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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Politik des Fürsten Bülow

auch nicht, weil er wußte, daß solche Politik am letzten Ende im deutschen
Charakter keine Stütze findet. Fein und treffend sagt Fürst Bülow: "Die
rastlose Art anderer Völker, aus den erreichten Erfolgen den Ansporn zu neuen
größeren Wagnissen zu schöpfen, fehlt dem Deutschen fast gänzlich. Unsere
politische Art ist nicht die des wagehalsig spekulierenden Kaufmannes, sondern
mehr die des bedächtigen Bauern, der nach sorgsamer Aussaat geduldig die
Ernte erwartet,"

Die wahre Bismarcksche Politik ist also eine andere, als sie von politischen
Heißspornen gewöhnlich gezeichnet wird: Gewöhnung Europas an den 1871
geschaffenen Status, Beseitigung des erweckten Mißtrauens gegen die Ziele des
Deutschen Reiches, Verhinderung friedenstörender Koalitionen, Betonung, daß
Deutschland ein "saturierter" Staat sei, Pflege aller friedlichen Entfaltnngs-
möglichkeiten für neue Kräfte, die für die Zukunft Deutschlands bedeutungsvoll
werden könnten, zum Schutz des Ganzen allerdings die vollendete Bereitschaft
der kriegerischen Rüstung des Reiches, -- so und nicht anders wollte Bismarck
das Fundament für die weitere Entwicklung bauen. Und auf diesem Funda¬
ment friedlicher Arbeit und weiser, gewissenhafter Selbstbescheidung erstand in
der Tat eine Wohnstätte, in der sich neue Kräfte regten und mit ungeahnter,
reißender Schnelligkeit entwickelten. Das ganze Wirtschaftsleben nahm eine neue
Gestalt an.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese plötzliche Entwicklung nach einer be¬
stimmten Seite hin manches zu bedrohen schien, was dem Fürsten Bismarck als
wertvollstes Baumaterial beim Bau des Deutschen Reiches gedient hatte. Hier
schien der Lebensaufgabe Bismarcks eine Grenze gesetzt zu sein, die ein Abirren
der Nachfolger von der abgesteckten Bahn als naheliegende Gefahr erscheinen
ließ. Es würde zu weit führen, im einzelnen nachzuweisen, wie weit die Neichs-
regierung nach der Entlassung Bismarcks dieser Gefahr wirklich erlag. Jeden¬
falls verlief die Entwicklung hier nicht ganz geradlinig. Es war die vom
Fürsten Bülow klar erfaßte Aufgabe einer neuen Epoche, die Richtlinien der
Bismarckschen Politik in dem Sinne wieder aufzunehmen, daß inmitten der von
Bismarck festgehaltenen allgemeinen Grundsätze nun auch die Forderungen ihren'
Platz fanden, die inzwischen durch die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Kräfte
gegeben waren, jedoch ohne Preisgabe der alten Werte, mit denen das Reich
gegründet worden war. Daraus ergaben sich leicht die Grundzüge der Vülowschen
Politik.

Fragt man sich nach den soeben erläuterten Gesichtspunkten, welcher Grund¬
gedanke demzufolge die auswärtige Politik des Reiches bestimmen mußte, so
ergibt sich die Notwendigkeit, den neuen Kräften im Wirtschaftsleben freie Bahn
zu verschaffen, wie es unter Bismarck bereits durch den Beginn einer Kolonial¬
politik geschehen war. Und zwar sollte das auf friedlichem Wege erreicht werden,
jedoch so, daß das Reich in jedem Augenblick den etwa vom mißgünstigen Aus¬
land bereiteten Hindernissen zu begegnen fähig war. Dieser "Übergang zur


Die Politik des Fürsten Bülow

auch nicht, weil er wußte, daß solche Politik am letzten Ende im deutschen
Charakter keine Stütze findet. Fein und treffend sagt Fürst Bülow: „Die
rastlose Art anderer Völker, aus den erreichten Erfolgen den Ansporn zu neuen
größeren Wagnissen zu schöpfen, fehlt dem Deutschen fast gänzlich. Unsere
politische Art ist nicht die des wagehalsig spekulierenden Kaufmannes, sondern
mehr die des bedächtigen Bauern, der nach sorgsamer Aussaat geduldig die
Ernte erwartet,"

Die wahre Bismarcksche Politik ist also eine andere, als sie von politischen
Heißspornen gewöhnlich gezeichnet wird: Gewöhnung Europas an den 1871
geschaffenen Status, Beseitigung des erweckten Mißtrauens gegen die Ziele des
Deutschen Reiches, Verhinderung friedenstörender Koalitionen, Betonung, daß
Deutschland ein „saturierter" Staat sei, Pflege aller friedlichen Entfaltnngs-
möglichkeiten für neue Kräfte, die für die Zukunft Deutschlands bedeutungsvoll
werden könnten, zum Schutz des Ganzen allerdings die vollendete Bereitschaft
der kriegerischen Rüstung des Reiches, — so und nicht anders wollte Bismarck
das Fundament für die weitere Entwicklung bauen. Und auf diesem Funda¬
ment friedlicher Arbeit und weiser, gewissenhafter Selbstbescheidung erstand in
der Tat eine Wohnstätte, in der sich neue Kräfte regten und mit ungeahnter,
reißender Schnelligkeit entwickelten. Das ganze Wirtschaftsleben nahm eine neue
Gestalt an.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese plötzliche Entwicklung nach einer be¬
stimmten Seite hin manches zu bedrohen schien, was dem Fürsten Bismarck als
wertvollstes Baumaterial beim Bau des Deutschen Reiches gedient hatte. Hier
schien der Lebensaufgabe Bismarcks eine Grenze gesetzt zu sein, die ein Abirren
der Nachfolger von der abgesteckten Bahn als naheliegende Gefahr erscheinen
ließ. Es würde zu weit führen, im einzelnen nachzuweisen, wie weit die Neichs-
regierung nach der Entlassung Bismarcks dieser Gefahr wirklich erlag. Jeden¬
falls verlief die Entwicklung hier nicht ganz geradlinig. Es war die vom
Fürsten Bülow klar erfaßte Aufgabe einer neuen Epoche, die Richtlinien der
Bismarckschen Politik in dem Sinne wieder aufzunehmen, daß inmitten der von
Bismarck festgehaltenen allgemeinen Grundsätze nun auch die Forderungen ihren'
Platz fanden, die inzwischen durch die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Kräfte
gegeben waren, jedoch ohne Preisgabe der alten Werte, mit denen das Reich
gegründet worden war. Daraus ergaben sich leicht die Grundzüge der Vülowschen
Politik.

