Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Naycn

Gespannt hörte die hohe Frau zu und sprach endlich den Wunsch aus,
die Jungfrau von Sehestedt von Angesicht zu sehen und sich von ihr noch mehr
berichten zu lassen.

"Wir sind gar einsam hier und erleben sehr wenig!" setzte sie hinzu.

Ihr Herr Gemahl hatte diese Worte gehört und hob den Becher nun auch
gegen sie.

"Euer Liebden muß nicht allzuviel erleben wollen! Das ist nicht gesund
und gibt viel Sehnsucht in das Blut. Viel besser, ein geruhsam Leben zu
führen, seinen Acker zu bauen und der Obrigkeit zu gehorchen!"

Die Tischgesellschaft lachte, wie sie lachen mußte, über eiuen Scherz, ihres
Herrn. Aber die Herzogin sah ängstlich in das dunkle Gesicht ihres Gebieters.
Wenn er so sprach, dann wußte sie, daß er sich schon wieder in die weite,
unruhige Welt sehnte, daß sie bestimmen müßte, wie die Giebel gerichtet und
die Ställe gebaut werden sollten. Daß der Vogel schon wieder die Schwingen
hob, um weiter zu fliegen. Und das Herz war ihr schwer unter dem gold¬
gestickten Kleid und der feinen tondernschen Spitze, die kunstreich darüber
gelegt war.

Aber sie lächelte tapfer und nippte wieder an ihrem Becher.

Eine Woche später stand Jostas Sehestedt vor seiner Base Heilwig. Es
war zu Schloß Sehestedt, im schleswigschen, wohin der Junker geritten war.
Stolz lag der Sitz mitten zwischen Wiesen und Wald an einem großen Landsee.
Der Junker war gekleidet, wie lange nicht. Er trug ein graues Sammetwams,
das reich mit Spitzen besetzt war, dazu feuerrote Strümpfe und gelbe Stulpstiefel,
die gleichfalls mit Spitzen besetzt waren. Dann noch einen kleinen Degen und
einen mit Edelsteinen besetzten Gürtel. Er machte sich merkwürdig in einem
schmucklos eingerichteten Zimmer, das nur notdürftig mit Eichengerät ausgestattet
war und auf dessen steinernem Fußboden nicht einmal ein Teppich lag.

Heilwig, die selbst ein einfaches schwarzes Kleid trug und ihr Haar kunstlos
aufgesteckt hatte, sprach gleich von dem Gegensatz.

"Ihr wundert Euch gewiß, daß wir armselig wohnen, aber die Polen
unter dem Brandenburger Herrn haben vor etlichen Jahren hier gehaust und
da der Herr Vater meistens in Kopenhagen wohnt, ist nicht viel wieder an¬
geschafft worden. Aber die Felder sind gut bestellt und die Dörfer allmählich
wieder aufgebaut!"

"Ja, der Krieg!" Josias setzte sich auf ihr Geheiß und sah sich mit seinen
scharfen Augen um.

"Bei meiner Mutter auf Schierensee sind sie damals nicht gewesen!" sagte
er. "So also werden wir immer genug Gerät haben, Base, und brauchen uns
nichts Neues anzuschaffen."

Ihr blasses Gesicht färbte sich ein wenig, aber sie sah ihn ernsthaft und ruhig an.

"Es ist gut, daß Ihr kommt, Vetter! Ich hab schon auf Euch gewartet!
Der Vater liegt mir in den Ohren mit Heiraten, und es ist nicht wohlgetan


Die Hexe von Naycn

Gespannt hörte die hohe Frau zu und sprach endlich den Wunsch aus,
die Jungfrau von Sehestedt von Angesicht zu sehen und sich von ihr noch mehr
berichten zu lassen.

„Wir sind gar einsam hier und erleben sehr wenig!" setzte sie hinzu.

Ihr Herr Gemahl hatte diese Worte gehört und hob den Becher nun auch
gegen sie.

„Euer Liebden muß nicht allzuviel erleben wollen! Das ist nicht gesund
und gibt viel Sehnsucht in das Blut. Viel besser, ein geruhsam Leben zu
führen, seinen Acker zu bauen und der Obrigkeit zu gehorchen!"

Die Tischgesellschaft lachte, wie sie lachen mußte, über eiuen Scherz, ihres
Herrn. Aber die Herzogin sah ängstlich in das dunkle Gesicht ihres Gebieters.
Wenn er so sprach, dann wußte sie, daß er sich schon wieder in die weite,
unruhige Welt sehnte, daß sie bestimmen müßte, wie die Giebel gerichtet und
die Ställe gebaut werden sollten. Daß der Vogel schon wieder die Schwingen
hob, um weiter zu fliegen. Und das Herz war ihr schwer unter dem gold¬
gestickten Kleid und der feinen tondernschen Spitze, die kunstreich darüber
gelegt war.

