Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

trümmerung der deutschen Staatsform, nicht aber des Deutschtums schlechtweg,
das Ziel des Krieges gewesen sein.

Das deutsche Volk stand in ungeahnter Einigkeit zusammen für sein Reich;
alle Parteien fanden sich, auch diejenige Partei, deren ureigentliches Wesen
der Internationalismus sein muß, die Sozialdemokratie, erkannte klar, daß ihr
Ziel der Arbeiterfürsorge nur durchführbar sei bei Erhaltung der deutschen
Staatsform und trat bedingungslos mit auf den Plan zur Erhaltung des
Reiches.

Diese Einmütigkeit Deutschlands war die erste Folge des Vernichtungs¬
gedankens unserer Gegner -- im Verein mit der nicht genug anzuerkennenden
Mobilmachungsvorarbeit und der Schlagfertigkeit unserer Heere hat sie ihn
heute bereits, obwohl der Kampf noch lange nicht beendet ist, zunichte gemacht.

Wohl erst das Fehlschlagen der politischen Vernichtungsträume hat dann
unsere Gegner dazu geführt, die Vernichtung des Gesamtvolkes in seinen
einzelnen Individuen zu erstreben, und zwar die persönliche wie die wirtschaftliche.
Ausgegangen ist dieser Gedanke von England -- England ist der Feind, der
den Krieg herbeigeführt, und auf die Art seiner Führung, militärisch,
wirtschaftlich und ethisch, den bestimmenden Einfluß ausgeübt hat und weiter
ausübt; Frankreich, Nußland und die übrigen Gegner sind nur Englands
ausführende Organe. Daher wird es nicht nur möglich, sondern praktisch und
sogar notwendig sein, auch jetzt, mitten im Krieg, bereits die Zukunftsbeziehungen
mit letztgenannten Feinden nicht außer Rechnung zu lassen. Trotz aller jahre¬
langen Eifersüchteleien Frankreichs, trotz allen Gegensatzes zwischen deutscher Kultur
und russischen Anschauungen möchte ich den Kriegszustand doch mehr als etwas
akzidentelles, von außen hereingetragenes, ansehen und glauben, daß diese
verschiedenen Staatswesen des Kontinents sehr gut nebeneinander und mitein¬
ander zu leben vermögen; die Gegensätze zwischen England und Deutschland
aber sind organischer Natur, der alte Gegensatz zwischen Rom und Karthago
kann nur einer Macht das Bestehen erlauben.

In England ist man zur vollen Erkenntnis dieser Notwendigkeit durch¬
gerungen -- England weiß, daß es den Lebenskampf kämpft, und daher heißt
es immer wieder: "Deutschland muß vernichtet werden." In Deutschland aber
stehen weite Kreise, vor allem der Gebildeten, diesen tatsächlichen Verhältnissen
noch immer fremd und verständnislos gegenüber, noch immer wird ein gutes
Einvernehmen mit den: englischen Reich nicht nur für möglich, sondern für
wünschenswert gehalten.

Gewiß ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß in verhältnismäßig
kurzer Zeit ein Frieden geschlossen werden kann auf anscheinend freundschaftlicher
Basis mit England -- ein solcher Friede könnte aber nnr ein Waffenstillstand
sein, benutzt zu neuen Kriegsvorbereitungen. Der Gegensatz zwischen Europas
Kontinent und englischer Seemacht, der zuerst durch Napoleon den Ersten klar
erkannt worden ist, muß jetzt zum Austrag kommen. Zudem erfordert die


7*
Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

trümmerung der deutschen Staatsform, nicht aber des Deutschtums schlechtweg,
das Ziel des Krieges gewesen sein.

Das deutsche Volk stand in ungeahnter Einigkeit zusammen für sein Reich;
alle Parteien fanden sich, auch diejenige Partei, deren ureigentliches Wesen
der Internationalismus sein muß, die Sozialdemokratie, erkannte klar, daß ihr
Ziel der Arbeiterfürsorge nur durchführbar sei bei Erhaltung der deutschen
Staatsform und trat bedingungslos mit auf den Plan zur Erhaltung des
Reiches.

Diese Einmütigkeit Deutschlands war die erste Folge des Vernichtungs¬
gedankens unserer Gegner — im Verein mit der nicht genug anzuerkennenden
Mobilmachungsvorarbeit und der Schlagfertigkeit unserer Heere hat sie ihn
heute bereits, obwohl der Kampf noch lange nicht beendet ist, zunichte gemacht.

