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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Llchjagd

hornträger seitwärts, wir anderen geradeaus. Hastig instruiert Vinquist noch
meine Leute, daß sie sich so gut als möglich durch Zeichen mit mir verständigen
müssen. Dann vorwärts; und in einer Art schwerfälligem Laufschritt geht es
durch das aufspritzende Wasser. Das Glück scheint mir hold: näher und näher
rückt das Gekläff; im Kreise zieht es sich um das Moor herum, so daß wir nur
eine kleine Schwenkung nach links zu machen brauchen, um gerade in die mut¬
maßliche Fluchtlinie des Wildes zu kommen. Wir erklettern festen Boden,
gelangen auf eine Lichtung -- nichts kann mir erwünschter sein als solch ein
freies Schußfeld --, und immer noch nähert sich die wilde Jagd: langgezogener,
singender Anschlag der Hunde, heftiges Rascheln im Unterholz und ein Knacken
von Zweigen wie Geräusch von fernen Schüssen. Ich spanne die Hähne, fasse
hinter einer Kiefer Posten -- wir stehen mit verhaltenem Atem und klopfendem
Herzen. . . . Jetzt wird der Elch dort aus dem Birkengehölz hervorbrechen --
wir hören schon des gewaltigen Tieres dröhnenden Galopp, hören sein Schnaufen
und zorniges Fauchen, hören aus unmittelbarer Nähe das helle Gekläff des
Verfolgers -- jetzt -- im nächsten Augenblick muß er auftauchen I Da ver¬
stummt plötzlich das Lärmen der wilden Jagd -- eine sekundenlange Stille --
dann ein Geprassel im dichten Unterholz, und -- trapp, trapp, trapp -- ent¬
fernt sich in rasendem Tempo der dröhnende Schritt des Waldriesen, entfernt
sich das Schnaufen und Rascheln und Zweigeknacken, entfernt sich der
Laut des Hundes, um mit einem weinerlichen Jaulen: Fährte verloren!
ganz zu ersterben. Welch unerhörtes Jägerpech! Kehrt gemacht hat der Elch
im letzten Augenblick, ohne daß wir ihn zu Gesicht bekamen! Da mußten ein
paar deutsche Kraftworte explodieren. Es ging nicht anders. Die beiden Kerle
verstanden mich und taten es mir auf finnisch nach.

Wie wir über den Ärger hinwegkamen? Es gibt da oben ein merkwürdiges
Getränk, auf schwedisch "Zuk-l taran" -- die gelbe Gefahr -- genannt, ein
teuflisches Gemisch von allerlei starken Säften. Genug davon. . . . Auf einem
Rasenfleck gelagert, harrten wir eines Lebenszeichens vom anderen
Trupp und vertrieben uns durch Essen und Rauchen die Zeit. Schon nach
wenigen Minuten ließ ein Schuß uns gespannt von unseren grünen Sitzen
auffahren. Doch da nichts weiteres erfolgte -- wir hatten als Signal zur
Anzeige eines Wirkungstreffers drei schnelle Revolverschüsse vereinbart --,
konnten weder Neid noch Freude in uns Raum gewinnen.

Es dunkelte bereits, als unsere Gesellschaft sich wieder zusammenfand. Und
dann begann der unangenehmste Teil dieses erfolglosen Jagdtages, der drei¬
stündige nächtliche Marsch nach sorti. Ich bewundere heute noch den Scharfsinn
unserer Führer, die querwaldein durch das Morastgebiet bei der undurchdring¬
lichen Finsternis ohne jede Mühe die Richtung nach sorti einzuhalten ver¬
mochten. Geradezu mit Beschämung erfüllten mich und Vinquist die Sicherheit
und das Geschick dieser Leute. Fielen wir doch beide, sobald die Einheimischen
uns einmal nicht rechtzeitig auf eine Schwierigkeit aufmerksam machten, trotz


