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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Russische Briefe

nicht wie ein mütterlich-ernster Frauenkopf, der die Arbeitseiner Kinder hütet,
sondern als Medusenhaupt, haßerfüllt und beutegierig, nur auf den günstigenAugen-
blick lauernd, um den sich andeuten, nach Idealen ehrlich strebenden russischen
Wanderer zu überfallen und zu zermalmen. Die Furcht hat große Augen!
sagt ein russisches Sprichwort. In der erhitzten Phantasie verwischen sich die
Grenzen zwischen Einbildung und Wirklichkeit: Deutschland, das solange be¬
neidete und von ewigen gewissenlosen Hetzern planvoll, von anderen gedankenlos
verleumdete, gilt als Rußlands und des Rnssentums gefährlichster Feind. Ein
Augenblick, wie der gegenwärtige in den Beziehungen der Völker Europas zu¬
einander, ist darum recht geeignet die Stimmung zwischen den beiden mächtigsten
unter ihnen einmal zu analysieren.

AIs Ausgangspunkt für die heute tatsächlich in Rußland gegen Deutschland
vorhandene Mißstimmung darf man. will man sich nicht in theoretischen Speku¬
lationen verlieren, die Verhältnisse nehmen, die sich aus dem Dreikaiser¬
bündnis, das Bismarck 1872 nach so unendlichen Mühen zusammengebracht
hatte, für die europäische und für die innerrusstsche Politik ergeben haben. Der
Versuch, die seit demKrimkrieg ernsthaft verfeindeten Mächte, Österreich undRußland,
auszusöhnen, scheiterte schließlich an den Interessengegensätzen in der Balkanpolitik.
Daß nicht die slawjanophilen Theorien auf dem Berliner Kongreß siegten, sondern
die realen Bedürfnisse sich durchsetzten, lenkte die Feindschaft der Unbefriedigter
auf Bismarck und Deutschland. So konnte denn auch die zweibändige so¬
genannte "Geschichte Alexanders des Zweiten" von Tatischtscheff, die in ihrem
die Balkanfrage behandelnden Teil eine Hetzschrift gegen die deutsche Politik
schlimmster Sorte ist und für die die Petersburger Bureaukratie der 1890 er
Jahre die direkte und ausschließliche Verantwortung trägt, zum Fundament
für alle jene Anschauungen werden, die gegenwärtig Deutschland für das Scheitern
der russischen Balkanpolitik verantwortlich machen wollen und die nun auch
Herrn Ssasonow gram sind, daß er die Schaffung einer "preußischen Garnison"
am Bosporus -- so nennt man hier die deutschen Militärinstrukteure unter
Liman-Sanders -- zugelassen habe.

Zu dieser durch unser Bündnis mit Österreich verursachte" russischen
Mißstimmung gegen Deutschland läuft parallel die Mißstimmung aus
innerpolitischen Gründen. Das Dreikaiserbündnis ist bekanntlich schließlich
unter der Devise "Kampf gegen die Demokratie" zustande gekommen. Obwohl
nun diese Devise von Alexander dem Zweiten stammte, nicht von Bismarck,
obwohl es der Zar war, der den Panslawismus als eine demokratische Be¬
wegung verwarf, obwohl Alexander der Zweite schon 1868 ausdrücklich an den
Statthalter von Polen schrieb, daß die Rückkehr zu den Autonomicgedanken für
Polen infolge des Scheiterns der Wielopolskischen Versuche unmöglich geworden
sei, hat die Legende in Rußland Verbreitung gefunden, als übe Preußen einen
starken und unheilvollen Einfluß auf die innerrusstsche Politik aus, und als sei
allein Preußen und Deutschland dafür verantwortlich zu machen, daß die


Russische Briefe

nicht wie ein mütterlich-ernster Frauenkopf, der die Arbeitseiner Kinder hütet,
sondern als Medusenhaupt, haßerfüllt und beutegierig, nur auf den günstigenAugen-
blick lauernd, um den sich andeuten, nach Idealen ehrlich strebenden russischen
Wanderer zu überfallen und zu zermalmen. Die Furcht hat große Augen!
sagt ein russisches Sprichwort. In der erhitzten Phantasie verwischen sich die
Grenzen zwischen Einbildung und Wirklichkeit: Deutschland, das solange be¬
neidete und von ewigen gewissenlosen Hetzern planvoll, von anderen gedankenlos
verleumdete, gilt als Rußlands und des Rnssentums gefährlichster Feind. Ein
Augenblick, wie der gegenwärtige in den Beziehungen der Völker Europas zu¬
einander, ist darum recht geeignet die Stimmung zwischen den beiden mächtigsten
unter ihnen einmal zu analysieren.

