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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Imperialismus, Sozialismus und anderes

Und weiterhin bemerkt der Verfasser mit Bezug auf meine Feststellung von
dem Zusammenhang zwischen Sozialreform und Imperialismus: "Hierbei wird
nur vergessen, daß man all dies Gute wollen kann, ohne Imperialist zu sein;"
und ferner: ". . . es soll nur darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen
Züge in diesem schönen Bilde des Imperialismus eben nicht alle mit Not¬
wendigkeit imperialistischen Ursprungs sind, sondern daß all diese Programm¬
punkte . . . sich auch in manchem anderen Programm finden."

Diese Ausführungen sind sicherlich unanfechtbar. Gewiß haben viele Par¬
teien, Gelehrte, Geistliche und andere einzelne Persönlichkeiten an der Besserung
der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Volkes mitgearbeitet; man kann sogar
sagen, daß das ganze Werk der Sozialreform und Wirtschaftsreform -- die
Abkehr vom Mcmchestertum -- in Deutschland vollbracht worden ist, ohne daß
irgendwelche imperialistische Gedankengänge mitgewirkt hätten. Das alles habe
ich nicht bestritten und konnte es um so weniger, als ich auch heute noch --
mehrere Jahrzehnte nach der Inangriffnahme dieser großen Reformen -- im
öffentlichen Leben Deutschlands keine Spur einer imperialistischen Politik oder
imperialistischen Denkens zu erblicken vermag. Deswegen hat es mir auch fern¬
gelegen, all dies als ein Monopol des Imperialismus in Anspruch zu nehmen.
Mir lag gerade im Gegenteil daran, zu zeigen, daß Imperialismus und Sozial¬
reform einander nicht ausschließen, sondern, daß diese in das System jenes
hineingehört und ein Teil von ihm ist. Dieser Hinweis und Nachweis war
auch viel wichtiger und dringender, als die Inanspruchnahme eines imperiali¬
stischen Monopols für Sozialreform. Denn im allgemeinen wird dem Impe¬
rialismus gerade zum Vorwurf gemacht, daß er keinen Sinn habe für die
innere, soziale Hebung eines Landes, daß er rein kapitalistisch sei, daß er kost¬
spielige auswärtige Abenteuer suche, ohne Rücksicht auf die Verhältnisse des
eigenen Landes. Und da der ganze Aufsatz sich zum Ziel gesetzt hatte, die
Beziehungen zwischen Sozialismus und Sozialreform und dem Imperialismus
zu untersuchen, so folgt daraus, daß die Aufdeckung des gesamten sozialrefor-
matorischen Systems und die Beziehungen einzelner Parteien und Persönlichkeiten
dazu das gesteckte Ziel überschritten hätte.

Während es sich bei dieser Meinungsverschiedenheit eher um die stärkere
oder geringere Betonung eines Zusammenhanges handelt, kann ich den Aus¬
führungen des Herrn Verfassers des Artikels in der Kölnischen Zeitung, soweit
sie den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik betreffen,
nicht beitreten. Wenn in dem Artikel ausgeführt ist, daß dies Hinübergreifen¬
der modernen, organisierten Staatsgewalt in überseeische Zonen ein selbstver¬
ständlicher Grundsatz der modernen Kolonialpolitik sei und daß die Grundsätze
unserer deutschen Kolonialpolitik sich bald ausgebildet hätten, nachdem wir
Kolonien erworben hatten, so bedeutet dies eine Lockerung oder vielmehr Auf¬
hebung des Zusammenhanges zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik, die
meines Erachtens nicht dem Verlauf der Entwicklung entspricht. Gewiß ist ein-


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Imperialismus, Sozialismus und anderes

Und weiterhin bemerkt der Verfasser mit Bezug auf meine Feststellung von
dem Zusammenhang zwischen Sozialreform und Imperialismus: „Hierbei wird
nur vergessen, daß man all dies Gute wollen kann, ohne Imperialist zu sein;"
und ferner: „. . . es soll nur darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen
Züge in diesem schönen Bilde des Imperialismus eben nicht alle mit Not¬
wendigkeit imperialistischen Ursprungs sind, sondern daß all diese Programm¬
punkte . . . sich auch in manchem anderen Programm finden."

Diese Ausführungen sind sicherlich unanfechtbar. Gewiß haben viele Par¬
teien, Gelehrte, Geistliche und andere einzelne Persönlichkeiten an der Besserung
der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Volkes mitgearbeitet; man kann sogar
sagen, daß das ganze Werk der Sozialreform und Wirtschaftsreform — die
Abkehr vom Mcmchestertum — in Deutschland vollbracht worden ist, ohne daß
irgendwelche imperialistische Gedankengänge mitgewirkt hätten. Das alles habe
ich nicht bestritten und konnte es um so weniger, als ich auch heute noch —
mehrere Jahrzehnte nach der Inangriffnahme dieser großen Reformen — im
öffentlichen Leben Deutschlands keine Spur einer imperialistischen Politik oder
imperialistischen Denkens zu erblicken vermag. Deswegen hat es mir auch fern¬
gelegen, all dies als ein Monopol des Imperialismus in Anspruch zu nehmen.
Mir lag gerade im Gegenteil daran, zu zeigen, daß Imperialismus und Sozial¬
reform einander nicht ausschließen, sondern, daß diese in das System jenes
hineingehört und ein Teil von ihm ist. Dieser Hinweis und Nachweis war
auch viel wichtiger und dringender, als die Inanspruchnahme eines imperiali¬
stischen Monopols für Sozialreform. Denn im allgemeinen wird dem Impe¬
rialismus gerade zum Vorwurf gemacht, daß er keinen Sinn habe für die
innere, soziale Hebung eines Landes, daß er rein kapitalistisch sei, daß er kost¬
spielige auswärtige Abenteuer suche, ohne Rücksicht auf die Verhältnisse des
eigenen Landes. Und da der ganze Aufsatz sich zum Ziel gesetzt hatte, die
Beziehungen zwischen Sozialismus und Sozialreform und dem Imperialismus
zu untersuchen, so folgt daraus, daß die Aufdeckung des gesamten sozialrefor-
matorischen Systems und die Beziehungen einzelner Parteien und Persönlichkeiten
dazu das gesteckte Ziel überschritten hätte.

