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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Immatrikulation von Angehörigen feindlicher Staaten

einzigen, denen man mit der Fernhaliung dieser Bulgaren eine Freude bereitete,
wären die Serben, Ebenso liegt die Sache bei den Polen, Deutschen usw., die
in Rußland das Staatsbürgerrecht haben. Es liegt gar kein Grund vor, wes¬
halb man sie schlechthin auf eine Linie mit den Nationalrussen stellen soll.
Daß der österreichische Minister sich anderseits die besondere Entscheidung in dem
einzelnen Fall vorbehält, ist selbstverständlich durchaus in der Ordnung.

Für das Deutsche Reich hat die vom österreichischen Minister gemachte
Unterscheidung nicht im gleichen Maße Bedeutung wie für Österreich-Ungarn,
da dessen Nachbarstaaten ein stärkeres Völkergemisch haben als unsere Nachbar¬
staaten. Aber man sollte der Unterscheidung, ob der einzelne Bewerber um die
Immatrikulation der herrschenden Nation des feindlichen Staates angehört oder
nicht, auch bei uns umfassende Beachtung schenken. Denken wir an die Deutschen,
die in Nußland das Staatsbürgerrecht besitzen, insbesondere an die Ballen.
Es ist ja in der letzten Zeit viel zur Verdächtigung der Ballen geschehen;
namentlich ein tendenziöser, sehr, törichter Artikel der Neuen Züricher Zeitung,
der leider auch in reichsdeutsche Zeitungen Eingang fand, hat Verwirrung
gestiftet. Derjenige aber, der sich überhaupt sachlich unterrichten will, kann sich
leicht darüber unterrichten, daß das Deutschtum bei den Ballen, Ausnahmen
abgerechnet, einen festen Boden hat. Sie befinden sich ja heute in einer
schwierigen Lage, zumal wenn Reichsdeutsche sie einfach als Russen betrachten
und behandelt sehen wollen. ,-,Jn dieser Zeit haftet," so schrieb mir eine Ballin,
"an uns Ballen die Tragik der Vaterlandslosigkeit wie ein Makel, so daß es
oft scheint, als wäre für uns kein Raum auf der Welt." Was hat es für
einen Zweck, daß wir die Baltea, die von den Russen als Deutsche unterdrückt
werden, zurückstoßen? Warum sollen wir Angehörige unseres deutschen Stammes,
die nur zufällig russisches Staatsbürgerrecht haben, aber in ihrem Denken und
Fühlen ganz mit uns eins sind, hartherzig behandeln?

Die Deutschrussen sind aber nicht die einzigen, die sich bei uns in jener
Lage befinden. In Betracht kommen ferner zum Beispiel die Deutschen, die
das englische Staatsbürgerrecht erworben haben. Man sieht nun wohl einen
Fehler darin, daß Deutsche überhaupt frer/.des Staatsbürgerrecht besitzen, und
fordert insbesondere jetzt, daß Deutsche, die in Deutschland als solche geachtet
werden wollen, unverzüglich ihr fremdes Staatsbürgerrecht aufgeben und das
deutsche erwerben sollen. Das ist eine Forderung, die mit richtigen Tatsachen
gar nicht rechnet. Vom Standpunkt der Pflege des deutschen Geisteslebens
zunächst ist es im Interesse des Deutschtums von größter Wichtigkeit, daß
Deutsche von deutscher Bildung im Ausland tätig bleiben, Unterricht erteilen
und andere Berufe ausüben. Und die deutschen Universitäten haben von jeher
die Aufgabe erfüllt, Ausländer deutscher Stammesangehörigkeit, die jene Arbeit
leisten wollen, in die Wissenschaft einzuführen. Erwerb des fremden Bürger¬
rechts aber war und ist in vielen Fällen Voraussetzung für die Leistung jener
Arbeit. In Nußland konnten zum Beispiel nur Inhaber des russischen Staats-


