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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Thronvorzicht und Legitimismus

Das Ideal des Legitimismus besteht darin, daß die Frage, wer die höchste
Stelle im Staat einnehmen soll, soweit irgend möglich, allen menschlichen Ein¬
griffen entzogen bleibt, mit der einzigen Ausnahme, daß der Inhaber eines
Rechts lediglich für seine Person auf die Ausübung dieses Rechts verzichten
darf, worauf es von selbst auf seinen -- nicht willkürlich gewählten, sondern
zweifellos feststehenden -- Rechtsnachfolger übergeht. Also kann nach dieser
Anschauung ein König seine Würde nicht eigentlich auf seinen ältesten Sohn
übertragen. Er kann nur abdanken, und mit dem Augenblick, wo die Ab¬
dankung vollzogen ist, ist sein Sohn aus eigenem Recht König. Das erscheint
vielleicht als ein sehr spitzfindiger Unterschied, aber für jeden, der Rechtsbegriffe
genau festzustellen hat, ist es ein Unterschied. Es gibt eben -- immer die
legitimistische Denkweise vorausgesetzt -- kein Verfügungsrecht eines einzelnen,
auch nicht des Monarchen selbst, über die Rechte einer Dynastie; keinem mensch¬
lichen Willen, keiner geschichtlichen Gestaltung der Tatsachen wird die Berech¬
tigung zugestanden, ein angeblich auf göttlicher Fügung beruhendes Recht auf¬
zuheben.

Wenn das hier in aller Schärfe und Bestimmtheit als Kern der legiti-
mistischen Anschauungen hingestellt wird, so soll das natürlich nicht als eine
Verteidigung dieser Ansichten gelten; ich bin weit entfernt davon. Jeder mag
sie für so töricht und überspannt halten, wie er will; nur darf und kann er
nicht leugnen, daß sie vorhanden und nicht wegzuschaffen sind. Und über das
Vorhandene muß ein Politiker immer im klaren sein, auch wenn es ihm
unbequem ist. Er kann es bekämpfen, aber er darf nicht einen Zustand vor¬
aussetzen, der der Wirklichkeit nicht entspricht.

Bis zu einem gewissen Grade ist übrigens der Legitimismus die Grund¬
lage jeder erblichen Monarchie. Denn ihr Wesen ist es. daß die höchste Gewalt
im Staat aus eigenem Recht besteht und nicht den zufälligen Entscheidungen
eines menschlichen Willens unterworfen wird. Die Beschränkung dieses legiti-
mistischen Prinzips liegt nur darin, daß die modernen Verfassungen nicht mehr
gestatten, die höchste irdische Gewalt und die auf dynastischen Rechten beruhenden
Befugnisse der Souveränität schrankenlos über den Staat schalten zu lassen,
sondern daß sie diese höchste Gewalt in den Organismus des Staates ein¬
gefügt haben. Daraus folgt, daß die Schicksale des Staates auch die
dynastischen Rechte mit treffen können. Die Schicksale der Staaten und ihre
Beziehungen zueinander können aber nicht durch ein abstraktes Recht, mag man
es auch aus der erhabensten Quelle ableiten, bestimmt werden, sondern nur
durch das Machtprinzip. Alle Fragen, die zwischen verschiedenen Staaten so
oder so geregelt werden, sind lediglich Machtfragen. Es ist ja kein über¬
geordnetes Gesetz vorhanden, nach dem die Streitfragen geschlichtet werden,
sondern erst die jeweilige Machtverteilung schafft einen neuen Rechtszustand,
der als solcher durch eine in Rechtsform gekleidete Abmachung anerkannt wird.
Die Verträge sind also der Ausdruck der tatsächlichen Machtverteilung, wodurch


Thronvorzicht und Legitimismus

Das Ideal des Legitimismus besteht darin, daß die Frage, wer die höchste
Stelle im Staat einnehmen soll, soweit irgend möglich, allen menschlichen Ein¬
griffen entzogen bleibt, mit der einzigen Ausnahme, daß der Inhaber eines
Rechts lediglich für seine Person auf die Ausübung dieses Rechts verzichten
darf, worauf es von selbst auf seinen — nicht willkürlich gewählten, sondern
zweifellos feststehenden — Rechtsnachfolger übergeht. Also kann nach dieser
Anschauung ein König seine Würde nicht eigentlich auf seinen ältesten Sohn
übertragen. Er kann nur abdanken, und mit dem Augenblick, wo die Ab¬
dankung vollzogen ist, ist sein Sohn aus eigenem Recht König. Das erscheint
vielleicht als ein sehr spitzfindiger Unterschied, aber für jeden, der Rechtsbegriffe
genau festzustellen hat, ist es ein Unterschied. Es gibt eben — immer die
legitimistische Denkweise vorausgesetzt — kein Verfügungsrecht eines einzelnen,
auch nicht des Monarchen selbst, über die Rechte einer Dynastie; keinem mensch¬
lichen Willen, keiner geschichtlichen Gestaltung der Tatsachen wird die Berech¬
tigung zugestanden, ein angeblich auf göttlicher Fügung beruhendes Recht auf¬
zuheben.

Wenn das hier in aller Schärfe und Bestimmtheit als Kern der legiti-
mistischen Anschauungen hingestellt wird, so soll das natürlich nicht als eine
Verteidigung dieser Ansichten gelten; ich bin weit entfernt davon. Jeder mag
sie für so töricht und überspannt halten, wie er will; nur darf und kann er
nicht leugnen, daß sie vorhanden und nicht wegzuschaffen sind. Und über das
Vorhandene muß ein Politiker immer im klaren sein, auch wenn es ihm
unbequem ist. Er kann es bekämpfen, aber er darf nicht einen Zustand vor¬
aussetzen, der der Wirklichkeit nicht entspricht.

