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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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und die Bankettszene mit ihren fünf jammervollen Männlein als Festgästen
an dem ausgerechnet weißgedeckten Tisch mit den koketten silbernen Leuchterchen
und der Lady in Seide in dem weiten öden Bühnenraum, nach Fontanes
ironischer Schilderung, sich ausnahm, als ob eine kleine Judenfamilie ihren
Schabbes feierte. Die Berliner Aufführung der Shakespeareschen Lustspiele durch
die Truppe von Phelps hat vollends eingeschlagen: denn gerade in diesem
Punkte stak die deutsche Bühnendarstellung damals noch in den Kinderschuhen,
aus denen sie heute kaum erst recht herausgewachsen ist. Doch hat der Eigen¬
sinn der deutschen Theaterleute in der Praxis wenig Gebrauch von den: gemacht,
was sie hier hätten lernen können, die Meininger, die auch den heiteren
Shakespeare später so geschmackvoll inszenierten, ausgenommen. Die All¬
gemeinheit deutscher Regisseure kümmerte sich damals um Phelps genau so
wenig, wie annähernd ein halbes Jahrhundert später um Trees Komödien¬
inszenierungen, die im Gegensatz zu den tragischen Verzerrungen Shakespeares
in Berlin mit allem Recht so viel Anklang beim Publikum gefunden haben.

Ein Vergleich der Phelpsschen Bühne mit dem Königlichen Schauspielhaus
in Berlin fiel damals, trotzdem dieses über weit größere Mittel verfügte, in
den allermeisten Punkten zu ungunsten des letzteren aus. Man wußte hier die
überreichen Mittel an Geld, an Raum und an Kunstkräften noch wenig richtig
auszunutzen. Theodor Fontane, der Jahre hindurch Gelegenheit hatte, die in
ihren Vorbedingungen so ungleichen zwei Bühnen Berlins und Londons zu
vergleichen, bekennt bezüglich Sudlers Wells, nachdem er alles aufs Sorgsamste
gewogen und erwogen hat, daß "diese kleine Musterbühne in der Tat über
all das verfügte, was unsern Hostheatern im großen und ganzen fehlt, und
(noch wichtiger als das) daß sie denselben negativ überlegen sei durch Nicht-
besitz all der großen und kleinen Unausstehlichkeiten, die teils der Affektation
entsprießen, teils einem mangelnden Verständnis von dem, worauf es eigentlich
ankommt."

Phelps hat nach seinem deutschen Gastspiel noch etwa drei Jahre die
Direktion an Sadlers Wells weitergeführt und sie dann, seit 1862, gegen lang¬
jährige Gastspielreisen vertauscht. Viele Londoner Theater haben ihn als Star
begrüßt. Er hat bis zum Jahre 1873 gespielt und sein letztes Auftreten ist
vielleicht das einzige "dramatische" Geschehen in diesem ruhig dahinfließenden
Leben. Wäre Phelps ein minder echter Mensch gewesen, könnte man an einen
inszenierten Todesschauer denken. Er spielte 1878 am Royal Aquarium Theatre
wieder mal seinen Wölfen. Gleich nach Beginn der letzten großen Rede "I^Al-e>velI.
s lonZ karswöll to all my ^rsatnesg" überkam ihn eine Schwäche, und er
wurde fast ohnmächtig von der Szene getragen, die er nicht mehr betrat.
Wenige Monate darauf wurde Phelps im alten Highgate Cemetery zu Grabe
getragen. Ohne große Versprechungen im voraus zu machen, hatte Phelps an
Sadlers Wells in stetiger Arbeit dem englischen Volk zum erstenmale das ge¬
schenkt, was zuvor von vielen als eine Utopie bezeichnet worden war und


iLin englisches Nationaltheater

und die Bankettszene mit ihren fünf jammervollen Männlein als Festgästen
an dem ausgerechnet weißgedeckten Tisch mit den koketten silbernen Leuchterchen
und der Lady in Seide in dem weiten öden Bühnenraum, nach Fontanes
ironischer Schilderung, sich ausnahm, als ob eine kleine Judenfamilie ihren
Schabbes feierte. Die Berliner Aufführung der Shakespeareschen Lustspiele durch
die Truppe von Phelps hat vollends eingeschlagen: denn gerade in diesem
Punkte stak die deutsche Bühnendarstellung damals noch in den Kinderschuhen,
aus denen sie heute kaum erst recht herausgewachsen ist. Doch hat der Eigen¬
sinn der deutschen Theaterleute in der Praxis wenig Gebrauch von den: gemacht,
was sie hier hätten lernen können, die Meininger, die auch den heiteren
Shakespeare später so geschmackvoll inszenierten, ausgenommen. Die All¬
gemeinheit deutscher Regisseure kümmerte sich damals um Phelps genau so
wenig, wie annähernd ein halbes Jahrhundert später um Trees Komödien¬
inszenierungen, die im Gegensatz zu den tragischen Verzerrungen Shakespeares
in Berlin mit allem Recht so viel Anklang beim Publikum gefunden haben.

