Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lismarck und Prokesch-Gsten

er im Interesse seines Vaterlandes nicht gern mit einem anderen vertauschen
würde. Doch ist man fast versucht, bis zu einem gewissen Grade anzunehmen,
daß sich Bismarck das nur eingeredet habe; mindestens würde das Maß von
Haß, das er Prokesch gewidmet hat, zu einer solchen Einschätzung gar zu wenig
ini Verhältnis gestanden haben. Einem unbedeutenderen Gegner gegenüber hätte
er auch nicht entfernt so ins Zeug zu gehen brauchen.

Hiermit hängt ein anderes nahe zusammen: daß nämlich Bismarck wieder¬
holt und sehr demonstrativ den Vorgänger wie den Nachfolger Prokeschs, die
Grafen Thun und Rechberg, auf dessen Kosten lobt, was manchem ungünstig
für ihn ins Gewicht zu fallen scheinen könnte. Wenn man aber näher zusieht,
wird man finden, daß die sachlichen Gegensätze unter Thun kaum minder scharf,
sondern nur allenfalls die Anlässe, aus denen sie zum Austrag kamen, minder
bedeutsam waren; aber Bismarck fühlte sich zu der Figur des alten Feudal¬
herrn Thun offenbar wahlverwandt hingezogen, während ihn die aus sich selbst
emporgewachsene, ihm bis zur Unverständlichkeit fremde Persönlichkeit Prokeschs
abstieß.

Übrigens war Thun, nach Bismarcks eigener Schilderung (Poschinger IV
120 ff.), ein gutmütiger Kavalier und dabei, wenn auch nicht direkt eine Null,
doch nicht allzuweit davon. Nechberg dagegen war preußenfreundlicher, und
somit gefügiger als seine beiden Vorgänger; er ist Preußen vielfach weit ent¬
gegengekommen, und es ist ja bekannt, daß Bismarck später gerade mit ihm ein
gutes Stück Weges deutscher Geschichte gemeinsam zurückgelegt hat. Zudem
lagen unter Rechbergs Präsidentschaft so brennende Fragen wie unter der
Prokeschs lange Zeit nicht mehr vor, und Bismarck selbst ließ wohl allmählich
etwas nach in seinem Feuereifer, wie ja auch das schärfste Messer allmählich
nicht mehr so schneidet wie im Anfang, bis erst die Ereignisse des Jahres 1859
seine antiösterreichische Stimmung wieder aufs äußerste brachten, was dann seine
Versetzung nach Petersburg zur Folge hatte").

Alles in allem wird man dem Sohne Prokeschs nicht unrecht geben können,
wenn er den besonderen Haß Bismarcks gegen seinen Vater darauf zurückführt,
daß dieser ihm am energischsten von den Dreien entgegengetreten sei und dadurch
den despotischen Zug seines Charakters am stärksten provoziert habe, und wenn
er ferner in jenem Haß eine Auszeichnung erblickt, mit der er sich nicht eben
in der schlechtesten Gesellschaft befunden habe.

(Fortsetzung folgt"





*) übrigens wird man gut tun, selbst über diese Dinge nicht einseitig Bismarck zu
hören. Prokesch a. a. O. S. 471 lautet doch wesentlich anders, und selbst mit Rechberg wäre
"s einmal beinahe zu einem Duell gekommen.
Lismarck und Prokesch-Gsten

er im Interesse seines Vaterlandes nicht gern mit einem anderen vertauschen
würde. Doch ist man fast versucht, bis zu einem gewissen Grade anzunehmen,
daß sich Bismarck das nur eingeredet habe; mindestens würde das Maß von
Haß, das er Prokesch gewidmet hat, zu einer solchen Einschätzung gar zu wenig
ini Verhältnis gestanden haben. Einem unbedeutenderen Gegner gegenüber hätte
er auch nicht entfernt so ins Zeug zu gehen brauchen.

Hiermit hängt ein anderes nahe zusammen: daß nämlich Bismarck wieder¬
holt und sehr demonstrativ den Vorgänger wie den Nachfolger Prokeschs, die
Grafen Thun und Rechberg, auf dessen Kosten lobt, was manchem ungünstig
für ihn ins Gewicht zu fallen scheinen könnte. Wenn man aber näher zusieht,
wird man finden, daß die sachlichen Gegensätze unter Thun kaum minder scharf,
sondern nur allenfalls die Anlässe, aus denen sie zum Austrag kamen, minder
bedeutsam waren; aber Bismarck fühlte sich zu der Figur des alten Feudal¬
herrn Thun offenbar wahlverwandt hingezogen, während ihn die aus sich selbst
emporgewachsene, ihm bis zur Unverständlichkeit fremde Persönlichkeit Prokeschs
abstieß.