Bis zu einem gewissen Grade ist übrigens der Legitimismus die Grund¬
lage jeder erblichen Monarchie. Denn ihr Wesen ist es. daß die höchste Gewalt
im Staat aus eigenem Recht besteht und nicht den zufälligen Entscheidungen
eines menschlichen Willens unterworfen wird. Die Beschränkung dieses legiti-
mistischen Prinzips liegt nur darin, daß die modernen Verfassungen nicht mehr
gestatten, die höchste irdische Gewalt und die auf dynastischen Rechten beruhenden
Befugnisse der Souveränität schrankenlos über den Staat schalten zu lassen,
sondern daß sie diese höchste Gewalt in den Organismus des Staates ein¬
gefügt haben. Daraus folgt, daß die Schicksale des Staates auch die
dynastischen Rechte mit treffen können. Die Schicksale der Staaten und ihre
Beziehungen zueinander können aber nicht durch ein abstraktes Recht, mag man
es auch aus der erhabensten Quelle ableiten, bestimmt werden, sondern nur
durch das Machtprinzip. Alle Fragen, die zwischen verschiedenen Staaten so
oder so geregelt werden, sind lediglich Machtfragen. Es ist ja kein über¬
geordnetes Gesetz vorhanden, nach dem die Streitfragen geschlichtet werden,
sondern erst die jeweilige Machtverteilung schafft einen neuen Rechtszustand,
der als solcher durch eine in Rechtsform gekleidete Abmachung anerkannt wird.
Die Verträge sind also der Ausdruck der tatsächlichen Machtverteilung, wodurch


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[0446] Thronvorzicht und Legitimismus Das Ideal des Legitimismus besteht darin, daß die Frage, wer die höchste Stelle im Staat einnehmen soll, soweit irgend möglich, allen menschlichen Ein¬ griffen entzogen bleibt, mit der einzigen Ausnahme, daß der Inhaber eines Rechts lediglich für seine Person auf die Ausübung dieses Rechts verzichten darf, worauf es von selbst auf seinen — nicht willkürlich gewählten, sondern zweifellos feststehenden — Rechtsnachfolger übergeht. Also kann nach dieser Anschauung ein König seine Würde nicht eigentlich auf seinen ältesten Sohn übertragen. Er kann nur abdanken, und mit dem Augenblick, wo die Ab¬ dankung vollzogen ist, ist sein Sohn aus eigenem Recht König. Das erscheint vielleicht als ein sehr spitzfindiger Unterschied, aber für jeden, der Rechtsbegriffe genau festzustellen hat, ist es ein Unterschied. Es gibt eben — immer die legitimistische Denkweise vorausgesetzt — kein Verfügungsrecht eines einzelnen, auch nicht des Monarchen selbst, über die Rechte einer Dynastie; keinem mensch¬ lichen Willen, keiner geschichtlichen Gestaltung der Tatsachen wird die Berech¬ tigung zugestanden, ein angeblich auf göttlicher Fügung beruhendes Recht auf¬ zuheben. Wenn das hier in aller Schärfe und Bestimmtheit als Kern der legiti- mistischen Anschauungen hingestellt wird, so soll das natürlich nicht als eine Verteidigung dieser Ansichten gelten; ich bin weit entfernt davon. Jeder mag sie für so töricht und überspannt halten, wie er will; nur darf und kann er nicht leugnen, daß sie vorhanden und nicht wegzuschaffen sind. Und über das Vorhandene muß ein Politiker immer im klaren sein, auch wenn es ihm unbequem ist. Er kann es bekämpfen, aber er darf nicht einen Zustand vor¬ aussetzen, der der Wirklichkeit nicht entspricht. Bis zu einem gewissen Grade ist übrigens der Legitimismus die Grund¬ lage jeder erblichen Monarchie. Denn ihr Wesen ist es. daß die höchste Gewalt im Staat aus eigenem Recht besteht und nicht den zufälligen Entscheidungen eines menschlichen Willens unterworfen wird. Die Beschränkung dieses legiti- mistischen Prinzips liegt nur darin, daß die modernen Verfassungen nicht mehr gestatten, die höchste irdische Gewalt und die auf dynastischen Rechten beruhenden Befugnisse der Souveränität schrankenlos über den Staat schalten zu lassen, sondern daß sie diese höchste Gewalt in den Organismus des Staates ein¬ gefügt haben. Daraus folgt, daß die Schicksale des Staates auch die dynastischen Rechte mit treffen können. Die Schicksale der Staaten und ihre Beziehungen zueinander können aber nicht durch ein abstraktes Recht, mag man es auch aus der erhabensten Quelle ableiten, bestimmt werden, sondern nur durch das Machtprinzip. Alle Fragen, die zwischen verschiedenen Staaten so oder so geregelt werden, sind lediglich Machtfragen. Es ist ja kein über¬ geordnetes Gesetz vorhanden, nach dem die Streitfragen geschlichtet werden, sondern erst die jeweilige Machtverteilung schafft einen neuen Rechtszustand, der als solcher durch eine in Rechtsform gekleidete Abmachung anerkannt wird. Die Verträge sind also der Ausdruck der tatsächlichen Machtverteilung, wodurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/446>, abgerufen am 09.05.2024.