Ein Vergleich der Phelpsschen Bühne mit dem Königlichen Schauspielhaus
in Berlin fiel damals, trotzdem dieses über weit größere Mittel verfügte, in
den allermeisten Punkten zu ungunsten des letzteren aus. Man wußte hier die
überreichen Mittel an Geld, an Raum und an Kunstkräften noch wenig richtig
auszunutzen. Theodor Fontane, der Jahre hindurch Gelegenheit hatte, die in
ihren Vorbedingungen so ungleichen zwei Bühnen Berlins und Londons zu
vergleichen, bekennt bezüglich Sudlers Wells, nachdem er alles aufs Sorgsamste
gewogen und erwogen hat, daß „diese kleine Musterbühne in der Tat über
all das verfügte, was unsern Hostheatern im großen und ganzen fehlt, und
(noch wichtiger als das) daß sie denselben negativ überlegen sei durch Nicht-
besitz all der großen und kleinen Unausstehlichkeiten, die teils der Affektation
entsprießen, teils einem mangelnden Verständnis von dem, worauf es eigentlich
ankommt."

Phelps hat nach seinem deutschen Gastspiel noch etwa drei Jahre die
Direktion an Sadlers Wells weitergeführt und sie dann, seit 1862, gegen lang¬
jährige Gastspielreisen vertauscht. Viele Londoner Theater haben ihn als Star
begrüßt. Er hat bis zum Jahre 1873 gespielt und sein letztes Auftreten ist
vielleicht das einzige „dramatische" Geschehen in diesem ruhig dahinfließenden
Leben. Wäre Phelps ein minder echter Mensch gewesen, könnte man an einen
inszenierten Todesschauer denken. Er spielte 1878 am Royal Aquarium Theatre
wieder mal seinen Wölfen. Gleich nach Beginn der letzten großen Rede „I^Al-e>velI.
s lonZ karswöll to all my ^rsatnesg" überkam ihn eine Schwäche, und er
wurde fast ohnmächtig von der Szene getragen, die er nicht mehr betrat.
Wenige Monate darauf wurde Phelps im alten Highgate Cemetery zu Grabe
getragen. Ohne große Versprechungen im voraus zu machen, hatte Phelps an
Sadlers Wells in stetiger Arbeit dem englischen Volk zum erstenmale das ge¬
schenkt, was zuvor von vielen als eine Utopie bezeichnet worden war und


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[0042] iLin englisches Nationaltheater und die Bankettszene mit ihren fünf jammervollen Männlein als Festgästen an dem ausgerechnet weißgedeckten Tisch mit den koketten silbernen Leuchterchen und der Lady in Seide in dem weiten öden Bühnenraum, nach Fontanes ironischer Schilderung, sich ausnahm, als ob eine kleine Judenfamilie ihren Schabbes feierte. Die Berliner Aufführung der Shakespeareschen Lustspiele durch die Truppe von Phelps hat vollends eingeschlagen: denn gerade in diesem Punkte stak die deutsche Bühnendarstellung damals noch in den Kinderschuhen, aus denen sie heute kaum erst recht herausgewachsen ist. Doch hat der Eigen¬ sinn der deutschen Theaterleute in der Praxis wenig Gebrauch von den: gemacht, was sie hier hätten lernen können, die Meininger, die auch den heiteren Shakespeare später so geschmackvoll inszenierten, ausgenommen. Die All¬ gemeinheit deutscher Regisseure kümmerte sich damals um Phelps genau so wenig, wie annähernd ein halbes Jahrhundert später um Trees Komödien¬ inszenierungen, die im Gegensatz zu den tragischen Verzerrungen Shakespeares in Berlin mit allem Recht so viel Anklang beim Publikum gefunden haben. Ein Vergleich der Phelpsschen Bühne mit dem Königlichen Schauspielhaus in Berlin fiel damals, trotzdem dieses über weit größere Mittel verfügte, in den allermeisten Punkten zu ungunsten des letzteren aus. Man wußte hier die überreichen Mittel an Geld, an Raum und an Kunstkräften noch wenig richtig auszunutzen. Theodor Fontane, der Jahre hindurch Gelegenheit hatte, die in ihren Vorbedingungen so ungleichen zwei Bühnen Berlins und Londons zu vergleichen, bekennt bezüglich Sudlers Wells, nachdem er alles aufs Sorgsamste gewogen und erwogen hat, daß „diese kleine Musterbühne in der Tat über all das verfügte, was unsern Hostheatern im großen und ganzen fehlt, und (noch wichtiger als das) daß sie denselben negativ überlegen sei durch Nicht- besitz all der großen und kleinen Unausstehlichkeiten, die teils der Affektation entsprießen, teils einem mangelnden Verständnis von dem, worauf es eigentlich ankommt." Phelps hat nach seinem deutschen Gastspiel noch etwa drei Jahre die Direktion an Sadlers Wells weitergeführt und sie dann, seit 1862, gegen lang¬ jährige Gastspielreisen vertauscht. Viele Londoner Theater haben ihn als Star begrüßt. Er hat bis zum Jahre 1873 gespielt und sein letztes Auftreten ist vielleicht das einzige „dramatische" Geschehen in diesem ruhig dahinfließenden Leben. Wäre Phelps ein minder echter Mensch gewesen, könnte man an einen inszenierten Todesschauer denken. Er spielte 1878 am Royal Aquarium Theatre wieder mal seinen Wölfen. Gleich nach Beginn der letzten großen Rede „I^Al-e>velI. s lonZ karswöll to all my ^rsatnesg" überkam ihn eine Schwäche, und er wurde fast ohnmächtig von der Szene getragen, die er nicht mehr betrat. Wenige Monate darauf wurde Phelps im alten Highgate Cemetery zu Grabe getragen. Ohne große Versprechungen im voraus zu machen, hatte Phelps an Sadlers Wells in stetiger Arbeit dem englischen Volk zum erstenmale das ge¬ schenkt, was zuvor von vielen als eine Utopie bezeichnet worden war und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/42>, abgerufen am 19.05.2024.