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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Russische Briefe

Die Bureaukratie hat es verstanden, die Volksvertretung niederzuringen:
die Duma ist zwar noch vorhanden, aber sie ist im Lande diskreditiert. Es
ist für mich eine herbe Enttäuschung, die Nichtachtung beoabachten zu
müssen, mit der alle Welt von der einst so stolzen Neichsduma spricht,
von dieser Volksvertretung, für die ich soviel Blut habe fließen sehen,
um die die besten Männer aus der Provinz, ich nenne nur I. I. Pe-
trunkewitsch. Graf Herden, D. N. Schipow, die beiden Romanowitschi
Dolgorukow und viele andere Jahrzehnte hindurch gelitten haben. Die
Duma ist diskreditiert: von den slawjanovhilen Nationalisten, weil sie kein
Sjemski Ssobor (Vereinigter Landtag) ist, von den Sozialisten und freisinnigen
Demokraten, weil sie nicht auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts
mit direkter und geheimer Stimmabgabe zustande kam, von der Bureaukratie,
weil sie -- überhaupt da ist.

Möglich geworden aber ist dieser Zustand durch das Stolypinsche Wahl¬
gesetz vom 3. Juni 1907, von dem ich hier im August 1907 sagen mußte:
"es ist ein Prüfstein für den russischen Adel (das ist heute ein Dienstadel mit
starken Beziehungen zum Großgrundbesitz!). Ihm ganz allein räumt der Gesetz¬
geber die Möglichkeit ein, sich tatkräftig an der Lenkung der Geschicke Rußlands
zu beteiligen" (Heft 32, 1907, S. 281).

So fristet die Duma das Dasein etwa einer Ministerialabteilung, der seitens
der bureaukratischen Maschine Arbeit -- die Besprechung von Gesetzentwürfen --
nach Gutdünken zugeführt wird, oder eines Departements, das, ähnlich wie die
Presseabteilung eines Ministeriums, von einer zielbewußter Regierung manchmal
ganz gut zur Irreleitung der öffentlichen Meinung zu benutzen ist. Demgemäß ist
auch die Duma und das. was in ihr geschieht, nur mit größter Vorsicht als
Maßstab für die öffentliche Meinung und Stimmung zu verwenden, und ihre
Wandelgänge haben höchstens als Brutstätte politischen Klatsches, der dann von
der Presse weitergetragen wird, einige Bedeutung.

Die Bureaukratie zieht inzwischen immer neue Kräfte aus den, Vorbilde,
das ihr die Armee liefert: die russische Armee hat heute allem Anschein
nach die schwere Krise, in die sie das Jahr 1904 geworfen hatte, hinter
sich. Der Unterschied zwischen den heutigen Truppen und denen von
vor sechs Jahren ist ganz augenfällig, und ihre Führer können stolz auf das
in wenigen Jahren Geleistete blicken. Nicht nur in Petersburg bei den Garde¬
regimentem, auch außerhalb machen Offiziere und Mannschaften, ob einzeln, ob
im Trupp betrachtet, einen ganz vorzüglichen Eindruck. Jedem, der einmal des
Königs Rock getragen, wird sich diese Erscheinung ganz von selbst aufdrängen.
Die Straßendisziplin, das Grüßen der Offiziere untereinander, die Erwiderung
des Grußes an Untergebene, alles das bringt das Vorhandensein streng gehand-
habter, einheitlicher Bestimmungen zum Ausdruck und läßt auf einen guten
militärischen Geist in der Truppe schließen. Die Uniform wird von ihren
Trägern sichtlich als ein Ehrenkleid geachtet, was vor gar nicht langer Zeit


Russische Briefe

Die Bureaukratie hat es verstanden, die Volksvertretung niederzuringen:
die Duma ist zwar noch vorhanden, aber sie ist im Lande diskreditiert. Es
ist für mich eine herbe Enttäuschung, die Nichtachtung beoabachten zu
müssen, mit der alle Welt von der einst so stolzen Neichsduma spricht,
von dieser Volksvertretung, für die ich soviel Blut habe fließen sehen,
um die die besten Männer aus der Provinz, ich nenne nur I. I. Pe-
trunkewitsch. Graf Herden, D. N. Schipow, die beiden Romanowitschi
Dolgorukow und viele andere Jahrzehnte hindurch gelitten haben. Die
Duma ist diskreditiert: von den slawjanovhilen Nationalisten, weil sie kein
Sjemski Ssobor (Vereinigter Landtag) ist, von den Sozialisten und freisinnigen
Demokraten, weil sie nicht auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts
mit direkter und geheimer Stimmabgabe zustande kam, von der Bureaukratie,
weil sie — überhaupt da ist.

Möglich geworden aber ist dieser Zustand durch das Stolypinsche Wahl¬
gesetz vom 3. Juni 1907, von dem ich hier im August 1907 sagen mußte:
„es ist ein Prüfstein für den russischen Adel (das ist heute ein Dienstadel mit
starken Beziehungen zum Großgrundbesitz!). Ihm ganz allein räumt der Gesetz¬
geber die Möglichkeit ein, sich tatkräftig an der Lenkung der Geschicke Rußlands
zu beteiligen" (Heft 32, 1907, S. 281).

