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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Lharakter der Franzosen

die gar nicht'Natur sein will, begreifen, um dem Wesen der Franzosen näher¬
zukommen, Deutsche Frauen regen sich über die "Unechtheil" von Pariser
Schönheiten auf, die geschminkt, gepudert, emailliert und Gott weiß was sonst
noch, nur keine "Natur" sind. Man bedenke, daß jene, das auch gar nicht
wollen. Man sagt: "I^g, ?l-g,n<M8e n'est pa8 belle, eile le clevient." --
Alles ist bewußte Kunst, die gar nicht in irgendwelchem Zusammenhang mit
der Natur stehen will: nur so ist die französische Dicht- und Schauspielkunst,
die französische Schönheitspflege und überhaupt der ganze Lebensstil zu verstehen.
Er ist nicht "falsch", aber er ist künstlich. Nur weil der Deutsche, der immer
eine innere Beziehung zwischen "Kunst" und "Natur" verlangt, das nicht
verstand, konnte die Rede entstehen, am Franzosen sei alles "falsch".

Alles in allem: beim Franzosen ist alles angelegt auf eine Kultur der
Schale, der Kern ist mehr oder weniger gleichgültig. Diese Kultur der Schale
hat uns oft geblendet und tut es leider noch bis auf den heutigen Tag, obwohl
das neue Frankreich auch die Kultur der Schale immer gröber vernachlässigt.
Das heutige Frankreich gleicht einem unerzogenen, aus den untersten Ständen
herausgekommenen Spießbürger, der zufällig als Erbe noch ein paar köstliche
Prunkstücke hat, die ihm ein Ansehen von Vornehmheit geben, obwohl er mehr
und mehr verlernt, sie zu tragen. Immer mehr werden wir Deutsche auch in
der äußeren Kultur den Franzosen über. Man sehe unsere Städte in ihrer
Sauberkeit und ihrem Komfort an, man bedenke, welche Reinlichkeitsvorrichtungen
sich selbst der mittelbegüterte Bürger bei uns leistet, man vergleiche damit
französische Zustände, und man wird sich die Nase zuhalten. Oder man
beobachte einmal auch "bessere" Franzosen beim Essen! Welche Rolle spielt da
das Messer, welche Töne muß man da mitgenießen! Man sagt in Paris:
"Es scheint, die Deutschen haben immer Angst, daß man ihnen das Essen "us
dem Munde wegnähme, weil sie ihn so krampfhaft zuhalten beim Essen." Nein,
wir tun es aus guten Gründen!

Es ist ein festgewurzelter Aberglaube, daß die Franzosen das Volk der
feinen, äußeren Form seien.--Es wäre den Deutschen zu raten, einmal
selber die Augen aufzumachen, und sie würden sehen, wie überall hinter der
ererbten Eleganz der moderne Prolet hervorkommt. Es ist eine traurige Dekadenz
auch nach dieser Seite, die das heutige Frankreich kennzeichnet.




vom Lharakter der Franzosen

die gar nicht'Natur sein will, begreifen, um dem Wesen der Franzosen näher¬
zukommen, Deutsche Frauen regen sich über die „Unechtheil" von Pariser
Schönheiten auf, die geschminkt, gepudert, emailliert und Gott weiß was sonst
noch, nur keine „Natur" sind. Man bedenke, daß jene, das auch gar nicht
wollen. Man sagt: „I^g, ?l-g,n<M8e n'est pa8 belle, eile le clevient." —
Alles ist bewußte Kunst, die gar nicht in irgendwelchem Zusammenhang mit
der Natur stehen will: nur so ist die französische Dicht- und Schauspielkunst,
die französische Schönheitspflege und überhaupt der ganze Lebensstil zu verstehen.
Er ist nicht „falsch", aber er ist künstlich. Nur weil der Deutsche, der immer
eine innere Beziehung zwischen „Kunst" und „Natur" verlangt, das nicht
verstand, konnte die Rede entstehen, am Franzosen sei alles „falsch".

