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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Im Gegensatz zur ägyptischen ist die babylonische Kultur für ihre Ver¬
breitung nach den: Westen großenteils auf den Landweg angewiesen. Hierbei
kommen die Hetiter. die bei aller eigenen Bodenständigkeit stark von ihr be¬
einflußt gewesen sind, als Vermittler nach Westen ernstlich in Betracht. Leider
sind die auf hednischen Boden verbreiteten.und höchstwahrscheinlich von den
Hetitern herrührenden hieroglyphischen Inschriften noch nicht zum Reden gebracht.
Ein neuer Versuch stützt sich auf eine in Karchemisch neuentdeckte, besonders
umfangreiche Inschrift und sucht den Namen der Stadt und deren aus den
assyrischen Inschriften bekanntesten Herrscher in bestimmten Gruppen, die als
erster Schlüssel zur weiteren Entzifferung verwendet werden*). Durch solches
Rat^n, freilich in etwas engeren Grenzen, ist dereinst die Keilschrift entziffert
worden. Wünschen wir, daß sich der Ausgangspunkt als zutreffend erweise.
Dann können anderweitige Mißgriffe allmählich ausgeschaltet werden, wie sich
denn sicher nicht sämtliche Inschriften als Bündnisverträge erweisen werden.
Die häufige Gruppe der beiden Männer mit gekreuzten Armen wird nicht aus
eine Allianz zu deuten sein.

Auch die Formensprache der Kunst bedarf nicht selten der Entzifferung.
Ein Rätsel bildete bisher der Ursprung der ionischen Säule, dieses Gebilde,
das, dem Auge so harmonisch, doch dem Verstände so widersinnig erscheint,
weil man in den Voluten, die, wären sie nicht eben ans Stein, eher nach Fall
und Auflösung zu streben scheinen, an und für sich schwerlich ein tragendes
Prinzip erblicken würde. Erkennt man aber aus einem in Syrien gefundenen
Monumente, daß das ursprüngliche Vorbild die Dattelpalme ist, deren Wipfel
man profilartig nach rechts und links auseinanderbog, wodurch die Vorbilder
der Voluten entstanden, so ist das Hauptproblem gelöst**).

Ein weiteres Merkmal des ionischen Kapitells, das Eierstabkymation, ist
sicher einem Blätterkränze nachgebildet. Die ältesten ionischen Tempel auf
griechischem Boden zeigen sogar am Kapitell zwei Blattkränze übereinander und
keine Voluten. Diese Blattkränze aber haben ihre nächsten Vorbilder an den
doppelten und mehrfachen Blattkränzen von Säulen und säulenartigen Schäften
aus Bronze, wie sie bei den Erzeugnissen vorarmenischer Kunst der Urartäer
die Regel sind, und zwar handelt es sich hier um Blätter im eigentlichen Sinne,
wahrscheinlich die immergrünen der Orange***).

Daß sich so in der ionischen Säule die verschiedensten Einflußsphären:
Ägypten, Syrien, Urartu, begegnen, ist bei einem so hochentwickelten Gebilde





*) R, C. Thompson: new clecipkerment ok tre Kittite KieroAl^pus",
Oxford 1913.'
*'
*) F. von Luschan: "Entstehung und Herkunft der ionischen Säule/ Der alte Orient
XIII (1912) Heft 4,
"**) C. F. Lehmann ° Haupt: "Zur Herkunft der ionischen Säule", Klio XII, S, 463
bis 484.
Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Im Gegensatz zur ägyptischen ist die babylonische Kultur für ihre Ver¬
breitung nach den: Westen großenteils auf den Landweg angewiesen. Hierbei
kommen die Hetiter. die bei aller eigenen Bodenständigkeit stark von ihr be¬
einflußt gewesen sind, als Vermittler nach Westen ernstlich in Betracht. Leider
sind die auf hednischen Boden verbreiteten.und höchstwahrscheinlich von den
Hetitern herrührenden hieroglyphischen Inschriften noch nicht zum Reden gebracht.
Ein neuer Versuch stützt sich auf eine in Karchemisch neuentdeckte, besonders
umfangreiche Inschrift und sucht den Namen der Stadt und deren aus den
assyrischen Inschriften bekanntesten Herrscher in bestimmten Gruppen, die als
erster Schlüssel zur weiteren Entzifferung verwendet werden*). Durch solches
Rat^n, freilich in etwas engeren Grenzen, ist dereinst die Keilschrift entziffert
worden. Wünschen wir, daß sich der Ausgangspunkt als zutreffend erweise.
Dann können anderweitige Mißgriffe allmählich ausgeschaltet werden, wie sich
denn sicher nicht sämtliche Inschriften als Bündnisverträge erweisen werden.
Die häufige Gruppe der beiden Männer mit gekreuzten Armen wird nicht aus
eine Allianz zu deuten sein.

