Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russische Briefe

nicht der Fall war. Der Weg zur Achtung durch andere ist unter solchen
Vorbedingungen nicht weit. Wer aber weiß, wie schwer gerade dem Russen das im
persönlichen Auftreten fällt, was wir "preußisch-militärischen Schneid" nennen,
der wird diese Wandlung gebührend einzuschätzen und daraus seine Schlüsse
zu ziehen wissen. Und wenn solche Ergebnisse in verhältnismäßig kurzer Zeit
erzielt werden konnten, so sind sie sicher nicht durch den Kasernenhofdrill allein
möglich geworden. Da ist ohne Zweifel eine mühevolle geistige Arbeit vor-
und nebenher gegangen, eine Arbeit, die bei den Kadettenhäusern und Junker¬
schulen einsetzte. Äußere Umstände haben sie begünstigt. So sind auch von
den Zentenarfeiern des Jahres 1812, des Moskaner Brandes und des Zu¬
sammenbruchs des Korsen an der Beresina die Ideen des großen Befreiungs¬
kampfes auf das Offizierkorps von heute übergesprungen. Die Russen als
Befreier Europas! besonders auch als Retter Preußens! Das sind zündende
Schlagworte, aus der internationalen Zeitungspolemik übertragen in die Gedanken¬
gänge der Truppenkommandeure. Die Russen schließlich als dasjenige Volk,
das dem Deutschtum selbstlos gestattete, sich ein die Stämme einigendes Reich
zu bauen. Seit den russischen Gardisten der Landsturmhut von 1812 wieder
auf dem Kopfe sitzt, -- freilich im Gegensatz zu seinem Vorbild mit Gold
überladen -- scheint auch das Kraftbewußtsein wieder erwacht, Europas Geschicke
wie einst unter Alexander dem Ersten bestimmen zu können. Hier -- so will
es mich beoünken -- ist die Reibfläche, an der nicht nur militärisches Bewußt¬
sein erglüht. Das ist ein Stimulus zur Ausbildung und Durchbildung des
Geistes in der Armee und im Volk, wie ihn sich eine Heeresleitung und
Regierung nicht besser wünschen können! Freilich geht so die Ausbildung
des Heeres leicht auf Kosten der alten, so oft gefeierten deutsch-russischen
Freundschaft, die die Bureaukratie, wie dargetan, schon seit einem halben
Jahrhundert stets mit ihrer eigenen Schwäche belastete.




