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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

und meine Dienste wurden schlecht gelohnt. Elend bin ich und verlassen, einmal
hat mich ein Wagen am Rhein überfahren und seit der Zeit bin ich ein Krüppel,
und niemand hat Erbarmen. Einmal war ich der Stadtschreiber von Manen
und nun bin ich ein Lump."

Heilwig rieb sich die Stirn. War sie noch im Traum? Aber die heisere
Stimme sprach weiter.

"Anders bin ich geworden wie ehemals, Frau, und Ihr tragt die Schuld.
Ich habe Euch das Leben gerettet, das die anderen Euch nehmen wollten, jetzt
ist es an Euch, alte Schuld zu bezahlen. Gebt mir Geld, daß ich ein ordent¬
licher Mensch werde!"

"Ich habe Euch nichts zu danken!" Heilwig hatte ihren Schreck über¬
wunden und richtete sich auf. "Ihr habt mir damals arge Angst eingeflößt
und mir nicht geholfen. Geht, woher Ihr tanti"

"Leicht gesaget" Er lachte noch bösartiger. "Ich bin von nirgendwoher
und gehe nach nirgendwohin. Alle haben sie mir übel mitgespielt, und ich bin
doch einer, der ebensogut Freude haben wollte wie die anderen. Ihr solltet
klug sein und mir geben, was ich haben will! Hundert Goldtaler sind für eine
reiche Frau nicht viel und ich kann wieder in die Heimat ziehen, die mich
damals nicht mehr haben wollte."

Er stand vor ihr mit herrischer Miene und über Heilwig kam ein großer
Zorn. Was wagte der Mensch, der sie damals geängstigt hatte, daß sie noch
manchmal von ihm träumte!

Sie griff nach einer silbernen Pfeife, mit der sie die Mägde
herbeirief, aber -- da hatte der ehemalige Stadtschreiber sie ihr schon
aus der Hand geschlagen und hob die Hand gegen sie. Gerade, als
der Vogt noch einmal um die Ecke der Hecke lugte, weil er der edlen
Frau doch noch ein dringliches Wort zu sagen hatte. Und dann lag der
Bettler bald unter der harten Faust des Knechtes auf der Erde, wurde
vorsichtig und langsam gebunden und in den Turm gebracht, in
dem schon so viele andere auf Strafe warteten. Heilwig stand tatenlos
dabei, als der einstige Stadtschreiber abgeführt wurde. Halb war sie
erleichtert, halb sorgenvoll. Weshalb kam der Mann, der einstmals ihr
Richter hatte sein wollen, und weshalb kam über sie eine Empfindung
der Angst?

"Du sollst ihn nicht allzuscharf behandeln!" sagte sie zum Vogt, als dieser
ihr meldete, daß sein Gefangener ganz besonders wild und bösartig gewesen
wäre. Einen Mitgefangenen hatte er gleich in die Wange gebissen und dazu
ganz gotteslästerliche Reden ausgestoßen.

"Kannst du ihn nicht laufen lassen?" setzte sie hinzu, als der Vogt die
Augen weit aufriß.

"Laufen lassen? Edle Frau, dann wird es viel Unglück geben, und der
edle Herr wird zornig werden. Am besten wäre es, wir knüpften ihn gleich


Grenzboten II 1914 6
Die Hexe von Mayen

und meine Dienste wurden schlecht gelohnt. Elend bin ich und verlassen, einmal
hat mich ein Wagen am Rhein überfahren und seit der Zeit bin ich ein Krüppel,
und niemand hat Erbarmen. Einmal war ich der Stadtschreiber von Manen
und nun bin ich ein Lump."

Heilwig rieb sich die Stirn. War sie noch im Traum? Aber die heisere
Stimme sprach weiter.

„Anders bin ich geworden wie ehemals, Frau, und Ihr tragt die Schuld.
Ich habe Euch das Leben gerettet, das die anderen Euch nehmen wollten, jetzt
ist es an Euch, alte Schuld zu bezahlen. Gebt mir Geld, daß ich ein ordent¬
licher Mensch werde!"

„Ich habe Euch nichts zu danken!" Heilwig hatte ihren Schreck über¬
wunden und richtete sich auf. „Ihr habt mir damals arge Angst eingeflößt
und mir nicht geholfen. Geht, woher Ihr tanti"

„Leicht gesaget" Er lachte noch bösartiger. „Ich bin von nirgendwoher
und gehe nach nirgendwohin. Alle haben sie mir übel mitgespielt, und ich bin
doch einer, der ebensogut Freude haben wollte wie die anderen. Ihr solltet
klug sein und mir geben, was ich haben will! Hundert Goldtaler sind für eine
reiche Frau nicht viel und ich kann wieder in die Heimat ziehen, die mich
damals nicht mehr haben wollte."

Er stand vor ihr mit herrischer Miene und über Heilwig kam ein großer
Zorn. Was wagte der Mensch, der sie damals geängstigt hatte, daß sie noch
manchmal von ihm träumte!

Sie griff nach einer silbernen Pfeife, mit der sie die Mägde
herbeirief, aber — da hatte der ehemalige Stadtschreiber sie ihr schon
aus der Hand geschlagen und hob die Hand gegen sie. Gerade, als
der Vogt noch einmal um die Ecke der Hecke lugte, weil er der edlen
Frau doch noch ein dringliches Wort zu sagen hatte. Und dann lag der
Bettler bald unter der harten Faust des Knechtes auf der Erde, wurde
vorsichtig und langsam gebunden und in den Turm gebracht, in
dem schon so viele andere auf Strafe warteten. Heilwig stand tatenlos
dabei, als der einstige Stadtschreiber abgeführt wurde. Halb war sie
erleichtert, halb sorgenvoll. Weshalb kam der Mann, der einstmals ihr
Richter hatte sein wollen, und weshalb kam über sie eine Empfindung
der Angst?

„Du sollst ihn nicht allzuscharf behandeln!" sagte sie zum Vogt, als dieser
ihr meldete, daß sein Gefangener ganz besonders wild und bösartig gewesen
wäre. Einen Mitgefangenen hatte er gleich in die Wange gebissen und dazu
ganz gotteslästerliche Reden ausgestoßen.

„Kannst du ihn nicht laufen lassen?" setzte sie hinzu, als der Vogt die
Augen weit aufriß.

„Laufen lassen? Edle Frau, dann wird es viel Unglück geben, und der
edle Herr wird zornig werden. Am besten wäre es, wir knüpften ihn gleich


Grenzboten II 1914 6
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/93>, abgerufen am 15.06.2024.