Die Immatrikulation von Angehörigen feindlicher Staaten

einzigen, denen man mit der Fernhaliung dieser Bulgaren eine Freude bereitete,
wären die Serben, Ebenso liegt die Sache bei den Polen, Deutschen usw., die
in Rußland das Staatsbürgerrecht haben. Es liegt gar kein Grund vor, wes¬
halb man sie schlechthin auf eine Linie mit den Nationalrussen stellen soll.
Daß der österreichische Minister sich anderseits die besondere Entscheidung in dem
einzelnen Fall vorbehält, ist selbstverständlich durchaus in der Ordnung.

Für das Deutsche Reich hat die vom österreichischen Minister gemachte
Unterscheidung nicht im gleichen Maße Bedeutung wie für Österreich-Ungarn,
da dessen Nachbarstaaten ein stärkeres Völkergemisch haben als unsere Nachbar¬
staaten. Aber man sollte der Unterscheidung, ob der einzelne Bewerber um die
Immatrikulation der herrschenden Nation des feindlichen Staates angehört oder
nicht, auch bei uns umfassende Beachtung schenken. Denken wir an die Deutschen,
die in Nußland das Staatsbürgerrecht besitzen, insbesondere an die Ballen.
Es ist ja in der letzten Zeit viel zur Verdächtigung der Ballen geschehen;
namentlich ein tendenziöser, sehr, törichter Artikel der Neuen Züricher Zeitung,
der leider auch in reichsdeutsche Zeitungen Eingang fand, hat Verwirrung
gestiftet. Derjenige aber, der sich überhaupt sachlich unterrichten will, kann sich
leicht darüber unterrichten, daß das Deutschtum bei den Ballen, Ausnahmen
abgerechnet, einen festen Boden hat. Sie befinden sich ja heute in einer
schwierigen Lage, zumal wenn Reichsdeutsche sie einfach als Russen betrachten
und behandelt sehen wollen. ,-,Jn dieser Zeit haftet," so schrieb mir eine Ballin,
„an uns Ballen die Tragik der Vaterlandslosigkeit wie ein Makel, so daß es
oft scheint, als wäre für uns kein Raum auf der Welt." Was hat es für
einen Zweck, daß wir die Baltea, die von den Russen als Deutsche unterdrückt
werden, zurückstoßen? Warum sollen wir Angehörige unseres deutschen Stammes,
die nur zufällig russisches Staatsbürgerrecht haben, aber in ihrem Denken und
Fühlen ganz mit uns eins sind, hartherzig behandeln?

Die Deutschrussen sind aber nicht die einzigen, die sich bei uns in jener
Lage befinden. In Betracht kommen ferner zum Beispiel die Deutschen, die
das englische Staatsbürgerrecht erworben haben. Man sieht nun wohl einen
Fehler darin, daß Deutsche überhaupt frer/.des Staatsbürgerrecht besitzen, und
fordert insbesondere jetzt, daß Deutsche, die in Deutschland als solche geachtet
werden wollen, unverzüglich ihr fremdes Staatsbürgerrecht aufgeben und das
deutsche erwerben sollen. Das ist eine Forderung, die mit richtigen Tatsachen
gar nicht rechnet. Vom Standpunkt der Pflege des deutschen Geisteslebens
zunächst ist es im Interesse des Deutschtums von größter Wichtigkeit, daß
Deutsche von deutscher Bildung im Ausland tätig bleiben, Unterricht erteilen
und andere Berufe ausüben. Und die deutschen Universitäten haben von jeher
die Aufgabe erfüllt, Ausländer deutscher Stammesangehörigkeit, die jene Arbeit
leisten wollen, in die Wissenschaft einzuführen. Erwerb des fremden Bürger¬
rechts aber war und ist in vielen Fällen Voraussetzung für die Leistung jener
Arbeit. In Nußland konnten zum Beispiel nur Inhaber des russischen Staats-