Übrigens war Thun, nach Bismarcks eigener Schilderung (Poschinger IV
120 ff.), ein gutmütiger Kavalier und dabei, wenn auch nicht direkt eine Null,
doch nicht allzuweit davon. Nechberg dagegen war preußenfreundlicher, und
somit gefügiger als seine beiden Vorgänger; er ist Preußen vielfach weit ent¬
gegengekommen, und es ist ja bekannt, daß Bismarck später gerade mit ihm ein
gutes Stück Weges deutscher Geschichte gemeinsam zurückgelegt hat. Zudem
lagen unter Rechbergs Präsidentschaft so brennende Fragen wie unter der
Prokeschs lange Zeit nicht mehr vor, und Bismarck selbst ließ wohl allmählich
etwas nach in seinem Feuereifer, wie ja auch das schärfste Messer allmählich
nicht mehr so schneidet wie im Anfang, bis erst die Ereignisse des Jahres 1859
seine antiösterreichische Stimmung wieder aufs äußerste brachten, was dann seine
Versetzung nach Petersburg zur Folge hatte").

Alles in allem wird man dem Sohne Prokeschs nicht unrecht geben können,
wenn er den besonderen Haß Bismarcks gegen seinen Vater darauf zurückführt,
daß dieser ihm am energischsten von den Dreien entgegengetreten sei und dadurch
den despotischen Zug seines Charakters am stärksten provoziert habe, und wenn
er ferner in jenem Haß eine Auszeichnung erblickt, mit der er sich nicht eben
in der schlechtesten Gesellschaft befunden habe.

(Fortsetzung folgt»