Wohl erst das Fehlschlagen der politischen Vernichtungsträume hat dann
unsere Gegner dazu geführt, die Vernichtung des Gesamtvolkes in seinen
einzelnen Individuen zu erstreben, und zwar die persönliche wie die wirtschaftliche.
Ausgegangen ist dieser Gedanke von England — England ist der Feind, der
den Krieg herbeigeführt, und auf die Art seiner Führung, militärisch,
wirtschaftlich und ethisch, den bestimmenden Einfluß ausgeübt hat und weiter
ausübt; Frankreich, Nußland und die übrigen Gegner sind nur Englands
ausführende Organe. Daher wird es nicht nur möglich, sondern praktisch und
sogar notwendig sein, auch jetzt, mitten im Krieg, bereits die Zukunftsbeziehungen
mit letztgenannten Feinden nicht außer Rechnung zu lassen. Trotz aller jahre¬
langen Eifersüchteleien Frankreichs, trotz allen Gegensatzes zwischen deutscher Kultur
und russischen Anschauungen möchte ich den Kriegszustand doch mehr als etwas
akzidentelles, von außen hereingetragenes, ansehen und glauben, daß diese
verschiedenen Staatswesen des Kontinents sehr gut nebeneinander und mitein¬
ander zu leben vermögen; die Gegensätze zwischen England und Deutschland
aber sind organischer Natur, der alte Gegensatz zwischen Rom und Karthago
kann nur einer Macht das Bestehen erlauben.

In England ist man zur vollen Erkenntnis dieser Notwendigkeit durch¬
gerungen — England weiß, daß es den Lebenskampf kämpft, und daher heißt
es immer wieder: „Deutschland muß vernichtet werden." In Deutschland aber
stehen weite Kreise, vor allem der Gebildeten, diesen tatsächlichen Verhältnissen
noch immer fremd und verständnislos gegenüber, noch immer wird ein gutes
Einvernehmen mit den: englischen Reich nicht nur für möglich, sondern für
wünschenswert gehalten.

Gewiß ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß in verhältnismäßig
kurzer Zeit ein Frieden geschlossen werden kann auf anscheinend freundschaftlicher
Basis mit England — ein solcher Friede könnte aber nnr ein Waffenstillstand
sein, benutzt zu neuen Kriegsvorbereitungen. Der Gegensatz zwischen Europas
Kontinent und englischer Seemacht, der zuerst durch Napoleon den Ersten klar
erkannt worden ist, muß jetzt zum Austrag kommen. Zudem erfordert die