Auch die Formensprache der Kunst bedarf nicht selten der Entzifferung.
Ein Rätsel bildete bisher der Ursprung der ionischen Säule, dieses Gebilde,
das, dem Auge so harmonisch, doch dem Verstände so widersinnig erscheint,
weil man in den Voluten, die, wären sie nicht eben ans Stein, eher nach Fall
und Auflösung zu streben scheinen, an und für sich schwerlich ein tragendes
Prinzip erblicken würde. Erkennt man aber aus einem in Syrien gefundenen
Monumente, daß das ursprüngliche Vorbild die Dattelpalme ist, deren Wipfel
man profilartig nach rechts und links auseinanderbog, wodurch die Vorbilder
der Voluten entstanden, so ist das Hauptproblem gelöst**).

Ein weiteres Merkmal des ionischen Kapitells, das Eierstabkymation, ist
sicher einem Blätterkränze nachgebildet. Die ältesten ionischen Tempel auf
griechischem Boden zeigen sogar am Kapitell zwei Blattkränze übereinander und
keine Voluten. Diese Blattkränze aber haben ihre nächsten Vorbilder an den
doppelten und mehrfachen Blattkränzen von Säulen und säulenartigen Schäften
aus Bronze, wie sie bei den Erzeugnissen vorarmenischer Kunst der Urartäer
die Regel sind, und zwar handelt es sich hier um Blätter im eigentlichen Sinne,
wahrscheinlich die immergrünen der Orange***).

Daß sich so in der ionischen Säule die verschiedensten Einflußsphären:
Ägypten, Syrien, Urartu, begegnen, ist bei einem so hochentwickelten Gebilde





*) R, C. Thompson: new clecipkerment ok tre Kittite KieroAl^pus",
Oxford 1913.'
*'
*) F. von Luschan: „Entstehung und Herkunft der ionischen Säule/ Der alte Orient
XIII (1912) Heft 4,
"**) C. F. Lehmann ° Haupt: „Zur Herkunft der ionischen Säule", Klio XII, S, 463
bis 484.
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[0316] Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen Im Gegensatz zur ägyptischen ist die babylonische Kultur für ihre Ver¬ breitung nach den: Westen großenteils auf den Landweg angewiesen. Hierbei kommen die Hetiter. die bei aller eigenen Bodenständigkeit stark von ihr be¬ einflußt gewesen sind, als Vermittler nach Westen ernstlich in Betracht. Leider sind die auf hednischen Boden verbreiteten.und höchstwahrscheinlich von den Hetitern herrührenden hieroglyphischen Inschriften noch nicht zum Reden gebracht. Ein neuer Versuch stützt sich auf eine in Karchemisch neuentdeckte, besonders umfangreiche Inschrift und sucht den Namen der Stadt und deren aus den assyrischen Inschriften bekanntesten Herrscher in bestimmten Gruppen, die als erster Schlüssel zur weiteren Entzifferung verwendet werden*). Durch solches Rat^n, freilich in etwas engeren Grenzen, ist dereinst die Keilschrift entziffert worden. Wünschen wir, daß sich der Ausgangspunkt als zutreffend erweise. Dann können anderweitige Mißgriffe allmählich ausgeschaltet werden, wie sich denn sicher nicht sämtliche Inschriften als Bündnisverträge erweisen werden. Die häufige Gruppe der beiden Männer mit gekreuzten Armen wird nicht aus eine Allianz zu deuten sein. Auch die Formensprache der Kunst bedarf nicht selten der Entzifferung. Ein Rätsel bildete bisher der Ursprung der ionischen Säule, dieses Gebilde, das, dem Auge so harmonisch, doch dem Verstände so widersinnig erscheint, weil man in den Voluten, die, wären sie nicht eben ans Stein, eher nach Fall und Auflösung zu streben scheinen, an und für sich schwerlich ein tragendes Prinzip erblicken würde. Erkennt man aber aus einem in Syrien gefundenen Monumente, daß das ursprüngliche Vorbild die Dattelpalme ist, deren Wipfel man profilartig nach rechts und links auseinanderbog, wodurch die Vorbilder der Voluten entstanden, so ist das Hauptproblem gelöst**). Ein weiteres Merkmal des ionischen Kapitells, das Eierstabkymation, ist sicher einem Blätterkränze nachgebildet. Die ältesten ionischen Tempel auf griechischem Boden zeigen sogar am Kapitell zwei Blattkränze übereinander und keine Voluten. Diese Blattkränze aber haben ihre nächsten Vorbilder an den doppelten und mehrfachen Blattkränzen von Säulen und säulenartigen Schäften aus Bronze, wie sie bei den Erzeugnissen vorarmenischer Kunst der Urartäer die Regel sind, und zwar handelt es sich hier um Blätter im eigentlichen Sinne, wahrscheinlich die immergrünen der Orange***). Daß sich so in der ionischen Säule die verschiedensten Einflußsphären: Ägypten, Syrien, Urartu, begegnen, ist bei einem so hochentwickelten Gebilde *) R, C. Thompson: new clecipkerment ok tre Kittite KieroAl^pus", Oxford 1913.' *' *) F. von Luschan: „Entstehung und Herkunft der ionischen Säule/ Der alte Orient XIII (1912) Heft 4, "**) C. F. Lehmann ° Haupt: „Zur Herkunft der ionischen Säule", Klio XII, S, 463 bis 484.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/316>, abgerufen am 11.05.2024.