Aber sie lächelte tapfer und nippte wieder an ihrem Becher.

Eine Woche später stand Jostas Sehestedt vor seiner Base Heilwig. Es
war zu Schloß Sehestedt, im schleswigschen, wohin der Junker geritten war.
Stolz lag der Sitz mitten zwischen Wiesen und Wald an einem großen Landsee.
Der Junker war gekleidet, wie lange nicht. Er trug ein graues Sammetwams,
das reich mit Spitzen besetzt war, dazu feuerrote Strümpfe und gelbe Stulpstiefel,
die gleichfalls mit Spitzen besetzt waren. Dann noch einen kleinen Degen und
einen mit Edelsteinen besetzten Gürtel. Er machte sich merkwürdig in einem
schmucklos eingerichteten Zimmer, das nur notdürftig mit Eichengerät ausgestattet
war und auf dessen steinernem Fußboden nicht einmal ein Teppich lag.

Heilwig, die selbst ein einfaches schwarzes Kleid trug und ihr Haar kunstlos
aufgesteckt hatte, sprach gleich von dem Gegensatz.

„Ihr wundert Euch gewiß, daß wir armselig wohnen, aber die Polen
unter dem Brandenburger Herrn haben vor etlichen Jahren hier gehaust und
da der Herr Vater meistens in Kopenhagen wohnt, ist nicht viel wieder an¬
geschafft worden. Aber die Felder sind gut bestellt und die Dörfer allmählich
wieder aufgebaut!"

„Ja, der Krieg!" Josias setzte sich auf ihr Geheiß und sah sich mit seinen
scharfen Augen um.

„Bei meiner Mutter auf Schierensee sind sie damals nicht gewesen!" sagte
er. „So also werden wir immer genug Gerät haben, Base, und brauchen uns
nichts Neues anzuschaffen."

Ihr blasses Gesicht färbte sich ein wenig, aber sie sah ihn ernsthaft und ruhig an.

„Es ist gut, daß Ihr kommt, Vetter! Ich hab schon auf Euch gewartet!
Der Vater liegt mir in den Ohren mit Heiraten, und es ist nicht wohlgetan


