Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franziska

Monolog des Veit Kunz, der in der Verzweiflung über Fmnziskas Verlust
dem eigenen Dasein ein Ende machen will und vorher das Fazit seines zer¬
schellten und überekelten Daseins zieht:


Fluch meinem Spiel, dem Stolz, dem Übermut I
Als welch ein Maulheld hab ich mich gebärdet:
Versicherungsbeamter, Sklavenhalter
GesangSnmgister, Kuppler, Diplomat,
Hanswurst, Schriftsteller, Schauspielakrobat,
Marktschreier, Bräutigam noch in meinem Alter,
Erpresser, Heiratsschwindler, Bauernfänger,
Nevolverjournalist und Bänkelsänger,
Um jetzt, berauscht von blöden Hochgefühlen,
Als dümmster Narr den lieben Gott zu spielen I
Nicht Unheil, Ekel nur, all Haß gepaart,
Kann mich, der unzerbrechlich schien, zerstückeln.
Mag sich die Welt, so schön sie will entwickeln!
Ich schließe ab mit dieser Höllenfahrt.

Hier schaut echte, ehrliche Verzweiflung in einen bodenlosen Abgrund. Man
höre nur Frank Wedekind aus der Bühne diese Worte sprechen, und man wird
wissen, wie sehr er aus eigener Seele, aus eigenem Erleben, aus eigener Ver¬
zweiflung und Leidenschaft spricht. Aus großer und starker. Hier allein.

Früher war das, was hier zur Ausnahme geworden, der innerste Kern
seiner Werke. Er hat eine Epoche, eine wilde, aber eine starke und nicht Keine
hinter sich. Der Dichter der Franziska muß nicht mehr mit Tod und Teufel
um sein Leben, seine Geltung als Künstler ringen. War aber dieses Ringen
alles, was hinter ihm war? Und ist er wirklich nur einer von den vielen,
die der Genius verläßt, wenn ein Gott ihnen erfüllte, worum sie blutend ihr
bestes gaben?




Franziska

Monolog des Veit Kunz, der in der Verzweiflung über Fmnziskas Verlust
dem eigenen Dasein ein Ende machen will und vorher das Fazit seines zer¬
schellten und überekelten Daseins zieht:


Fluch meinem Spiel, dem Stolz, dem Übermut I
Als welch ein Maulheld hab ich mich gebärdet:
Versicherungsbeamter, Sklavenhalter
GesangSnmgister, Kuppler, Diplomat,
Hanswurst, Schriftsteller, Schauspielakrobat,
Marktschreier, Bräutigam noch in meinem Alter,
Erpresser, Heiratsschwindler, Bauernfänger,
Nevolverjournalist und Bänkelsänger,
Um jetzt, berauscht von blöden Hochgefühlen,
Als dümmster Narr den lieben Gott zu spielen I
Nicht Unheil, Ekel nur, all Haß gepaart,
Kann mich, der unzerbrechlich schien, zerstückeln.
Mag sich die Welt, so schön sie will entwickeln!
Ich schließe ab mit dieser Höllenfahrt.

Hier schaut echte, ehrliche Verzweiflung in einen bodenlosen Abgrund. Man
höre nur Frank Wedekind aus der Bühne diese Worte sprechen, und man wird
wissen, wie sehr er aus eigener Seele, aus eigenem Erleben, aus eigener Ver¬
zweiflung und Leidenschaft spricht. Aus großer und starker. Hier allein.

Früher war das, was hier zur Ausnahme geworden, der innerste Kern
seiner Werke. Er hat eine Epoche, eine wilde, aber eine starke und nicht Keine
hinter sich. Der Dichter der Franziska muß nicht mehr mit Tod und Teufel
um sein Leben, seine Geltung als Künstler ringen. War aber dieses Ringen
alles, was hinter ihm war? Und ist er wirklich nur einer von den vielen,
die der Genius verläßt, wenn ein Gott ihnen erfüllte, worum sie blutend ihr
bestes gaben?




