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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession

soviele Bäume, das ist alles, aber es genügt, den Gemütsemdruck der Land¬
schaft hervorzubringen. Baut doch auch das Kind, wenn es spielt, aus vier
Bäumen einen dichten Wald, in dem sich ganze Heere, die wiederum nur "us
einem Dutzend Bleisoldaten bestehen, bekämpfen, und ein paar Häuser bedeuten
ihm eine Stadt, ein Sandhügel einen Berg. Der Gesichtskreis beschränkt sich
auf ganz wenige Gegenstände, aber das kleine wird ausgeweidet zu einem großen
Inhaltsreichen. Aus dieser Geistesrichtung erklärt sich denn auch wieder die
kindliche Technik: ein blauer Fleck bedeutet einen See, ein paar Striche Bäume,
ein paar Kästen Häuser, womit natürlich nicht gesagt werden soll, daß Bilder
wie die Parklandschaft von Seewald Meisterwerke seien. Unstreitig haben wir
in diesen und ähnlichen Werken einen traurigen Verfall malerischer Kultur vor
uns. aber alle Kulturgötzerei hat uns immer wieder zur Leere und Phrasen-
haftigkeit geführt, während aus einem ehrlichen Verzicht immer Fruchtbares zu
gewinnen sein wird.

Wir kommen zum Formaten. Cözanne suchte der impressionistischen Kom¬
position Festigkeit zu geben durch Überwertung der Valeurs. Das genügt aber
den Nachfolgern nicht mehr, sie lassen die Valeur fallen und beschränken sich,
wieder mit der Freude des Kindes am Grellbunten, auf große Lokalfarben¬
flächen, die sie schließlich nach Willkür steigern oder ändern (Schmidt-Rottluffs
Aufgehender Mond); Matisse hat unzweifelhaft nur darum so viel Nachahmung
gefunden, weil er dieser naiven Farbenfreude entgegenkam. Einen Schritt weiter
von den Farbenschwelgereien der Purrmann und Moll, und wir gelangen zu
den reinen Farbenkompositionen der Herbstsalonleute. Auch Pechstein hat diesmal
ein reines Farbenkompositionsexperiment ausgestellt.

Aber die bloße Farbe genügt schon nicht mehr. Das Kind drängt zur
Betätigung, die Dinge sind nicht mehr bloßer impressionistischer Schein,- sie haben
eine Wirklichkeit und werden neugeformt, die Natur organisiert sich zu mächtigen
Kühen, wie auf den Bildern Rosams mit dem ungefügen Lastkahn, der aus
dem spiegelnden Neutrum des Wassers zwischen den Massen der Ufer und der
Brücke emporsteigt, oder mit dem glatten Schienenweg, der sich durch die Massen
der Bäume und Häuser Bahn bricht und doch an einer Biegung in ihnen
verschwindet, wodurch ein sehr anmutiges Spiel der Kräfte zustande kommt.
Ja, die Kühen werden sogar schon wieder dekorativ gebändigt in den beachtens¬
werten Bildern von Blanke.

Gehen wir über zur Bewegung. Bei Degas und Slevogt (bei ersterem
immer) ist die Bewegung Selbstzweck, sie ist momentan erfaßt und allein ihre
allgemeinsten Eigenschaften, wie Eleganz, Kraft, Geschmeidigkeit, Tempo, werden
immer und immer wieder dargestellt. Aber schon bei Hodler und Liebermann
zeigt sich ein Fortschritt. Beide rhythmitisieren die Bewegung und Liebermann
baut aus diesem Rhythmus ein abstrahierendes festkomponiertes Ganzes (Junge
mit Pferd am Strand), während Hodler der Einzelbewegung eine typische
Ausdrucksbedeutung verleiht (Tell, Holzfäller, und auf der Ausstellung: der


Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession

soviele Bäume, das ist alles, aber es genügt, den Gemütsemdruck der Land¬
schaft hervorzubringen. Baut doch auch das Kind, wenn es spielt, aus vier
Bäumen einen dichten Wald, in dem sich ganze Heere, die wiederum nur «us
einem Dutzend Bleisoldaten bestehen, bekämpfen, und ein paar Häuser bedeuten
ihm eine Stadt, ein Sandhügel einen Berg. Der Gesichtskreis beschränkt sich
auf ganz wenige Gegenstände, aber das kleine wird ausgeweidet zu einem großen
Inhaltsreichen. Aus dieser Geistesrichtung erklärt sich denn auch wieder die
kindliche Technik: ein blauer Fleck bedeutet einen See, ein paar Striche Bäume,
ein paar Kästen Häuser, womit natürlich nicht gesagt werden soll, daß Bilder
wie die Parklandschaft von Seewald Meisterwerke seien. Unstreitig haben wir
in diesen und ähnlichen Werken einen traurigen Verfall malerischer Kultur vor
uns. aber alle Kulturgötzerei hat uns immer wieder zur Leere und Phrasen-
haftigkeit geführt, während aus einem ehrlichen Verzicht immer Fruchtbares zu
gewinnen sein wird.

Wir kommen zum Formaten. Cözanne suchte der impressionistischen Kom¬
position Festigkeit zu geben durch Überwertung der Valeurs. Das genügt aber
den Nachfolgern nicht mehr, sie lassen die Valeur fallen und beschränken sich,
wieder mit der Freude des Kindes am Grellbunten, auf große Lokalfarben¬
flächen, die sie schließlich nach Willkür steigern oder ändern (Schmidt-Rottluffs
Aufgehender Mond); Matisse hat unzweifelhaft nur darum so viel Nachahmung
gefunden, weil er dieser naiven Farbenfreude entgegenkam. Einen Schritt weiter
von den Farbenschwelgereien der Purrmann und Moll, und wir gelangen zu
den reinen Farbenkompositionen der Herbstsalonleute. Auch Pechstein hat diesmal
ein reines Farbenkompositionsexperiment ausgestellt.

