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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

sein; aber er hatte sie doch sehr lieb gehabt: viel lieber, als sie ahnte und er
sich merken ließ. Nun glitt sie ihm aus den Händen und er konnte sie nicht
mehr festhalten.

Sebastian von Wiltberg -- ja, den hatte sie wohl noch mehr geliebt.
Eigentlich nicht zu verwundern, weil er ihr wirklich das Leben rettete und dafür
beinahe selbst gestorben war -- wenn nicht die Braunschweiger die kleine Stadt
erobert hätten, was dadurch leichter ward, daß er durch das Loch in der Mauer
stieg. Und Heilwig hatte sich darein gefunden, ihn nicht zu heiraten. Vielleicht
war er auch wirklich tot, und wenn nicht, würde sie doch nie ihren Glauben
abgeschworen haben.

Den Herrn von Sehestedt überkam die Unruhe. Er mußte an den Herzog
Hans Adolf von Plön denken, an seinen einstigen Herrn. Der saß jetzt auch
manchmal ganz friedlich in seinem kleinen Nest, regierte und las Bücher, aber
hernach trieb es ihn wieder in die Ferne, und daher war er vielleicht so frisch
und immer vergnügt.

Und Herr Jostas beschloß, gleich nach der Ernte einmal gen Plön zu reiten
und Seiner fürstlichen Gnaden die Aufwartung zu machen.

Zum Herbst war der Herzog Hans Adolf wirklich einmal daheim. In
Schonen war er gewesen, dann in Jütland, und von Holland hatte er eine
Einladung, den Generalstaaten zu helfen gegen allerhand Kriegsungemach. Erst
aber mußte er einmal im eigenen Ländchen regieren, nach dem Rechten sehen
und sich seiner Söhne annehmen, die ihm seine Gemahlin geschenkt hatte.

Als Josias von Sehestedt sich bei dem fürstlichen Herrn melden ließ,
wurde er gleich angenommen und durfte Ihrer Gnaden der Herzogin die Hand
küssen. Denn sie saß bei ihrem Gemahl, eine Nadelarbeit in der Hand, und
redete mit ihm von allerhand Regierungssorgen. Nun ging sie, nachdem sie
ein freundliches Wort gesagt hatte, denn sie wußte, daß ihr Gemahl lieber allein
war, wenn er mit Männern redete.

Hans Adolf fah ihr zufrieden nach.

"Sie ist eine gute Regentin, die Dorothea Sophia," sagte er. "Ja,
mein lieber Herr Josias, was sollten wir macheu ohne unsere Frau Eheliebsten!
Auch Ihr habt ein gutes Los gezogen; die edle Frau von Sehestedt nutz
wohl manchmal das Regiment sichren, wie meine Dorothea. Ich höre, daß
sie es wohl versteht, und daß der Herr Gemahl auf Jagd reiten kann, fo oft
es ihm beliebt!"

Herr Josias verbeugte sich, ohne viel zu antworten, und der Herzog, der
beim Eintritt des Gastes aufgestanden war, setzte sich wieder und deutete durch
eine Handbewegung an, daß auch Jostas Platz nehmen sollte.

Herr von Sehestedt gehorchte, nahm einen Sessel am Fenster ein und sah
von hier auf die roten Dächer einer neuen Straße.

"Ich habe einen neuen Stadtteil angelegt!" berichtete der Herzog, der
Jostas Blick gefolgt war. "Dazu ein Kirchlein gebaut, dem Evangelisten


Die Hexe von Mayen

sein; aber er hatte sie doch sehr lieb gehabt: viel lieber, als sie ahnte und er
sich merken ließ. Nun glitt sie ihm aus den Händen und er konnte sie nicht
mehr festhalten.

Sebastian von Wiltberg — ja, den hatte sie wohl noch mehr geliebt.
Eigentlich nicht zu verwundern, weil er ihr wirklich das Leben rettete und dafür
beinahe selbst gestorben war — wenn nicht die Braunschweiger die kleine Stadt
erobert hätten, was dadurch leichter ward, daß er durch das Loch in der Mauer
stieg. Und Heilwig hatte sich darein gefunden, ihn nicht zu heiraten. Vielleicht
war er auch wirklich tot, und wenn nicht, würde sie doch nie ihren Glauben
abgeschworen haben.

Den Herrn von Sehestedt überkam die Unruhe. Er mußte an den Herzog
Hans Adolf von Plön denken, an seinen einstigen Herrn. Der saß jetzt auch
manchmal ganz friedlich in seinem kleinen Nest, regierte und las Bücher, aber
hernach trieb es ihn wieder in die Ferne, und daher war er vielleicht so frisch
und immer vergnügt.

Und Herr Jostas beschloß, gleich nach der Ernte einmal gen Plön zu reiten
und Seiner fürstlichen Gnaden die Aufwartung zu machen.

Zum Herbst war der Herzog Hans Adolf wirklich einmal daheim. In
Schonen war er gewesen, dann in Jütland, und von Holland hatte er eine
Einladung, den Generalstaaten zu helfen gegen allerhand Kriegsungemach. Erst
aber mußte er einmal im eigenen Ländchen regieren, nach dem Rechten sehen
und sich seiner Söhne annehmen, die ihm seine Gemahlin geschenkt hatte.

