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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin romantisches Brautpaar

schlängelnder Pfad am Berg hinan, Bronnen unter dem Baum, viele Dörfer
hier und dort an Berge gelehnt, an denen das Abendrot hinaufklimmt, und
alles vom Wind, von Sonn- und Mondlicht in Bewegung und Leben gesetzt..
Und da war ich so froh, wenn ich mich an einem hellen Tag so recht müde
geklettert hatte, immer noch höher, immer noch besser wollt ich sehen -- ob ich
wohl ferner im Leben noch diesen Eifer haben werde, immer noch höher zu
steigen, immer noch besser zu schauen und zu erkennen, was gut und schön ist?"

Während Arnim solche wunderherrlichen Briefe erhielt, wurde ihm die schwüle,
drückende Luft der politischen Lage in Berlin immer unerträglicher. Allgemein
hatte man damals das Gefühl, daß diese Hochspannung nicht lange mehr an¬
halten könne, daß sie sich vielmehr in einem kräftigen Gewitter entladen müsse.
Eine dunkle Wolkenwand baute sich bedrohlich im Westen immer höher auf,
einzelne Blitze kündigten bereits das Nahen des Unwetters an.

Um sich der dumpfen Atmosphäre der Politik zu entreißen, ergab sich
Arnim mit verdoppeltem Eifer seinen poetischen Plänen. Er gedachte das Dichterehe¬
paar Clemens und Sophie Brentano in Heidelberg aufzusuchen, in der Hoffnung,
wieder wie im Jahre vorher einige Wochen in harmonischer und fruchtbarer
Zusammenarbeit mit dem liebsten Freunde zu genießen. Das "Wunderhorn"
sollte fortgesetzt werden, eine Sammlung ihrer Gedichte mit Melodien von
Bettine und Luise Reichardt wollten sie unter dem Titel "Lieder der Lieder¬
brüder" herausgeben.

Wirklich reiste Arnim nach einem kurzen Aufenthalt auf seinem Gute
Wiepersdorf nach Halle, wo er ein paar frohe Tage auf dem Giebichenstein in
der Familie des Kapellmeisters Reichardt verlebte, dessen Tochter Luise ihm und
Brentano befreundet war und manche Gedichte von ihm und aus dem "Wunder¬
horn" komponiert hatte. Von dort aus richtete er am 12. Juli ein längeres
Schreiben an Bettine, ohne noch zu ahnen, daß am gleichen Tage der Rhein¬
bund geschlossen war. Er setzte seine Fahrt zunächst fort über Magdeburg,
Braunschweig, Wolfenbüttel, Hannover, Hildesheim nach Göttingen, überall kurze
Zeit Rast machend und die Bibliotheken nach Volksliedern durchforschend.

Schon in Hannover war ihm die schmerzliche Erkenntnis geworden, daß
er die Freunde am Main und Neckar in diesem Jahre wohl nicht sehen werde.
"In Hannover fiel es mir wie Schuppen von den Augen," schrieb er am
16. August 1806 aus Göttingen an Bettine. "Wahrscheinlich sind wir von
Frankreich aufgeopfert, es soll aber bei allen guten Geistern kein willig Opfertier
finden, die Armee ist voll Freude, unser Sand wirbelt vor Lust, daß er getränkt
wird, die Ernte ist reif, schneide sie, wer die Sichel führen kann. Was sollte
bestehen, was nicht die Kraft dazu hat! Fort mit uns, wenn wir nicht würdig
dieser stolzen Erde, sonst wollen wir uns aber anklammern und einbeißen an
dieses liebliche Eigentum, der Teufel will sich nicht mehr brauchen lassen mit
seinen Kräften, so muß er fallen! Ich spreche in so gutem Zutrauen, ich kann
uicht dafür, aber bewahren Sie es wie meine liebste Hoffnung im sicheren


Lin romantisches Brautpaar

schlängelnder Pfad am Berg hinan, Bronnen unter dem Baum, viele Dörfer
hier und dort an Berge gelehnt, an denen das Abendrot hinaufklimmt, und
alles vom Wind, von Sonn- und Mondlicht in Bewegung und Leben gesetzt..
Und da war ich so froh, wenn ich mich an einem hellen Tag so recht müde
geklettert hatte, immer noch höher, immer noch besser wollt ich sehen — ob ich
wohl ferner im Leben noch diesen Eifer haben werde, immer noch höher zu
steigen, immer noch besser zu schauen und zu erkennen, was gut und schön ist?"

Während Arnim solche wunderherrlichen Briefe erhielt, wurde ihm die schwüle,
drückende Luft der politischen Lage in Berlin immer unerträglicher. Allgemein
hatte man damals das Gefühl, daß diese Hochspannung nicht lange mehr an¬
halten könne, daß sie sich vielmehr in einem kräftigen Gewitter entladen müsse.
Eine dunkle Wolkenwand baute sich bedrohlich im Westen immer höher auf,
einzelne Blitze kündigten bereits das Nahen des Unwetters an.

Um sich der dumpfen Atmosphäre der Politik zu entreißen, ergab sich
Arnim mit verdoppeltem Eifer seinen poetischen Plänen. Er gedachte das Dichterehe¬
paar Clemens und Sophie Brentano in Heidelberg aufzusuchen, in der Hoffnung,
wieder wie im Jahre vorher einige Wochen in harmonischer und fruchtbarer
Zusammenarbeit mit dem liebsten Freunde zu genießen. Das „Wunderhorn"
sollte fortgesetzt werden, eine Sammlung ihrer Gedichte mit Melodien von
Bettine und Luise Reichardt wollten sie unter dem Titel „Lieder der Lieder¬
brüder" herausgeben.

