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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Grundfragen der Jugendfürsorge

den kleinen Gemeinden erzählt werden mußte. Man wird also eine durch¬
greifende Aufsicht, die ja vom Staat und von den gemeindlichen Verbänden
gemeinsam ausgeführt werden kann, trotz aller technischen Schwierigkeiten
dringend wünschen müssen.

Die Armenpflege für Kinder hat ihre dunklen Seiten in Deutschland, das
muß in erster Linie scharf betont werden. Anderseits darf, wie wir schon zum
Teil angedeutet haben, nicht übersehen werden, wie vieles in der Armenpflege
für Kinder doch auch schon geleistet wird, welche hervorragenden Einrichtungen
gerade die Gemeinden und gemeindlichen Verbände in dieser Hinsicht geschaffen
haben. Alle Versuche, diese Armenpflege gründlich umzugestalten und auszu¬
bauen, finden mehr noch als in den erwähnten Mängeln eine Hauptstütze in all
dem, was hier tatsächlich schon vielerorten geleistet wird. So wird man
nicht nur an jene Schäden zu erinnern haben. Viel wichtiger scheint es, kurz
darauf hinzuweisen, welche großen Vorteile hier für die Kinderfürsorge zu er¬
ringen sind. Jene Armenfürsorge für mehr als eine Viertel Million schutz¬
bedürftiger Kinder hat nicht nur den größeren Teil dieser Kinder doch recht
gut versorgt, sondern auch eine Menge von Formen und Methoden der Für-
sorge ausgebildet, die vom allergrößten Wert gewesen und heute noch sind.
Alles was an Erziehungsmethoden in der Fürsorgeerziehung, ja überhaupt in
der Erziehung der Jugend angewandt wird, ist zunächst in der Armenpflege
für Kinder erprobt worden. Die Ausgestaltung und Entwicklung der Waisen¬
häuser, der Erziehungsanstalten für arme Kinder, ja das ganze Wesen des
Volksschulunterrichts hat hier seinen Ursprung. Will man wissen, was diese
Armenpflege bedeutet, so muß man Einrichtungen wie die der Hamburger
öffentlichen Jugendfürsorge betrachten, die mehrere Tausend Kinder in Familien¬
pflege, durch ganz Norddeutschland zerstreut, untergebracht hat, die hierfür eine
umfassende Aufsichtseinrichtung geschaffen, die ihren Schützlingen bei der Berufs¬
wahl wie bei der Ausbildung bis zur Selbständigkeit zur Seite steht, die in einer
großen Sparkasse deren Ersparnisse verwaltet, während sie daneben Kinder,
die in der Familienpflege nicht gedeihen können oder wollen, in den ver¬
schiedensten Anstalten versorgt. Hamburg ist nur ein besonders gutes Beispiel
für treffliche Armenversorgung von Kindern, viele ähnlicher Art lassen sich ihm
an die Seite stellen. Die Armenpflege kann die ihr anvertrauten Kinder sehr
wohl zu tüchtigen Menschen heranbilden; wenn es ihr in vielen Fällen nicht
gelingt, so liegt das an einem ungenügenden Ausbau ihrer Verwaltungsein¬
richtungen. Unter dem Gesichtspunkt ordentlicher Erziehung und Berufsbildung
auf leistungsfähige Schultern gelegt, großen, weitblickend geleiteten Verbänden
übertragen, vermag sie heute noch Großes und Grundlegendes in der Kinder¬
fürsorge zu schaffen. Als die älteste und ausgebildetste Schutzeinrichtung hat
sie noch Bedeutenderes zu leisten.

Haben sich in der Gesamtentwicklung der Jugenderziehung die Familie und
neben ihr die Schuleinrichtungen in ihrer bisherigen Form für alle Kreise der


Grundfragen der Jugendfürsorge

den kleinen Gemeinden erzählt werden mußte. Man wird also eine durch¬
greifende Aufsicht, die ja vom Staat und von den gemeindlichen Verbänden
gemeinsam ausgeführt werden kann, trotz aller technischen Schwierigkeiten
dringend wünschen müssen.

