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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

reichte den Gläubigen zum Segen. Sollte nicht vielleicht dieser Gedanke sich
vergeistigt und verchrisMcht haben in unserer doppelt gestalteten Abendmahls¬
spende des Brotes und Weines? Das "Deutsche Wörterbuch" weist*) bereits
darauf hin, daß Luther das Pauluswort im 10. Kapitel des ersten Korinther-
briefes: wir sind Alle ein Brot und ein Trank, die teilhaftig sind eines Brotes
und Trankes, "im höchsten und ernstesten Sinne als Bild der innern Einigung
mit Christo" gebraucht habe, und Paulus stellt dort diesem Gedanken das
Opfer der Heiden gegenüber, die "der Teufel Kelch trinken und des Tisches der
Teufel teilhaftig sind".

In sichtbarem Zusammenhang mit dem Kampfe des Christentums gegen
das Heidentum steht auch die altenglische, nach I. Grimm und Müllenhoff alt-
germanische, von Rückert zu einem deutschen Epos umgewandelte Hornsage,
die vielfacher Bearbeitung in der englischen, deutschen und französischen Literatur
unterzogen ist, jüngst (1902) von O. Hartenstein in Holthausens Kieler Studien
zur englischen Philologie.

Hier erscheint das Wort Horn in der eigentümlichen Verwendung als Tauf¬
name, nämlich eines Sohnes des angelsächsischen Königs Aaluf von Suddene
in England. Nebenher kennt dieselbe Sage auch ein Horn als Trinkgefäß und
als Blasinstrument. Die einen suchen den Ursprung der Sage in England,
die andern am Gestade der Nordsee. Der Personenname Horn ist neben den
anderen Namen, die genannt werden, wie Aaluf, Figold, Athelbrus, Thurston,
Gothild, Rimnild u. a. jedenfalls ein recht auffälliger und weist, wenngleich er
in Altengland bräuchlich gewesen sein soll, wohl auf germanischen Ursprung
hin. Die drei ältesten Bearbeitungen (der Roman von Horn, das Gedicht von
King Horn und der Roman von Horn Child) werden in das zwölfte, dreizehnte
und vierzehnte Jahrhundert gesetzt, die Entstehung der Sage aber viel früher.
Ihr Inhalt ist, daß König Aaluf am Meeresstrand von den Insassin dort
lagernder Heidenschiffe getötet wird, und daß in deren Hände sein Land
fällt, bis dieses sein in die See gesetzter, von einem benachbarten König
aufgenommener und zu dessen Eidam gewordener Sohn Horn nach
Jahren zurückerobert. Dabei belone die Sage von Anfang an, daß kein
schöneres und kühneres Kind als dieses je zur Welt geboren war, und daß es
aufwuchs, überragend all seine Gesellen an Kraft und Mut. Es liegt die An¬
nahme nahe, daß die Eltern in Voraussicht dessen und um ihren Erstgeborenen
den Weg zu großen Taten zu ebnen, den Namen Horn wählten, in dem sich
nach der Ausfassung des Altertums das Heil der Welt verkörperte. Das war
auch wohl der Grund, weshalb bereits der älteste Roman von "King Horn"
sich besonders eingehend mit der Jugendzeit seines Helden befaßt. Der Roman
des vierzehnten Jahrhunderts (und in Übereinstimmung damit die Dichtung
Rückerts) sind das "Kind Horn" tituliert, sie haben also nicht mehr den King



*) Unter dem Worte "Kuchen".
Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

reichte den Gläubigen zum Segen. Sollte nicht vielleicht dieser Gedanke sich
vergeistigt und verchrisMcht haben in unserer doppelt gestalteten Abendmahls¬
spende des Brotes und Weines? Das „Deutsche Wörterbuch" weist*) bereits
darauf hin, daß Luther das Pauluswort im 10. Kapitel des ersten Korinther-
briefes: wir sind Alle ein Brot und ein Trank, die teilhaftig sind eines Brotes
und Trankes, „im höchsten und ernstesten Sinne als Bild der innern Einigung
mit Christo" gebraucht habe, und Paulus stellt dort diesem Gedanken das
Opfer der Heiden gegenüber, die „der Teufel Kelch trinken und des Tisches der
Teufel teilhaftig sind".

In sichtbarem Zusammenhang mit dem Kampfe des Christentums gegen
das Heidentum steht auch die altenglische, nach I. Grimm und Müllenhoff alt-
germanische, von Rückert zu einem deutschen Epos umgewandelte Hornsage,
die vielfacher Bearbeitung in der englischen, deutschen und französischen Literatur
unterzogen ist, jüngst (1902) von O. Hartenstein in Holthausens Kieler Studien
zur englischen Philologie.

