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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin romantisches Brautpaar

Herzen, es kann auch wohl alles schlecht und mittelmäßig werden, im Frieden
ist kein Heil mehr, im Kriege Verzweiflung."

"Im Frieden ist kein Heil mehr!" Mit diesen Worten ist die Stimmung
wiedergegeben, die damals ganz Preußen beherrschte. Es mußte zum Kriege
kommen -- mochte der enden, wie er wollte. Das Unwetter zog sich immer
mehr über Preußen zusammen; endlich brach der Krieg los. Ende September
erschienen Blüchersche Husaren in Göttingen auf dem Durchmärsche nach Thüringen.
In strömendem Regen richtete Blücher auf dem Marktplatze eine Ansprache an
seine Soldaten: "Kameraden! Habt ihr nicht dasselbe Mark in euern Knochen,
dasselbe Blut in euern Adern, dieselbe Entschlossenheit in eurem Sinne wie
eure Voreltern? Nun, beim Himmel, so haben wir auch dieselbe Macht, das¬
selbe Glück! Gute Tage und schlechte Tage bei Kommißbrot und Wasser tragt
mit gleich lustigem Sinn: seid freundlich jedem, der euch aufnimmt; gedenkt,
daß ihr auch Eltern und Verwandte zurückgelassen! Wehe dem, der das Unglück
des Krieges auf Unterlegene ausdehnt weiter, als es unvermeidlich lastet.
Dreierlei Unwesen ist wegen der Ehre unseres braven Regiments nicht zu dulden:
Diebe, Raisonneurs, Säufer! Drei ansteckende Seuchen, deren Berührung wir
von uns halten. Der Dieb löst jedes Vertrauen, der Raisonneur hat keins,
dem Säufer kann niemand vertrauen -- und ohne Vertrauen geschieht nichts!"

Arnim hatte, von jenem glühenden Patriotismus beseelt, der ihn sein Leben
lang auszeichnete, Volkslieder, Schillers Neiterlied, Luthers Trutzgesang "Eine
feste Burg ist unser Gott" in Eile als Kriegslieder für die preußischen Soldaten
umgedichtet und hastig auf fliegenden Blättern drucken lassen. So tat auch er
sein möglichstes, uni den Mut der Truppen zu entflammen.

Inzwischen war auch Bettine ein schweres Erlebnis nicht erspart geblieben:
ihre Freundin Karoline von Günderode hatte am 26, Juli 1806 in Winkel am Rhein
selbst ihrem Leben ein Ende gemacht. Was die Freundschaft mit dem zarten Stifts¬
fräulein, das eine begabte Dichterin war, für Bettine und ihre geistige Entwicklung
bedeutet hat, das können wir in dem Briefroman "Die Günderode" nachlesen;
Bettine selbst charakterisierte ihr Verhältnis einmal treffend: "Die Günderode
war mein Spiegel, an ihr ließ ich jeden Ton widerhallen und bezeichnete sie
mit meinen Empfindungen und Eindrücken."

Dem stillen Leben eines Gelehrten, das Arnim in der Erwartung der
kommenden Ereignisse führte, wurde plötzlich ein Ende bereitet durch die
Katastrophe von Jena und Auerstädt. Er sah die geliebte Königin Luise durch
Göttingen fliehen und wandte sich nun selbst nach Berlin. Aber auch hier
war der Aufenthalt für einen Patrioten unmöglich. So sah sich Arnim
gezwungen, nach Königsberg zu eilen, um dort mit der Kriegspartei für die Reform
und Rettung des Vaterlandes zu wirken. Aber diese in edlem Idealismus
unternommenen Arbeiten blieben, vorläufig wenigstens, erfolglos. Zu dieser
bittern Erfahrung gesellte sich für Arnim das Fehlschlagen der Hoffnung auf
ein Lebensglück, das er in der Liebe zu der ältesten Tochter des Kommerziell-


Lin romantisches Brautpaar

Herzen, es kann auch wohl alles schlecht und mittelmäßig werden, im Frieden
ist kein Heil mehr, im Kriege Verzweiflung."

„Im Frieden ist kein Heil mehr!" Mit diesen Worten ist die Stimmung
wiedergegeben, die damals ganz Preußen beherrschte. Es mußte zum Kriege
kommen — mochte der enden, wie er wollte. Das Unwetter zog sich immer
mehr über Preußen zusammen; endlich brach der Krieg los. Ende September
erschienen Blüchersche Husaren in Göttingen auf dem Durchmärsche nach Thüringen.
In strömendem Regen richtete Blücher auf dem Marktplatze eine Ansprache an
seine Soldaten: „Kameraden! Habt ihr nicht dasselbe Mark in euern Knochen,
dasselbe Blut in euern Adern, dieselbe Entschlossenheit in eurem Sinne wie
eure Voreltern? Nun, beim Himmel, so haben wir auch dieselbe Macht, das¬
selbe Glück! Gute Tage und schlechte Tage bei Kommißbrot und Wasser tragt
mit gleich lustigem Sinn: seid freundlich jedem, der euch aufnimmt; gedenkt,
daß ihr auch Eltern und Verwandte zurückgelassen! Wehe dem, der das Unglück
des Krieges auf Unterlegene ausdehnt weiter, als es unvermeidlich lastet.
Dreierlei Unwesen ist wegen der Ehre unseres braven Regiments nicht zu dulden:
Diebe, Raisonneurs, Säufer! Drei ansteckende Seuchen, deren Berührung wir
von uns halten. Der Dieb löst jedes Vertrauen, der Raisonneur hat keins,
dem Säufer kann niemand vertrauen — und ohne Vertrauen geschieht nichts!"

