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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

noch Jahre lang nach dem Kriege bestanden, da ferner von den endlich Ent¬
lassener viele bereits den Todeskeim in sich trugen, so beziffert sich die Gesamt¬
zahl der von England tatsächlich gemordeten Frauen und Kinder auf etwa 57000.

Diese Methode der Konzentrationslager hat die englische Staatsraison jetzt
bewußt wieder angewandt. Der englische Gedankengang ist eben völlig logisch und
klar: "es steht zu befürchten, daß Deutschland in diesem Kriege noch nicht vernichtet
werden kann. Dann soll ihm möglichst viel Abbruch an Menschen wie an Geld
getan werden, damit der spätere Vernichtungskrieg für England um so leichter ist."

Untersuchen wir, wie weit England diesem Ziel bereits nahegerückt ist.

Unsere Kampfmittel bestehen in erster Linie in Menschen, in zweiter in
Geld. Sind diese beiden in ausreichender Menge vorhanden, so ist ein dauernder
Mangel an allem anderen kaum zu fürchten. Gegen diese beiden Grund¬
bedingungen eines deutschen Kriegserfolgs, auch in der Zukunft, kämpft also
England systematisch an.

Nun wird zunächst ein großer Teil der Gefangenen, die während ihrer
Gefangenschaft Entbehrungen und Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, körperlich
außerstande sein, in einem künftigen Kriege ihrePerson für dasVaterland einzusetzen,
wie auch ein sehr großer Prozentsatz der durch Dum-Dum-Geschosse Verwundeten,
namentlich wenn die Geschosse noch chemisch infiziert, beziehungsweise mit Phosphor
gefüllt sind, wie dies in der letzten Zeit vorgekommen sein soll -- sie werden
aber auch im sozialen Erwerbsleben stark beschränkt sein.

Schon dies allein ist geeignet, unseren Gegnern für die Zukunft Über¬
legenheit zu verschaffen.

Nun ist aber erfahrungsmäßig bisher nach allen Kriegen der letzten Zeiten
Hand in Hand mit einem wirtschaftlichen Aufschwung eine Steigerung der
Geburtenziffer eingetreten. Es steht also zur Frage, ob wir nach der Be¬
endigung dieses Krieges mit denselben Folgen rechnen dürfen. Hier möchte
ich sehr skeptisch sein. Die ungeheuren Kosten des Krieges, der riesige Verlust
an Kulturwerten, werden uns, selbst wenn wir auf allen Fronten einen ent-
scheidenden Sieg erringen, nicht ersetzt werden können. Wer sollte sie uns
ersetzen? Frankreich, das Milliarden über Milliarden in Rußland, der Balkan-
Halbinsel und der Türkei verlieren würde, wird nicht genügend Mittel besitzen.
Selbst wenn man nun Frankreich auf lange, lange Jahre hinaus mit Ab¬
zahlungen drücken könnte, so würde doch für die nächste Gegenwart nicht genug
Geld geschafft werden. Zudem möchte ich bezweifeln, ob ein solches Unter¬
drücken Frankreichs in unserem Interesse läge -- ein blühender deutscher Handel,
eine blühende deutsche Industrie benötigen eines kaufkräftigen Frankreichs. Rußland
hat bereits jetzt den Staatsbankrott für den Fall des Unterliegens angekündigt,
-- von England werden wir, wenn wir jetzt nicht ganze Arbeit mit ihm machen
können, keinen Perun erhalten.

Kriegsentschädigungen werden also einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung
kaum herbeiführen können. Dagegen haben wir ungeheuer vermehrte Abgaben


Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

noch Jahre lang nach dem Kriege bestanden, da ferner von den endlich Ent¬
lassener viele bereits den Todeskeim in sich trugen, so beziffert sich die Gesamt¬
zahl der von England tatsächlich gemordeten Frauen und Kinder auf etwa 57000.

Diese Methode der Konzentrationslager hat die englische Staatsraison jetzt
bewußt wieder angewandt. Der englische Gedankengang ist eben völlig logisch und
klar: „es steht zu befürchten, daß Deutschland in diesem Kriege noch nicht vernichtet
werden kann. Dann soll ihm möglichst viel Abbruch an Menschen wie an Geld
getan werden, damit der spätere Vernichtungskrieg für England um so leichter ist."

Untersuchen wir, wie weit England diesem Ziel bereits nahegerückt ist.

Unsere Kampfmittel bestehen in erster Linie in Menschen, in zweiter in
Geld. Sind diese beiden in ausreichender Menge vorhanden, so ist ein dauernder
Mangel an allem anderen kaum zu fürchten. Gegen diese beiden Grund¬
bedingungen eines deutschen Kriegserfolgs, auch in der Zukunft, kämpft also
England systematisch an.

Nun wird zunächst ein großer Teil der Gefangenen, die während ihrer
Gefangenschaft Entbehrungen und Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, körperlich
außerstande sein, in einem künftigen Kriege ihrePerson für dasVaterland einzusetzen,
wie auch ein sehr großer Prozentsatz der durch Dum-Dum-Geschosse Verwundeten,
namentlich wenn die Geschosse noch chemisch infiziert, beziehungsweise mit Phosphor
gefüllt sind, wie dies in der letzten Zeit vorgekommen sein soll — sie werden
aber auch im sozialen Erwerbsleben stark beschränkt sein.

