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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elchjagd

der schärfsten Anspannung aller Sinne regelmäßig der Länge nach hin, wenn
ein Fehltritt uns ins Wanken brachte, oder ein umgestürzter Baum, von den
ungeübten Augen im pechschwarzen Waldesdunkel nicht bemerkt, ein Hindernis
bot. Da vermochten die elektrischen Taschenlampen nicht viel zu bessern; sie
hatten nur das Gute, daß sie die nächtliche Szenerie mit wundervoll grotesken
Schatten und gespenstischen Lichtern belebten. Sogar die Sensation eines un¬
freiwilligen Bades in einem kleinen Wassertümpel -- der morsche Stamm, auf
dem wir ihn überkletterten, brach unter der allzugroßen Belastung -- blieb uns
nicht erspart, wobei allerdings die Waldleute unser Schicksal teilten. Wir stießen
ein indianisches Freudengeheul aus, als wir endlich die Lichter des Gutes auf¬
tauchen sahen.

Beim Abendessen erst erfuhr ich von Vinquist, welche Bewandtnis es mit
seinem Schuß gehabt hatte. Mit der dem Jäger in solchen Dingen eigentüm¬
lichen Gründlichkeit berichtete er über die Erlebnisse seiner Separatexpedition.
Aus fünfzig Meter Entfernung hatte er auf einen riesigen Elch angelegt, offenbar
den nämlichen, der sich beinahe meiner Kugel ausgesetzt hatte. Das grausame
Blei im Hinterblatt, war das Tier gestürzt, aber sofort wieder aufgesprungen
und den Augen der Verfolger entschwunden; alle Bemühungen, den Flüchtigen
nochmals vor Schuß zu bekommen, blieben fruchtlos. Mit tiefem Schmerz er-
füllte Vinquist der Gedanke, daß das edle Wild vielleicht jetzt draußen im
Dickicht in stundenlangen: Leiden jämmerlich verblutete. Doch wurden wir einige
Tage später dieser Sorge enthoben durch die Nachricht, drunten bei Hangö sei
noch am Abend unseres ersten Jagdtages ein bereits angeschossenes starkes Elen¬
tier erlegt worden.

Totmüde streckten wir uns auf die harte Lagerstatt. In der Nacht gab es
em jähes Aufschrecken aus dem Schlaf. Ein sonderbares Gröhlen unter dem
Fenster meiner Kammer war die Ursache. -- Sieh da. Numinnen, der Bieder¬
mann aus Karelen, bringt mir ein Ständchen! -- An den Schnabelschuhen
erkannte ich ihn. Er lag im Mondlicht auf der Erde und sang. -- Aha, ein
russisches Kneipenliedl -- "I^ublju ja xvotku, pivvo. I<va8" -- "Ich liebe
Wotka, Bier und Kwas." Es fiel mir nicht schwer, ihm das zu glauben . . .
Durch einen Wasserguß zum Fenster hinaus brachte ich ihn zur Raison.

Bei unserem Aufbruch am nächsten Tage blinkten hoch droben noch die
Sterne, um aber bald zu verblassen und ins Nichts zurückzutreten. Mit neuem
Mut zogen wir in den frischen Morgen hinaus. Aber auch an diesem Tage
sollte uns kein Jagderfolg beschieden sein. Wohl trafen wir zwei Elchkühe an,
doch ließ sich kein jagdbares Männchen blicken. Am Nachmittag gaben wir
das nutzlose Suchen auf. Und da mit diesem Abend die Elchwoche zur Neige
ging, blieb uns nichts anderes übrig, als dem Gedanken an Elchgeweihe und
selbsterlegte Elchschinken für dieses Mal zu entsagen und, nach Verabschiedung
von unserem Jagdpersonal, die Reise über Otalampi nach Helsingfors anzutreten.




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Elchjagd

der schärfsten Anspannung aller Sinne regelmäßig der Länge nach hin, wenn
ein Fehltritt uns ins Wanken brachte, oder ein umgestürzter Baum, von den
ungeübten Augen im pechschwarzen Waldesdunkel nicht bemerkt, ein Hindernis
bot. Da vermochten die elektrischen Taschenlampen nicht viel zu bessern; sie
hatten nur das Gute, daß sie die nächtliche Szenerie mit wundervoll grotesken
Schatten und gespenstischen Lichtern belebten. Sogar die Sensation eines un¬
freiwilligen Bades in einem kleinen Wassertümpel — der morsche Stamm, auf
dem wir ihn überkletterten, brach unter der allzugroßen Belastung — blieb uns
nicht erspart, wobei allerdings die Waldleute unser Schicksal teilten. Wir stießen
ein indianisches Freudengeheul aus, als wir endlich die Lichter des Gutes auf¬
tauchen sahen.

Beim Abendessen erst erfuhr ich von Vinquist, welche Bewandtnis es mit
seinem Schuß gehabt hatte. Mit der dem Jäger in solchen Dingen eigentüm¬
lichen Gründlichkeit berichtete er über die Erlebnisse seiner Separatexpedition.
Aus fünfzig Meter Entfernung hatte er auf einen riesigen Elch angelegt, offenbar
den nämlichen, der sich beinahe meiner Kugel ausgesetzt hatte. Das grausame
Blei im Hinterblatt, war das Tier gestürzt, aber sofort wieder aufgesprungen
und den Augen der Verfolger entschwunden; alle Bemühungen, den Flüchtigen
nochmals vor Schuß zu bekommen, blieben fruchtlos. Mit tiefem Schmerz er-
füllte Vinquist der Gedanke, daß das edle Wild vielleicht jetzt draußen im
Dickicht in stundenlangen: Leiden jämmerlich verblutete. Doch wurden wir einige
Tage später dieser Sorge enthoben durch die Nachricht, drunten bei Hangö sei
noch am Abend unseres ersten Jagdtages ein bereits angeschossenes starkes Elen¬
tier erlegt worden.

Totmüde streckten wir uns auf die harte Lagerstatt. In der Nacht gab es
em jähes Aufschrecken aus dem Schlaf. Ein sonderbares Gröhlen unter dem
Fenster meiner Kammer war die Ursache. — Sieh da. Numinnen, der Bieder¬
mann aus Karelen, bringt mir ein Ständchen! — An den Schnabelschuhen
erkannte ich ihn. Er lag im Mondlicht auf der Erde und sang. — Aha, ein
russisches Kneipenliedl — „I^ublju ja xvotku, pivvo. I<va8" — „Ich liebe
Wotka, Bier und Kwas." Es fiel mir nicht schwer, ihm das zu glauben . . .
Durch einen Wasserguß zum Fenster hinaus brachte ich ihn zur Raison.

Bei unserem Aufbruch am nächsten Tage blinkten hoch droben noch die
Sterne, um aber bald zu verblassen und ins Nichts zurückzutreten. Mit neuem
Mut zogen wir in den frischen Morgen hinaus. Aber auch an diesem Tage
sollte uns kein Jagderfolg beschieden sein. Wohl trafen wir zwei Elchkühe an,
doch ließ sich kein jagdbares Männchen blicken. Am Nachmittag gaben wir
das nutzlose Suchen auf. Und da mit diesem Abend die Elchwoche zur Neige
ging, blieb uns nichts anderes übrig, als dem Gedanken an Elchgeweihe und
selbsterlegte Elchschinken für dieses Mal zu entsagen und, nach Verabschiedung
von unserem Jagdpersonal, die Reise über Otalampi nach Helsingfors anzutreten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/479>, abgerufen am 11.05.2024.