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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Wenn bei einem Auflauf die bewaffnete Macht einschreitet, um den zusammengelaufenen
Haufen auseinanderzutreiben und die Ruhe wiederherzustellen, so befiehlt der die Mannschaft
kommandierende Offizier oder Unteroffizier dem Haufen, auseinanderzugehen und erzwingt,
wenn auf die zweite Wiederholung seinem Gebot oder den durch Trommelschlag oder
Trompetenschall gegebenen Zeichen nicht sofort genügt wird, durch Waffengebrauch den
schuldigen Gehorsam.

Es ist zweifellos, daß dieser § 8 der Verordnung nur dann Anwendung
findet, wenn die Militärbehörde auf Requisition der Zivilbehörde vorgegangen
ist (vgl. besonders Endres, der militärische Waffengebrauch, Berlin 1903,
Seite 135). Eine solche Requisition lag zweifellos nicht vor, jedoch ist nach
der Instruktion vom 1. Mai 1851 die Verwendung des Militärs auch ohne
Requisition zulässig, wenn:

1. bei Störung der öffentlichen Ruhe durch Exzesse der Militärbefehlshaber bei
Beobachtung des Auftritts nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde und der
Requisition um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zureichen, die
Ruhe herzustellen.

2. Wenn die Zivilbehörde durch äußere Umstände außerstande gesetzt ist, die Requisition
rechtzeitig zu erlassen."

Delius hat nun im Archiv für öffentliches Recht, 1396, Seite 143 bezweifelt,
ob die Instruktion angesichts des Artikels 36 der preußischen Verfassung noch
in Geltung steht. Kahn möchte die Frage jedoch bejahen: jedenfalls gilt nach
seiner Auffassung die Instruktion zufolge des Artikel 61 der Reichsverfassung.
"Es wäre daher das Vorgehen des Obersten Reuter vom 28. November dann
nicht als gesetzwidrig zu erachten, wenn nachweisbar wäre, daß 1. ein "Auflauf"
auf dem Schloßplatz in Zabern stattgefunden hätte, und 2. die Zivilbehörde
eine Requisition verzögert hätte, bzw. durch äußere Umstände außerstand gesetzt
gewesen wäre, die Requisition rechtzeitig zu erlassen. Wären die Voraussetzungen
nachgewiesen -- ob dies geschehen kann, ist Sache der eingeleiteten Untersuchung --,
so wäre dann zunächst lediglich nachgewiesen, daß die bewaffnete Macht zum
Einschreiten überhaupt befugt, insbesondere auch befugt gewesen wäre, den
Befehl zur Räumung des Platzes zu erlassen. Rechtfertigt sich aber auch
die Verhaftung, oder besser gesagt, vorläufige Festnahme, der nach der Aufforderung
noch auf dem Platz gebliebenen Personen und deren Inhaftierung in der Kaserne
während der Nacht? Daß die Festnahme solcher Personen, die nach der Auf¬
forderung sich noch auf dem Platz, gleichviel aus welchen Gründen, befanden, an
sich zulässig ist, ist kaum ein Zweifel. Schon zunächst auf Grund des H 127
der Ser. P. O,, da ein Vergehen nach Z 116 des Ser. G. B. in Frage gekommen
wäre. Bei dieser vorläufigen Festnahme wäre jedoch nach Z 128 der Ser. P. O.
zu verfahren gewesen, d. h. die Festgenommenen hätten sofort dem Amtsrichter
vorgeführt werden müssen.

Eine vorläufige Festnahme ist jedoch auch weiter wohl noch auf Grund
der Erwägung als gegeben zu erachten, weil, wenn das weitergehende Recht
des Woffengebrunchs gegeben ist, dann damit implicite das mindere Recht


Reichsspiegel

Wenn bei einem Auflauf die bewaffnete Macht einschreitet, um den zusammengelaufenen
Haufen auseinanderzutreiben und die Ruhe wiederherzustellen, so befiehlt der die Mannschaft
kommandierende Offizier oder Unteroffizier dem Haufen, auseinanderzugehen und erzwingt,
wenn auf die zweite Wiederholung seinem Gebot oder den durch Trommelschlag oder
Trompetenschall gegebenen Zeichen nicht sofort genügt wird, durch Waffengebrauch den
schuldigen Gehorsam.

Es ist zweifellos, daß dieser § 8 der Verordnung nur dann Anwendung
findet, wenn die Militärbehörde auf Requisition der Zivilbehörde vorgegangen
ist (vgl. besonders Endres, der militärische Waffengebrauch, Berlin 1903,
Seite 135). Eine solche Requisition lag zweifellos nicht vor, jedoch ist nach
der Instruktion vom 1. Mai 1851 die Verwendung des Militärs auch ohne
Requisition zulässig, wenn:

1. bei Störung der öffentlichen Ruhe durch Exzesse der Militärbefehlshaber bei
Beobachtung des Auftritts nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde und der
Requisition um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zureichen, die
Ruhe herzustellen.