7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323208"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Vernichtungskrieg und seine Folgen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286"> trümmerung der deutschen Staatsform, nicht aber des Deutschtums schlechtweg,<lb/>
das Ziel des Krieges gewesen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_288"> Das deutsche Volk stand in ungeahnter Einigkeit zusammen für sein Reich;<lb/>
alle Parteien fanden sich, auch diejenige Partei, deren ureigentliches Wesen<lb/>
der Internationalismus sein muß, die Sozialdemokratie, erkannte klar, daß ihr<lb/>
Ziel der Arbeiterfürsorge nur durchführbar sei bei Erhaltung der deutschen<lb/>
Staatsform und trat bedingungslos mit auf den Plan zur Erhaltung des<lb/>
Reiches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_289"> Diese Einmütigkeit Deutschlands war die erste Folge des Vernichtungs¬<lb/>
gedankens unserer Gegner &#x2014; im Verein mit der nicht genug anzuerkennenden<lb/>
Mobilmachungsvorarbeit und der Schlagfertigkeit unserer Heere hat sie ihn<lb/>
heute bereits, obwohl der Kampf noch lange nicht beendet ist, zunichte gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_290"> Wohl erst das Fehlschlagen der politischen Vernichtungsträume hat dann<lb/>
unsere Gegner dazu geführt, die Vernichtung des Gesamtvolkes in seinen<lb/>
einzelnen Individuen zu erstreben, und zwar die persönliche wie die wirtschaftliche.<lb/>
Ausgegangen ist dieser Gedanke von England &#x2014; England ist der Feind, der<lb/>
den Krieg herbeigeführt, und auf die Art seiner Führung, militärisch,<lb/>
wirtschaftlich und ethisch, den bestimmenden Einfluß ausgeübt hat und weiter<lb/>
ausübt; Frankreich, Nußland und die übrigen Gegner sind nur Englands<lb/>
ausführende Organe. Daher wird es nicht nur möglich, sondern praktisch und<lb/>
sogar notwendig sein, auch jetzt, mitten im Krieg, bereits die Zukunftsbeziehungen<lb/>
mit letztgenannten Feinden nicht außer Rechnung zu lassen. Trotz aller jahre¬<lb/>
langen Eifersüchteleien Frankreichs, trotz allen Gegensatzes zwischen deutscher Kultur<lb/>
und russischen Anschauungen möchte ich den Kriegszustand doch mehr als etwas<lb/>
akzidentelles, von außen hereingetragenes, ansehen und glauben, daß diese<lb/>
verschiedenen Staatswesen des Kontinents sehr gut nebeneinander und mitein¬<lb/>
ander zu leben vermögen; die Gegensätze zwischen England und Deutschland<lb/>
aber sind organischer Natur, der alte Gegensatz zwischen Rom und Karthago<lb/>
kann nur einer Macht das Bestehen erlauben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_291"> In England ist man zur vollen Erkenntnis dieser Notwendigkeit durch¬<lb/>
gerungen &#x2014; England weiß, daß es den Lebenskampf kämpft, und daher heißt<lb/>
es immer wieder: &#x201E;Deutschland muß vernichtet werden." In Deutschland aber<lb/>
stehen weite Kreise, vor allem der Gebildeten, diesen tatsächlichen Verhältnissen<lb/>
noch immer fremd und verständnislos gegenüber, noch immer wird ein gutes<lb/>
Einvernehmen mit den: englischen Reich nicht nur für möglich, sondern für<lb/>
wünschenswert gehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Gewiß ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß in verhältnismäßig<lb/>
kurzer Zeit ein Frieden geschlossen werden kann auf anscheinend freundschaftlicher<lb/>
Basis mit England &#x2014; ein solcher Friede könnte aber nnr ein Waffenstillstand<lb/>
sein, benutzt zu neuen Kriegsvorbereitungen. Der Gegensatz zwischen Europas<lb/>
Kontinent und englischer Seemacht, der zuerst durch Napoleon den Ersten klar<lb/>
erkannt worden ist, muß jetzt zum Austrag kommen. Zudem erfordert die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 7*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] Der Vernichtungskrieg und seine Folgen trümmerung der deutschen Staatsform, nicht aber des Deutschtums schlechtweg, das Ziel des Krieges gewesen sein. Das deutsche Volk stand in ungeahnter Einigkeit zusammen für sein Reich; alle Parteien fanden sich, auch diejenige Partei, deren ureigentliches Wesen der Internationalismus sein muß, die Sozialdemokratie, erkannte klar, daß ihr Ziel der Arbeiterfürsorge nur durchführbar sei bei Erhaltung der deutschen Staatsform und trat bedingungslos mit auf den Plan zur Erhaltung des Reiches. Diese Einmütigkeit Deutschlands war die erste Folge des Vernichtungs¬ gedankens unserer Gegner — im Verein mit der nicht genug anzuerkennenden Mobilmachungsvorarbeit und der Schlagfertigkeit unserer Heere hat sie ihn heute bereits, obwohl der Kampf noch lange nicht beendet ist, zunichte gemacht. Wohl erst das Fehlschlagen der politischen Vernichtungsträume hat dann unsere Gegner dazu geführt, die Vernichtung des Gesamtvolkes in seinen einzelnen Individuen zu erstreben, und zwar die persönliche wie die wirtschaftliche. Ausgegangen ist dieser Gedanke von England — England ist der Feind, der den Krieg herbeigeführt, und auf die Art seiner Führung, militärisch, wirtschaftlich und ethisch, den bestimmenden Einfluß ausgeübt hat und weiter ausübt; Frankreich, Nußland und die übrigen Gegner sind nur Englands ausführende Organe. Daher wird es nicht nur möglich, sondern praktisch und sogar notwendig sein, auch jetzt, mitten im Krieg, bereits die Zukunftsbeziehungen mit letztgenannten Feinden nicht außer Rechnung zu lassen. Trotz aller jahre¬ langen Eifersüchteleien Frankreichs, trotz allen Gegensatzes zwischen deutscher Kultur und russischen Anschauungen möchte ich den Kriegszustand doch mehr als etwas akzidentelles, von außen hereingetragenes, ansehen und glauben, daß diese verschiedenen Staatswesen des Kontinents sehr gut nebeneinander und mitein¬ ander zu leben vermögen; die Gegensätze zwischen England und Deutschland aber sind organischer Natur, der alte Gegensatz zwischen Rom und Karthago kann nur einer Macht das Bestehen erlauben. In England ist man zur vollen Erkenntnis dieser Notwendigkeit durch¬ gerungen — England weiß, daß es den Lebenskampf kämpft, und daher heißt es immer wieder: „Deutschland muß vernichtet werden." In Deutschland aber stehen weite Kreise, vor allem der Gebildeten, diesen tatsächlichen Verhältnissen noch immer fremd und verständnislos gegenüber, noch immer wird ein gutes Einvernehmen mit den: englischen Reich nicht nur für möglich, sondern für wünschenswert gehalten. Gewiß ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Frieden geschlossen werden kann auf anscheinend freundschaftlicher Basis mit England — ein solcher Friede könnte aber nnr ein Waffenstillstand sein, benutzt zu neuen Kriegsvorbereitungen. Der Gegensatz zwischen Europas Kontinent und englischer Seemacht, der zuerst durch Napoleon den Ersten klar erkannt worden ist, muß jetzt zum Austrag kommen. Zudem erfordert die 7*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/111>, abgerufen am 15.05.2024.