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327295"/>
          <fw type="header" place="top"> Franziska</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1902" prev="#ID_1901"> Monolog des Veit Kunz, der in der Verzweiflung über Fmnziskas Verlust<lb/>
dem eigenen Dasein ein Ende machen will und vorher das Fazit seines zer¬<lb/>
schellten und überekelten Daseins zieht:</p><lb/>
          <quote> Fluch meinem Spiel, dem Stolz, dem Übermut I<lb/>
Als welch ein Maulheld hab ich mich gebärdet:<lb/>
Versicherungsbeamter, Sklavenhalter<lb/>
GesangSnmgister, Kuppler, Diplomat,<lb/>
Hanswurst, Schriftsteller, Schauspielakrobat,<lb/>
Marktschreier, Bräutigam noch in meinem Alter,<lb/>
Erpresser, Heiratsschwindler, Bauernfänger,<lb/>
Nevolverjournalist und Bänkelsänger,<lb/>
Um jetzt, berauscht von blöden Hochgefühlen,<lb/>
Als dümmster Narr den lieben Gott zu spielen I<lb/>
Nicht Unheil, Ekel nur, all Haß gepaart,<lb/>
Kann mich, der unzerbrechlich schien, zerstückeln.<lb/>
Mag sich die Welt, so schön sie will entwickeln!<lb/>
Ich schließe ab mit dieser Höllenfahrt.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1903"> Hier schaut echte, ehrliche Verzweiflung in einen bodenlosen Abgrund. Man<lb/>
höre nur Frank Wedekind aus der Bühne diese Worte sprechen, und man wird<lb/>
wissen, wie sehr er aus eigener Seele, aus eigenem Erleben, aus eigener Ver¬<lb/>
zweiflung und Leidenschaft spricht. Aus großer und starker. Hier allein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1904"> Früher war das, was hier zur Ausnahme geworden, der innerste Kern<lb/>
seiner Werke. Er hat eine Epoche, eine wilde, aber eine starke und nicht Keine<lb/>
hinter sich. Der Dichter der Franziska muß nicht mehr mit Tod und Teufel<lb/>
um sein Leben, seine Geltung als Künstler ringen. War aber dieses Ringen<lb/>
alles, was hinter ihm war? Und ist er wirklich nur einer von den vielen,<lb/>
die der Genius verläßt, wenn ein Gott ihnen erfüllte, worum sie blutend ihr<lb/>
bestes gaben?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Franziska Monolog des Veit Kunz, der in der Verzweiflung über Fmnziskas Verlust dem eigenen Dasein ein Ende machen will und vorher das Fazit seines zer¬ schellten und überekelten Daseins zieht: Fluch meinem Spiel, dem Stolz, dem Übermut I Als welch ein Maulheld hab ich mich gebärdet: Versicherungsbeamter, Sklavenhalter GesangSnmgister, Kuppler, Diplomat, Hanswurst, Schriftsteller, Schauspielakrobat, Marktschreier, Bräutigam noch in meinem Alter, Erpresser, Heiratsschwindler, Bauernfänger, Nevolverjournalist und Bänkelsänger, Um jetzt, berauscht von blöden Hochgefühlen, Als dümmster Narr den lieben Gott zu spielen I Nicht Unheil, Ekel nur, all Haß gepaart, Kann mich, der unzerbrechlich schien, zerstückeln. Mag sich die Welt, so schön sie will entwickeln! Ich schließe ab mit dieser Höllenfahrt. Hier schaut echte, ehrliche Verzweiflung in einen bodenlosen Abgrund. Man höre nur Frank Wedekind aus der Bühne diese Worte sprechen, und man wird wissen, wie sehr er aus eigener Seele, aus eigenem Erleben, aus eigener Ver¬ zweiflung und Leidenschaft spricht. Aus großer und starker. Hier allein. Früher war das, was hier zur Ausnahme geworden, der innerste Kern seiner Werke. Er hat eine Epoche, eine wilde, aber eine starke und nicht Keine hinter sich. Der Dichter der Franziska muß nicht mehr mit Tod und Teufel um sein Leben, seine Geltung als Künstler ringen. War aber dieses Ringen alles, was hinter ihm war? Und ist er wirklich nur einer von den vielen, die der Genius verläßt, wenn ein Gott ihnen erfüllte, worum sie blutend ihr bestes gaben?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/483>, abgerufen am 12.05.2024.