Llchjagd

hornträger seitwärts, wir anderen geradeaus. Hastig instruiert Vinquist noch
meine Leute, daß sie sich so gut als möglich durch Zeichen mit mir verständigen
müssen. Dann vorwärts; und in einer Art schwerfälligem Laufschritt geht es
durch das aufspritzende Wasser. Das Glück scheint mir hold: näher und näher
rückt das Gekläff; im Kreise zieht es sich um das Moor herum, so daß wir nur
eine kleine Schwenkung nach links zu machen brauchen, um gerade in die mut¬
maßliche Fluchtlinie des Wildes zu kommen. Wir erklettern festen Boden,
gelangen auf eine Lichtung — nichts kann mir erwünschter sein als solch ein
freies Schußfeld —, und immer noch nähert sich die wilde Jagd: langgezogener,
singender Anschlag der Hunde, heftiges Rascheln im Unterholz und ein Knacken
von Zweigen wie Geräusch von fernen Schüssen. Ich spanne die Hähne, fasse
hinter einer Kiefer Posten — wir stehen mit verhaltenem Atem und klopfendem
Herzen. . . . Jetzt wird der Elch dort aus dem Birkengehölz hervorbrechen —
wir hören schon des gewaltigen Tieres dröhnenden Galopp, hören sein Schnaufen
und zorniges Fauchen, hören aus unmittelbarer Nähe das helle Gekläff des
Verfolgers — jetzt — im nächsten Augenblick muß er auftauchen I Da ver¬
stummt plötzlich das Lärmen der wilden Jagd — eine sekundenlange Stille —
dann ein Geprassel im dichten Unterholz, und — trapp, trapp, trapp — ent¬
fernt sich in rasendem Tempo der dröhnende Schritt des Waldriesen, entfernt
sich das Schnaufen und Rascheln und Zweigeknacken, entfernt sich der
Laut des Hundes, um mit einem weinerlichen Jaulen: Fährte verloren!
ganz zu ersterben. Welch unerhörtes Jägerpech! Kehrt gemacht hat der Elch
im letzten Augenblick, ohne daß wir ihn zu Gesicht bekamen! Da mußten ein
paar deutsche Kraftworte explodieren. Es ging nicht anders. Die beiden Kerle
verstanden mich und taten es mir auf finnisch nach.

Wie wir über den Ärger hinwegkamen? Es gibt da oben ein merkwürdiges
Getränk, auf schwedisch „Zuk-l taran" — die gelbe Gefahr — genannt, ein
teuflisches Gemisch von allerlei starken Säften. Genug davon. . . . Auf einem
Rasenfleck gelagert, harrten wir eines Lebenszeichens vom anderen
Trupp und vertrieben uns durch Essen und Rauchen die Zeit. Schon nach
wenigen Minuten ließ ein Schuß uns gespannt von unseren grünen Sitzen
auffahren. Doch da nichts weiteres erfolgte — wir hatten als Signal zur
Anzeige eines Wirkungstreffers drei schnelle Revolverschüsse vereinbart —,
konnten weder Neid noch Freude in uns Raum gewinnen.

Es dunkelte bereits, als unsere Gesellschaft sich wieder zusammenfand. Und
dann begann der unangenehmste Teil dieses erfolglosen Jagdtages, der drei¬
stündige nächtliche Marsch nach sorti. Ich bewundere heute noch den Scharfsinn
unserer Führer, die querwaldein durch das Morastgebiet bei der undurchdring¬
lichen Finsternis ohne jede Mühe die Richtung nach sorti einzuhalten ver¬
mochten. Geradezu mit Beschämung erfüllten mich und Vinquist die Sicherheit
und das Geschick dieser Leute. Fielen wir doch beide, sobald die Einheimischen
uns einmal nicht rechtzeitig auf eine Schwierigkeit aufmerksam machten, trotz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/478>, abgerufen am 24.05.2024.