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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession

es ist, und durch allerlei Experimente und jeder neuen Bewegung anhaftende
Energieüberschüsse entstellt, zunächst die Gegensätze deutlicher hervortreten läßt,
als den breiten Strom selbstverständlicher und ohne Sprünge vor sich gehender
Entwicklung. Diesen Gegensatz deutlich zu empfinden, dazu bietet die dies¬
jährige Ausstellung eine vortreffliche und sehr lehrreiche Gelegenheit. Im achten
Saal hat man nämlich eine Anzahl Bilder aus der Sammlung des kürzlich
verstorbenen Julius Stern vereinigt. Dieser Kunstfreund hat, ohne Engherzigkeit
und Snobismus, die heute bekannten modernen Meister gesammelt. Da finden wir
sie alle wieder die stolzen Größen des Impressionismus, Manet, Monet, Sistem,
Pissarro, Renoir. Degas, van Gogh; von Deutschen Liebermann, Slevogt,
Trübner; von den Dekorativen Cözanne, Gauguin. Denis, Roussel. Tritt man
nun von diesem Saal in den danebenliegenden, so erhält man einen Chok:
man ist mitten unter den Allermodernsten. Große verzerrte Akte, brutale Farben,
verwegene Kompositionen, all das stürzt unvermittelt auf den Beschauer ein,
der entsetzt zu den altvertrauten Impressionisten zurückweicht. Aber es wäre
doch grundfalsch, auf diesem Zurückschrecken eine Kritik aufzubauen, es wohl
gar mit einer Kritik als gleichbedeutend zu achten. Denn genau dasselbe
empfanden einst die Beschauer der ersten impressionistischen Bilder und genau
wie wir uns heute versucht fühlen, über die Jüngsten, sei es belustigt, sei es
geärgert herzuziehen, genau so zog man einst über Marcks Dejeuner sur
I'nerbe oder seine Olympia her, die jetzt beide im Louvre hängen. Nun
waren ja wirklich diese Werke noch keine Meisterstücke -- der Manet, den wir
heute lieben, sieht ganz anders aus -- und insofern waren die tadelnden
Stimmen berechtigt, wenn sie sich gegen übertreibende Lobsprüche erhoben. Aber
sie hatten unrecht, insofern sie das deutlich erkennbare Streben des Meisters
einfach nicht sehen wollten, es lieblos für Humbug erklärten. Hätte man ruhig
im Sinne des Historikers die Entwicklung abgewartet, so hätte man nicht vor¬
eiligen Tadel später zu widerrufen brauchen. Was aber dem jungen Manet,
der doch auch noch kein Meister war, recht gewesen wäre, muß den Jungen von
heute, bis wir mit Sicherheit feststellen können, daß sie keine Marcks sein werden,
nur billig sein und deshalb wollen wir wenigstens das eine aus der Geschichte
lernen, daß es sich angesichts dieser neuen und ungewohnten Dinge weniger
darum handelt zu urteilen, als sie zu verstehen und abzuwarten, was sie uns
zu sagen haben werden.

Halten wir nun auf einem Gang durch die Ausstellung Altes und Neues
gegeneinander, so bemerken wir, wie sich ruhig und sicher eine Entwicklung voll¬
zieht, die alles eher denn abgeschlossen genannt werden kann, deren Tendenzen
jedoch bereits ganz deutlich erkennbar sind. Die Impressionisten hielten sich an
die Außenseite der Dinge, an ihre Oberfläche und ihre Bewegung. Das war
zunächst eine Entdeckung, die neue wertvolle Reize vermittelte und unsere An¬
schauung bereicherte, aber sie mußte konsequenterweise zu Oberflächlichkeit und
leerer Virtuosität führen. Zugleich war durch die Einführung des Freilichts


Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession

es ist, und durch allerlei Experimente und jeder neuen Bewegung anhaftende
Energieüberschüsse entstellt, zunächst die Gegensätze deutlicher hervortreten läßt,
als den breiten Strom selbstverständlicher und ohne Sprünge vor sich gehender
Entwicklung. Diesen Gegensatz deutlich zu empfinden, dazu bietet die dies¬
jährige Ausstellung eine vortreffliche und sehr lehrreiche Gelegenheit. Im achten
Saal hat man nämlich eine Anzahl Bilder aus der Sammlung des kürzlich
verstorbenen Julius Stern vereinigt. Dieser Kunstfreund hat, ohne Engherzigkeit
und Snobismus, die heute bekannten modernen Meister gesammelt. Da finden wir
sie alle wieder die stolzen Größen des Impressionismus, Manet, Monet, Sistem,
Pissarro, Renoir. Degas, van Gogh; von Deutschen Liebermann, Slevogt,
Trübner; von den Dekorativen Cözanne, Gauguin. Denis, Roussel. Tritt man
nun von diesem Saal in den danebenliegenden, so erhält man einen Chok:
man ist mitten unter den Allermodernsten. Große verzerrte Akte, brutale Farben,
verwegene Kompositionen, all das stürzt unvermittelt auf den Beschauer ein,
der entsetzt zu den altvertrauten Impressionisten zurückweicht. Aber es wäre
doch grundfalsch, auf diesem Zurückschrecken eine Kritik aufzubauen, es wohl
gar mit einer Kritik als gleichbedeutend zu achten. Denn genau dasselbe
empfanden einst die Beschauer der ersten impressionistischen Bilder und genau
wie wir uns heute versucht fühlen, über die Jüngsten, sei es belustigt, sei es
geärgert herzuziehen, genau so zog man einst über Marcks Dejeuner sur
I'nerbe oder seine Olympia her, die jetzt beide im Louvre hängen. Nun
waren ja wirklich diese Werke noch keine Meisterstücke — der Manet, den wir
heute lieben, sieht ganz anders aus — und insofern waren die tadelnden
Stimmen berechtigt, wenn sie sich gegen übertreibende Lobsprüche erhoben. Aber
sie hatten unrecht, insofern sie das deutlich erkennbare Streben des Meisters
einfach nicht sehen wollten, es lieblos für Humbug erklärten. Hätte man ruhig
im Sinne des Historikers die Entwicklung abgewartet, so hätte man nicht vor¬
eiligen Tadel später zu widerrufen brauchen. Was aber dem jungen Manet,
der doch auch noch kein Meister war, recht gewesen wäre, muß den Jungen von
heute, bis wir mit Sicherheit feststellen können, daß sie keine Marcks sein werden,
nur billig sein und deshalb wollen wir wenigstens das eine aus der Geschichte
lernen, daß es sich angesichts dieser neuen und ungewohnten Dinge weniger
darum handelt zu urteilen, als sie zu verstehen und abzuwarten, was sie uns
zu sagen haben werden.