AIs Ausgangspunkt für die heute tatsächlich in Rußland gegen Deutschland
vorhandene Mißstimmung darf man. will man sich nicht in theoretischen Speku¬
lationen verlieren, die Verhältnisse nehmen, die sich aus dem Dreikaiser¬
bündnis, das Bismarck 1872 nach so unendlichen Mühen zusammengebracht
hatte, für die europäische und für die innerrusstsche Politik ergeben haben. Der
Versuch, die seit demKrimkrieg ernsthaft verfeindeten Mächte, Österreich undRußland,
auszusöhnen, scheiterte schließlich an den Interessengegensätzen in der Balkanpolitik.
Daß nicht die slawjanophilen Theorien auf dem Berliner Kongreß siegten, sondern
die realen Bedürfnisse sich durchsetzten, lenkte die Feindschaft der Unbefriedigter
auf Bismarck und Deutschland. So konnte denn auch die zweibändige so¬
genannte „Geschichte Alexanders des Zweiten" von Tatischtscheff, die in ihrem
die Balkanfrage behandelnden Teil eine Hetzschrift gegen die deutsche Politik
schlimmster Sorte ist und für die die Petersburger Bureaukratie der 1890 er
Jahre die direkte und ausschließliche Verantwortung trägt, zum Fundament
für alle jene Anschauungen werden, die gegenwärtig Deutschland für das Scheitern
der russischen Balkanpolitik verantwortlich machen wollen und die nun auch
Herrn Ssasonow gram sind, daß er die Schaffung einer „preußischen Garnison"
am Bosporus — so nennt man hier die deutschen Militärinstrukteure unter
Liman-Sanders — zugelassen habe.

Zu dieser durch unser Bündnis mit Österreich verursachte» russischen
Mißstimmung gegen Deutschland läuft parallel die Mißstimmung aus
innerpolitischen Gründen. Das Dreikaiserbündnis ist bekanntlich schließlich
unter der Devise „Kampf gegen die Demokratie" zustande gekommen. Obwohl
nun diese Devise von Alexander dem Zweiten stammte, nicht von Bismarck,
obwohl es der Zar war, der den Panslawismus als eine demokratische Be¬
wegung verwarf, obwohl Alexander der Zweite schon 1868 ausdrücklich an den
Statthalter von Polen schrieb, daß die Rückkehr zu den Autonomicgedanken für
Polen infolge des Scheiterns der Wielopolskischen Versuche unmöglich geworden
sei, hat die Legende in Rußland Verbreitung gefunden, als übe Preußen einen
starken und unheilvollen Einfluß auf die innerrusstsche Politik aus, und als sei
allein Preußen und Deutschland dafür verantwortlich zu machen, daß die


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[0162] Russische Briefe nicht wie ein mütterlich-ernster Frauenkopf, der die Arbeitseiner Kinder hütet, sondern als Medusenhaupt, haßerfüllt und beutegierig, nur auf den günstigenAugen- blick lauernd, um den sich andeuten, nach Idealen ehrlich strebenden russischen Wanderer zu überfallen und zu zermalmen. Die Furcht hat große Augen! sagt ein russisches Sprichwort. In der erhitzten Phantasie verwischen sich die Grenzen zwischen Einbildung und Wirklichkeit: Deutschland, das solange be¬ neidete und von ewigen gewissenlosen Hetzern planvoll, von anderen gedankenlos verleumdete, gilt als Rußlands und des Rnssentums gefährlichster Feind. Ein Augenblick, wie der gegenwärtige in den Beziehungen der Völker Europas zu¬ einander, ist darum recht geeignet die Stimmung zwischen den beiden mächtigsten unter ihnen einmal zu analysieren. AIs Ausgangspunkt für die heute tatsächlich in Rußland gegen Deutschland vorhandene Mißstimmung darf man. will man sich nicht in theoretischen Speku¬ lationen verlieren, die Verhältnisse nehmen, die sich aus dem Dreikaiser¬ bündnis, das Bismarck 1872 nach so unendlichen Mühen zusammengebracht hatte, für die europäische und für die innerrusstsche Politik ergeben haben. Der Versuch, die seit demKrimkrieg ernsthaft verfeindeten Mächte, Österreich undRußland, auszusöhnen, scheiterte schließlich an den Interessengegensätzen in der Balkanpolitik. Daß nicht die slawjanophilen Theorien auf dem Berliner Kongreß siegten, sondern die realen Bedürfnisse sich durchsetzten, lenkte die Feindschaft der Unbefriedigter auf Bismarck und Deutschland. So konnte denn auch die zweibändige so¬ genannte „Geschichte Alexanders des Zweiten" von Tatischtscheff, die in ihrem die Balkanfrage behandelnden Teil eine Hetzschrift gegen die deutsche Politik schlimmster Sorte ist und für die die Petersburger Bureaukratie der 1890 er Jahre die direkte und ausschließliche Verantwortung trägt, zum Fundament für alle jene Anschauungen werden, die gegenwärtig Deutschland für das Scheitern der russischen Balkanpolitik verantwortlich machen wollen und die nun auch Herrn Ssasonow gram sind, daß er die Schaffung einer „preußischen Garnison" am Bosporus — so nennt man hier die deutschen Militärinstrukteure unter Liman-Sanders — zugelassen habe. Zu dieser durch unser Bündnis mit Österreich verursachte» russischen Mißstimmung gegen Deutschland läuft parallel die Mißstimmung aus innerpolitischen Gründen. Das Dreikaiserbündnis ist bekanntlich schließlich unter der Devise „Kampf gegen die Demokratie" zustande gekommen. Obwohl nun diese Devise von Alexander dem Zweiten stammte, nicht von Bismarck, obwohl es der Zar war, der den Panslawismus als eine demokratische Be¬ wegung verwarf, obwohl Alexander der Zweite schon 1868 ausdrücklich an den Statthalter von Polen schrieb, daß die Rückkehr zu den Autonomicgedanken für Polen infolge des Scheiterns der Wielopolskischen Versuche unmöglich geworden sei, hat die Legende in Rußland Verbreitung gefunden, als übe Preußen einen starken und unheilvollen Einfluß auf die innerrusstsche Politik aus, und als sei allein Preußen und Deutschland dafür verantwortlich zu machen, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/162>, abgerufen am 15.06.2024.