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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rusfischo Briefe

gebenden Einfluß strebt. In Rußland kann man alles erhitzen, kaum etwas
erkämpfen. Die besondere Auffassung von Gastfreundschaft, die bei weniger
komplizierten Naturen vorwiegend in der materiellen Bewirtung, bei den feiner
organisierten in weitestgehender Hilfsbereitschaft beim Forträumen von Hindernissen
und schließlich auch in freimütigster Aussprache Ausdruck findet, ohne daß des¬
halb der zart verschleierte innerste Kern russischen Wesens sich je voll enthüllte,
-- solche echt russische Gastfreundschaft wurde mir auch in diesen Wochen entgegen¬
gebracht. Feindseligkeit bin ich weder bei wirklichen Russen noch sonst bei
jemandem begegnet, wohl aber Mißverständnissen über Mißverständnissen. Darum
meine ich, meinen Dank für die jetzt und früher genossene Gastfreundschaft am
besten abzustatten, wenn ich als Publizist fortfahre, wie bisher unter meinen
deutschen Landsleuten Ausklärung über Rußland und die Russen zu verbreiten,
und weiter helfe, aufkommende Mißverständnisse hüben und drüben zu beseitigen.
Dazu gehört neben Wohlwollen Freimut, und gern greife ich das Wort eines
heutigen russischen Ministers auf, wonach beiderseitige Offenheit in allen, beide
Teile betreffenden Dingen den besten Ausgangspunkt auch zum gegenseitigen
politischen Verständnis bildet.




Wer nächtlicher Weile allein im sturmdurchbrausten Bergwalde geht oder
wer in Heller Mondnacht einsam durch die Stille der Wüste wandert, wird
leicht von einem Gefühl beschlichen, das mächtig auf die Phantasie wirkt und
unsere Umgebung mit Bildern füllt, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden
sind. Gefahren werden wahrscheinlich, die sonst nur in Märchenbüchern zu
finden sind und der Wanderer richtet sich allen Ernstes auf sie ein. Ähnlich
geht es den russischen Patrioten, die ungeachtet der Warnung besonnener
Publizisten fast seit einem halben Jahrhundert auf die Gefahr einer deutschen In¬
vasion hinweisen und die jetzt mit geradezu angstvollem Eifer den Gegenstoß
vorbereiten. Solange sie durch die geistige Wüste wanderten, die zwischen den
Zensurbestimmungen der Pobjedonostzew und Plehwe sich weidete, bildeten die
Vorgänge der auswärtigen Politik fast das einzige Thema, mit dem sich die
russischen Politiker beschäftigen durften. Hierbei drängte sich ihnen als tiefstes
Erlebnis der Kontrast auf, der in dem Vergleich zwischen dem mächtigen Empor¬
blühen des jungen Deutschland und der eigenen Rückständigkeit in kultureller,
wirtschaftlicher und politischer Beziehung lag. Das hat dem weltpolitischen
Denken der Russen den besonderen Unterton gegeben, der sich durch Vermittelung
slawjanophiler Ideen zum modernen, gegen das Deutschtum gerichteten Pansla-
wismus ausgebildet hat. Als später die Revolution von 1905/06 mit ihren
chaotischen Begleiterscheinungen das politische Leben in einen brausenden Wald ver¬
wandelte, erschien dem durch Autosuggestion erregten russischen Patrioten zwischen den
Wolkenfetzen, die an seinem nationalenHimmeljagten. als Vision das Bild Germanias


Rusfischo Briefe

gebenden Einfluß strebt. In Rußland kann man alles erhitzen, kaum etwas
erkämpfen. Die besondere Auffassung von Gastfreundschaft, die bei weniger
komplizierten Naturen vorwiegend in der materiellen Bewirtung, bei den feiner
organisierten in weitestgehender Hilfsbereitschaft beim Forträumen von Hindernissen
und schließlich auch in freimütigster Aussprache Ausdruck findet, ohne daß des¬
halb der zart verschleierte innerste Kern russischen Wesens sich je voll enthüllte,
— solche echt russische Gastfreundschaft wurde mir auch in diesen Wochen entgegen¬
gebracht. Feindseligkeit bin ich weder bei wirklichen Russen noch sonst bei
jemandem begegnet, wohl aber Mißverständnissen über Mißverständnissen. Darum
meine ich, meinen Dank für die jetzt und früher genossene Gastfreundschaft am
besten abzustatten, wenn ich als Publizist fortfahre, wie bisher unter meinen
deutschen Landsleuten Ausklärung über Rußland und die Russen zu verbreiten,
und weiter helfe, aufkommende Mißverständnisse hüben und drüben zu beseitigen.
Dazu gehört neben Wohlwollen Freimut, und gern greife ich das Wort eines
heutigen russischen Ministers auf, wonach beiderseitige Offenheit in allen, beide
Teile betreffenden Dingen den besten Ausgangspunkt auch zum gegenseitigen
politischen Verständnis bildet.