So fristet die Duma das Dasein etwa einer Ministerialabteilung, der seitens
der bureaukratischen Maschine Arbeit — die Besprechung von Gesetzentwürfen —
nach Gutdünken zugeführt wird, oder eines Departements, das, ähnlich wie die
Presseabteilung eines Ministeriums, von einer zielbewußter Regierung manchmal
ganz gut zur Irreleitung der öffentlichen Meinung zu benutzen ist. Demgemäß ist
auch die Duma und das. was in ihr geschieht, nur mit größter Vorsicht als
Maßstab für die öffentliche Meinung und Stimmung zu verwenden, und ihre
Wandelgänge haben höchstens als Brutstätte politischen Klatsches, der dann von
der Presse weitergetragen wird, einige Bedeutung.

Die Bureaukratie zieht inzwischen immer neue Kräfte aus den, Vorbilde,
das ihr die Armee liefert: die russische Armee hat heute allem Anschein
nach die schwere Krise, in die sie das Jahr 1904 geworfen hatte, hinter
sich. Der Unterschied zwischen den heutigen Truppen und denen von
vor sechs Jahren ist ganz augenfällig, und ihre Führer können stolz auf das
in wenigen Jahren Geleistete blicken. Nicht nur in Petersburg bei den Garde¬
regimentem, auch außerhalb machen Offiziere und Mannschaften, ob einzeln, ob
im Trupp betrachtet, einen ganz vorzüglichen Eindruck. Jedem, der einmal des
Königs Rock getragen, wird sich diese Erscheinung ganz von selbst aufdrängen.
Die Straßendisziplin, das Grüßen der Offiziere untereinander, die Erwiderung
des Grußes an Untergebene, alles das bringt das Vorhandensein streng gehand-
habter, einheitlicher Bestimmungen zum Ausdruck und läßt auf einen guten
militärischen Geist in der Truppe schließen. Die Uniform wird von ihren
Trägern sichtlich als ein Ehrenkleid geachtet, was vor gar nicht langer Zeit


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[0164] Russische Briefe Die Bureaukratie hat es verstanden, die Volksvertretung niederzuringen: die Duma ist zwar noch vorhanden, aber sie ist im Lande diskreditiert. Es ist für mich eine herbe Enttäuschung, die Nichtachtung beoabachten zu müssen, mit der alle Welt von der einst so stolzen Neichsduma spricht, von dieser Volksvertretung, für die ich soviel Blut habe fließen sehen, um die die besten Männer aus der Provinz, ich nenne nur I. I. Pe- trunkewitsch. Graf Herden, D. N. Schipow, die beiden Romanowitschi Dolgorukow und viele andere Jahrzehnte hindurch gelitten haben. Die Duma ist diskreditiert: von den slawjanovhilen Nationalisten, weil sie kein Sjemski Ssobor (Vereinigter Landtag) ist, von den Sozialisten und freisinnigen Demokraten, weil sie nicht auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts mit direkter und geheimer Stimmabgabe zustande kam, von der Bureaukratie, weil sie — überhaupt da ist. Möglich geworden aber ist dieser Zustand durch das Stolypinsche Wahl¬ gesetz vom 3. Juni 1907, von dem ich hier im August 1907 sagen mußte: „es ist ein Prüfstein für den russischen Adel (das ist heute ein Dienstadel mit starken Beziehungen zum Großgrundbesitz!). Ihm ganz allein räumt der Gesetz¬ geber die Möglichkeit ein, sich tatkräftig an der Lenkung der Geschicke Rußlands zu beteiligen" (Heft 32, 1907, S. 281). So fristet die Duma das Dasein etwa einer Ministerialabteilung, der seitens der bureaukratischen Maschine Arbeit — die Besprechung von Gesetzentwürfen — nach Gutdünken zugeführt wird, oder eines Departements, das, ähnlich wie die Presseabteilung eines Ministeriums, von einer zielbewußter Regierung manchmal ganz gut zur Irreleitung der öffentlichen Meinung zu benutzen ist. Demgemäß ist auch die Duma und das. was in ihr geschieht, nur mit größter Vorsicht als Maßstab für die öffentliche Meinung und Stimmung zu verwenden, und ihre Wandelgänge haben höchstens als Brutstätte politischen Klatsches, der dann von der Presse weitergetragen wird, einige Bedeutung. Die Bureaukratie zieht inzwischen immer neue Kräfte aus den, Vorbilde, das ihr die Armee liefert: die russische Armee hat heute allem Anschein nach die schwere Krise, in die sie das Jahr 1904 geworfen hatte, hinter sich. Der Unterschied zwischen den heutigen Truppen und denen von vor sechs Jahren ist ganz augenfällig, und ihre Führer können stolz auf das in wenigen Jahren Geleistete blicken. Nicht nur in Petersburg bei den Garde¬ regimentem, auch außerhalb machen Offiziere und Mannschaften, ob einzeln, ob im Trupp betrachtet, einen ganz vorzüglichen Eindruck. Jedem, der einmal des Königs Rock getragen, wird sich diese Erscheinung ganz von selbst aufdrängen. Die Straßendisziplin, das Grüßen der Offiziere untereinander, die Erwiderung des Grußes an Untergebene, alles das bringt das Vorhandensein streng gehand- habter, einheitlicher Bestimmungen zum Ausdruck und läßt auf einen guten militärischen Geist in der Truppe schließen. Die Uniform wird von ihren Trägern sichtlich als ein Ehrenkleid geachtet, was vor gar nicht langer Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/164>, abgerufen am 15.06.2024.