Alles in allem: beim Franzosen ist alles angelegt auf eine Kultur der
Schale, der Kern ist mehr oder weniger gleichgültig. Diese Kultur der Schale
hat uns oft geblendet und tut es leider noch bis auf den heutigen Tag, obwohl
das neue Frankreich auch die Kultur der Schale immer gröber vernachlässigt.
Das heutige Frankreich gleicht einem unerzogenen, aus den untersten Ständen
herausgekommenen Spießbürger, der zufällig als Erbe noch ein paar köstliche
Prunkstücke hat, die ihm ein Ansehen von Vornehmheit geben, obwohl er mehr
und mehr verlernt, sie zu tragen. Immer mehr werden wir Deutsche auch in
der äußeren Kultur den Franzosen über. Man sehe unsere Städte in ihrer
Sauberkeit und ihrem Komfort an, man bedenke, welche Reinlichkeitsvorrichtungen
sich selbst der mittelbegüterte Bürger bei uns leistet, man vergleiche damit
französische Zustände, und man wird sich die Nase zuhalten. Oder man
beobachte einmal auch „bessere" Franzosen beim Essen! Welche Rolle spielt da
das Messer, welche Töne muß man da mitgenießen! Man sagt in Paris:
„Es scheint, die Deutschen haben immer Angst, daß man ihnen das Essen «us
dem Munde wegnähme, weil sie ihn so krampfhaft zuhalten beim Essen." Nein,
wir tun es aus guten Gründen!

Es ist ein festgewurzelter Aberglaube, daß die Franzosen das Volk der
feinen, äußeren Form seien.--Es wäre den Deutschen zu raten, einmal
selber die Augen aufzumachen, und sie würden sehen, wie überall hinter der
ererbten Eleganz der moderne Prolet hervorkommt. Es ist eine traurige Dekadenz
auch nach dieser Seite, die das heutige Frankreich kennzeichnet.




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[0342] vom Lharakter der Franzosen die gar nicht'Natur sein will, begreifen, um dem Wesen der Franzosen näher¬ zukommen, Deutsche Frauen regen sich über die „Unechtheil" von Pariser Schönheiten auf, die geschminkt, gepudert, emailliert und Gott weiß was sonst noch, nur keine „Natur" sind. Man bedenke, daß jene, das auch gar nicht wollen. Man sagt: „I^g, ?l-g,n<M8e n'est pa8 belle, eile le clevient." — Alles ist bewußte Kunst, die gar nicht in irgendwelchem Zusammenhang mit der Natur stehen will: nur so ist die französische Dicht- und Schauspielkunst, die französische Schönheitspflege und überhaupt der ganze Lebensstil zu verstehen. Er ist nicht „falsch", aber er ist künstlich. Nur weil der Deutsche, der immer eine innere Beziehung zwischen „Kunst" und „Natur" verlangt, das nicht verstand, konnte die Rede entstehen, am Franzosen sei alles „falsch". Alles in allem: beim Franzosen ist alles angelegt auf eine Kultur der Schale, der Kern ist mehr oder weniger gleichgültig. Diese Kultur der Schale hat uns oft geblendet und tut es leider noch bis auf den heutigen Tag, obwohl das neue Frankreich auch die Kultur der Schale immer gröber vernachlässigt. Das heutige Frankreich gleicht einem unerzogenen, aus den untersten Ständen herausgekommenen Spießbürger, der zufällig als Erbe noch ein paar köstliche Prunkstücke hat, die ihm ein Ansehen von Vornehmheit geben, obwohl er mehr und mehr verlernt, sie zu tragen. Immer mehr werden wir Deutsche auch in der äußeren Kultur den Franzosen über. Man sehe unsere Städte in ihrer Sauberkeit und ihrem Komfort an, man bedenke, welche Reinlichkeitsvorrichtungen sich selbst der mittelbegüterte Bürger bei uns leistet, man vergleiche damit französische Zustände, und man wird sich die Nase zuhalten. Oder man beobachte einmal auch „bessere" Franzosen beim Essen! Welche Rolle spielt da das Messer, welche Töne muß man da mitgenießen! Man sagt in Paris: „Es scheint, die Deutschen haben immer Angst, daß man ihnen das Essen «us dem Munde wegnähme, weil sie ihn so krampfhaft zuhalten beim Essen." Nein, wir tun es aus guten Gründen! Es ist ein festgewurzelter Aberglaube, daß die Franzosen das Volk der feinen, äußeren Form seien.--Es wäre den Deutschen zu raten, einmal selber die Augen aufzumachen, und sie würden sehen, wie überall hinter der ererbten Eleganz der moderne Prolet hervorkommt. Es ist eine traurige Dekadenz auch nach dieser Seite, die das heutige Frankreich kennzeichnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/342>, abgerufen am 26.04.2024.