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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Von spanischen Stierkämpfen

hausende Freude an Blut und Mord. Was sonst noch mitläuft, die Lust an?
festlichen Gepränge, an Farbe und Anmut, die sich auch entfalten, ist neben¬
sächlich. Jene beiden Affekte, durch die Suggestion, die von der unzählbaren
Menge ausgeht, bis zum Taumel gesteigert, diese dürften den psychologischen
Grund für den Zauber abgeben, den diese Spiele auf den Spanier ausüben.

Der Spanier selber ist natürlich nur geneigt, den guten Affekt, die Freude
an Mut und Kühnheit, zuzugeben. Er verteidigt die Sitte damit, daß durch
dieses Interesse in der Jugend der kriegerische Geist und die Freude an der
anmutigen und sieghaften Körperkraft wachgehalten werde, die sonst in einer
rerweichlichten, kriegslosen Zeit erschlaffen würde. Wir wollen gern glauben,
daß solche Regungen stark mitspielen, vielleicht im Bewußtsein sogar
dominieren.

Aber es läßt sich leicht beweisen, daß dieser Affekt nicht der einzige ist,
der durch die Stierkämpfe befriedigt wird. Denn die Corrida enthält dafür
viel zu viel Elemente, die mit Heldenmut gar nichts zu tun haben, ja die
einem wirklichen für heldische Taten sich begeisternden Sinn im höchsten Grade
zuwider sein müßten. Es gibt da Dinge genug, deren Interesse allein dadurch
erklärt werden kann, daß sie einem Tatendrang nach Blutvergießen entgegen¬
kommen, während sie unter jedem anderen Gesichtswinkel als ekelhaft und
schändlich abgewiesen werden müßten. Man denke an das Hinmetzeln der
Pferde, die man mit geblendeten Augen und verstopften Ohren dem Stier in
die Hörner hetzt, so lange, bis die armen Tiere mit zerschlitztem Bauch und
herausgezerrten Eingeweiden verbluten. Auch ist das Einhaken der Banderillas
eine unnütze und greuliche Tierquälerei, die gewiß Mut und Gewandtheit vor¬
aussetzt, wofür sich aber leicht ein anderer Ersatz finden ließe, wenn es sich
nur um den Erweis dieser Eigenschaften handelte. Und letzthin enthält selbst
der Kampf des Matadors, obwohl hier gewiß ein Mann einer großen
Gefahr gegenübertritt, Momente genug, die widerlich sind. Handelte es sich
nur um den Tod des Stieres, so wäre es doch ritterlicher und männlicher,
man träte ihm entgegen, wenn er noch nicht abgehetzt und ermüdet wäre.
Dann wäre noch mehr Anlaß zu heroischer Begeisterung, weil dann die Gefahr
viel größer wäre. Nein, das abgesetzte Tier muß langsam zu Tode gequält
werden, so will es das Spielgesetz, und so gibt auch der letzte Akt noch Be¬
friedigung genug für jene latenten Blutdurstinstinkte, von denen ich sprach.

Man wird vielleicht geneigt sein, zu meinen, daß eben darum das ganze
Treiben moralisch höchst verdammenswert sei. Indessen möchte ich hier eine
andere Anschauung vertreten und sagen, daß die Bedeutung jener Vorführungen
eben gerade darin beruht, daß sie jene Grausamkeitsinstinkte in verhältnismäßig
unschädlicher Weise beschäftigt, daß also die ganze Sitte psychologisch etwa
als eine Ableitungsreaktion oder Sicherheitsventil anzusehen wäre, wodurch
Schlimmeres verhütet wird. Und daß gerade in Spanien etwas derartiges
nötig ist. das beweist die ganze spanische Geschichte.


Von spanischen Stierkämpfen

hausende Freude an Blut und Mord. Was sonst noch mitläuft, die Lust an?
festlichen Gepränge, an Farbe und Anmut, die sich auch entfalten, ist neben¬
sächlich. Jene beiden Affekte, durch die Suggestion, die von der unzählbaren
Menge ausgeht, bis zum Taumel gesteigert, diese dürften den psychologischen
Grund für den Zauber abgeben, den diese Spiele auf den Spanier ausüben.

Der Spanier selber ist natürlich nur geneigt, den guten Affekt, die Freude
an Mut und Kühnheit, zuzugeben. Er verteidigt die Sitte damit, daß durch
dieses Interesse in der Jugend der kriegerische Geist und die Freude an der
anmutigen und sieghaften Körperkraft wachgehalten werde, die sonst in einer
rerweichlichten, kriegslosen Zeit erschlaffen würde. Wir wollen gern glauben,
daß solche Regungen stark mitspielen, vielleicht im Bewußtsein sogar
dominieren.

Aber es läßt sich leicht beweisen, daß dieser Affekt nicht der einzige ist,
der durch die Stierkämpfe befriedigt wird. Denn die Corrida enthält dafür
viel zu viel Elemente, die mit Heldenmut gar nichts zu tun haben, ja die
einem wirklichen für heldische Taten sich begeisternden Sinn im höchsten Grade
zuwider sein müßten. Es gibt da Dinge genug, deren Interesse allein dadurch
erklärt werden kann, daß sie einem Tatendrang nach Blutvergießen entgegen¬
kommen, während sie unter jedem anderen Gesichtswinkel als ekelhaft und
schändlich abgewiesen werden müßten. Man denke an das Hinmetzeln der
Pferde, die man mit geblendeten Augen und verstopften Ohren dem Stier in
die Hörner hetzt, so lange, bis die armen Tiere mit zerschlitztem Bauch und
herausgezerrten Eingeweiden verbluten. Auch ist das Einhaken der Banderillas
eine unnütze und greuliche Tierquälerei, die gewiß Mut und Gewandtheit vor¬
aussetzt, wofür sich aber leicht ein anderer Ersatz finden ließe, wenn es sich
nur um den Erweis dieser Eigenschaften handelte. Und letzthin enthält selbst
der Kampf des Matadors, obwohl hier gewiß ein Mann einer großen
Gefahr gegenübertritt, Momente genug, die widerlich sind. Handelte es sich
nur um den Tod des Stieres, so wäre es doch ritterlicher und männlicher,
man träte ihm entgegen, wenn er noch nicht abgehetzt und ermüdet wäre.
Dann wäre noch mehr Anlaß zu heroischer Begeisterung, weil dann die Gefahr
viel größer wäre. Nein, das abgesetzte Tier muß langsam zu Tode gequält
werden, so will es das Spielgesetz, und so gibt auch der letzte Akt noch Be¬
friedigung genug für jene latenten Blutdurstinstinkte, von denen ich sprach.

Man wird vielleicht geneigt sein, zu meinen, daß eben darum das ganze
Treiben moralisch höchst verdammenswert sei. Indessen möchte ich hier eine
andere Anschauung vertreten und sagen, daß die Bedeutung jener Vorführungen
eben gerade darin beruht, daß sie jene Grausamkeitsinstinkte in verhältnismäßig
unschädlicher Weise beschäftigt, daß also die ganze Sitte psychologisch etwa
als eine Ableitungsreaktion oder Sicherheitsventil anzusehen wäre, wodurch
Schlimmeres verhütet wird. Und daß gerade in Spanien etwas derartiges
nötig ist. das beweist die ganze spanische Geschichte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/382>, abgerufen am 15.06.2024.