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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Das französische Lisenbahnsystem

zwölf bis zur deutschen Grenze durchgehende Linien verfügt, welche sämtlich zwei¬
gleisig ausgebaut sind. Demgegenüber hatte Deutschland 1870 neun durch¬
gehende Linien sür den strategischen Aufmarsch der Armee an der Grenze ver¬
fügbar, von denen drei zweigleisig waren, während es heute, ebenso wie in
Frankreich zwölf durchgehende Linien in das Aufmarschgebiet, davon aber nur
acht zweigleisige besitzt.

Die Leistungsfähigkeit der französischen Eisenbahnen war im Jahre 1870
sehr gering. Abgesehen davon, daß von den vier verfügbaren Linien nur eine
zweigleisig war, entsprachen auch die Vorbereitungen für die Mobilmachung wie
für den Massentransport der Heere nach dem Kriegsschauplatz in keiner Weise
den Anforderungen und blieben weit hinter den eingehend vorbereiteten Leistungen
der deutschen Eisenbahnen zurück.

Während die Heeresverwaltung Frankreichs bis zum Kriege an dem Fehler
einer übermäßigen Zentralisation litt, war das Eisenbahnwesen des Landes
übermäßig zersplittert. Die Eisenbahnen gehörten im wesentlichen den sechs
großen Eisenbahnkompagnien: Ost, West. Süd, Nord, Orleans und Paris--
Lyon--Mediterranee. Eine militärische Organisation des Eisenbahnwesens für
die Ausführung großer Truppentransporte bestand jedoch nicht. Zwar hatte
der Kriegsminister Marschall Niet die Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation
wohl erkannt und im März 1869 eine: "Lommission centrale ac8 alcun8
as ter" berufen, welche die hierauf bezüglichen Fragen prüfen und Verbesserungen
vorschlagen sollte. Nach dem Tode des Marschalls am 14. August 1869 blieb
aber trotz der sehr wichtigen Vorschläge dieser Kommission alles beim alten und
es wurden keinerlei größere Vorbereitungen für die Verwendung der Eisenbahnen
bei der Mobilmachung und dem strategischen Aufmarsch des Heeres getroffen. Diese
Versäumnis beeinflußte in unheilvoller Weise den ganzen Verlauf des Feldzuges.

Während Kaiser Napoleon beabsichtigt hatte, den Krieg mit einer
großen Offensive nach Süddeutschland zu beginnen, um dieses vom Norden zu
trennen und nach Niederwerfung der süddeutschen Staaten sich gegen Preußen
zu wenden, mußte er bei seinem Eintreffen bei der Armee in Metz am 28. Juli
erkennen, daß diese dank der mangelhaften Leistungen der Eisenbahnen noch in
keiner Weise operationsbereit war und er daher auf seine weiten Offensivpläne
verzichten und den Angriff des Gegners im eigenen Lande erwarten mußte.

Nach dem Kriege wurde dann durch Gesetz vom 14. November 1872 eine
"Lommi88lon militairs 8Up6rieurs <is8 ckemiri8 as ehr" gegründet, mit
einem Divisionsgeneral als Präsidenten und Vertretern der Heeres- und Marine¬
verwaltung, wie der sechs großen Eisenbahnkompagnien, welche nach dem Vor¬
bild der deutschen Organisation das gesamte Eisenbahnwesen nach militärischen
Grundsätzen und Gesichtspunkten einzurichten und alle Vorbereitungen für die
Mobilmachung und den strategischen Aufmarsch der Heere, sowie für die Ver¬
wendung der Eisenbahnen während der Operationen im eigenen wie im Feindes¬
lande sorgfältig zu bearbeiten hat.


Das französische Lisenbahnsystem

zwölf bis zur deutschen Grenze durchgehende Linien verfügt, welche sämtlich zwei¬
gleisig ausgebaut sind. Demgegenüber hatte Deutschland 1870 neun durch¬
gehende Linien sür den strategischen Aufmarsch der Armee an der Grenze ver¬
fügbar, von denen drei zweigleisig waren, während es heute, ebenso wie in
Frankreich zwölf durchgehende Linien in das Aufmarschgebiet, davon aber nur
acht zweigleisige besitzt.

Die Leistungsfähigkeit der französischen Eisenbahnen war im Jahre 1870
sehr gering. Abgesehen davon, daß von den vier verfügbaren Linien nur eine
zweigleisig war, entsprachen auch die Vorbereitungen für die Mobilmachung wie
für den Massentransport der Heere nach dem Kriegsschauplatz in keiner Weise
den Anforderungen und blieben weit hinter den eingehend vorbereiteten Leistungen
der deutschen Eisenbahnen zurück.

Während die Heeresverwaltung Frankreichs bis zum Kriege an dem Fehler
einer übermäßigen Zentralisation litt, war das Eisenbahnwesen des Landes
übermäßig zersplittert. Die Eisenbahnen gehörten im wesentlichen den sechs
großen Eisenbahnkompagnien: Ost, West. Süd, Nord, Orleans und Paris—
Lyon—Mediterranee. Eine militärische Organisation des Eisenbahnwesens für
die Ausführung großer Truppentransporte bestand jedoch nicht. Zwar hatte
der Kriegsminister Marschall Niet die Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation
wohl erkannt und im März 1869 eine: „Lommission centrale ac8 alcun8
as ter" berufen, welche die hierauf bezüglichen Fragen prüfen und Verbesserungen
vorschlagen sollte. Nach dem Tode des Marschalls am 14. August 1869 blieb
aber trotz der sehr wichtigen Vorschläge dieser Kommission alles beim alten und
es wurden keinerlei größere Vorbereitungen für die Verwendung der Eisenbahnen
bei der Mobilmachung und dem strategischen Aufmarsch des Heeres getroffen. Diese
Versäumnis beeinflußte in unheilvoller Weise den ganzen Verlauf des Feldzuges.

