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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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von spanischen 5tierkämpfen

Wo auch immer Spanier im Kampfe aufgetreten sind, haben sie mit einer
zähen Erbitterung gekämpft, einem wilden, unheimlichen Fanatismus, wie er
in keiner Nation sonst sich findet. Daher die unerhörten verbissenen Belagerungs¬
kämpfe von Sagunt und Numantia bis auf Zaragossa herab. Kaum eine
andere Landesgeschichte ist so mit Blut geschrieben. Hier haben Inquisition
und Folter ihren Heimatboden! Wo gab es solche Grausamkeit, wie die,
welche diese Nation gegen Moriscos, Juden und Ketzer entfaltet hat. Von
hier zogen jene Konquistadoren aus, die im Namen des Erlösers und der
heiligen Jungfrau Maria den Boden des neuentdeckten Amerika mit Menschen¬
blut düngten, die so hausten, daß ganze Völker den Massenselbstmord einem
Leben unter spanischer Grausamkeit vorzogen und daß heute in ganz Westindien
kein Rest mehr ist von der zahlreichen glücklichen Bevölkerung, die einst den
Columbus als eine dem Meere entstiegene Gottheit begrüßte. -- Bedarf es
noch mehr der Beweise dafür, daß in diesem Volke ein stärkerer Grausamkeits¬
instinkt herrscht als sonstwo?

Nun, die Stierkämpfe geben die Möglichkeit, diese Instinkte zu betätigen,
ohne daß so ungeheuerliche Folgen sich daran knüpften wie in den oben¬
genannten Epochen. -- Lessing spricht einmal davon, daß die Vorführung von
menschlichen Leidenschaften auf dem Theater eine doppelte Wirkung haben könne:
sie vermögen schwache Leidenschaften im Zuschauer zu steigern und für allzu¬
starke eine Ableitung zu bilden. Wir sehen im spanischen Stierkampf nur die
erste Wirkung. Vielleicht aber ist es gerade die zweite, die man sehen muß,
um diese Sitte zu verstehen. Man braucht sie darum gewiß nicht zu ent¬
schuldigen, aber man wird darum doch vielleicht mildernde Umstände dafür
finden, daß noch heute, in einer Zeit, die sich mit ihrer Humanität so brüstet,
sich ein ganzes Volk in Belustigungen ergeht, die ein Erbteil zu sein
scheinen aus dem Rom der Cüsaren.

Im übrigen sei nicht verschwiegen, daß in Spanien selber viele und gerade
die besten Geister sich auflehnen gegen jene nationale Sitte oder Unsitte, daß
eine ganze Literatur gegen die Tauromachie besteht, ohne daß sie indessen viel
genutzt hätte. Und wer jemals mit jungen Spaniern, besonders im Süden,
über Stiergefechte gesprochen hat, wer sah, wie ihre dunkeln, leidenschaftlichen
Augen und ihre Zähne blitzten, wenn sie "Toros!" jauchzten, der wird ein¬
sehen, daß dieser ungeheuere Unfug nicht mit bloßer moralischer Empörung
hinwegzuspülen ist, sondern daß er in den tiefsten nationalen Instinkten seine
Wurzeln hat. Und leider wird es ja in der Natur und im Leben immer
Gewalten geben, die wir nicht abschaffen können, die wir höchstens in ihrer
Notwendigkeit begreifen und ihnen damit etwas von ihrem Stachel nehmen können.




von spanischen 5tierkämpfen

Wo auch immer Spanier im Kampfe aufgetreten sind, haben sie mit einer
zähen Erbitterung gekämpft, einem wilden, unheimlichen Fanatismus, wie er
in keiner Nation sonst sich findet. Daher die unerhörten verbissenen Belagerungs¬
kämpfe von Sagunt und Numantia bis auf Zaragossa herab. Kaum eine
andere Landesgeschichte ist so mit Blut geschrieben. Hier haben Inquisition
und Folter ihren Heimatboden! Wo gab es solche Grausamkeit, wie die,
welche diese Nation gegen Moriscos, Juden und Ketzer entfaltet hat. Von
hier zogen jene Konquistadoren aus, die im Namen des Erlösers und der
heiligen Jungfrau Maria den Boden des neuentdeckten Amerika mit Menschen¬
blut düngten, die so hausten, daß ganze Völker den Massenselbstmord einem
Leben unter spanischer Grausamkeit vorzogen und daß heute in ganz Westindien
kein Rest mehr ist von der zahlreichen glücklichen Bevölkerung, die einst den
Columbus als eine dem Meere entstiegene Gottheit begrüßte. — Bedarf es
noch mehr der Beweise dafür, daß in diesem Volke ein stärkerer Grausamkeits¬
instinkt herrscht als sonstwo?