2. Wenn die Zivilbehörde durch äußere Umstände außerstande gesetzt ist, die Requisition
rechtzeitig zu erlassen."

Delius hat nun im Archiv für öffentliches Recht, 1396, Seite 143 bezweifelt,
ob die Instruktion angesichts des Artikels 36 der preußischen Verfassung noch
in Geltung steht. Kahn möchte die Frage jedoch bejahen: jedenfalls gilt nach
seiner Auffassung die Instruktion zufolge des Artikel 61 der Reichsverfassung.
„Es wäre daher das Vorgehen des Obersten Reuter vom 28. November dann
nicht als gesetzwidrig zu erachten, wenn nachweisbar wäre, daß 1. ein „Auflauf"
auf dem Schloßplatz in Zabern stattgefunden hätte, und 2. die Zivilbehörde
eine Requisition verzögert hätte, bzw. durch äußere Umstände außerstand gesetzt
gewesen wäre, die Requisition rechtzeitig zu erlassen. Wären die Voraussetzungen
nachgewiesen — ob dies geschehen kann, ist Sache der eingeleiteten Untersuchung —,
so wäre dann zunächst lediglich nachgewiesen, daß die bewaffnete Macht zum
Einschreiten überhaupt befugt, insbesondere auch befugt gewesen wäre, den
Befehl zur Räumung des Platzes zu erlassen. Rechtfertigt sich aber auch
die Verhaftung, oder besser gesagt, vorläufige Festnahme, der nach der Aufforderung
noch auf dem Platz gebliebenen Personen und deren Inhaftierung in der Kaserne
während der Nacht? Daß die Festnahme solcher Personen, die nach der Auf¬
forderung sich noch auf dem Platz, gleichviel aus welchen Gründen, befanden, an
sich zulässig ist, ist kaum ein Zweifel. Schon zunächst auf Grund des H 127
der Ser. P. O,, da ein Vergehen nach Z 116 des Ser. G. B. in Frage gekommen
wäre. Bei dieser vorläufigen Festnahme wäre jedoch nach Z 128 der Ser. P. O.
zu verfahren gewesen, d. h. die Festgenommenen hätten sofort dem Amtsrichter
vorgeführt werden müssen.

Eine vorläufige Festnahme ist jedoch auch weiter wohl noch auf Grund
der Erwägung als gegeben zu erachten, weil, wenn das weitergehende Recht
des Woffengebrunchs gegeben ist, dann damit implicite das mindere Recht


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[0538] Reichsspiegel Wenn bei einem Auflauf die bewaffnete Macht einschreitet, um den zusammengelaufenen Haufen auseinanderzutreiben und die Ruhe wiederherzustellen, so befiehlt der die Mannschaft kommandierende Offizier oder Unteroffizier dem Haufen, auseinanderzugehen und erzwingt, wenn auf die zweite Wiederholung seinem Gebot oder den durch Trommelschlag oder Trompetenschall gegebenen Zeichen nicht sofort genügt wird, durch Waffengebrauch den schuldigen Gehorsam. Es ist zweifellos, daß dieser § 8 der Verordnung nur dann Anwendung findet, wenn die Militärbehörde auf Requisition der Zivilbehörde vorgegangen ist (vgl. besonders Endres, der militärische Waffengebrauch, Berlin 1903, Seite 135). Eine solche Requisition lag zweifellos nicht vor, jedoch ist nach der Instruktion vom 1. Mai 1851 die Verwendung des Militärs auch ohne Requisition zulässig, wenn: 1. bei Störung der öffentlichen Ruhe durch Exzesse der Militärbefehlshaber bei Beobachtung des Auftritts nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde und der Requisition um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zureichen, die Ruhe herzustellen. 2. Wenn die Zivilbehörde durch äußere Umstände außerstande gesetzt ist, die Requisition rechtzeitig zu erlassen." Delius hat nun im Archiv für öffentliches Recht, 1396, Seite 143 bezweifelt, ob die Instruktion angesichts des Artikels 36 der preußischen Verfassung noch in Geltung steht. Kahn möchte die Frage jedoch bejahen: jedenfalls gilt nach seiner Auffassung die Instruktion zufolge des Artikel 61 der Reichsverfassung. „Es wäre daher das Vorgehen des Obersten Reuter vom 28. November dann nicht als gesetzwidrig zu erachten, wenn nachweisbar wäre, daß 1. ein „Auflauf" auf dem Schloßplatz in Zabern stattgefunden hätte, und 2. die Zivilbehörde eine Requisition verzögert hätte, bzw. durch äußere Umstände außerstand gesetzt gewesen wäre, die Requisition rechtzeitig zu erlassen. Wären die Voraussetzungen nachgewiesen — ob dies geschehen kann, ist Sache der eingeleiteten Untersuchung —, so wäre dann zunächst lediglich nachgewiesen, daß die bewaffnete Macht zum Einschreiten überhaupt befugt, insbesondere auch befugt gewesen wäre, den Befehl zur Räumung des Platzes zu erlassen. Rechtfertigt sich aber auch die Verhaftung, oder besser gesagt, vorläufige Festnahme, der nach der Aufforderung noch auf dem Platz gebliebenen Personen und deren Inhaftierung in der Kaserne während der Nacht? Daß die Festnahme solcher Personen, die nach der Auf¬ forderung sich noch auf dem Platz, gleichviel aus welchen Gründen, befanden, an sich zulässig ist, ist kaum ein Zweifel. Schon zunächst auf Grund des H 127 der Ser. P. O,, da ein Vergehen nach Z 116 des Ser. G. B. in Frage gekommen wäre. Bei dieser vorläufigen Festnahme wäre jedoch nach Z 128 der Ser. P. O. zu verfahren gewesen, d. h. die Festgenommenen hätten sofort dem Amtsrichter vorgeführt werden müssen. Eine vorläufige Festnahme ist jedoch auch weiter wohl noch auf Grund der Erwägung als gegeben zu erachten, weil, wenn das weitergehende Recht des Woffengebrunchs gegeben ist, dann damit implicite das mindere Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/538>, abgerufen am 17.06.2024.