fraglos der zwölften ägyptischen
Dynastie ungehörigen Grabe bedeutungsvoll.

Keftiu (biblisch Kaphtor, die Heimat der Philister) und das kupferreiche
Land Utahs(i)a hat man nach den ägyptischen Inschriften bisher als Kreta
und Cypern angesprochen. Anscheinend mit Unrecht; Zilizien und das nördlichste
Phönizien, wo Kupfer nachweisbar ist, haben berechtigtere Ansprüche**).

Die Scheidung der kanaanäischen und der hebräisch-israelitischen Siedlungs¬
und Kulturschichten einerseits, der Verkehrs- und Kulturaustausch mit der Welt
des Ägäischen Meeres anderseits, bilden das wichtigste Gesamtergebnis der an
verschiedenen Stätten Palästinas vorgenommenen Ausgrabungen***). In
letzterem Sinne bilden die Philister ein wichtiges Bindeglied.

Speziell in Jericho bestätigt der archäologische Befund die Angaben des
Alten Testaments durchweg.

Ob der Fluch Josuas wirklich ausgesprochen worden ist, wie es das Wahr¬
scheinlichste, ob man ihn sich nachträglich als Erklärung erdacht hat, sicher ist,
daß die kanaanäische befestigte Stadt von den eindringenden Hebräern zerstört
worden ist und wenigstens als Feste jahrhundertelang in Trümmern gelegen
hat, wenn auch anderseits außerhalb der Mauern, wiederum im Einklang mit
den Angaben des Alten Testaments, eine kanaanäische Siedlung erkennbar bleibt.
Ebenso ist tatsächlich zu AHabs Zeiten die Feste neu gegründet worden, um den
Angriffen der Moabiter zu trotzen. Als Bauopfer brachte Chiel, der als Ver¬
walter der Provinz oder als Stadthauptmann von Bethel den Neubau leitete,
seinen Erstgeborenen und seinen Jüngsten dar. Das Bauopfer, freilich nur von
Tieren, ist noch heute im Orient weit verbreitet.

Überraschend ist, daß Jericho bereits um 1500 gefallen ist, d. h. nicht von
den im dreizehnten Jahrhundert einwandernden Jsraeliten, sondern von den
Hebräern im weiteren Sinne, die in der Tell Amarna-Zeit Palästina bedrängten,
erobert wurde. Die betreffende Schicht der Eroberungserzählungen des Josua-
Buches ist aus einer von Haus aus spezifisch hebräischen Tradition von dem
die Hebräer aufsaugenden Israel übernommen worden.





*) I. Garstang: „k<öde on a osse of Mnoan lahme from ^b^clos (t^Zypt)", illverpool
^nnals ok ärcKaeoIoZ7 anni /mtliropolo^ V (I9l3> Seite W7 bis I I I.
*') G. A. Wainwright: „Liverpool /mnals" Vl (1913). S. 24 bis 33 und „Klio" XlV
(1914), S. 1 ff.
R. A. Stewart Macalister: „l'Ke excavation ok Leser 1902 bis 1905 und 1907
bis 1909", zwei reich illustrierte Textbände und ein Tafelband. London 1912. E. Selim und C. Watzinger: „Jericho, Die Ergebnisse oder Ausgrabungen" (zwei-
undzwanzigste wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft), Leipzig 1913.
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[0315] Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen Für die Handels- und Kulturbeziehungen zwischen Ägypten und Kreta, als dem Sitz der ältesten vorgriechischen Kultur um 2000 v. Chr., ist die Auffindung eines als Ganzes und in seiner charakteristischen Bemalung wohlerhaltenen Ge¬ fäßes*) der „mittelminoischen Periode" in einem fraglos der zwölften ägyptischen Dynastie ungehörigen Grabe bedeutungsvoll. Keftiu (biblisch Kaphtor, die Heimat der Philister) und das kupferreiche Land Utahs(i)a hat man nach den ägyptischen Inschriften bisher als Kreta und Cypern angesprochen. Anscheinend mit Unrecht; Zilizien und das nördlichste Phönizien, wo Kupfer nachweisbar ist, haben berechtigtere Ansprüche**). Die Scheidung der kanaanäischen und der hebräisch-israelitischen Siedlungs¬ und Kulturschichten einerseits, der Verkehrs- und Kulturaustausch mit der Welt des Ägäischen Meeres anderseits, bilden das wichtigste Gesamtergebnis der an verschiedenen Stätten Palästinas vorgenommenen Ausgrabungen***). In letzterem Sinne bilden die Philister ein wichtiges Bindeglied. Speziell in Jericho bestätigt der archäologische Befund die Angaben des Alten Testaments durchweg. Ob der Fluch Josuas wirklich ausgesprochen worden ist, wie es das Wahr¬ scheinlichste, ob man ihn sich nachträglich als Erklärung erdacht hat, sicher ist, daß die kanaanäische befestigte Stadt von den eindringenden Hebräern zerstört worden ist und wenigstens als Feste jahrhundertelang in Trümmern gelegen hat, wenn auch anderseits außerhalb der Mauern, wiederum im Einklang mit den Angaben des Alten Testaments, eine kanaanäische Siedlung erkennbar bleibt. Ebenso ist tatsächlich zu AHabs Zeiten die Feste neu gegründet worden, um den Angriffen der Moabiter zu trotzen. Als Bauopfer brachte Chiel, der als Ver¬ walter der Provinz oder als Stadthauptmann von Bethel den Neubau leitete, seinen Erstgeborenen und seinen Jüngsten dar. Das Bauopfer, freilich nur von Tieren, ist noch heute im Orient weit verbreitet. Überraschend ist, daß Jericho bereits um 1500 gefallen ist, d. h. nicht von den im dreizehnten Jahrhundert einwandernden Jsraeliten, sondern von den Hebräern im weiteren Sinne, die in der Tell Amarna-Zeit Palästina bedrängten, erobert wurde. Die betreffende Schicht der Eroberungserzählungen des Josua- Buches ist aus einer von Haus aus spezifisch hebräischen Tradition von dem die Hebräer aufsaugenden Israel übernommen worden. *) I. Garstang: „k<öde on a osse of Mnoan lahme from ^b^clos (t^Zypt)", illverpool ^nnals ok ärcKaeoIoZ7 anni /mtliropolo^ V (I9l3> Seite W7 bis I I I. *') G. A. Wainwright: „Liverpool /mnals" Vl (1913). S. 24 bis 33 und „Klio" XlV (1914), S. 1 ff. R. A. Stewart Macalister: „l'Ke excavation ok Leser 1902 bis 1905 und 1907 bis 1909", zwei reich illustrierte Textbände und ein Tafelband. London 1912. E. Selim und C. Watzinger: „Jericho, Die Ergebnisse oder Ausgrabungen" (zwei- undzwanzigste wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft), Leipzig 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/315>, abgerufen am 24.05.2024.