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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Politik des Lnrsten Bülow

verfolgt hat, nachdem er den ersten, allerdings den gewaltigsten Teil seiner
Lebensaufgabe erfüllt hatte. Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, daß
die Mitwelt, die unter dem frischen Eindruck der großen Taten Bis-
marcks aus der Zeit der Reichsgründung stand und das Fortwirken
der großen Persönlichkeit in der Reichspolitik unmittelbar empfand,
leicht zu einer falschen Auffassung über den eigentlichen Sinn und die Ziele
dieser weiteren Politik gelangen konnte. Tatsächlich suchte ein großer Teil
dieser Mitwelt diese Ziele in dem raschen Vorwegnehmen weiterer Machtstusen,
in der äußeren Ausbreitung des kontinentalen Machtbereiches, in der dauernden
Verblüffung und Niederhaltung des Auslandes. Da gewisse Erscheinungen im
Sinne dieses Programmes als ungewollte Wirkungen der ungewöhnlichen Per¬
sönlichkeit Bismarcks -- man kann sogar ruhig sagen: der Furcht vor Bismarck
-- in den ersten zwei Jahrzehnten des Reiches unleugbar zu bemerken waren,
so fanden sich in den besten nationalen Kreisen Leute genug, die die Politik
Bismarcks gar nicht anders verstehen konnten und wollten. Es sind dieselben
Leute, die auch noch heutigen Tages von der Vorstellung nicht loskommen, daß
mit dem Jahre 1890 ein Herabsinken des Reiches von seiner Höhe begonnen
habe, weil die Wege der Bismarckschen Politik verlassen worden seien. Man
kann es sympathisch begrüßen, daß in unserem leicht zu Philistertum und
Bequemlichkeit neigenden, im ganzen ziemlich unpolitisch veranlagten Volk sich
Gruppen finden, die sich diesen nationalen Schwung bewahren und ihn zu ver¬
breiten suchen, und gewiß wird man den Vertretern dieser Richtung persönlich
hohe Achtung zollen. Bessere politische Einsicht muß uns freilich sagen, daß
dieser Standpunkt für die praktische Politik recht unbrauchbar ist. Er übersieht,
wie schlecht fundiert für praktische Aufgaben der Politik dieses Baugerüst sein
würde, wie groß dabei die Gefahr ist. daß mit Scheinwerten, mit nicht probe-
haltiger Hilfsmitteln bearbeitet wird. Er übersieht weiter, daß eine solche, nur
auf die persönlichen Ausstrahlungen einer seltenen, genialen Persönlichkeit basierte
Politik gar nicht festgehalten werden konnte, sondern nach dem Lauf der Natur
ihr Ende finden mußte, auch wenn die Nachfolger alle die vermeintlichen Fehler
nicht gemacht hätten, mit denen sie vom übereifriger Patrioten belastet wurden.
Er übersieht endlich -- und das ist die Hauptsache --, daß Fürst Bismarck selbst, wenn
er auch die Furcht der Feinde des Deutschen Reiches vor seinem Genie und seiner Tat¬
kraft kannte und in seine Rechnung einstellte, es doch auf das entschiedenste ablehnte,
hierin das Prinzip der deutschen Politik, die Aufgabe der deutschen Zukunft zu
sehen. Das Studium seiner Politik nach 1871, seiner Reden, seiner Gespräche, der
von ihm inspirierten Ausführungen in der Presse, seiner "Gedanken und
Erinnerungen", -- alles das zeigt deutlich und bestimmt, daß er ein weiteres
Vorwärtsstreben der deutschen Macht, unter Ausnutzung der vom Kriegsglück
gegebenen Lage und der dadurch verursachten Furcht und Verblüffung Europas
nicht wollte. Er wollte es nicht, weil er die zahlreichen Warnungszeichen
kannte, die die Weltgeschichte für solche Politik aufgerichtet hat; er wollte es