Während Kaiser Napoleon beabsichtigt hatte, den Krieg mit einer
großen Offensive nach Süddeutschland zu beginnen, um dieses vom Norden zu
trennen und nach Niederwerfung der süddeutschen Staaten sich gegen Preußen
zu wenden, mußte er bei seinem Eintreffen bei der Armee in Metz am 28. Juli
erkennen, daß diese dank der mangelhaften Leistungen der Eisenbahnen noch in
keiner Weise operationsbereit war und er daher auf seine weiten Offensivpläne
verzichten und den Angriff des Gegners im eigenen Lande erwarten mußte.

Nach dem Kriege wurde dann durch Gesetz vom 14. November 1872 eine
„Lommi88lon militairs 8Up6rieurs <is8 ckemiri8 as ehr" gegründet, mit
einem Divisionsgeneral als Präsidenten und Vertretern der Heeres- und Marine¬
verwaltung, wie der sechs großen Eisenbahnkompagnien, welche nach dem Vor¬
bild der deutschen Organisation das gesamte Eisenbahnwesen nach militärischen
Grundsätzen und Gesichtspunkten einzurichten und alle Vorbereitungen für die
Mobilmachung und den strategischen Aufmarsch der Heere, sowie für die Ver¬
wendung der Eisenbahnen während der Operationen im eigenen wie im Feindes¬
lande sorgfältig zu bearbeiten hat.


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[0569] Das französische Lisenbahnsystem zwölf bis zur deutschen Grenze durchgehende Linien verfügt, welche sämtlich zwei¬ gleisig ausgebaut sind. Demgegenüber hatte Deutschland 1870 neun durch¬ gehende Linien sür den strategischen Aufmarsch der Armee an der Grenze ver¬ fügbar, von denen drei zweigleisig waren, während es heute, ebenso wie in Frankreich zwölf durchgehende Linien in das Aufmarschgebiet, davon aber nur acht zweigleisige besitzt. Die Leistungsfähigkeit der französischen Eisenbahnen war im Jahre 1870 sehr gering. Abgesehen davon, daß von den vier verfügbaren Linien nur eine zweigleisig war, entsprachen auch die Vorbereitungen für die Mobilmachung wie für den Massentransport der Heere nach dem Kriegsschauplatz in keiner Weise den Anforderungen und blieben weit hinter den eingehend vorbereiteten Leistungen der deutschen Eisenbahnen zurück. Während die Heeresverwaltung Frankreichs bis zum Kriege an dem Fehler einer übermäßigen Zentralisation litt, war das Eisenbahnwesen des Landes übermäßig zersplittert. Die Eisenbahnen gehörten im wesentlichen den sechs großen Eisenbahnkompagnien: Ost, West. Süd, Nord, Orleans und Paris— Lyon—Mediterranee. Eine militärische Organisation des Eisenbahnwesens für die Ausführung großer Truppentransporte bestand jedoch nicht. Zwar hatte der Kriegsminister Marschall Niet die Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation wohl erkannt und im März 1869 eine: „Lommission centrale ac8 alcun8 as ter" berufen, welche die hierauf bezüglichen Fragen prüfen und Verbesserungen vorschlagen sollte. Nach dem Tode des Marschalls am 14. August 1869 blieb aber trotz der sehr wichtigen Vorschläge dieser Kommission alles beim alten und es wurden keinerlei größere Vorbereitungen für die Verwendung der Eisenbahnen bei der Mobilmachung und dem strategischen Aufmarsch des Heeres getroffen. Diese Versäumnis beeinflußte in unheilvoller Weise den ganzen Verlauf des Feldzuges. Während Kaiser Napoleon beabsichtigt hatte, den Krieg mit einer großen Offensive nach Süddeutschland zu beginnen, um dieses vom Norden zu trennen und nach Niederwerfung der süddeutschen Staaten sich gegen Preußen zu wenden, mußte er bei seinem Eintreffen bei der Armee in Metz am 28. Juli erkennen, daß diese dank der mangelhaften Leistungen der Eisenbahnen noch in keiner Weise operationsbereit war und er daher auf seine weiten Offensivpläne verzichten und den Angriff des Gegners im eigenen Lande erwarten mußte. Nach dem Kriege wurde dann durch Gesetz vom 14. November 1872 eine „Lommi88lon militairs 8Up6rieurs <is8 ckemiri8 as ehr" gegründet, mit einem Divisionsgeneral als Präsidenten und Vertretern der Heeres- und Marine¬ verwaltung, wie der sechs großen Eisenbahnkompagnien, welche nach dem Vor¬ bild der deutschen Organisation das gesamte Eisenbahnwesen nach militärischen Grundsätzen und Gesichtspunkten einzurichten und alle Vorbereitungen für die Mobilmachung und den strategischen Aufmarsch der Heere, sowie für die Ver¬ wendung der Eisenbahnen während der Operationen im eigenen wie im Feindes¬ lande sorgfältig zu bearbeiten hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/569>, abgerufen am 14.05.2024.