Während es sich bei dieser Meinungsverschiedenheit eher um die stärkere
oder geringere Betonung eines Zusammenhanges handelt, kann ich den Aus¬
führungen des Herrn Verfassers des Artikels in der Kölnischen Zeitung, soweit
sie den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik betreffen,
nicht beitreten. Wenn in dem Artikel ausgeführt ist, daß dies Hinübergreifen¬
der modernen, organisierten Staatsgewalt in überseeische Zonen ein selbstver¬
ständlicher Grundsatz der modernen Kolonialpolitik sei und daß die Grundsätze
unserer deutschen Kolonialpolitik sich bald ausgebildet hätten, nachdem wir
Kolonien erworben hatten, so bedeutet dies eine Lockerung oder vielmehr Auf¬
hebung des Zusammenhanges zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik, die
meines Erachtens nicht dem Verlauf der Entwicklung entspricht. Gewiß ist ein-


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[0495] Imperialismus, Sozialismus und anderes Und weiterhin bemerkt der Verfasser mit Bezug auf meine Feststellung von dem Zusammenhang zwischen Sozialreform und Imperialismus: „Hierbei wird nur vergessen, daß man all dies Gute wollen kann, ohne Imperialist zu sein;" und ferner: „. . . es soll nur darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen Züge in diesem schönen Bilde des Imperialismus eben nicht alle mit Not¬ wendigkeit imperialistischen Ursprungs sind, sondern daß all diese Programm¬ punkte . . . sich auch in manchem anderen Programm finden." Diese Ausführungen sind sicherlich unanfechtbar. Gewiß haben viele Par¬ teien, Gelehrte, Geistliche und andere einzelne Persönlichkeiten an der Besserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Volkes mitgearbeitet; man kann sogar sagen, daß das ganze Werk der Sozialreform und Wirtschaftsreform — die Abkehr vom Mcmchestertum — in Deutschland vollbracht worden ist, ohne daß irgendwelche imperialistische Gedankengänge mitgewirkt hätten. Das alles habe ich nicht bestritten und konnte es um so weniger, als ich auch heute noch — mehrere Jahrzehnte nach der Inangriffnahme dieser großen Reformen — im öffentlichen Leben Deutschlands keine Spur einer imperialistischen Politik oder imperialistischen Denkens zu erblicken vermag. Deswegen hat es mir auch fern¬ gelegen, all dies als ein Monopol des Imperialismus in Anspruch zu nehmen. Mir lag gerade im Gegenteil daran, zu zeigen, daß Imperialismus und Sozial¬ reform einander nicht ausschließen, sondern, daß diese in das System jenes hineingehört und ein Teil von ihm ist. Dieser Hinweis und Nachweis war auch viel wichtiger und dringender, als die Inanspruchnahme eines imperiali¬ stischen Monopols für Sozialreform. Denn im allgemeinen wird dem Impe¬ rialismus gerade zum Vorwurf gemacht, daß er keinen Sinn habe für die innere, soziale Hebung eines Landes, daß er rein kapitalistisch sei, daß er kost¬ spielige auswärtige Abenteuer suche, ohne Rücksicht auf die Verhältnisse des eigenen Landes. Und da der ganze Aufsatz sich zum Ziel gesetzt hatte, die Beziehungen zwischen Sozialismus und Sozialreform und dem Imperialismus zu untersuchen, so folgt daraus, daß die Aufdeckung des gesamten sozialrefor- matorischen Systems und die Beziehungen einzelner Parteien und Persönlichkeiten dazu das gesteckte Ziel überschritten hätte. Während es sich bei dieser Meinungsverschiedenheit eher um die stärkere oder geringere Betonung eines Zusammenhanges handelt, kann ich den Aus¬ führungen des Herrn Verfassers des Artikels in der Kölnischen Zeitung, soweit sie den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik betreffen, nicht beitreten. Wenn in dem Artikel ausgeführt ist, daß dies Hinübergreifen¬ der modernen, organisierten Staatsgewalt in überseeische Zonen ein selbstver¬ ständlicher Grundsatz der modernen Kolonialpolitik sei und daß die Grundsätze unserer deutschen Kolonialpolitik sich bald ausgebildet hätten, nachdem wir Kolonien erworben hatten, so bedeutet dies eine Lockerung oder vielmehr Auf¬ hebung des Zusammenhanges zwischen Imperialismus und Kolonialpolitik, die meines Erachtens nicht dem Verlauf der Entwicklung entspricht. Gewiß ist ein- 3 t*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/495>, abgerufen am 06.06.2024.