Fragt man sich nach den soeben erläuterten Gesichtspunkten, welcher Grund¬
gedanke demzufolge die auswärtige Politik des Reiches bestimmen mußte, so
ergibt sich die Notwendigkeit, den neuen Kräften im Wirtschaftsleben freie Bahn
zu verschaffen, wie es unter Bismarck bereits durch den Beginn einer Kolonial¬
politik geschehen war. Und zwar sollte das auf friedlichem Wege erreicht werden,
jedoch so, daß das Reich in jedem Augenblick den etwa vom mißgünstigen Aus¬
land bereiteten Hindernissen zu begegnen fähig war. Dieser „Übergang zur


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[0066] Die Politik des Fürsten Bülow auch nicht, weil er wußte, daß solche Politik am letzten Ende im deutschen Charakter keine Stütze findet. Fein und treffend sagt Fürst Bülow: „Die rastlose Art anderer Völker, aus den erreichten Erfolgen den Ansporn zu neuen größeren Wagnissen zu schöpfen, fehlt dem Deutschen fast gänzlich. Unsere politische Art ist nicht die des wagehalsig spekulierenden Kaufmannes, sondern mehr die des bedächtigen Bauern, der nach sorgsamer Aussaat geduldig die Ernte erwartet," Die wahre Bismarcksche Politik ist also eine andere, als sie von politischen Heißspornen gewöhnlich gezeichnet wird: Gewöhnung Europas an den 1871 geschaffenen Status, Beseitigung des erweckten Mißtrauens gegen die Ziele des Deutschen Reiches, Verhinderung friedenstörender Koalitionen, Betonung, daß Deutschland ein „saturierter" Staat sei, Pflege aller friedlichen Entfaltnngs- möglichkeiten für neue Kräfte, die für die Zukunft Deutschlands bedeutungsvoll werden könnten, zum Schutz des Ganzen allerdings die vollendete Bereitschaft der kriegerischen Rüstung des Reiches, — so und nicht anders wollte Bismarck das Fundament für die weitere Entwicklung bauen. Und auf diesem Funda¬ ment friedlicher Arbeit und weiser, gewissenhafter Selbstbescheidung erstand in der Tat eine Wohnstätte, in der sich neue Kräfte regten und mit ungeahnter, reißender Schnelligkeit entwickelten. Das ganze Wirtschaftsleben nahm eine neue Gestalt an. Es ist nicht zu leugnen, daß diese plötzliche Entwicklung nach einer be¬ stimmten Seite hin manches zu bedrohen schien, was dem Fürsten Bismarck als wertvollstes Baumaterial beim Bau des Deutschen Reiches gedient hatte. Hier schien der Lebensaufgabe Bismarcks eine Grenze gesetzt zu sein, die ein Abirren der Nachfolger von der abgesteckten Bahn als naheliegende Gefahr erscheinen ließ. Es würde zu weit führen, im einzelnen nachzuweisen, wie weit die Neichs- regierung nach der Entlassung Bismarcks dieser Gefahr wirklich erlag. Jeden¬ falls verlief die Entwicklung hier nicht ganz geradlinig. Es war die vom Fürsten Bülow klar erfaßte Aufgabe einer neuen Epoche, die Richtlinien der Bismarckschen Politik in dem Sinne wieder aufzunehmen, daß inmitten der von Bismarck festgehaltenen allgemeinen Grundsätze nun auch die Forderungen ihren' Platz fanden, die inzwischen durch die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Kräfte gegeben waren, jedoch ohne Preisgabe der alten Werte, mit denen das Reich gegründet worden war. Daraus ergaben sich leicht die Grundzüge der Vülowschen Politik. Fragt man sich nach den soeben erläuterten Gesichtspunkten, welcher Grund¬ gedanke demzufolge die auswärtige Politik des Reiches bestimmen mußte, so ergibt sich die Notwendigkeit, den neuen Kräften im Wirtschaftsleben freie Bahn zu verschaffen, wie es unter Bismarck bereits durch den Beginn einer Kolonial¬ politik geschehen war. Und zwar sollte das auf friedlichem Wege erreicht werden, jedoch so, daß das Reich in jedem Augenblick den etwa vom mißgünstigen Aus¬ land bereiteten Hindernissen zu begegnen fähig war. Dieser „Übergang zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/66>, abgerufen am 15.06.2024.