Hier erscheint das Wort Horn in der eigentümlichen Verwendung als Tauf¬
name, nämlich eines Sohnes des angelsächsischen Königs Aaluf von Suddene
in England. Nebenher kennt dieselbe Sage auch ein Horn als Trinkgefäß und
als Blasinstrument. Die einen suchen den Ursprung der Sage in England,
die andern am Gestade der Nordsee. Der Personenname Horn ist neben den
anderen Namen, die genannt werden, wie Aaluf, Figold, Athelbrus, Thurston,
Gothild, Rimnild u. a. jedenfalls ein recht auffälliger und weist, wenngleich er
in Altengland bräuchlich gewesen sein soll, wohl auf germanischen Ursprung
hin. Die drei ältesten Bearbeitungen (der Roman von Horn, das Gedicht von
King Horn und der Roman von Horn Child) werden in das zwölfte, dreizehnte
und vierzehnte Jahrhundert gesetzt, die Entstehung der Sage aber viel früher.
Ihr Inhalt ist, daß König Aaluf am Meeresstrand von den Insassin dort
lagernder Heidenschiffe getötet wird, und daß in deren Hände sein Land
fällt, bis dieses sein in die See gesetzter, von einem benachbarten König
aufgenommener und zu dessen Eidam gewordener Sohn Horn nach
Jahren zurückerobert. Dabei belone die Sage von Anfang an, daß kein
schöneres und kühneres Kind als dieses je zur Welt geboren war, und daß es
aufwuchs, überragend all seine Gesellen an Kraft und Mut. Es liegt die An¬
nahme nahe, daß die Eltern in Voraussicht dessen und um ihren Erstgeborenen
den Weg zu großen Taten zu ebnen, den Namen Horn wählten, in dem sich
nach der Ausfassung des Altertums das Heil der Welt verkörperte. Das war
auch wohl der Grund, weshalb bereits der älteste Roman von „King Horn"
sich besonders eingehend mit der Jugendzeit seines Helden befaßt. Der Roman
des vierzehnten Jahrhunderts (und in Übereinstimmung damit die Dichtung
Rückerts) sind das „Kind Horn" tituliert, sie haben also nicht mehr den King



*) Unter dem Worte »Kuchen".
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[0456] Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie reichte den Gläubigen zum Segen. Sollte nicht vielleicht dieser Gedanke sich vergeistigt und verchrisMcht haben in unserer doppelt gestalteten Abendmahls¬ spende des Brotes und Weines? Das „Deutsche Wörterbuch" weist*) bereits darauf hin, daß Luther das Pauluswort im 10. Kapitel des ersten Korinther- briefes: wir sind Alle ein Brot und ein Trank, die teilhaftig sind eines Brotes und Trankes, „im höchsten und ernstesten Sinne als Bild der innern Einigung mit Christo" gebraucht habe, und Paulus stellt dort diesem Gedanken das Opfer der Heiden gegenüber, die „der Teufel Kelch trinken und des Tisches der Teufel teilhaftig sind". In sichtbarem Zusammenhang mit dem Kampfe des Christentums gegen das Heidentum steht auch die altenglische, nach I. Grimm und Müllenhoff alt- germanische, von Rückert zu einem deutschen Epos umgewandelte Hornsage, die vielfacher Bearbeitung in der englischen, deutschen und französischen Literatur unterzogen ist, jüngst (1902) von O. Hartenstein in Holthausens Kieler Studien zur englischen Philologie. Hier erscheint das Wort Horn in der eigentümlichen Verwendung als Tauf¬ name, nämlich eines Sohnes des angelsächsischen Königs Aaluf von Suddene in England. Nebenher kennt dieselbe Sage auch ein Horn als Trinkgefäß und als Blasinstrument. Die einen suchen den Ursprung der Sage in England, die andern am Gestade der Nordsee. Der Personenname Horn ist neben den anderen Namen, die genannt werden, wie Aaluf, Figold, Athelbrus, Thurston, Gothild, Rimnild u. a. jedenfalls ein recht auffälliger und weist, wenngleich er in Altengland bräuchlich gewesen sein soll, wohl auf germanischen Ursprung hin. Die drei ältesten Bearbeitungen (der Roman von Horn, das Gedicht von King Horn und der Roman von Horn Child) werden in das zwölfte, dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert gesetzt, die Entstehung der Sage aber viel früher. Ihr Inhalt ist, daß König Aaluf am Meeresstrand von den Insassin dort lagernder Heidenschiffe getötet wird, und daß in deren Hände sein Land fällt, bis dieses sein in die See gesetzter, von einem benachbarten König aufgenommener und zu dessen Eidam gewordener Sohn Horn nach Jahren zurückerobert. Dabei belone die Sage von Anfang an, daß kein schöneres und kühneres Kind als dieses je zur Welt geboren war, und daß es aufwuchs, überragend all seine Gesellen an Kraft und Mut. Es liegt die An¬ nahme nahe, daß die Eltern in Voraussicht dessen und um ihren Erstgeborenen den Weg zu großen Taten zu ebnen, den Namen Horn wählten, in dem sich nach der Ausfassung des Altertums das Heil der Welt verkörperte. Das war auch wohl der Grund, weshalb bereits der älteste Roman von „King Horn" sich besonders eingehend mit der Jugendzeit seines Helden befaßt. Der Roman des vierzehnten Jahrhunderts (und in Übereinstimmung damit die Dichtung Rückerts) sind das „Kind Horn" tituliert, sie haben also nicht mehr den King *) Unter dem Worte »Kuchen".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/456>, abgerufen am 06.06.2024.