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328188"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Naycn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_333"> Gespannt hörte die hohe Frau zu und sprach endlich den Wunsch aus,<lb/>
die Jungfrau von Sehestedt von Angesicht zu sehen und sich von ihr noch mehr<lb/>
berichten zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_334"> &#x201E;Wir sind gar einsam hier und erleben sehr wenig!" setzte sie hinzu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_335"> Ihr Herr Gemahl hatte diese Worte gehört und hob den Becher nun auch<lb/>
gegen sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_336"> &#x201E;Euer Liebden muß nicht allzuviel erleben wollen! Das ist nicht gesund<lb/>
und gibt viel Sehnsucht in das Blut. Viel besser, ein geruhsam Leben zu<lb/>
führen, seinen Acker zu bauen und der Obrigkeit zu gehorchen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_337"> Die Tischgesellschaft lachte, wie sie lachen mußte, über eiuen Scherz, ihres<lb/>
Herrn. Aber die Herzogin sah ängstlich in das dunkle Gesicht ihres Gebieters.<lb/>
Wenn er so sprach, dann wußte sie, daß er sich schon wieder in die weite,<lb/>
unruhige Welt sehnte, daß sie bestimmen müßte, wie die Giebel gerichtet und<lb/>
die Ställe gebaut werden sollten. Daß der Vogel schon wieder die Schwingen<lb/>
hob, um weiter zu fliegen. Und das Herz war ihr schwer unter dem gold¬<lb/>
gestickten Kleid und der feinen tondernschen Spitze, die kunstreich darüber<lb/>
gelegt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Aber sie lächelte tapfer und nippte wieder an ihrem Becher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_339"> Eine Woche später stand Jostas Sehestedt vor seiner Base Heilwig. Es<lb/>
war zu Schloß Sehestedt, im schleswigschen, wohin der Junker geritten war.<lb/>
Stolz lag der Sitz mitten zwischen Wiesen und Wald an einem großen Landsee.<lb/>
Der Junker war gekleidet, wie lange nicht. Er trug ein graues Sammetwams,<lb/>
das reich mit Spitzen besetzt war, dazu feuerrote Strümpfe und gelbe Stulpstiefel,<lb/>
die gleichfalls mit Spitzen besetzt waren. Dann noch einen kleinen Degen und<lb/>
einen mit Edelsteinen besetzten Gürtel. Er machte sich merkwürdig in einem<lb/>
schmucklos eingerichteten Zimmer, das nur notdürftig mit Eichengerät ausgestattet<lb/>
war und auf dessen steinernem Fußboden nicht einmal ein Teppich lag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_340"> Heilwig, die selbst ein einfaches schwarzes Kleid trug und ihr Haar kunstlos<lb/>
aufgesteckt hatte, sprach gleich von dem Gegensatz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_341"> &#x201E;Ihr wundert Euch gewiß, daß wir armselig wohnen, aber die Polen<lb/>
unter dem Brandenburger Herrn haben vor etlichen Jahren hier gehaust und<lb/>
da der Herr Vater meistens in Kopenhagen wohnt, ist nicht viel wieder an¬<lb/>
geschafft worden. Aber die Felder sind gut bestellt und die Dörfer allmählich<lb/>
wieder aufgebaut!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_342"> &#x201E;Ja, der Krieg!" Josias setzte sich auf ihr Geheiß und sah sich mit seinen<lb/>
scharfen Augen um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_343"> &#x201E;Bei meiner Mutter auf Schierensee sind sie damals nicht gewesen!" sagte<lb/>
er. &#x201E;So also werden wir immer genug Gerät haben, Base, und brauchen uns<lb/>
nichts Neues anzuschaffen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_344"> Ihr blasses Gesicht färbte sich ein wenig, aber sie sah ihn ernsthaft und ruhig an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_345" next="#ID_346"> &#x201E;Es ist gut, daß Ihr kommt, Vetter! Ich hab schon auf Euch gewartet!<lb/>
Der Vater liegt mir in den Ohren mit Heiraten, und es ist nicht wohlgetan</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Die Hexe von Naycn Gespannt hörte die hohe Frau zu und sprach endlich den Wunsch aus, die Jungfrau von Sehestedt von Angesicht zu sehen und sich von ihr noch mehr berichten zu lassen. „Wir sind gar einsam hier und erleben sehr wenig!" setzte sie hinzu. Ihr Herr Gemahl hatte diese Worte gehört und hob den Becher nun auch gegen sie. „Euer Liebden muß nicht allzuviel erleben wollen! Das ist nicht gesund und gibt viel Sehnsucht in das Blut. Viel besser, ein geruhsam Leben zu führen, seinen Acker zu bauen und der Obrigkeit zu gehorchen!" Die Tischgesellschaft lachte, wie sie lachen mußte, über eiuen Scherz, ihres Herrn. Aber die Herzogin sah ängstlich in das dunkle Gesicht ihres Gebieters. Wenn er so sprach, dann wußte sie, daß er sich schon wieder in die weite, unruhige Welt sehnte, daß sie bestimmen müßte, wie die Giebel gerichtet und die Ställe gebaut werden sollten. Daß der Vogel schon wieder die Schwingen hob, um weiter zu fliegen. Und das Herz war ihr schwer unter dem gold¬ gestickten Kleid und der feinen tondernschen Spitze, die kunstreich darüber gelegt war. Aber sie lächelte tapfer und nippte wieder an ihrem Becher. Eine Woche später stand Jostas Sehestedt vor seiner Base Heilwig. Es war zu Schloß Sehestedt, im schleswigschen, wohin der Junker geritten war. Stolz lag der Sitz mitten zwischen Wiesen und Wald an einem großen Landsee. Der Junker war gekleidet, wie lange nicht. Er trug ein graues Sammetwams, das reich mit Spitzen besetzt war, dazu feuerrote Strümpfe und gelbe Stulpstiefel, die gleichfalls mit Spitzen besetzt waren. Dann noch einen kleinen Degen und einen mit Edelsteinen besetzten Gürtel. Er machte sich merkwürdig in einem schmucklos eingerichteten Zimmer, das nur notdürftig mit Eichengerät ausgestattet war und auf dessen steinernem Fußboden nicht einmal ein Teppich lag. Heilwig, die selbst ein einfaches schwarzes Kleid trug und ihr Haar kunstlos aufgesteckt hatte, sprach gleich von dem Gegensatz. „Ihr wundert Euch gewiß, daß wir armselig wohnen, aber die Polen unter dem Brandenburger Herrn haben vor etlichen Jahren hier gehaust und da der Herr Vater meistens in Kopenhagen wohnt, ist nicht viel wieder an¬ geschafft worden. Aber die Felder sind gut bestellt und die Dörfer allmählich wieder aufgebaut!" „Ja, der Krieg!" Josias setzte sich auf ihr Geheiß und sah sich mit seinen scharfen Augen um. „Bei meiner Mutter auf Schierensee sind sie damals nicht gewesen!" sagte er. „So also werden wir immer genug Gerät haben, Base, und brauchen uns nichts Neues anzuschaffen." Ihr blasses Gesicht färbte sich ein wenig, aber sie sah ihn ernsthaft und ruhig an. „Es ist gut, daß Ihr kommt, Vetter! Ich hab schon auf Euch gewartet! Der Vater liegt mir in den Ohren mit Heiraten, und es ist nicht wohlgetan

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/88>, abgerufen am 16.06.2024.