Wirklich reiste Arnim nach einem kurzen Aufenthalt auf seinem Gute
Wiepersdorf nach Halle, wo er ein paar frohe Tage auf dem Giebichenstein in
der Familie des Kapellmeisters Reichardt verlebte, dessen Tochter Luise ihm und
Brentano befreundet war und manche Gedichte von ihm und aus dem „Wunder¬
horn" komponiert hatte. Von dort aus richtete er am 12. Juli ein längeres
Schreiben an Bettine, ohne noch zu ahnen, daß am gleichen Tage der Rhein¬
bund geschlossen war. Er setzte seine Fahrt zunächst fort über Magdeburg,
Braunschweig, Wolfenbüttel, Hannover, Hildesheim nach Göttingen, überall kurze
Zeit Rast machend und die Bibliotheken nach Volksliedern durchforschend.

Schon in Hannover war ihm die schmerzliche Erkenntnis geworden, daß
er die Freunde am Main und Neckar in diesem Jahre wohl nicht sehen werde.
„In Hannover fiel es mir wie Schuppen von den Augen," schrieb er am
16. August 1806 aus Göttingen an Bettine. „Wahrscheinlich sind wir von
Frankreich aufgeopfert, es soll aber bei allen guten Geistern kein willig Opfertier
finden, die Armee ist voll Freude, unser Sand wirbelt vor Lust, daß er getränkt
wird, die Ernte ist reif, schneide sie, wer die Sichel führen kann. Was sollte
bestehen, was nicht die Kraft dazu hat! Fort mit uns, wenn wir nicht würdig
dieser stolzen Erde, sonst wollen wir uns aber anklammern und einbeißen an
dieses liebliche Eigentum, der Teufel will sich nicht mehr brauchen lassen mit
seinen Kräften, so muß er fallen! Ich spreche in so gutem Zutrauen, ich kann
uicht dafür, aber bewahren Sie es wie meine liebste Hoffnung im sicheren


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[0431] Lin romantisches Brautpaar schlängelnder Pfad am Berg hinan, Bronnen unter dem Baum, viele Dörfer hier und dort an Berge gelehnt, an denen das Abendrot hinaufklimmt, und alles vom Wind, von Sonn- und Mondlicht in Bewegung und Leben gesetzt.. Und da war ich so froh, wenn ich mich an einem hellen Tag so recht müde geklettert hatte, immer noch höher, immer noch besser wollt ich sehen — ob ich wohl ferner im Leben noch diesen Eifer haben werde, immer noch höher zu steigen, immer noch besser zu schauen und zu erkennen, was gut und schön ist?" Während Arnim solche wunderherrlichen Briefe erhielt, wurde ihm die schwüle, drückende Luft der politischen Lage in Berlin immer unerträglicher. Allgemein hatte man damals das Gefühl, daß diese Hochspannung nicht lange mehr an¬ halten könne, daß sie sich vielmehr in einem kräftigen Gewitter entladen müsse. Eine dunkle Wolkenwand baute sich bedrohlich im Westen immer höher auf, einzelne Blitze kündigten bereits das Nahen des Unwetters an. Um sich der dumpfen Atmosphäre der Politik zu entreißen, ergab sich Arnim mit verdoppeltem Eifer seinen poetischen Plänen. Er gedachte das Dichterehe¬ paar Clemens und Sophie Brentano in Heidelberg aufzusuchen, in der Hoffnung, wieder wie im Jahre vorher einige Wochen in harmonischer und fruchtbarer Zusammenarbeit mit dem liebsten Freunde zu genießen. Das „Wunderhorn" sollte fortgesetzt werden, eine Sammlung ihrer Gedichte mit Melodien von Bettine und Luise Reichardt wollten sie unter dem Titel „Lieder der Lieder¬ brüder" herausgeben. Wirklich reiste Arnim nach einem kurzen Aufenthalt auf seinem Gute Wiepersdorf nach Halle, wo er ein paar frohe Tage auf dem Giebichenstein in der Familie des Kapellmeisters Reichardt verlebte, dessen Tochter Luise ihm und Brentano befreundet war und manche Gedichte von ihm und aus dem „Wunder¬ horn" komponiert hatte. Von dort aus richtete er am 12. Juli ein längeres Schreiben an Bettine, ohne noch zu ahnen, daß am gleichen Tage der Rhein¬ bund geschlossen war. Er setzte seine Fahrt zunächst fort über Magdeburg, Braunschweig, Wolfenbüttel, Hannover, Hildesheim nach Göttingen, überall kurze Zeit Rast machend und die Bibliotheken nach Volksliedern durchforschend. Schon in Hannover war ihm die schmerzliche Erkenntnis geworden, daß er die Freunde am Main und Neckar in diesem Jahre wohl nicht sehen werde. „In Hannover fiel es mir wie Schuppen von den Augen," schrieb er am 16. August 1806 aus Göttingen an Bettine. „Wahrscheinlich sind wir von Frankreich aufgeopfert, es soll aber bei allen guten Geistern kein willig Opfertier finden, die Armee ist voll Freude, unser Sand wirbelt vor Lust, daß er getränkt wird, die Ernte ist reif, schneide sie, wer die Sichel führen kann. Was sollte bestehen, was nicht die Kraft dazu hat! Fort mit uns, wenn wir nicht würdig dieser stolzen Erde, sonst wollen wir uns aber anklammern und einbeißen an dieses liebliche Eigentum, der Teufel will sich nicht mehr brauchen lassen mit seinen Kräften, so muß er fallen! Ich spreche in so gutem Zutrauen, ich kann uicht dafür, aber bewahren Sie es wie meine liebste Hoffnung im sicheren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/431>, abgerufen am 17.06.2024.