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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

Horn in den Vordergrund gestellt. Eine Erklärung, was der Name Horn be¬
deute, haben die Interpreten der Hornsage kaum versucht. Nur die 1874 in
Rostock veröffentlichte Dissertation C. Thiems, "das altenglische Gedicht King
Horn", findet den Grund der Wahl des Taufnamens Horn in der, wie wir
in Heft 47 sahen, weitest verbreiteten orientalischen Mythe vom zweihörnigen sieg¬
reichen Kriegshelden. Kaum viel später als der Pseudo-Kallisthenes und der
Koran davon handelte, erwuchs dem König Aaluf sein Thronerbe Horn. AIs
dieser die Ringmel freite und sie ihm beim Hochzeitsmahle den Trunk aus
einem Becher bot, verlangte er den Trun! aus einem Horne*). Großes Ge¬
mäß ziemte sich, wenn Horn Hochzeit hält, wie es sich tausend Jahre später ziemte,
als der Kurfürst von Brandenburg und sein Baumeister sich zutranken nach
vollendeten Schloßbau (Seite 443). Alles, was der Wunderkraft des Hornes
zugeschrieben wurde, schien dem Glücklichen zu winken, der auf den Namen
Horn getauft wurde.

Und doch blieb dem Horne von einst solch hoher Bedeutung später nicht
erspart, sich gefallen lassen zu müssen, als möglichst energisches Scheltwort zu
dienen. Für Bayern bezeugt das (1872) Schmellers bayerisches Wörterbuch.
Es will die Redensart: "du bist ein rechts Horn", von "einer jungen
unerfahrenen Person anderen Geschlechts", die sich "eigensinnig" benimmt, ver¬
standen wissen. Doch wird diese Redensart wohl allgemein auf jede Person
bezogen werden dürfen, der man eine besondere Hartköpfigkeit vorwerfen will,
mag der Grund dafür in ihrem Eigensinn oder in ihrer Dummheit liegen.
Horn als Scheltwort bezweckt nur das Nämliche zum Ausdruck zu bringen, was sich
oben (Heft 45 S. 251) über den Gebrauch des Wortes "Erz" als Vorsilbe ergab.
Letzteres Wort für sich allein ist bislang noch nicht zum Scheltwort degradiert.
Wer "du Erz" genannt wird, kann deshalb schwerlich wegen Beleidigung
klagen. Wer "du Horn" genannt wird, versteht aber, selbst wenn er nicht zu
den hellsten Köpfen gehört, daß man ihn eigentlich "du Hornvieh" oder "du
Hornochse" nennen wollte, und er versteht das nicht bloß in Bayern, sondern
auch außerhalb. Der Engländer und der Amerikaner beschränkt sich eigentümlicher¬
weise darauf,.das Wort Korn nur in Verbindung mit dem Eigenschaftswort
xreen als einen beleidigenden Ausdruck zu verwenden. Für ihn ist ein Areen-
Korn ein dummer ungeratener Junge. Und das fängt auch an sich nach
Deutschland zu verpflanzen; denn kürzlich erzählte im illustrierten Teile deS
Berliner "Tag" ein bekannter Berichterstatter von der Zeit, wo er vor zwanzig
Jahren "als Grünhorn nach Amerika kam".

(Fortsetzung folgt)





") Hartenstein a. a. O. S. 127: come speiend Korn ki englis latimis.
Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

Horn in den Vordergrund gestellt. Eine Erklärung, was der Name Horn be¬
deute, haben die Interpreten der Hornsage kaum versucht. Nur die 1874 in
Rostock veröffentlichte Dissertation C. Thiems, „das altenglische Gedicht King
Horn", findet den Grund der Wahl des Taufnamens Horn in der, wie wir
in Heft 47 sahen, weitest verbreiteten orientalischen Mythe vom zweihörnigen sieg¬
reichen Kriegshelden. Kaum viel später als der Pseudo-Kallisthenes und der
Koran davon handelte, erwuchs dem König Aaluf sein Thronerbe Horn. AIs
dieser die Ringmel freite und sie ihm beim Hochzeitsmahle den Trunk aus
einem Becher bot, verlangte er den Trun! aus einem Horne*). Großes Ge¬
mäß ziemte sich, wenn Horn Hochzeit hält, wie es sich tausend Jahre später ziemte,
als der Kurfürst von Brandenburg und sein Baumeister sich zutranken nach
vollendeten Schloßbau (Seite 443). Alles, was der Wunderkraft des Hornes
zugeschrieben wurde, schien dem Glücklichen zu winken, der auf den Namen
Horn getauft wurde.