Als Josias von Sehestedt sich bei dem fürstlichen Herrn melden ließ,
wurde er gleich angenommen und durfte Ihrer Gnaden der Herzogin die Hand
küssen. Denn sie saß bei ihrem Gemahl, eine Nadelarbeit in der Hand, und
redete mit ihm von allerhand Regierungssorgen. Nun ging sie, nachdem sie
ein freundliches Wort gesagt hatte, denn sie wußte, daß ihr Gemahl lieber allein
war, wenn er mit Männern redete.

Hans Adolf fah ihr zufrieden nach.

„Sie ist eine gute Regentin, die Dorothea Sophia," sagte er. „Ja,
mein lieber Herr Josias, was sollten wir macheu ohne unsere Frau Eheliebsten!
Auch Ihr habt ein gutes Los gezogen; die edle Frau von Sehestedt nutz
wohl manchmal das Regiment sichren, wie meine Dorothea. Ich höre, daß
sie es wohl versteht, und daß der Herr Gemahl auf Jagd reiten kann, fo oft
es ihm beliebt!"

Herr Josias verbeugte sich, ohne viel zu antworten, und der Herzog, der
beim Eintritt des Gastes aufgestanden war, setzte sich wieder und deutete durch
eine Handbewegung an, daß auch Jostas Platz nehmen sollte.

Herr von Sehestedt gehorchte, nahm einen Sessel am Fenster ein und sah
von hier auf die roten Dächer einer neuen Straße.

„Ich habe einen neuen Stadtteil angelegt!" berichtete der Herzog, der
Jostas Blick gefolgt war. „Dazu ein Kirchlein gebaut, dem Evangelisten


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[0144] Die Hexe von Mayen sein; aber er hatte sie doch sehr lieb gehabt: viel lieber, als sie ahnte und er sich merken ließ. Nun glitt sie ihm aus den Händen und er konnte sie nicht mehr festhalten. Sebastian von Wiltberg — ja, den hatte sie wohl noch mehr geliebt. Eigentlich nicht zu verwundern, weil er ihr wirklich das Leben rettete und dafür beinahe selbst gestorben war — wenn nicht die Braunschweiger die kleine Stadt erobert hätten, was dadurch leichter ward, daß er durch das Loch in der Mauer stieg. Und Heilwig hatte sich darein gefunden, ihn nicht zu heiraten. Vielleicht war er auch wirklich tot, und wenn nicht, würde sie doch nie ihren Glauben abgeschworen haben. Den Herrn von Sehestedt überkam die Unruhe. Er mußte an den Herzog Hans Adolf von Plön denken, an seinen einstigen Herrn. Der saß jetzt auch manchmal ganz friedlich in seinem kleinen Nest, regierte und las Bücher, aber hernach trieb es ihn wieder in die Ferne, und daher war er vielleicht so frisch und immer vergnügt. Und Herr Jostas beschloß, gleich nach der Ernte einmal gen Plön zu reiten und Seiner fürstlichen Gnaden die Aufwartung zu machen. Zum Herbst war der Herzog Hans Adolf wirklich einmal daheim. In Schonen war er gewesen, dann in Jütland, und von Holland hatte er eine Einladung, den Generalstaaten zu helfen gegen allerhand Kriegsungemach. Erst aber mußte er einmal im eigenen Ländchen regieren, nach dem Rechten sehen und sich seiner Söhne annehmen, die ihm seine Gemahlin geschenkt hatte. Als Josias von Sehestedt sich bei dem fürstlichen Herrn melden ließ, wurde er gleich angenommen und durfte Ihrer Gnaden der Herzogin die Hand küssen. Denn sie saß bei ihrem Gemahl, eine Nadelarbeit in der Hand, und redete mit ihm von allerhand Regierungssorgen. Nun ging sie, nachdem sie ein freundliches Wort gesagt hatte, denn sie wußte, daß ihr Gemahl lieber allein war, wenn er mit Männern redete. Hans Adolf fah ihr zufrieden nach. „Sie ist eine gute Regentin, die Dorothea Sophia," sagte er. „Ja, mein lieber Herr Josias, was sollten wir macheu ohne unsere Frau Eheliebsten! Auch Ihr habt ein gutes Los gezogen; die edle Frau von Sehestedt nutz wohl manchmal das Regiment sichren, wie meine Dorothea. Ich höre, daß sie es wohl versteht, und daß der Herr Gemahl auf Jagd reiten kann, fo oft es ihm beliebt!" Herr Josias verbeugte sich, ohne viel zu antworten, und der Herzog, der beim Eintritt des Gastes aufgestanden war, setzte sich wieder und deutete durch eine Handbewegung an, daß auch Jostas Platz nehmen sollte. Herr von Sehestedt gehorchte, nahm einen Sessel am Fenster ein und sah von hier auf die roten Dächer einer neuen Straße. „Ich habe einen neuen Stadtteil angelegt!" berichtete der Herzog, der Jostas Blick gefolgt war. „Dazu ein Kirchlein gebaut, dem Evangelisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/144>, abgerufen am 16.06.2024.