Die Armenpflege für Kinder hat ihre dunklen Seiten in Deutschland, das
muß in erster Linie scharf betont werden. Anderseits darf, wie wir schon zum
Teil angedeutet haben, nicht übersehen werden, wie vieles in der Armenpflege
für Kinder doch auch schon geleistet wird, welche hervorragenden Einrichtungen
gerade die Gemeinden und gemeindlichen Verbände in dieser Hinsicht geschaffen
haben. Alle Versuche, diese Armenpflege gründlich umzugestalten und auszu¬
bauen, finden mehr noch als in den erwähnten Mängeln eine Hauptstütze in all
dem, was hier tatsächlich schon vielerorten geleistet wird. So wird man
nicht nur an jene Schäden zu erinnern haben. Viel wichtiger scheint es, kurz
darauf hinzuweisen, welche großen Vorteile hier für die Kinderfürsorge zu er¬
ringen sind. Jene Armenfürsorge für mehr als eine Viertel Million schutz¬
bedürftiger Kinder hat nicht nur den größeren Teil dieser Kinder doch recht
gut versorgt, sondern auch eine Menge von Formen und Methoden der Für-
sorge ausgebildet, die vom allergrößten Wert gewesen und heute noch sind.
Alles was an Erziehungsmethoden in der Fürsorgeerziehung, ja überhaupt in
der Erziehung der Jugend angewandt wird, ist zunächst in der Armenpflege
für Kinder erprobt worden. Die Ausgestaltung und Entwicklung der Waisen¬
häuser, der Erziehungsanstalten für arme Kinder, ja das ganze Wesen des
Volksschulunterrichts hat hier seinen Ursprung. Will man wissen, was diese
Armenpflege bedeutet, so muß man Einrichtungen wie die der Hamburger
öffentlichen Jugendfürsorge betrachten, die mehrere Tausend Kinder in Familien¬
pflege, durch ganz Norddeutschland zerstreut, untergebracht hat, die hierfür eine
umfassende Aufsichtseinrichtung geschaffen, die ihren Schützlingen bei der Berufs¬
wahl wie bei der Ausbildung bis zur Selbständigkeit zur Seite steht, die in einer
großen Sparkasse deren Ersparnisse verwaltet, während sie daneben Kinder,
die in der Familienpflege nicht gedeihen können oder wollen, in den ver¬
schiedensten Anstalten versorgt. Hamburg ist nur ein besonders gutes Beispiel
für treffliche Armenversorgung von Kindern, viele ähnlicher Art lassen sich ihm
an die Seite stellen. Die Armenpflege kann die ihr anvertrauten Kinder sehr
wohl zu tüchtigen Menschen heranbilden; wenn es ihr in vielen Fällen nicht
gelingt, so liegt das an einem ungenügenden Ausbau ihrer Verwaltungsein¬
richtungen. Unter dem Gesichtspunkt ordentlicher Erziehung und Berufsbildung
auf leistungsfähige Schultern gelegt, großen, weitblickend geleiteten Verbänden
übertragen, vermag sie heute noch Großes und Grundlegendes in der Kinder¬
fürsorge zu schaffen. Als die älteste und ausgebildetste Schutzeinrichtung hat
sie noch Bedeutenderes zu leisten.

Haben sich in der Gesamtentwicklung der Jugenderziehung die Familie und
neben ihr die Schuleinrichtungen in ihrer bisherigen Form für alle Kreise der


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[0174] Grundfragen der Jugendfürsorge den kleinen Gemeinden erzählt werden mußte. Man wird also eine durch¬ greifende Aufsicht, die ja vom Staat und von den gemeindlichen Verbänden gemeinsam ausgeführt werden kann, trotz aller technischen Schwierigkeiten dringend wünschen müssen. Die Armenpflege für Kinder hat ihre dunklen Seiten in Deutschland, das muß in erster Linie scharf betont werden. Anderseits darf, wie wir schon zum Teil angedeutet haben, nicht übersehen werden, wie vieles in der Armenpflege für Kinder doch auch schon geleistet wird, welche hervorragenden Einrichtungen gerade die Gemeinden und gemeindlichen Verbände in dieser Hinsicht geschaffen haben. Alle Versuche, diese Armenpflege gründlich umzugestalten und auszu¬ bauen, finden mehr noch als in den erwähnten Mängeln eine Hauptstütze in all dem, was hier tatsächlich schon vielerorten geleistet wird. So wird man nicht nur an jene Schäden zu erinnern haben. Viel wichtiger scheint es, kurz darauf hinzuweisen, welche großen Vorteile hier für die Kinderfürsorge zu er¬ ringen sind. Jene Armenfürsorge für mehr als eine Viertel Million schutz¬ bedürftiger Kinder hat nicht nur den größeren Teil dieser Kinder doch recht gut versorgt, sondern auch eine Menge von Formen und Methoden der Für- sorge ausgebildet, die vom allergrößten Wert gewesen und heute noch sind. Alles was an Erziehungsmethoden in der Fürsorgeerziehung, ja überhaupt in der Erziehung der Jugend angewandt wird, ist zunächst in der Armenpflege für Kinder erprobt worden. Die Ausgestaltung und Entwicklung der Waisen¬ häuser, der Erziehungsanstalten für arme Kinder, ja das ganze Wesen des Volksschulunterrichts hat hier seinen Ursprung. Will man wissen, was diese Armenpflege bedeutet, so muß man Einrichtungen wie die der Hamburger öffentlichen Jugendfürsorge betrachten, die mehrere Tausend Kinder in Familien¬ pflege, durch ganz Norddeutschland zerstreut, untergebracht hat, die hierfür eine umfassende Aufsichtseinrichtung geschaffen, die ihren Schützlingen bei der Berufs¬ wahl wie bei der Ausbildung bis zur Selbständigkeit zur Seite steht, die in einer großen Sparkasse deren Ersparnisse verwaltet, während sie daneben Kinder, die in der Familienpflege nicht gedeihen können oder wollen, in den ver¬ schiedensten Anstalten versorgt. Hamburg ist nur ein besonders gutes Beispiel für treffliche Armenversorgung von Kindern, viele ähnlicher Art lassen sich ihm an die Seite stellen. Die Armenpflege kann die ihr anvertrauten Kinder sehr wohl zu tüchtigen Menschen heranbilden; wenn es ihr in vielen Fällen nicht gelingt, so liegt das an einem ungenügenden Ausbau ihrer Verwaltungsein¬ richtungen. Unter dem Gesichtspunkt ordentlicher Erziehung und Berufsbildung auf leistungsfähige Schultern gelegt, großen, weitblickend geleiteten Verbänden übertragen, vermag sie heute noch Großes und Grundlegendes in der Kinder¬ fürsorge zu schaffen. Als die älteste und ausgebildetste Schutzeinrichtung hat sie noch Bedeutenderes zu leisten. Haben sich in der Gesamtentwicklung der Jugenderziehung die Familie und neben ihr die Schuleinrichtungen in ihrer bisherigen Form für alle Kreise der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/174>, abgerufen am 22.05.2024.