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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Franziska

der Wedekind früherer Werke steht, der Desperato, der erbitterte Kämpfer, der
er einmal war. Davon wird noch zu reden sein.

Aber leider, leider: Feuerwerk ists, schnell verpuffendes. Heute amüsieren
wir uns, wenn das symbolische Spiel der himmlischen mit der irdischen Liebe,
den Kampf Se. Georgs mit dem vierköpfigen Drachen der herzoglich roten-
burgische Polizeipräsident unterbricht, ohne in Se. Georg seinen mitspielenden
Landesherren zu erkennen:

Der Herzog

dringt mit dem Dolch auf den Drachen ein, es folgt ein längerer Kampf. Der
Rotenburger Polizeipräsident in schwarzem Überrock, ein Kettchen mit Orden
auf der Brust, tritt aus dem Wald hervor.

Der Polizeipräsident:

Lassen Sie augenblicklich den Vorhang fallen I Ich verbiete Ihnen weiter
zu spielen!

Der Herzog:

Mensch, wo haben Sie Ihr Kostüm? Als Großmeister des Johanniter-
orden auf Rhodus treten Sie auf! Da kommen Sie mit den lumpigen paar
Orden!

Wirklich nicht übel, dieser Herzog Se. Georg und sein intervenierender
Polizeipräsident im schwarzen Gehrock mit der Ordensbrust. Und das alles
nach den pathetisch-heroischen Versen, die von diesem Intermezzo unterbrochen
werden ....

Aber mit Verlaub: mußte sich Frank Wedekind dazu eigentlich in eigener
Person bemühen? Und hätte dazu nicht am Ende die Redaktion des Simpli-
zissimus genügt? Das ist es leider: den ersten Abend über hält die Wirkung
dieser Burleske an. Dann aber steht man sehr bald vor der bangen Frage:
Was ist es mit Franziska? Weiblicher Faust? Wirklich?

Der äußeren Ähnlichkeiten mit dem Faust hat Wedekind gar manche
gefunden. Man sehe den Dichter nur einmal selbst auf der Bühne bei dem
ersten Auftauchen des Veit Kunz und man wird erkennen, wie er sich selbst in
eine Mephistorolle hineingedacht hat. Oder man prüfe nur einmal die große
Kabarettszene des ersten Aktes auf ihre Ähnlichkeit mit Auerbachs Keller im
"Faust". Gewiß, das sind Äußerlichkeiten. Die Pressenotiz aber vom August
des vorigen Jahres (die doch wohl nicht ohne das Wissen des Dichters in die
Setzmaschinen gewandert ist) war ein Programm. Ein strikter Anspruch darauf,
daß man in seinem Werk das Faustmotiv erklingen höre.

Das Faustische aber und der Prometheustrotz, das Sehnen nach Ikarus'
Flügelpaar ist tief in des Mannes Seele geboren. Sollte Wedekind wirklich . . .?

Ach nein: Franziska rüttelt nicht an den Grenzen der Menschheit, will
ganz und garnicht die Schranken sprengen, die den Irdischen vom Gott trennen:


Franziska

der Wedekind früherer Werke steht, der Desperato, der erbitterte Kämpfer, der
er einmal war. Davon wird noch zu reden sein.

Aber leider, leider: Feuerwerk ists, schnell verpuffendes. Heute amüsieren
wir uns, wenn das symbolische Spiel der himmlischen mit der irdischen Liebe,
den Kampf Se. Georgs mit dem vierköpfigen Drachen der herzoglich roten-
burgische Polizeipräsident unterbricht, ohne in Se. Georg seinen mitspielenden
Landesherren zu erkennen:

Der Herzog

dringt mit dem Dolch auf den Drachen ein, es folgt ein längerer Kampf. Der
Rotenburger Polizeipräsident in schwarzem Überrock, ein Kettchen mit Orden
auf der Brust, tritt aus dem Wald hervor.

Der Polizeipräsident:

Lassen Sie augenblicklich den Vorhang fallen I Ich verbiete Ihnen weiter
zu spielen!

Der Herzog:

Mensch, wo haben Sie Ihr Kostüm? Als Großmeister des Johanniter-
orden auf Rhodus treten Sie auf! Da kommen Sie mit den lumpigen paar
Orden!

Wirklich nicht übel, dieser Herzog Se. Georg und sein intervenierender
Polizeipräsident im schwarzen Gehrock mit der Ordensbrust. Und das alles
nach den pathetisch-heroischen Versen, die von diesem Intermezzo unterbrochen
werden ....