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[0341] Die Immatrikulation von Angehörigen feindlicher Staaten einzigen, denen man mit der Fernhaliung dieser Bulgaren eine Freude bereitete, wären die Serben, Ebenso liegt die Sache bei den Polen, Deutschen usw., die in Rußland das Staatsbürgerrecht haben. Es liegt gar kein Grund vor, wes¬ halb man sie schlechthin auf eine Linie mit den Nationalrussen stellen soll. Daß der österreichische Minister sich anderseits die besondere Entscheidung in dem einzelnen Fall vorbehält, ist selbstverständlich durchaus in der Ordnung. Für das Deutsche Reich hat die vom österreichischen Minister gemachte Unterscheidung nicht im gleichen Maße Bedeutung wie für Österreich-Ungarn, da dessen Nachbarstaaten ein stärkeres Völkergemisch haben als unsere Nachbar¬ staaten. Aber man sollte der Unterscheidung, ob der einzelne Bewerber um die Immatrikulation der herrschenden Nation des feindlichen Staates angehört oder nicht, auch bei uns umfassende Beachtung schenken. Denken wir an die Deutschen, die in Nußland das Staatsbürgerrecht besitzen, insbesondere an die Ballen. Es ist ja in der letzten Zeit viel zur Verdächtigung der Ballen geschehen; namentlich ein tendenziöser, sehr, törichter Artikel der Neuen Züricher Zeitung, der leider auch in reichsdeutsche Zeitungen Eingang fand, hat Verwirrung gestiftet. Derjenige aber, der sich überhaupt sachlich unterrichten will, kann sich leicht darüber unterrichten, daß das Deutschtum bei den Ballen, Ausnahmen abgerechnet, einen festen Boden hat. Sie befinden sich ja heute in einer schwierigen Lage, zumal wenn Reichsdeutsche sie einfach als Russen betrachten und behandelt sehen wollen. ,-,Jn dieser Zeit haftet," so schrieb mir eine Ballin, „an uns Ballen die Tragik der Vaterlandslosigkeit wie ein Makel, so daß es oft scheint, als wäre für uns kein Raum auf der Welt." Was hat es für einen Zweck, daß wir die Baltea, die von den Russen als Deutsche unterdrückt werden, zurückstoßen? Warum sollen wir Angehörige unseres deutschen Stammes, die nur zufällig russisches Staatsbürgerrecht haben, aber in ihrem Denken und Fühlen ganz mit uns eins sind, hartherzig behandeln? Die Deutschrussen sind aber nicht die einzigen, die sich bei uns in jener Lage befinden. In Betracht kommen ferner zum Beispiel die Deutschen, die das englische Staatsbürgerrecht erworben haben. Man sieht nun wohl einen Fehler darin, daß Deutsche überhaupt frer/.des Staatsbürgerrecht besitzen, und fordert insbesondere jetzt, daß Deutsche, die in Deutschland als solche geachtet werden wollen, unverzüglich ihr fremdes Staatsbürgerrecht aufgeben und das deutsche erwerben sollen. Das ist eine Forderung, die mit richtigen Tatsachen gar nicht rechnet. Vom Standpunkt der Pflege des deutschen Geisteslebens zunächst ist es im Interesse des Deutschtums von größter Wichtigkeit, daß Deutsche von deutscher Bildung im Ausland tätig bleiben, Unterricht erteilen und andere Berufe ausüben. Und die deutschen Universitäten haben von jeher die Aufgabe erfüllt, Ausländer deutscher Stammesangehörigkeit, die jene Arbeit leisten wollen, in die Wissenschaft einzuführen. Erwerb des fremden Bürger¬ rechts aber war und ist in vielen Fällen Voraussetzung für die Leistung jener Arbeit. In Nußland konnten zum Beispiel nur Inhaber des russischen Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/341>, abgerufen am 15.05.2024.