Arnim hatte, von jenem glühenden Patriotismus beseelt, der ihn sein Leben
lang auszeichnete, Volkslieder, Schillers Neiterlied, Luthers Trutzgesang „Eine
feste Burg ist unser Gott" in Eile als Kriegslieder für die preußischen Soldaten
umgedichtet und hastig auf fliegenden Blättern drucken lassen. So tat auch er
sein möglichstes, uni den Mut der Truppen zu entflammen.

Inzwischen war auch Bettine ein schweres Erlebnis nicht erspart geblieben:
ihre Freundin Karoline von Günderode hatte am 26, Juli 1806 in Winkel am Rhein
selbst ihrem Leben ein Ende gemacht. Was die Freundschaft mit dem zarten Stifts¬
fräulein, das eine begabte Dichterin war, für Bettine und ihre geistige Entwicklung
bedeutet hat, das können wir in dem Briefroman „Die Günderode" nachlesen;
Bettine selbst charakterisierte ihr Verhältnis einmal treffend: „Die Günderode
war mein Spiegel, an ihr ließ ich jeden Ton widerhallen und bezeichnete sie
mit meinen Empfindungen und Eindrücken."

Dem stillen Leben eines Gelehrten, das Arnim in der Erwartung der
kommenden Ereignisse führte, wurde plötzlich ein Ende bereitet durch die
Katastrophe von Jena und Auerstädt. Er sah die geliebte Königin Luise durch
Göttingen fliehen und wandte sich nun selbst nach Berlin. Aber auch hier
war der Aufenthalt für einen Patrioten unmöglich. So sah sich Arnim
gezwungen, nach Königsberg zu eilen, um dort mit der Kriegspartei für die Reform
und Rettung des Vaterlandes zu wirken. Aber diese in edlem Idealismus
unternommenen Arbeiten blieben, vorläufig wenigstens, erfolglos. Zu dieser
bittern Erfahrung gesellte sich für Arnim das Fehlschlagen der Hoffnung auf
ein Lebensglück, das er in der Liebe zu der ältesten Tochter des Kommerziell-


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[0432] Lin romantisches Brautpaar Herzen, es kann auch wohl alles schlecht und mittelmäßig werden, im Frieden ist kein Heil mehr, im Kriege Verzweiflung." „Im Frieden ist kein Heil mehr!" Mit diesen Worten ist die Stimmung wiedergegeben, die damals ganz Preußen beherrschte. Es mußte zum Kriege kommen — mochte der enden, wie er wollte. Das Unwetter zog sich immer mehr über Preußen zusammen; endlich brach der Krieg los. Ende September erschienen Blüchersche Husaren in Göttingen auf dem Durchmärsche nach Thüringen. In strömendem Regen richtete Blücher auf dem Marktplatze eine Ansprache an seine Soldaten: „Kameraden! Habt ihr nicht dasselbe Mark in euern Knochen, dasselbe Blut in euern Adern, dieselbe Entschlossenheit in eurem Sinne wie eure Voreltern? Nun, beim Himmel, so haben wir auch dieselbe Macht, das¬ selbe Glück! Gute Tage und schlechte Tage bei Kommißbrot und Wasser tragt mit gleich lustigem Sinn: seid freundlich jedem, der euch aufnimmt; gedenkt, daß ihr auch Eltern und Verwandte zurückgelassen! Wehe dem, der das Unglück des Krieges auf Unterlegene ausdehnt weiter, als es unvermeidlich lastet. Dreierlei Unwesen ist wegen der Ehre unseres braven Regiments nicht zu dulden: Diebe, Raisonneurs, Säufer! Drei ansteckende Seuchen, deren Berührung wir von uns halten. Der Dieb löst jedes Vertrauen, der Raisonneur hat keins, dem Säufer kann niemand vertrauen — und ohne Vertrauen geschieht nichts!" Arnim hatte, von jenem glühenden Patriotismus beseelt, der ihn sein Leben lang auszeichnete, Volkslieder, Schillers Neiterlied, Luthers Trutzgesang „Eine feste Burg ist unser Gott" in Eile als Kriegslieder für die preußischen Soldaten umgedichtet und hastig auf fliegenden Blättern drucken lassen. So tat auch er sein möglichstes, uni den Mut der Truppen zu entflammen. Inzwischen war auch Bettine ein schweres Erlebnis nicht erspart geblieben: ihre Freundin Karoline von Günderode hatte am 26, Juli 1806 in Winkel am Rhein selbst ihrem Leben ein Ende gemacht. Was die Freundschaft mit dem zarten Stifts¬ fräulein, das eine begabte Dichterin war, für Bettine und ihre geistige Entwicklung bedeutet hat, das können wir in dem Briefroman „Die Günderode" nachlesen; Bettine selbst charakterisierte ihr Verhältnis einmal treffend: „Die Günderode war mein Spiegel, an ihr ließ ich jeden Ton widerhallen und bezeichnete sie mit meinen Empfindungen und Eindrücken." Dem stillen Leben eines Gelehrten, das Arnim in der Erwartung der kommenden Ereignisse führte, wurde plötzlich ein Ende bereitet durch die Katastrophe von Jena und Auerstädt. Er sah die geliebte Königin Luise durch Göttingen fliehen und wandte sich nun selbst nach Berlin. Aber auch hier war der Aufenthalt für einen Patrioten unmöglich. So sah sich Arnim gezwungen, nach Königsberg zu eilen, um dort mit der Kriegspartei für die Reform und Rettung des Vaterlandes zu wirken. Aber diese in edlem Idealismus unternommenen Arbeiten blieben, vorläufig wenigstens, erfolglos. Zu dieser bittern Erfahrung gesellte sich für Arnim das Fehlschlagen der Hoffnung auf ein Lebensglück, das er in der Liebe zu der ältesten Tochter des Kommerziell-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/432>, abgerufen am 27.05.2024.