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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Aberglaubens ist und ein vernarbtes Unglück benutzt, um sich am Geschwätz der
Leibeigenen zu erlaben!"

Josias Sehestedt und seine Gemahlin standen sich gegenüber und sahen sich
feindselig an. Er war der Gutmütigere und über ihn kam eine dunkle Er¬
innerung von ehemals. Aber sie klopfte nur leise an sein Herz und daher war
sie ihm noch nicht ganz klar.

"Ihr müßt doch bedenken, Heilwig --" begann er. Sie aber drehte ihm
den Rücken und ging langsam aus dem Gemach.

Von der Zeit an war es nicht ganz behaglich auf Schierensee. Wohl
tobten die Junker umher wie sonst, und die kleine Heilwig begann sich zu er¬
holen, aber ihre Mutter schloß sich mit ihr ganz ab und ging Herrn Josias
aus dem Wege, wo sie nur konnte. Auch er war verstimmt und seine Leute
mußten seiue schwere Hand fühlen. Viel gab es in diesen Monaten zu tun:
die Ernte wurde eingebracht, die niedergebrannten Scheuern mußten wieder
aufgebaut werden, der Gutsherr mußte überall sein und seine Augen überall
haben. Ihm schadete die Arbeit nicht, aber ehemals war sie angenehmer ge¬
wesen, als Heilwig noch freundlich mit ihm geredet, seine Sorgen geteilt hatte.
Nun saß sie in ihrem Zimmer oder beaufsichtigte die Mägde im Kuhstall, in
der Spinnstube; die kleine Heilwig lief hinter ihr her, und gerade, wenn Herr
Josias einen Augenblick Zeit hatte, war seine Gemahlin sehr beschäftigt.

Und dazu das Gerücht: die edle Frau ist einstmals eine Hexe gewesen!
Im Herbst war es, da vernahm Josias das Gezische! wieder. Er kam aus
dem Pferdestall und zwei alte Weiber, die davor standen, hörten ihn nicht.

"Als sie jung war, ist es gewesen, der fremde Mann hat es gesagt.
Damals ist sie über eine ganze Stadt geflogen und ein Mann mit ihr -- ob
es der war, der nun hier saß? Sie wollte ihn laufen lassen -- der Vogt hat
es berichtet!"

Schwer fiel die Reitpeitsche auf die krummen Rücken der Alten, und sie
stoben schreiend auseinander, aber diese Strafe schaffte dem Edelmann keine Er¬
leichterung; verdrossen ging er in sein Schloß. Heilwig saß in der Halle, hielt
ihr Töchterchen auf dem Schoß und erzählte ihr eine Geschichte. Als Josias
eintrat, wandte sie den Kopf und schien ihn nicht zu sehen. Und gerade wollte
er freundlich sein. Denn er wußte doch, daß sie nicht aus dem Gefängnis ge¬
flohen war. Sah er nicht Herrn Sebastian von Wiltberg vor sich, der ihm
seine Ehefrau rettete? Sebastian von Wiltberg! Wie lange dachte Josias nicht
an ihn! Wie lange überhaupt nicht an die alten Erlebnisse, an alles, was
einstmals Sinne und Gedanken in Anspruch nahm. Damals, als er noch jung
war und das Kriegshandwerk über alle Maßen liebte. Aber nun saß er auf
feiner Scholle, mußte für seine Junker arbeiten, ging seinem Vergnügen nach
und meinte, alles wäre in Ordnung! Mußte sich von Heilwig sagen lassen, daß
er sich wenig um sie bekümmere. Die Erbtochter von Sehestedt. O ja -- ohne
ihr Geld würde er wohl nicht von seiner Mutter mit ihr versprochen worden
"


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Die Hexe von Mayen

Aberglaubens ist und ein vernarbtes Unglück benutzt, um sich am Geschwätz der
Leibeigenen zu erlaben!"

Josias Sehestedt und seine Gemahlin standen sich gegenüber und sahen sich
feindselig an. Er war der Gutmütigere und über ihn kam eine dunkle Er¬
innerung von ehemals. Aber sie klopfte nur leise an sein Herz und daher war
sie ihm noch nicht ganz klar.

„Ihr müßt doch bedenken, Heilwig —" begann er. Sie aber drehte ihm
den Rücken und ging langsam aus dem Gemach.

Von der Zeit an war es nicht ganz behaglich auf Schierensee. Wohl
tobten die Junker umher wie sonst, und die kleine Heilwig begann sich zu er¬
holen, aber ihre Mutter schloß sich mit ihr ganz ab und ging Herrn Josias
aus dem Wege, wo sie nur konnte. Auch er war verstimmt und seine Leute
mußten seiue schwere Hand fühlen. Viel gab es in diesen Monaten zu tun:
die Ernte wurde eingebracht, die niedergebrannten Scheuern mußten wieder
aufgebaut werden, der Gutsherr mußte überall sein und seine Augen überall
haben. Ihm schadete die Arbeit nicht, aber ehemals war sie angenehmer ge¬
wesen, als Heilwig noch freundlich mit ihm geredet, seine Sorgen geteilt hatte.
Nun saß sie in ihrem Zimmer oder beaufsichtigte die Mägde im Kuhstall, in
der Spinnstube; die kleine Heilwig lief hinter ihr her, und gerade, wenn Herr
Josias einen Augenblick Zeit hatte, war seine Gemahlin sehr beschäftigt.

Und dazu das Gerücht: die edle Frau ist einstmals eine Hexe gewesen!
Im Herbst war es, da vernahm Josias das Gezische! wieder. Er kam aus
dem Pferdestall und zwei alte Weiber, die davor standen, hörten ihn nicht.

„Als sie jung war, ist es gewesen, der fremde Mann hat es gesagt.
Damals ist sie über eine ganze Stadt geflogen und ein Mann mit ihr — ob
es der war, der nun hier saß? Sie wollte ihn laufen lassen — der Vogt hat
es berichtet!"

Schwer fiel die Reitpeitsche auf die krummen Rücken der Alten, und sie
stoben schreiend auseinander, aber diese Strafe schaffte dem Edelmann keine Er¬
leichterung; verdrossen ging er in sein Schloß. Heilwig saß in der Halle, hielt
ihr Töchterchen auf dem Schoß und erzählte ihr eine Geschichte. Als Josias
eintrat, wandte sie den Kopf und schien ihn nicht zu sehen. Und gerade wollte
er freundlich sein. Denn er wußte doch, daß sie nicht aus dem Gefängnis ge¬
flohen war. Sah er nicht Herrn Sebastian von Wiltberg vor sich, der ihm
seine Ehefrau rettete? Sebastian von Wiltberg! Wie lange dachte Josias nicht
an ihn! Wie lange überhaupt nicht an die alten Erlebnisse, an alles, was
einstmals Sinne und Gedanken in Anspruch nahm. Damals, als er noch jung
war und das Kriegshandwerk über alle Maßen liebte. Aber nun saß er auf
feiner Scholle, mußte für seine Junker arbeiten, ging seinem Vergnügen nach
und meinte, alles wäre in Ordnung! Mußte sich von Heilwig sagen lassen, daß
er sich wenig um sie bekümmere. Die Erbtochter von Sehestedt. O ja — ohne
ihr Geld würde er wohl nicht von seiner Mutter mit ihr versprochen worden
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/143>, abgerufen am 15.06.2024.