Die Politik des Lnrsten Bülow

verfolgt hat, nachdem er den ersten, allerdings den gewaltigsten Teil seiner
Lebensaufgabe erfüllt hatte. Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, daß
die Mitwelt, die unter dem frischen Eindruck der großen Taten Bis-
marcks aus der Zeit der Reichsgründung stand und das Fortwirken
der großen Persönlichkeit in der Reichspolitik unmittelbar empfand,
leicht zu einer falschen Auffassung über den eigentlichen Sinn und die Ziele
dieser weiteren Politik gelangen konnte. Tatsächlich suchte ein großer Teil
dieser Mitwelt diese Ziele in dem raschen Vorwegnehmen weiterer Machtstusen,
in der äußeren Ausbreitung des kontinentalen Machtbereiches, in der dauernden
Verblüffung und Niederhaltung des Auslandes. Da gewisse Erscheinungen im
Sinne dieses Programmes als ungewollte Wirkungen der ungewöhnlichen Per¬
sönlichkeit Bismarcks — man kann sogar ruhig sagen: der Furcht vor Bismarck
— in den ersten zwei Jahrzehnten des Reiches unleugbar zu bemerken waren,
so fanden sich in den besten nationalen Kreisen Leute genug, die die Politik
Bismarcks gar nicht anders verstehen konnten und wollten. Es sind dieselben
Leute, die auch noch heutigen Tages von der Vorstellung nicht loskommen, daß
mit dem Jahre 1890 ein Herabsinken des Reiches von seiner Höhe begonnen
habe, weil die Wege der Bismarckschen Politik verlassen worden seien. Man
kann es sympathisch begrüßen, daß in unserem leicht zu Philistertum und
Bequemlichkeit neigenden, im ganzen ziemlich unpolitisch veranlagten Volk sich
Gruppen finden, die sich diesen nationalen Schwung bewahren und ihn zu ver¬
breiten suchen, und gewiß wird man den Vertretern dieser Richtung persönlich
hohe Achtung zollen. Bessere politische Einsicht muß uns freilich sagen, daß
dieser Standpunkt für die praktische Politik recht unbrauchbar ist. Er übersieht,
wie schlecht fundiert für praktische Aufgaben der Politik dieses Baugerüst sein
würde, wie groß dabei die Gefahr ist. daß mit Scheinwerten, mit nicht probe-
haltiger Hilfsmitteln bearbeitet wird. Er übersieht weiter, daß eine solche, nur
auf die persönlichen Ausstrahlungen einer seltenen, genialen Persönlichkeit basierte
Politik gar nicht festgehalten werden konnte, sondern nach dem Lauf der Natur
ihr Ende finden mußte, auch wenn die Nachfolger alle die vermeintlichen Fehler
nicht gemacht hätten, mit denen sie vom übereifriger Patrioten belastet wurden.
Er übersieht endlich — und das ist die Hauptsache —, daß Fürst Bismarck selbst, wenn
er auch die Furcht der Feinde des Deutschen Reiches vor seinem Genie und seiner Tat¬
kraft kannte und in seine Rechnung einstellte, es doch auf das entschiedenste ablehnte,
hierin das Prinzip der deutschen Politik, die Aufgabe der deutschen Zukunft zu
sehen. Das Studium seiner Politik nach 1871, seiner Reden, seiner Gespräche, der
von ihm inspirierten Ausführungen in der Presse, seiner „Gedanken und
Erinnerungen", — alles das zeigt deutlich und bestimmt, daß er ein weiteres
Vorwärtsstreben der deutschen Macht, unter Ausnutzung der vom Kriegsglück
gegebenen Lage und der dadurch verursachten Furcht und Verblüffung Europas
nicht wollte. Er wollte es nicht, weil er die zahlreichen Warnungszeichen
kannte, die die Weltgeschichte für solche Politik aufgerichtet hat; er wollte es


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[0065] Die Politik des Lnrsten Bülow verfolgt hat, nachdem er den ersten, allerdings den gewaltigsten Teil seiner Lebensaufgabe erfüllt hatte. Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, daß die Mitwelt, die unter dem frischen Eindruck der großen Taten Bis- marcks aus der Zeit der Reichsgründung stand und das Fortwirken der großen Persönlichkeit in der Reichspolitik unmittelbar empfand, leicht zu einer falschen Auffassung über den eigentlichen Sinn und die Ziele dieser weiteren Politik gelangen konnte. Tatsächlich suchte ein großer Teil dieser Mitwelt diese Ziele in dem raschen Vorwegnehmen weiterer Machtstusen, in der äußeren Ausbreitung des kontinentalen Machtbereiches, in der dauernden Verblüffung und Niederhaltung des Auslandes. Da gewisse Erscheinungen im Sinne dieses Programmes als ungewollte Wirkungen der ungewöhnlichen Per¬ sönlichkeit Bismarcks — man kann sogar ruhig sagen: der Furcht vor Bismarck — in den ersten zwei Jahrzehnten des Reiches unleugbar zu bemerken waren, so fanden sich in den besten nationalen Kreisen Leute genug, die die Politik Bismarcks gar nicht anders verstehen konnten und wollten. Es sind dieselben Leute, die auch noch heutigen Tages von der Vorstellung nicht loskommen, daß mit dem Jahre 1890 ein Herabsinken des Reiches von seiner Höhe begonnen habe, weil die Wege der Bismarckschen Politik verlassen worden seien. Man kann es sympathisch begrüßen, daß in unserem leicht zu Philistertum und Bequemlichkeit neigenden, im ganzen ziemlich unpolitisch veranlagten Volk sich Gruppen finden, die sich diesen nationalen Schwung bewahren und ihn zu ver¬ breiten suchen, und gewiß wird man den Vertretern dieser Richtung persönlich hohe Achtung zollen. Bessere politische Einsicht muß uns freilich sagen, daß dieser Standpunkt für die praktische Politik recht unbrauchbar ist. Er übersieht, wie schlecht fundiert für praktische Aufgaben der Politik dieses Baugerüst sein würde, wie groß dabei die Gefahr ist. daß mit Scheinwerten, mit nicht probe- haltiger Hilfsmitteln bearbeitet wird. Er übersieht weiter, daß eine solche, nur auf die persönlichen Ausstrahlungen einer seltenen, genialen Persönlichkeit basierte Politik gar nicht festgehalten werden konnte, sondern nach dem Lauf der Natur ihr Ende finden mußte, auch wenn die Nachfolger alle die vermeintlichen Fehler nicht gemacht hätten, mit denen sie vom übereifriger Patrioten belastet wurden. Er übersieht endlich — und das ist die Hauptsache —, daß Fürst Bismarck selbst, wenn er auch die Furcht der Feinde des Deutschen Reiches vor seinem Genie und seiner Tat¬ kraft kannte und in seine Rechnung einstellte, es doch auf das entschiedenste ablehnte, hierin das Prinzip der deutschen Politik, die Aufgabe der deutschen Zukunft zu sehen. Das Studium seiner Politik nach 1871, seiner Reden, seiner Gespräche, der von ihm inspirierten Ausführungen in der Presse, seiner „Gedanken und Erinnerungen", — alles das zeigt deutlich und bestimmt, daß er ein weiteres Vorwärtsstreben der deutschen Macht, unter Ausnutzung der vom Kriegsglück gegebenen Lage und der dadurch verursachten Furcht und Verblüffung Europas nicht wollte. Er wollte es nicht, weil er die zahlreichen Warnungszeichen kannte, die die Weltgeschichte für solche Politik aufgerichtet hat; er wollte es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/65>, abgerufen am 15.06.2024.