Aber mit Verlaub: mußte sich Frank Wedekind dazu eigentlich in eigener
Person bemühen? Und hätte dazu nicht am Ende die Redaktion des Simpli-
zissimus genügt? Das ist es leider: den ersten Abend über hält die Wirkung
dieser Burleske an. Dann aber steht man sehr bald vor der bangen Frage:
Was ist es mit Franziska? Weiblicher Faust? Wirklich?

Der äußeren Ähnlichkeiten mit dem Faust hat Wedekind gar manche
gefunden. Man sehe den Dichter nur einmal selbst auf der Bühne bei dem
ersten Auftauchen des Veit Kunz und man wird erkennen, wie er sich selbst in
eine Mephistorolle hineingedacht hat. Oder man prüfe nur einmal die große
Kabarettszene des ersten Aktes auf ihre Ähnlichkeit mit Auerbachs Keller im
„Faust". Gewiß, das sind Äußerlichkeiten. Die Pressenotiz aber vom August
des vorigen Jahres (die doch wohl nicht ohne das Wissen des Dichters in die
Setzmaschinen gewandert ist) war ein Programm. Ein strikter Anspruch darauf,
daß man in seinem Werk das Faustmotiv erklingen höre.

Das Faustische aber und der Prometheustrotz, das Sehnen nach Ikarus'
Flügelpaar ist tief in des Mannes Seele geboren. Sollte Wedekind wirklich . . .?

Ach nein: Franziska rüttelt nicht an den Grenzen der Menschheit, will
ganz und garnicht die Schranken sprengen, die den Irdischen vom Gott trennen:


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[0481] Franziska der Wedekind früherer Werke steht, der Desperato, der erbitterte Kämpfer, der er einmal war. Davon wird noch zu reden sein. Aber leider, leider: Feuerwerk ists, schnell verpuffendes. Heute amüsieren wir uns, wenn das symbolische Spiel der himmlischen mit der irdischen Liebe, den Kampf Se. Georgs mit dem vierköpfigen Drachen der herzoglich roten- burgische Polizeipräsident unterbricht, ohne in Se. Georg seinen mitspielenden Landesherren zu erkennen: Der Herzog dringt mit dem Dolch auf den Drachen ein, es folgt ein längerer Kampf. Der Rotenburger Polizeipräsident in schwarzem Überrock, ein Kettchen mit Orden auf der Brust, tritt aus dem Wald hervor. Der Polizeipräsident: Lassen Sie augenblicklich den Vorhang fallen I Ich verbiete Ihnen weiter zu spielen! Der Herzog: Mensch, wo haben Sie Ihr Kostüm? Als Großmeister des Johanniter- orden auf Rhodus treten Sie auf! Da kommen Sie mit den lumpigen paar Orden! Wirklich nicht übel, dieser Herzog Se. Georg und sein intervenierender Polizeipräsident im schwarzen Gehrock mit der Ordensbrust. Und das alles nach den pathetisch-heroischen Versen, die von diesem Intermezzo unterbrochen werden .... Aber mit Verlaub: mußte sich Frank Wedekind dazu eigentlich in eigener Person bemühen? Und hätte dazu nicht am Ende die Redaktion des Simpli- zissimus genügt? Das ist es leider: den ersten Abend über hält die Wirkung dieser Burleske an. Dann aber steht man sehr bald vor der bangen Frage: Was ist es mit Franziska? Weiblicher Faust? Wirklich? Der äußeren Ähnlichkeiten mit dem Faust hat Wedekind gar manche gefunden. Man sehe den Dichter nur einmal selbst auf der Bühne bei dem ersten Auftauchen des Veit Kunz und man wird erkennen, wie er sich selbst in eine Mephistorolle hineingedacht hat. Oder man prüfe nur einmal die große Kabarettszene des ersten Aktes auf ihre Ähnlichkeit mit Auerbachs Keller im „Faust". Gewiß, das sind Äußerlichkeiten. Die Pressenotiz aber vom August des vorigen Jahres (die doch wohl nicht ohne das Wissen des Dichters in die Setzmaschinen gewandert ist) war ein Programm. Ein strikter Anspruch darauf, daß man in seinem Werk das Faustmotiv erklingen höre. Das Faustische aber und der Prometheustrotz, das Sehnen nach Ikarus' Flügelpaar ist tief in des Mannes Seele geboren. Sollte Wedekind wirklich . . .? Ach nein: Franziska rüttelt nicht an den Grenzen der Menschheit, will ganz und garnicht die Schranken sprengen, die den Irdischen vom Gott trennen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/481>, abgerufen am 11.05.2024.