Nun, die Stierkämpfe geben die Möglichkeit, diese Instinkte zu betätigen,
ohne daß so ungeheuerliche Folgen sich daran knüpften wie in den oben¬
genannten Epochen. — Lessing spricht einmal davon, daß die Vorführung von
menschlichen Leidenschaften auf dem Theater eine doppelte Wirkung haben könne:
sie vermögen schwache Leidenschaften im Zuschauer zu steigern und für allzu¬
starke eine Ableitung zu bilden. Wir sehen im spanischen Stierkampf nur die
erste Wirkung. Vielleicht aber ist es gerade die zweite, die man sehen muß,
um diese Sitte zu verstehen. Man braucht sie darum gewiß nicht zu ent¬
schuldigen, aber man wird darum doch vielleicht mildernde Umstände dafür
finden, daß noch heute, in einer Zeit, die sich mit ihrer Humanität so brüstet,
sich ein ganzes Volk in Belustigungen ergeht, die ein Erbteil zu sein
scheinen aus dem Rom der Cüsaren.

Im übrigen sei nicht verschwiegen, daß in Spanien selber viele und gerade
die besten Geister sich auflehnen gegen jene nationale Sitte oder Unsitte, daß
eine ganze Literatur gegen die Tauromachie besteht, ohne daß sie indessen viel
genutzt hätte. Und wer jemals mit jungen Spaniern, besonders im Süden,
über Stiergefechte gesprochen hat, wer sah, wie ihre dunkeln, leidenschaftlichen
Augen und ihre Zähne blitzten, wenn sie „Toros!" jauchzten, der wird ein¬
sehen, daß dieser ungeheuere Unfug nicht mit bloßer moralischer Empörung
hinwegzuspülen ist, sondern daß er in den tiefsten nationalen Instinkten seine
Wurzeln hat. Und leider wird es ja in der Natur und im Leben immer
Gewalten geben, die wir nicht abschaffen können, die wir höchstens in ihrer
Notwendigkeit begreifen und ihnen damit etwas von ihrem Stachel nehmen können.




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[0383] von spanischen 5tierkämpfen Wo auch immer Spanier im Kampfe aufgetreten sind, haben sie mit einer zähen Erbitterung gekämpft, einem wilden, unheimlichen Fanatismus, wie er in keiner Nation sonst sich findet. Daher die unerhörten verbissenen Belagerungs¬ kämpfe von Sagunt und Numantia bis auf Zaragossa herab. Kaum eine andere Landesgeschichte ist so mit Blut geschrieben. Hier haben Inquisition und Folter ihren Heimatboden! Wo gab es solche Grausamkeit, wie die, welche diese Nation gegen Moriscos, Juden und Ketzer entfaltet hat. Von hier zogen jene Konquistadoren aus, die im Namen des Erlösers und der heiligen Jungfrau Maria den Boden des neuentdeckten Amerika mit Menschen¬ blut düngten, die so hausten, daß ganze Völker den Massenselbstmord einem Leben unter spanischer Grausamkeit vorzogen und daß heute in ganz Westindien kein Rest mehr ist von der zahlreichen glücklichen Bevölkerung, die einst den Columbus als eine dem Meere entstiegene Gottheit begrüßte. — Bedarf es noch mehr der Beweise dafür, daß in diesem Volke ein stärkerer Grausamkeits¬ instinkt herrscht als sonstwo? Nun, die Stierkämpfe geben die Möglichkeit, diese Instinkte zu betätigen, ohne daß so ungeheuerliche Folgen sich daran knüpften wie in den oben¬ genannten Epochen. — Lessing spricht einmal davon, daß die Vorführung von menschlichen Leidenschaften auf dem Theater eine doppelte Wirkung haben könne: sie vermögen schwache Leidenschaften im Zuschauer zu steigern und für allzu¬ starke eine Ableitung zu bilden. Wir sehen im spanischen Stierkampf nur die erste Wirkung. Vielleicht aber ist es gerade die zweite, die man sehen muß, um diese Sitte zu verstehen. Man braucht sie darum gewiß nicht zu ent¬ schuldigen, aber man wird darum doch vielleicht mildernde Umstände dafür finden, daß noch heute, in einer Zeit, die sich mit ihrer Humanität so brüstet, sich ein ganzes Volk in Belustigungen ergeht, die ein Erbteil zu sein scheinen aus dem Rom der Cüsaren. Im übrigen sei nicht verschwiegen, daß in Spanien selber viele und gerade die besten Geister sich auflehnen gegen jene nationale Sitte oder Unsitte, daß eine ganze Literatur gegen die Tauromachie besteht, ohne daß sie indessen viel genutzt hätte. Und wer jemals mit jungen Spaniern, besonders im Süden, über Stiergefechte gesprochen hat, wer sah, wie ihre dunkeln, leidenschaftlichen Augen und ihre Zähne blitzten, wenn sie „Toros!" jauchzten, der wird ein¬ sehen, daß dieser ungeheuere Unfug nicht mit bloßer moralischer Empörung hinwegzuspülen ist, sondern daß er in den tiefsten nationalen Instinkten seine Wurzeln hat. Und leider wird es ja in der Natur und im Leben immer Gewalten geben, die wir nicht abschaffen können, die wir höchstens in ihrer Notwendigkeit begreifen und ihnen damit etwas von ihrem Stachel nehmen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/383>, abgerufen am 22.05.2024.