Russische Briefe

nicht der Fall war. Der Weg zur Achtung durch andere ist unter solchen
Vorbedingungen nicht weit. Wer aber weiß, wie schwer gerade dem Russen das im
persönlichen Auftreten fällt, was wir „preußisch-militärischen Schneid" nennen,
der wird diese Wandlung gebührend einzuschätzen und daraus seine Schlüsse
zu ziehen wissen. Und wenn solche Ergebnisse in verhältnismäßig kurzer Zeit
erzielt werden konnten, so sind sie sicher nicht durch den Kasernenhofdrill allein
möglich geworden. Da ist ohne Zweifel eine mühevolle geistige Arbeit vor-
und nebenher gegangen, eine Arbeit, die bei den Kadettenhäusern und Junker¬
schulen einsetzte. Äußere Umstände haben sie begünstigt. So sind auch von
den Zentenarfeiern des Jahres 1812, des Moskaner Brandes und des Zu¬
sammenbruchs des Korsen an der Beresina die Ideen des großen Befreiungs¬
kampfes auf das Offizierkorps von heute übergesprungen. Die Russen als
Befreier Europas! besonders auch als Retter Preußens! Das sind zündende
Schlagworte, aus der internationalen Zeitungspolemik übertragen in die Gedanken¬
gänge der Truppenkommandeure. Die Russen schließlich als dasjenige Volk,
das dem Deutschtum selbstlos gestattete, sich ein die Stämme einigendes Reich
zu bauen. Seit den russischen Gardisten der Landsturmhut von 1812 wieder
auf dem Kopfe sitzt, — freilich im Gegensatz zu seinem Vorbild mit Gold
überladen — scheint auch das Kraftbewußtsein wieder erwacht, Europas Geschicke
wie einst unter Alexander dem Ersten bestimmen zu können. Hier — so will
es mich beoünken — ist die Reibfläche, an der nicht nur militärisches Bewußt¬
sein erglüht. Das ist ein Stimulus zur Ausbildung und Durchbildung des
Geistes in der Armee und im Volk, wie ihn sich eine Heeresleitung und
Regierung nicht besser wünschen können! Freilich geht so die Ausbildung
des Heeres leicht auf Kosten der alten, so oft gefeierten deutsch-russischen
Freundschaft, die die Bureaukratie, wie dargetan, schon seit einem halben
Jahrhundert stets mit ihrer eigenen Schwäche belastete.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328265"/>
          <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> nicht der Fall war. Der Weg zur Achtung durch andere ist unter solchen<lb/>
Vorbedingungen nicht weit. Wer aber weiß, wie schwer gerade dem Russen das im<lb/>
persönlichen Auftreten fällt, was wir &#x201E;preußisch-militärischen Schneid" nennen,<lb/>
der wird diese Wandlung gebührend einzuschätzen und daraus seine Schlüsse<lb/>
zu ziehen wissen. Und wenn solche Ergebnisse in verhältnismäßig kurzer Zeit<lb/>
erzielt werden konnten, so sind sie sicher nicht durch den Kasernenhofdrill allein<lb/>
möglich geworden. Da ist ohne Zweifel eine mühevolle geistige Arbeit vor-<lb/>
und nebenher gegangen, eine Arbeit, die bei den Kadettenhäusern und Junker¬<lb/>
schulen einsetzte. Äußere Umstände haben sie begünstigt. So sind auch von<lb/>
den Zentenarfeiern des Jahres 1812, des Moskaner Brandes und des Zu¬<lb/>
sammenbruchs des Korsen an der Beresina die Ideen des großen Befreiungs¬<lb/>
kampfes auf das Offizierkorps von heute übergesprungen. Die Russen als<lb/>
Befreier Europas! besonders auch als Retter Preußens! Das sind zündende<lb/>
Schlagworte, aus der internationalen Zeitungspolemik übertragen in die Gedanken¬<lb/>
gänge der Truppenkommandeure. Die Russen schließlich als dasjenige Volk,<lb/>
das dem Deutschtum selbstlos gestattete, sich ein die Stämme einigendes Reich<lb/>
zu bauen. Seit den russischen Gardisten der Landsturmhut von 1812 wieder<lb/>
auf dem Kopfe sitzt, &#x2014; freilich im Gegensatz zu seinem Vorbild mit Gold<lb/>
überladen &#x2014; scheint auch das Kraftbewußtsein wieder erwacht, Europas Geschicke<lb/>
wie einst unter Alexander dem Ersten bestimmen zu können. Hier &#x2014; so will<lb/>
es mich beoünken &#x2014; ist die Reibfläche, an der nicht nur militärisches Bewußt¬<lb/>
sein erglüht. Das ist ein Stimulus zur Ausbildung und Durchbildung des<lb/>
Geistes in der Armee und im Volk, wie ihn sich eine Heeresleitung und<lb/>
Regierung nicht besser wünschen können! Freilich geht so die Ausbildung<lb/>
des Heeres leicht auf Kosten der alten, so oft gefeierten deutsch-russischen<lb/>
Freundschaft, die die Bureaukratie, wie dargetan, schon seit einem halben<lb/>
Jahrhundert stets mit ihrer eigenen Schwäche belastete.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] Russische Briefe nicht der Fall war. Der Weg zur Achtung durch andere ist unter solchen Vorbedingungen nicht weit. Wer aber weiß, wie schwer gerade dem Russen das im persönlichen Auftreten fällt, was wir „preußisch-militärischen Schneid" nennen, der wird diese Wandlung gebührend einzuschätzen und daraus seine Schlüsse zu ziehen wissen. Und wenn solche Ergebnisse in verhältnismäßig kurzer Zeit erzielt werden konnten, so sind sie sicher nicht durch den Kasernenhofdrill allein möglich geworden. Da ist ohne Zweifel eine mühevolle geistige Arbeit vor- und nebenher gegangen, eine Arbeit, die bei den Kadettenhäusern und Junker¬ schulen einsetzte. Äußere Umstände haben sie begünstigt. So sind auch von den Zentenarfeiern des Jahres 1812, des Moskaner Brandes und des Zu¬ sammenbruchs des Korsen an der Beresina die Ideen des großen Befreiungs¬ kampfes auf das Offizierkorps von heute übergesprungen. Die Russen als Befreier Europas! besonders auch als Retter Preußens! Das sind zündende Schlagworte, aus der internationalen Zeitungspolemik übertragen in die Gedanken¬ gänge der Truppenkommandeure. Die Russen schließlich als dasjenige Volk, das dem Deutschtum selbstlos gestattete, sich ein die Stämme einigendes Reich zu bauen. Seit den russischen Gardisten der Landsturmhut von 1812 wieder auf dem Kopfe sitzt, — freilich im Gegensatz zu seinem Vorbild mit Gold überladen — scheint auch das Kraftbewußtsein wieder erwacht, Europas Geschicke wie einst unter Alexander dem Ersten bestimmen zu können. Hier — so will es mich beoünken — ist die Reibfläche, an der nicht nur militärisches Bewußt¬ sein erglüht. Das ist ein Stimulus zur Ausbildung und Durchbildung des Geistes in der Armee und im Volk, wie ihn sich eine Heeresleitung und Regierung nicht besser wünschen können! Freilich geht so die Ausbildung des Heeres leicht auf Kosten der alten, so oft gefeierten deutsch-russischen Freundschaft, die die Bureaukratie, wie dargetan, schon seit einem halben Jahrhundert stets mit ihrer eigenen Schwäche belastete.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/165>, abgerufen am 15.06.2024.