Schon dies allein ist geeignet, unseren Gegnern für die Zukunft Über¬
legenheit zu verschaffen.

Nun ist aber erfahrungsmäßig bisher nach allen Kriegen der letzten Zeiten
Hand in Hand mit einem wirtschaftlichen Aufschwung eine Steigerung der
Geburtenziffer eingetreten. Es steht also zur Frage, ob wir nach der Be¬
endigung dieses Krieges mit denselben Folgen rechnen dürfen. Hier möchte
ich sehr skeptisch sein. Die ungeheuren Kosten des Krieges, der riesige Verlust
an Kulturwerten, werden uns, selbst wenn wir auf allen Fronten einen ent-
scheidenden Sieg erringen, nicht ersetzt werden können. Wer sollte sie uns
ersetzen? Frankreich, das Milliarden über Milliarden in Rußland, der Balkan-
Halbinsel und der Türkei verlieren würde, wird nicht genügend Mittel besitzen.
Selbst wenn man nun Frankreich auf lange, lange Jahre hinaus mit Ab¬
zahlungen drücken könnte, so würde doch für die nächste Gegenwart nicht genug
Geld geschafft werden. Zudem möchte ich bezweifeln, ob ein solches Unter¬
drücken Frankreichs in unserem Interesse läge — ein blühender deutscher Handel,
eine blühende deutsche Industrie benötigen eines kaufkräftigen Frankreichs. Rußland
hat bereits jetzt den Staatsbankrott für den Fall des Unterliegens angekündigt,
— von England werden wir, wenn wir jetzt nicht ganze Arbeit mit ihm machen
können, keinen Perun erhalten.

Kriegsentschädigungen werden also einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung
kaum herbeiführen können. Dagegen haben wir ungeheuer vermehrte Abgaben


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[0113] Der Vernichtungskrieg und seine Folgen noch Jahre lang nach dem Kriege bestanden, da ferner von den endlich Ent¬ lassener viele bereits den Todeskeim in sich trugen, so beziffert sich die Gesamt¬ zahl der von England tatsächlich gemordeten Frauen und Kinder auf etwa 57000. Diese Methode der Konzentrationslager hat die englische Staatsraison jetzt bewußt wieder angewandt. Der englische Gedankengang ist eben völlig logisch und klar: „es steht zu befürchten, daß Deutschland in diesem Kriege noch nicht vernichtet werden kann. Dann soll ihm möglichst viel Abbruch an Menschen wie an Geld getan werden, damit der spätere Vernichtungskrieg für England um so leichter ist." Untersuchen wir, wie weit England diesem Ziel bereits nahegerückt ist. Unsere Kampfmittel bestehen in erster Linie in Menschen, in zweiter in Geld. Sind diese beiden in ausreichender Menge vorhanden, so ist ein dauernder Mangel an allem anderen kaum zu fürchten. Gegen diese beiden Grund¬ bedingungen eines deutschen Kriegserfolgs, auch in der Zukunft, kämpft also England systematisch an. Nun wird zunächst ein großer Teil der Gefangenen, die während ihrer Gefangenschaft Entbehrungen und Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, körperlich außerstande sein, in einem künftigen Kriege ihrePerson für dasVaterland einzusetzen, wie auch ein sehr großer Prozentsatz der durch Dum-Dum-Geschosse Verwundeten, namentlich wenn die Geschosse noch chemisch infiziert, beziehungsweise mit Phosphor gefüllt sind, wie dies in der letzten Zeit vorgekommen sein soll — sie werden aber auch im sozialen Erwerbsleben stark beschränkt sein. Schon dies allein ist geeignet, unseren Gegnern für die Zukunft Über¬ legenheit zu verschaffen. Nun ist aber erfahrungsmäßig bisher nach allen Kriegen der letzten Zeiten Hand in Hand mit einem wirtschaftlichen Aufschwung eine Steigerung der Geburtenziffer eingetreten. Es steht also zur Frage, ob wir nach der Be¬ endigung dieses Krieges mit denselben Folgen rechnen dürfen. Hier möchte ich sehr skeptisch sein. Die ungeheuren Kosten des Krieges, der riesige Verlust an Kulturwerten, werden uns, selbst wenn wir auf allen Fronten einen ent- scheidenden Sieg erringen, nicht ersetzt werden können. Wer sollte sie uns ersetzen? Frankreich, das Milliarden über Milliarden in Rußland, der Balkan- Halbinsel und der Türkei verlieren würde, wird nicht genügend Mittel besitzen. Selbst wenn man nun Frankreich auf lange, lange Jahre hinaus mit Ab¬ zahlungen drücken könnte, so würde doch für die nächste Gegenwart nicht genug Geld geschafft werden. Zudem möchte ich bezweifeln, ob ein solches Unter¬ drücken Frankreichs in unserem Interesse läge — ein blühender deutscher Handel, eine blühende deutsche Industrie benötigen eines kaufkräftigen Frankreichs. Rußland hat bereits jetzt den Staatsbankrott für den Fall des Unterliegens angekündigt, — von England werden wir, wenn wir jetzt nicht ganze Arbeit mit ihm machen können, keinen Perun erhalten. Kriegsentschädigungen werden also einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung kaum herbeiführen können. Dagegen haben wir ungeheuer vermehrte Abgaben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/113>, abgerufen am 10.06.2024.