Wer nächtlicher Weile allein im sturmdurchbrausten Bergwalde geht oder
wer in Heller Mondnacht einsam durch die Stille der Wüste wandert, wird
leicht von einem Gefühl beschlichen, das mächtig auf die Phantasie wirkt und
unsere Umgebung mit Bildern füllt, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden
sind. Gefahren werden wahrscheinlich, die sonst nur in Märchenbüchern zu
finden sind und der Wanderer richtet sich allen Ernstes auf sie ein. Ähnlich
geht es den russischen Patrioten, die ungeachtet der Warnung besonnener
Publizisten fast seit einem halben Jahrhundert auf die Gefahr einer deutschen In¬
vasion hinweisen und die jetzt mit geradezu angstvollem Eifer den Gegenstoß
vorbereiten. Solange sie durch die geistige Wüste wanderten, die zwischen den
Zensurbestimmungen der Pobjedonostzew und Plehwe sich weidete, bildeten die
Vorgänge der auswärtigen Politik fast das einzige Thema, mit dem sich die
russischen Politiker beschäftigen durften. Hierbei drängte sich ihnen als tiefstes
Erlebnis der Kontrast auf, der in dem Vergleich zwischen dem mächtigen Empor¬
blühen des jungen Deutschland und der eigenen Rückständigkeit in kultureller,
wirtschaftlicher und politischer Beziehung lag. Das hat dem weltpolitischen
Denken der Russen den besonderen Unterton gegeben, der sich durch Vermittelung
slawjanophiler Ideen zum modernen, gegen das Deutschtum gerichteten Pansla-
wismus ausgebildet hat. Als später die Revolution von 1905/06 mit ihren
chaotischen Begleiterscheinungen das politische Leben in einen brausenden Wald ver¬
wandelte, erschien dem durch Autosuggestion erregten russischen Patrioten zwischen den
Wolkenfetzen, die an seinem nationalenHimmeljagten. als Vision das Bild Germanias


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[0161] Rusfischo Briefe gebenden Einfluß strebt. In Rußland kann man alles erhitzen, kaum etwas erkämpfen. Die besondere Auffassung von Gastfreundschaft, die bei weniger komplizierten Naturen vorwiegend in der materiellen Bewirtung, bei den feiner organisierten in weitestgehender Hilfsbereitschaft beim Forträumen von Hindernissen und schließlich auch in freimütigster Aussprache Ausdruck findet, ohne daß des¬ halb der zart verschleierte innerste Kern russischen Wesens sich je voll enthüllte, — solche echt russische Gastfreundschaft wurde mir auch in diesen Wochen entgegen¬ gebracht. Feindseligkeit bin ich weder bei wirklichen Russen noch sonst bei jemandem begegnet, wohl aber Mißverständnissen über Mißverständnissen. Darum meine ich, meinen Dank für die jetzt und früher genossene Gastfreundschaft am besten abzustatten, wenn ich als Publizist fortfahre, wie bisher unter meinen deutschen Landsleuten Ausklärung über Rußland und die Russen zu verbreiten, und weiter helfe, aufkommende Mißverständnisse hüben und drüben zu beseitigen. Dazu gehört neben Wohlwollen Freimut, und gern greife ich das Wort eines heutigen russischen Ministers auf, wonach beiderseitige Offenheit in allen, beide Teile betreffenden Dingen den besten Ausgangspunkt auch zum gegenseitigen politischen Verständnis bildet. Wer nächtlicher Weile allein im sturmdurchbrausten Bergwalde geht oder wer in Heller Mondnacht einsam durch die Stille der Wüste wandert, wird leicht von einem Gefühl beschlichen, das mächtig auf die Phantasie wirkt und unsere Umgebung mit Bildern füllt, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Gefahren werden wahrscheinlich, die sonst nur in Märchenbüchern zu finden sind und der Wanderer richtet sich allen Ernstes auf sie ein. Ähnlich geht es den russischen Patrioten, die ungeachtet der Warnung besonnener Publizisten fast seit einem halben Jahrhundert auf die Gefahr einer deutschen In¬ vasion hinweisen und die jetzt mit geradezu angstvollem Eifer den Gegenstoß vorbereiten. Solange sie durch die geistige Wüste wanderten, die zwischen den Zensurbestimmungen der Pobjedonostzew und Plehwe sich weidete, bildeten die Vorgänge der auswärtigen Politik fast das einzige Thema, mit dem sich die russischen Politiker beschäftigen durften. Hierbei drängte sich ihnen als tiefstes Erlebnis der Kontrast auf, der in dem Vergleich zwischen dem mächtigen Empor¬ blühen des jungen Deutschland und der eigenen Rückständigkeit in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Beziehung lag. Das hat dem weltpolitischen Denken der Russen den besonderen Unterton gegeben, der sich durch Vermittelung slawjanophiler Ideen zum modernen, gegen das Deutschtum gerichteten Pansla- wismus ausgebildet hat. Als später die Revolution von 1905/06 mit ihren chaotischen Begleiterscheinungen das politische Leben in einen brausenden Wald ver¬ wandelte, erschien dem durch Autosuggestion erregten russischen Patrioten zwischen den Wolkenfetzen, die an seinem nationalenHimmeljagten. als Vision das Bild Germanias

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/161>, abgerufen am 16.06.2024.