Halten wir nun auf einem Gang durch die Ausstellung Altes und Neues
gegeneinander, so bemerken wir, wie sich ruhig und sicher eine Entwicklung voll¬
zieht, die alles eher denn abgeschlossen genannt werden kann, deren Tendenzen
jedoch bereits ganz deutlich erkennbar sind. Die Impressionisten hielten sich an
die Außenseite der Dinge, an ihre Oberfläche und ihre Bewegung. Das war
zunächst eine Entdeckung, die neue wertvolle Reize vermittelte und unsere An¬
schauung bereicherte, aber sie mußte konsequenterweise zu Oberflächlichkeit und
leerer Virtuosität führen. Zugleich war durch die Einführung des Freilichts


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[0146] Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession es ist, und durch allerlei Experimente und jeder neuen Bewegung anhaftende Energieüberschüsse entstellt, zunächst die Gegensätze deutlicher hervortreten läßt, als den breiten Strom selbstverständlicher und ohne Sprünge vor sich gehender Entwicklung. Diesen Gegensatz deutlich zu empfinden, dazu bietet die dies¬ jährige Ausstellung eine vortreffliche und sehr lehrreiche Gelegenheit. Im achten Saal hat man nämlich eine Anzahl Bilder aus der Sammlung des kürzlich verstorbenen Julius Stern vereinigt. Dieser Kunstfreund hat, ohne Engherzigkeit und Snobismus, die heute bekannten modernen Meister gesammelt. Da finden wir sie alle wieder die stolzen Größen des Impressionismus, Manet, Monet, Sistem, Pissarro, Renoir. Degas, van Gogh; von Deutschen Liebermann, Slevogt, Trübner; von den Dekorativen Cözanne, Gauguin. Denis, Roussel. Tritt man nun von diesem Saal in den danebenliegenden, so erhält man einen Chok: man ist mitten unter den Allermodernsten. Große verzerrte Akte, brutale Farben, verwegene Kompositionen, all das stürzt unvermittelt auf den Beschauer ein, der entsetzt zu den altvertrauten Impressionisten zurückweicht. Aber es wäre doch grundfalsch, auf diesem Zurückschrecken eine Kritik aufzubauen, es wohl gar mit einer Kritik als gleichbedeutend zu achten. Denn genau dasselbe empfanden einst die Beschauer der ersten impressionistischen Bilder und genau wie wir uns heute versucht fühlen, über die Jüngsten, sei es belustigt, sei es geärgert herzuziehen, genau so zog man einst über Marcks Dejeuner sur I'nerbe oder seine Olympia her, die jetzt beide im Louvre hängen. Nun waren ja wirklich diese Werke noch keine Meisterstücke — der Manet, den wir heute lieben, sieht ganz anders aus — und insofern waren die tadelnden Stimmen berechtigt, wenn sie sich gegen übertreibende Lobsprüche erhoben. Aber sie hatten unrecht, insofern sie das deutlich erkennbare Streben des Meisters einfach nicht sehen wollten, es lieblos für Humbug erklärten. Hätte man ruhig im Sinne des Historikers die Entwicklung abgewartet, so hätte man nicht vor¬ eiligen Tadel später zu widerrufen brauchen. Was aber dem jungen Manet, der doch auch noch kein Meister war, recht gewesen wäre, muß den Jungen von heute, bis wir mit Sicherheit feststellen können, daß sie keine Marcks sein werden, nur billig sein und deshalb wollen wir wenigstens das eine aus der Geschichte lernen, daß es sich angesichts dieser neuen und ungewohnten Dinge weniger darum handelt zu urteilen, als sie zu verstehen und abzuwarten, was sie uns zu sagen haben werden. Halten wir nun auf einem Gang durch die Ausstellung Altes und Neues gegeneinander, so bemerken wir, wie sich ruhig und sicher eine Entwicklung voll¬ zieht, die alles eher denn abgeschlossen genannt werden kann, deren Tendenzen jedoch bereits ganz deutlich erkennbar sind. Die Impressionisten hielten sich an die Außenseite der Dinge, an ihre Oberfläche und ihre Bewegung. Das war zunächst eine Entdeckung, die neue wertvolle Reize vermittelte und unsere An¬ schauung bereicherte, aber sie mußte konsequenterweise zu Oberflächlichkeit und leerer Virtuosität führen. Zugleich war durch die Einführung des Freilichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/146>, abgerufen am 15.06.2024.