*) übrigens wird man gut tun, selbst über diese Dinge nicht einseitig Bismarck zu
hören. Prokesch a. a. O. S. 471 lautet doch wesentlich anders, und selbst mit Rechberg wäre
«s einmal beinahe zu einem Duell gekommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328130"/>
            <fw type="header" place="top"> Lismarck und Prokesch-Gsten</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_66" prev="#ID_65"> er im Interesse seines Vaterlandes nicht gern mit einem anderen vertauschen<lb/>
würde. Doch ist man fast versucht, bis zu einem gewissen Grade anzunehmen,<lb/>
daß sich Bismarck das nur eingeredet habe; mindestens würde das Maß von<lb/>
Haß, das er Prokesch gewidmet hat, zu einer solchen Einschätzung gar zu wenig<lb/>
ini Verhältnis gestanden haben. Einem unbedeutenderen Gegner gegenüber hätte<lb/>
er auch nicht entfernt so ins Zeug zu gehen brauchen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_67"> Hiermit hängt ein anderes nahe zusammen: daß nämlich Bismarck wieder¬<lb/>
holt und sehr demonstrativ den Vorgänger wie den Nachfolger Prokeschs, die<lb/>
Grafen Thun und Rechberg, auf dessen Kosten lobt, was manchem ungünstig<lb/>
für ihn ins Gewicht zu fallen scheinen könnte. Wenn man aber näher zusieht,<lb/>
wird man finden, daß die sachlichen Gegensätze unter Thun kaum minder scharf,<lb/>
sondern nur allenfalls die Anlässe, aus denen sie zum Austrag kamen, minder<lb/>
bedeutsam waren; aber Bismarck fühlte sich zu der Figur des alten Feudal¬<lb/>
herrn Thun offenbar wahlverwandt hingezogen, während ihn die aus sich selbst<lb/>
emporgewachsene, ihm bis zur Unverständlichkeit fremde Persönlichkeit Prokeschs<lb/>
abstieß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_68"> Übrigens war Thun, nach Bismarcks eigener Schilderung (Poschinger IV<lb/>
120 ff.), ein gutmütiger Kavalier und dabei, wenn auch nicht direkt eine Null,<lb/>
doch nicht allzuweit davon. Nechberg dagegen war preußenfreundlicher, und<lb/>
somit gefügiger als seine beiden Vorgänger; er ist Preußen vielfach weit ent¬<lb/>
gegengekommen, und es ist ja bekannt, daß Bismarck später gerade mit ihm ein<lb/>
gutes Stück Weges deutscher Geschichte gemeinsam zurückgelegt hat. Zudem<lb/>
lagen unter Rechbergs Präsidentschaft so brennende Fragen wie unter der<lb/>
Prokeschs lange Zeit nicht mehr vor, und Bismarck selbst ließ wohl allmählich<lb/>
etwas nach in seinem Feuereifer, wie ja auch das schärfste Messer allmählich<lb/>
nicht mehr so schneidet wie im Anfang, bis erst die Ereignisse des Jahres 1859<lb/>
seine antiösterreichische Stimmung wieder aufs äußerste brachten, was dann seine<lb/>
Versetzung nach Petersburg zur Folge hatte").</p><lb/>
            <p xml:id="ID_69"> Alles in allem wird man dem Sohne Prokeschs nicht unrecht geben können,<lb/>
wenn er den besonderen Haß Bismarcks gegen seinen Vater darauf zurückführt,<lb/>
daß dieser ihm am energischsten von den Dreien entgegengetreten sei und dadurch<lb/>
den despotischen Zug seines Charakters am stärksten provoziert habe, und wenn<lb/>
er ferner in jenem Haß eine Auszeichnung erblickt, mit der er sich nicht eben<lb/>
in der schlechtesten Gesellschaft befunden habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_70"> (Fortsetzung folgt»</p><lb/>
            <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) übrigens wird man gut tun, selbst über diese Dinge nicht einseitig Bismarck zu<lb/>
hören. Prokesch a. a. O. S. 471 lautet doch wesentlich anders, und selbst mit Rechberg wäre<lb/>
«s einmal beinahe zu einem Duell gekommen.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Lismarck und Prokesch-Gsten er im Interesse seines Vaterlandes nicht gern mit einem anderen vertauschen würde. Doch ist man fast versucht, bis zu einem gewissen Grade anzunehmen, daß sich Bismarck das nur eingeredet habe; mindestens würde das Maß von Haß, das er Prokesch gewidmet hat, zu einer solchen Einschätzung gar zu wenig ini Verhältnis gestanden haben. Einem unbedeutenderen Gegner gegenüber hätte er auch nicht entfernt so ins Zeug zu gehen brauchen. Hiermit hängt ein anderes nahe zusammen: daß nämlich Bismarck wieder¬ holt und sehr demonstrativ den Vorgänger wie den Nachfolger Prokeschs, die Grafen Thun und Rechberg, auf dessen Kosten lobt, was manchem ungünstig für ihn ins Gewicht zu fallen scheinen könnte. Wenn man aber näher zusieht, wird man finden, daß die sachlichen Gegensätze unter Thun kaum minder scharf, sondern nur allenfalls die Anlässe, aus denen sie zum Austrag kamen, minder bedeutsam waren; aber Bismarck fühlte sich zu der Figur des alten Feudal¬ herrn Thun offenbar wahlverwandt hingezogen, während ihn die aus sich selbst emporgewachsene, ihm bis zur Unverständlichkeit fremde Persönlichkeit Prokeschs abstieß. Übrigens war Thun, nach Bismarcks eigener Schilderung (Poschinger IV 120 ff.), ein gutmütiger Kavalier und dabei, wenn auch nicht direkt eine Null, doch nicht allzuweit davon. Nechberg dagegen war preußenfreundlicher, und somit gefügiger als seine beiden Vorgänger; er ist Preußen vielfach weit ent¬ gegengekommen, und es ist ja bekannt, daß Bismarck später gerade mit ihm ein gutes Stück Weges deutscher Geschichte gemeinsam zurückgelegt hat. Zudem lagen unter Rechbergs Präsidentschaft so brennende Fragen wie unter der Prokeschs lange Zeit nicht mehr vor, und Bismarck selbst ließ wohl allmählich etwas nach in seinem Feuereifer, wie ja auch das schärfste Messer allmählich nicht mehr so schneidet wie im Anfang, bis erst die Ereignisse des Jahres 1859 seine antiösterreichische Stimmung wieder aufs äußerste brachten, was dann seine Versetzung nach Petersburg zur Folge hatte"). Alles in allem wird man dem Sohne Prokeschs nicht unrecht geben können, wenn er den besonderen Haß Bismarcks gegen seinen Vater darauf zurückführt, daß dieser ihm am energischsten von den Dreien entgegengetreten sei und dadurch den despotischen Zug seines Charakters am stärksten provoziert habe, und wenn er ferner in jenem Haß eine Auszeichnung erblickt, mit der er sich nicht eben in der schlechtesten Gesellschaft befunden habe. (Fortsetzung folgt» *) übrigens wird man gut tun, selbst über diese Dinge nicht einseitig Bismarck zu hören. Prokesch a. a. O. S. 471 lautet doch wesentlich anders, und selbst mit Rechberg wäre «s einmal beinahe zu einem Duell gekommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/30>, abgerufen am 22.05.2024.