Aber die bloße Farbe genügt schon nicht mehr. Das Kind drängt zur
Betätigung, die Dinge sind nicht mehr bloßer impressionistischer Schein,- sie haben
eine Wirklichkeit und werden neugeformt, die Natur organisiert sich zu mächtigen
Kühen, wie auf den Bildern Rosams mit dem ungefügen Lastkahn, der aus
dem spiegelnden Neutrum des Wassers zwischen den Massen der Ufer und der
Brücke emporsteigt, oder mit dem glatten Schienenweg, der sich durch die Massen
der Bäume und Häuser Bahn bricht und doch an einer Biegung in ihnen
verschwindet, wodurch ein sehr anmutiges Spiel der Kräfte zustande kommt.
Ja, die Kühen werden sogar schon wieder dekorativ gebändigt in den beachtens¬
werten Bildern von Blanke.

Gehen wir über zur Bewegung. Bei Degas und Slevogt (bei ersterem
immer) ist die Bewegung Selbstzweck, sie ist momentan erfaßt und allein ihre
allgemeinsten Eigenschaften, wie Eleganz, Kraft, Geschmeidigkeit, Tempo, werden
immer und immer wieder dargestellt. Aber schon bei Hodler und Liebermann
zeigt sich ein Fortschritt. Beide rhythmitisieren die Bewegung und Liebermann
baut aus diesem Rhythmus ein abstrahierendes festkomponiertes Ganzes (Junge
mit Pferd am Strand), während Hodler der Einzelbewegung eine typische
Ausdrucksbedeutung verleiht (Tell, Holzfäller, und auf der Ausstellung: der


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[0148] Die erste Ausstellung der Berliner Freien Sezession soviele Bäume, das ist alles, aber es genügt, den Gemütsemdruck der Land¬ schaft hervorzubringen. Baut doch auch das Kind, wenn es spielt, aus vier Bäumen einen dichten Wald, in dem sich ganze Heere, die wiederum nur «us einem Dutzend Bleisoldaten bestehen, bekämpfen, und ein paar Häuser bedeuten ihm eine Stadt, ein Sandhügel einen Berg. Der Gesichtskreis beschränkt sich auf ganz wenige Gegenstände, aber das kleine wird ausgeweidet zu einem großen Inhaltsreichen. Aus dieser Geistesrichtung erklärt sich denn auch wieder die kindliche Technik: ein blauer Fleck bedeutet einen See, ein paar Striche Bäume, ein paar Kästen Häuser, womit natürlich nicht gesagt werden soll, daß Bilder wie die Parklandschaft von Seewald Meisterwerke seien. Unstreitig haben wir in diesen und ähnlichen Werken einen traurigen Verfall malerischer Kultur vor uns. aber alle Kulturgötzerei hat uns immer wieder zur Leere und Phrasen- haftigkeit geführt, während aus einem ehrlichen Verzicht immer Fruchtbares zu gewinnen sein wird. Wir kommen zum Formaten. Cözanne suchte der impressionistischen Kom¬ position Festigkeit zu geben durch Überwertung der Valeurs. Das genügt aber den Nachfolgern nicht mehr, sie lassen die Valeur fallen und beschränken sich, wieder mit der Freude des Kindes am Grellbunten, auf große Lokalfarben¬ flächen, die sie schließlich nach Willkür steigern oder ändern (Schmidt-Rottluffs Aufgehender Mond); Matisse hat unzweifelhaft nur darum so viel Nachahmung gefunden, weil er dieser naiven Farbenfreude entgegenkam. Einen Schritt weiter von den Farbenschwelgereien der Purrmann und Moll, und wir gelangen zu den reinen Farbenkompositionen der Herbstsalonleute. Auch Pechstein hat diesmal ein reines Farbenkompositionsexperiment ausgestellt. Aber die bloße Farbe genügt schon nicht mehr. Das Kind drängt zur Betätigung, die Dinge sind nicht mehr bloßer impressionistischer Schein,- sie haben eine Wirklichkeit und werden neugeformt, die Natur organisiert sich zu mächtigen Kühen, wie auf den Bildern Rosams mit dem ungefügen Lastkahn, der aus dem spiegelnden Neutrum des Wassers zwischen den Massen der Ufer und der Brücke emporsteigt, oder mit dem glatten Schienenweg, der sich durch die Massen der Bäume und Häuser Bahn bricht und doch an einer Biegung in ihnen verschwindet, wodurch ein sehr anmutiges Spiel der Kräfte zustande kommt. Ja, die Kühen werden sogar schon wieder dekorativ gebändigt in den beachtens¬ werten Bildern von Blanke. Gehen wir über zur Bewegung. Bei Degas und Slevogt (bei ersterem immer) ist die Bewegung Selbstzweck, sie ist momentan erfaßt und allein ihre allgemeinsten Eigenschaften, wie Eleganz, Kraft, Geschmeidigkeit, Tempo, werden immer und immer wieder dargestellt. Aber schon bei Hodler und Liebermann zeigt sich ein Fortschritt. Beide rhythmitisieren die Bewegung und Liebermann baut aus diesem Rhythmus ein abstrahierendes festkomponiertes Ganzes (Junge mit Pferd am Strand), während Hodler der Einzelbewegung eine typische Ausdrucksbedeutung verleiht (Tell, Holzfäller, und auf der Ausstellung: der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/148>, abgerufen am 15.06.2024.