Und doch blieb dem Horne von einst solch hoher Bedeutung später nicht
erspart, sich gefallen lassen zu müssen, als möglichst energisches Scheltwort zu
dienen. Für Bayern bezeugt das (1872) Schmellers bayerisches Wörterbuch.
Es will die Redensart: „du bist ein rechts Horn", von „einer jungen
unerfahrenen Person anderen Geschlechts", die sich „eigensinnig" benimmt, ver¬
standen wissen. Doch wird diese Redensart wohl allgemein auf jede Person
bezogen werden dürfen, der man eine besondere Hartköpfigkeit vorwerfen will,
mag der Grund dafür in ihrem Eigensinn oder in ihrer Dummheit liegen.
Horn als Scheltwort bezweckt nur das Nämliche zum Ausdruck zu bringen, was sich
oben (Heft 45 S. 251) über den Gebrauch des Wortes „Erz" als Vorsilbe ergab.
Letzteres Wort für sich allein ist bislang noch nicht zum Scheltwort degradiert.
Wer „du Erz" genannt wird, kann deshalb schwerlich wegen Beleidigung
klagen. Wer „du Horn" genannt wird, versteht aber, selbst wenn er nicht zu
den hellsten Köpfen gehört, daß man ihn eigentlich „du Hornvieh" oder „du
Hornochse" nennen wollte, und er versteht das nicht bloß in Bayern, sondern
auch außerhalb. Der Engländer und der Amerikaner beschränkt sich eigentümlicher¬
weise darauf,.das Wort Korn nur in Verbindung mit dem Eigenschaftswort
xreen als einen beleidigenden Ausdruck zu verwenden. Für ihn ist ein Areen-
Korn ein dummer ungeratener Junge. Und das fängt auch an sich nach
Deutschland zu verpflanzen; denn kürzlich erzählte im illustrierten Teile deS
Berliner „Tag" ein bekannter Berichterstatter von der Zeit, wo er vor zwanzig
Jahren „als Grünhorn nach Amerika kam".

(Fortsetzung folgt)





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[0457] Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie Horn in den Vordergrund gestellt. Eine Erklärung, was der Name Horn be¬ deute, haben die Interpreten der Hornsage kaum versucht. Nur die 1874 in Rostock veröffentlichte Dissertation C. Thiems, „das altenglische Gedicht King Horn", findet den Grund der Wahl des Taufnamens Horn in der, wie wir in Heft 47 sahen, weitest verbreiteten orientalischen Mythe vom zweihörnigen sieg¬ reichen Kriegshelden. Kaum viel später als der Pseudo-Kallisthenes und der Koran davon handelte, erwuchs dem König Aaluf sein Thronerbe Horn. AIs dieser die Ringmel freite und sie ihm beim Hochzeitsmahle den Trunk aus einem Becher bot, verlangte er den Trun! aus einem Horne*). Großes Ge¬ mäß ziemte sich, wenn Horn Hochzeit hält, wie es sich tausend Jahre später ziemte, als der Kurfürst von Brandenburg und sein Baumeister sich zutranken nach vollendeten Schloßbau (Seite 443). Alles, was der Wunderkraft des Hornes zugeschrieben wurde, schien dem Glücklichen zu winken, der auf den Namen Horn getauft wurde. Und doch blieb dem Horne von einst solch hoher Bedeutung später nicht erspart, sich gefallen lassen zu müssen, als möglichst energisches Scheltwort zu dienen. Für Bayern bezeugt das (1872) Schmellers bayerisches Wörterbuch. Es will die Redensart: „du bist ein rechts Horn", von „einer jungen unerfahrenen Person anderen Geschlechts", die sich „eigensinnig" benimmt, ver¬ standen wissen. Doch wird diese Redensart wohl allgemein auf jede Person bezogen werden dürfen, der man eine besondere Hartköpfigkeit vorwerfen will, mag der Grund dafür in ihrem Eigensinn oder in ihrer Dummheit liegen. Horn als Scheltwort bezweckt nur das Nämliche zum Ausdruck zu bringen, was sich oben (Heft 45 S. 251) über den Gebrauch des Wortes „Erz" als Vorsilbe ergab. Letzteres Wort für sich allein ist bislang noch nicht zum Scheltwort degradiert. Wer „du Erz" genannt wird, kann deshalb schwerlich wegen Beleidigung klagen. Wer „du Horn" genannt wird, versteht aber, selbst wenn er nicht zu den hellsten Köpfen gehört, daß man ihn eigentlich „du Hornvieh" oder „du Hornochse" nennen wollte, und er versteht das nicht bloß in Bayern, sondern auch außerhalb. Der Engländer und der Amerikaner beschränkt sich eigentümlicher¬ weise darauf,.das Wort Korn nur in Verbindung mit dem Eigenschaftswort xreen als einen beleidigenden Ausdruck zu verwenden. Für ihn ist ein Areen- Korn ein dummer ungeratener Junge. Und das fängt auch an sich nach Deutschland zu verpflanzen; denn kürzlich erzählte im illustrierten Teile deS Berliner „Tag" ein bekannter Berichterstatter von der Zeit, wo er vor zwanzig Jahren „als Grünhorn nach Amerika kam". (Fortsetzung folgt) ") Hartenstein a. a. O. S. 127: come speiend Korn ki englis latimis.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/457>, abgerufen am 12.05.2024.